Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 23.059,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 3.843,18 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 23.8.1986 gegen 19.45 Uhr ereignete sich auf der Simmlisgschwendstraße in Sulzberg im Bereich der Sennerei Simmlisgschwend ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin eines Kinderfahrrades und der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs mit dem pol. Kennzeichen V 133.055 beteiligt waren. Die Klägerin wurde schwer verletzt und ist seither querschnittgelähmt. Das auf Zahlung von S 1,439.089,35 samt 4 % Zinsen seit 5.11.1988 und einer monatlichen Rente von S 10.000,-- seit 1.11.1988 gerichtete Leistungsbegehren ist der Höhe nach ebensowenig strittig wie die Möglichkeit künftiger Schäden und das sich daraus ergebende rechtliche Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Feststellung.
Die Klägerin begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der genannten Beträge und stellte das Feststellungsbegehren mit der Begründung, daß sich der Erstbeklagte der Unfallstelle mit seinem PKW unaufmerksam und mit überhöhter Geschwindigkeit genähert und in Anbetracht der schmalen Straße gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht verstoßen habe. Auf Grund der gegebenen Sichtverhältnisse hätte er rechtzeitig erkennen können, daß ihm ein Kind auf einem Fahrrad entgegenkommt. Hätte er rechtzeitig und zweckentsprechend mit einer Vollbremsung reagiert, hätte er den Zusammenstoß vermeiden können. Ein Mitverschulden der zum Unfallszeitpunkt noch nicht 6 Jahre alten Klägerin komme nicht in Betracht, weil sie nicht in der Lage war, die Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen und sich zweckentsprechend zu verhalten.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendeten ein, daß den Erstbeklagten kein Verschulden an dem für ihn unvermeidbaren Unfall treffe. Er habe die Klägerin vorerst wegen der ungünstigen Sichtverhältnisse, insbesondere auch wegen einer Gewitterstimmung, erst nach dem Vorbeifahren an einem sichtbehindernden Gebäude sehen können und unverzüglich mit einer Vollbremsung reagiert. Die Klägerin sei auf der linken Fahrbahnhälfte gefahren und habe damit grob gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Die Bedeutung dieses Gebots sei ihr insbesondere auf Grund einer entsprechenden Belehrung bekannt gewesen, sie hätte es auch befolgen können.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen:
Der Erstbeklagte fuhr mit seinem 1,66 m breiten PKW auf der Simmlisgschwendstraße von Doren in Richtung Sulzberg. In Simmlisgschwend verläuft diese Straße zunächst in einer Geraden bergab, beschreibt dann im Bereich der Sennerei Simmlisgschwend eine Linkskurve und steigt in weiterer Folge in einer längeren Geraden wieder an. Das Sennereigebäude befindet sich an der Kurveninnenseite. Der asphaltierte Vorplatz vor dem Sennereigebäude schließt ohne Niveauunterschied an die Straße an. Gegenüber der Sennerei befindet sich eine Hofzufahrt. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt dort 50 km/h.
Der Erstbeklagte näherte sich der Linkskurve vor dem Sennereigebäude mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h. Zur selben Zeit fuhr die Klägerin mit ihrem Kinderfahrrad auf der Simmlisgschwendstraße in Richtung Doren, somit dem Erstbeklagten entgegen. Sie hatte zuvor gemeinsam mit dem 16-jährigen Werner H***, der ein normales Herrenfahrrad verwendete, das Haus, in dem sie wohnte, verlassen und fuhr auf der Straße hinter Werner H*** her. Auf der mehr als 100 m langen abschüssigen Geraden vor der Sennerei überholte die damals etwa 5 1/2 Jahre alte Klägerin den von ihr fahrenden Werner H***, drehte sich um und rief ihm zu:
"Schau einmal, wie schnell ich fahre". Bis zur Kollision erreichte die Klägerin eine Fahrgeschwindigkeit von etwa 35 km/h. Nachdem sie den vor ihr fahrenden Radfahrer überholt hatte, kehrte die Klägerin nicht mehr auf die rechte Fahrbahnhälfte zurück, sondern fuhr auf der linken Fahrbahnhälfte der dort etwa 5 m breiten Straße. Der sich aus der Gegenrichtung nähernde Erstbeklagte hätte die beiden Radfahrer bei Annäherung an die Unfallstelle vorerst so lange sehen können, bis ihm das Sennereigebäude die Sicht verdeckte. Ob er die Klägerin als Kind identifizieren hätte können, kann nicht festgestellt werden. Der Erstbeklagte beobachtete den Straßenverlauf hinter dem Sennereigebäude nicht und bemerkte daher auch nicht die beiden entgegenkommenden Radfahrer. Die Fahrbahn war trocken, die Dämmerung noch nicht hereingebrochen, allerdings herrschte eine Gewitterstimmung.
Leonhard B***, der unmittelbar gegenüber der Sennerei am Rand der Simmlisgschwendstraße stand, sah die beiden aus Richtung Doren herannahenden Radfahrer und gab der Klägerin mit der rechten Hand ein Zeichen, als er das Geräusch des sich nähernden PKWs des Erstbeklagten hörte und die Klägerin auf der linken Fahrbahnhälfte fahren sah. Die Klägerin reagierte jedoch auf dieses Handzeichen nicht. Leonhard B*** versuchte noch, den Erstbeklagten durch ein Handzeichen zu warnen, es kann aber nicht festgestellt werden, wie weit der Erstbeklagte zu diesem Zeitpunkt noch entfernt war. Der Erstbeklagte bemerkte zwar das Handzeichen, änderte jedoch seine Fahrweise nicht. 2,2 Sekunden vor der Kollision erlangte der Erstbeklagte Sicht auf die Klägerin. Er betätigte 1,2 Sekunden vor der Kollision das Bremspedal und leitete eine Bremsung ein. Trotz der auf seiner Fahrbahnhälfte entgegenkommenden Klägerin machte er keine Vollbremsung, sondern verzögerte sein Fahrzeug nicht maximal, sodaß die Räder nicht blockierten. Die Klägerin prallte frontal mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 km/h gegen die linke vordere Seite des PKWs des Erstbeklagten, der zu diesem Zeitpunkt noch eine Geschwindigkeit von etwa 33 km/h hatte. Die Klägerin hatte die nicht markierte Mitte der Fahrbahn zum Unfallszeitpunkt um etwa 0,2 m überfahren. Der Erstbeklagte hielt vom rechten Fahrbahnrand - in seiner Fahrtrichtung gesehen - einen Seitenabstand von etwa einem Meter ein und überfuhr die Fahrbahnmitte um etwa 0,3 m. Die Überdeckung der beiden Fahrzeuge betrug etwa 0,5 m. Der Erstbeklagte hätte den Zusammenstoß durch eine Vollbremsung nach Erkennen der Gefahr vermeiden können. Bei blockierenden Rädern hätte er allerdings die Linkskurve nicht ausfahren können, sondern wäre in der rechts der Straße angrenzenden Wiese, die etwa dasselbe Niveau wie die Strauße aufweist, zum Stillstand gekommen. Die Klägerin hätte in diesem Fall das Fahrzeug des Erstbeklagten ohne Zusammenstoß passieren können. Der Erstbeklagte hätte den Unfall auch dann vermeiden können, wenn er mit seinem Fahrzeug ganz am rechten Fahrbahnrand gefahren wäre. Auch die Klägerin hätte den Unfall vermeiden können, wenn sie etwa einen Meter weiter rechts, somit auf ihrer Fahrbahnhälfte, gefahren wäre.
Die Klägerin besuchte vor dem Unfall keinen Kindergarten. Sie war als uneheliches Kind einer geistig behinderten Mutter bei der Pflegemutter Maria V*** aufgewachsen. Das von ihr beim Unfall verwendete Kinderfahrrad hatte sie erst etwa zwei Monate vor dem Unfall von ihrer leiblichen Mutter geschenkt erhalten. Die Pflegemutter hatte die Klägerin zwar darauf hingewiesen, daß sie rechts fahren müsse, eine weitere Verkehrserziehung des Kindes konnte jedoch nicht festgestellt werden.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß dem Erstbeklagten vorzuwerfen sei, nach dem Erkennen der Gefahr keine Vollbremsung eingeleitet zu haben; mit einer solchen fahrtechnisch richtigen Reaktion hätte er den Zusammenstoß vermeiden können. Er sei zudem nicht am äußerst rechten Fahrbahnrand gefahren und habe damit gegen die Bestimmung des § 7 Abs. 2 StVO verstoßen. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht anzunehmen. Bei einem 5 1/2jährigen Kind sei eine Erziehung über das Verkehrsverhalten noch nicht so verfestigt, daß es in der Lage wäre, das Verbotene seines Verhaltens zu erkennen, geschweige denn sich dementsprechend zu verhalten. Die Beklagten seien daher zum Ersatz des vollen Schadens der Klägerin verpflichtet. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Auch das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß der Erstbeklagte im Hinblick auf die geringe Fahrbahnbreite von ungefähr 5 m und die für ihn erkennbar entgegenkommenden Radfahrer am rechten Fahrbahnrand hätte fahren müssen. Die Überdeckung der beiden Fahrzeuge habe nur ungefähr 50 cm betragen. Wäre der Erstbeklagte nur um wenig mehr als 50 cm weiter rechts gefahren, wäre zumindest der in Anbetracht der Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge überaus gefährliche Frontalzusammenstoß vermieden worden. Der Erstbeklagte habe daher jedenfalls gegen § 7 Abs. 2 StVO verstoßen. Da der Klägerin kein Mitverschulden anzulasten sei, seien die Beklagten schon aus diesem Grund zum vollen Schadensausgleich verpflichtet, ohne daß auf weitere Fahrfehler des Erstbeklagten (ungenügende Bremsung, Nichtreagieren auf Handzeichen) eingegangen werden müsse. Im übrigen sei es eine Erfahrungstatsache, daß insbesondere bei noch nicht schulpflichtigen Kindern der Spieltrieb stark in Erscheinung tritt und alle Warnungen der Erwachsenen vergessen werden. Die Klägerin sei offensichtlich deswegen so schnell und weit vom rechten Fahrbahnrand entfernt gefahren, weil sie einen anderen jugendlichen Radfahrer überholen wollte. Der Mangel der Einsicht, daß sie sich durch die damit verbundene, für ihre Verhältnisse zu hohe Geschwindigkeit und den Verlust der Übersicht über das Verkehrsgeschehen selbst gefährdet, könne der Klägerin unter diesen Umständen nicht als Verschulden angerechnet werden. Das erstgerichtliche Urteil sei daher zu bestätigen gewesen. Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegt - wie der Oberste Gerichtshof überprüfte - nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO). In der Rechtsrüge vertreten die Beklagten den Standpunkt, daß der Erstbeklagte nicht gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe, weil neben der Fahrbahn eine asphaltierte Hofzufahrt war, die bei der Fahrbahnbreite zu berücksichtigen gewesen wäre. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
Unter Fahrbahn ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 StVO der für den Fahrzeugverkehr bestimmte Teil der Straße zu verstehen, wozu auch Parkstreifen, Radfahrstreifen, Schutzinseln und dgl. (vgl. Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung lit. 6 zu § 2), nicht aber ein an die Fahrbahn anschließender Vorplatz eines an der Straße liegenden Gebäudes gehört. Dem Erstbeklagten war es daher keinesfalls gestattet, seine Fahrweise nur deshalb mehr zur Fahrbahnmitte hin zu verlegen, weil sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein solcher Vorplatz befand, der zwar befahrbar war, aber keinesfalls dazu diente, von die Simmlisgschwendstraße entlangfahrenden Fahrzeugen benützt zu werden. So wie ein Fahrzeuglenker seine Fahrweise darauf einzurichten hat, daß er grundsätzlich nur die Fahrbahn benützt (ZVR 1979/154 ua), hat er auch darauf Bedacht zu nehmen, daß ein entgegenkommendes Fahrzeug auf der Fahrbahn und nicht neben derselben unter Benützung eines Hausvorplatzes fährt. Der Erstbeklagte war daher gemäß § 7 Abs. 2 StVO verpflichtet, in der unübersichtlichen Kurve und infolge Gegenverkehrs unmittelbar am rechten Fahrbahnrand zu fahren; eine Einschränkung für Ausnahmsfälle läßt die genannte Bestimmung nicht zu (ZVR 1982/348; 8 Ob 40, 41/83 ua). Es war somit vom Erstbeklagten verfehlt, in der genannten Kurve bei Gegenverkehr einen Abstand vom rechten Fahrbahnrand von etwa 1 m zu halten und bei der relativ geringen Fahrbahnbreite von etwa 5 m die Fahrbahnmitte um 30 cm zu überfahren. Mit dieser verfehlten Fahrweise hat der Erstbeklagte den Unfall jedenfalls verschuldet.
Ein Mitverschulden des 5 1/2 Jahre alten Mädchens könnte nur ausnahmsweise angenommen werden (EvBl. 1988/95 ua); es hängt insbesondere von seiner Einsichtsfähigkeit ab (ZVR 1983/215; 8 Ob 258/81 ua). Diese haben die Vorinstanzen im vorliegenden Fall mit Recht verneint; wegen der klaren Rechtslage in diesem Belang genügt es, auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen.
Soweit die Beklagten noch darauf eingehen, daß der Erstbeklagte ihrer Ansicht nach durchaus zweckmäßig gebremst habe, hat die Beantwortung dieser Frage nur mehr theoretischen Wert, weil das Verschulden des Erstbeklagten schon wegen des Verstoßes nach § 7 Abs. 2 StVO feststeht, hingegen ein Mitverschulden der Klägerin nach den obigen Darlegungen auszuschließen ist.
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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