OGH 2Ob174/20g

OGH2Ob174/20g28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2019 verstorbenen H* B*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellerinnen1. A* B*, vertreten durch Dr. Martin Stossier, Rechtsanwalt in Wels, und 2. DI E* B*, vertreten durch Dr. Anton Frank und andere Rechtsanwälte in Wels, über den Revisionsrekurs der Erstantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 5. August 2020, GZ 22 R 162/20k‑39, womit infolge Rekurses der Erstantragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 10. Juni 2020, GZ 30 A 204/19s‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130755

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der am * 2019 verstorbene H* B* (im Folgenden „Erblasser“) hinterlässtseineEhefrau, die Erstantragstellerin, und eine aus einer früheren Ehe stammende Tochter, die Zweitantragstellerin. Der Erblasser hatte keine letztwillige Verfügung getroffen.

[2] Nach dem Tod des Erblassers fälschte die Erstantragstellerin ein Testament, das vom Erblasser am 3. 10. 2017 eigenhändig errichtet worden wäre und nach dessen Inhalt sie seine Universalerbin wäre. Dieses Testament überreichte sie dem Gerichtskommissär. Dabei ging es ihr nicht darum, einem allfälligen Willen des Erblassers zum Durchbruch zu verhelfen, sondern darum, dass sie alleine erben wollte.

[3] Später erstattete sie bei der Staatsanwaltschaft Selbstanzeige wegen der Testamentsfälschung.

[4] Am 30. 12. 2019 gab die Erstantragstellerin die bedingte Erbantrittserklärung – vorerst zu einem Drittel – aufgrund des gesetzlichen Erbrechts ab, wobei sie sich aufgrund starker Zweifel an der Abstammung der Zweitantragstellerin vom Erblasser vorbehielt, die Erbantrittserklärung auf den gesamten Nachlass auszudehnen.

[5] Am 8. 1. 2020 gab die Zweitantragstellerin unter Berücksichtigung der ihrer Ansicht nach mit der Testamentsfälschung begründeten Erbunwürdigkeit der Erstantragstellerindie bedingte Erbantrittserklärung zur gesamten Verlassenschaft aufgrund des Gesetzes ab.

[6] Mangels Einigung der Parteien legte der Gerichtskommissär den Akt dem Erstgericht zur Entscheidung über das Erbrecht vor.

[7] Das von der Staatsanwaltschaft Wels gegen die Erstantragstellerin wegen der Fälschung des Testaments eingeleitete Strafverfahren wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB wurde von der Staatsanwaltschaft nach Leistung eines Geldbetrags zugunsten des Bundes durch die Erstantragstellerin ohne Verurteilung gemäß § 200 Abs 5 StPO (Diversion) beendet.

[8] Die Erstantragstellerin bestritt ihre Erbunwürdigkeit und brachte vor, es habe dem tatsächlichen Willen des Erblassers entsprochen, dass die Zweitantragstellerin nichts erbe, sondern allein sie die Erbin sei. Mit der sehr plumpen Fälschung des Testaments habe sie keineswegs den Willen ihres Mannes vereiteln, sondern diesem vielmehr zum Durchbruch verhelfen wollen. Als sie erfahren habe, dass die Zweitantragstellerin zwei Drittel erhalten solle, habe sie in einer Kurzschlussreaktion „einen guten Rat“ befolgt, dass sie doch nur „ein Testament von [Vorname des Erblassers] schreiben“ müsse. Dies habe sie getan, weil sie der Meinung sei, dass der Erblasser der „angeblichen Tochter“ sicher keinen einzigen Cent vermachen habe wollen und sicher auch nicht gewollt habe, dass sie mit einer völlig fremden Person die Wohnung teilen müsse. Schließlich sei sie auch deshalb nicht erbunwürdig, weil der Erblasser kein Testament hinterlassen habe und somit keine gewillkürte Erbfolgeordnung gefährdet habe werden können.

[9] Die Zweitantragstellerin brachte vor, aus der Verantwortung der Erstantragstellerin im Strafverfahren ergebe sich deren Erbunwürdigkeit. Dieser sei es nicht um den Willen des Erblassers, sondern ausschließlich um ihren eigenen Vorteil gegangen.

[10] Das Erstgerichtstellte das Erbrecht der Zweitantragstellerin zum gesamten Nachlass des Erblassers aufgrund des Gesetzes fest und wies die Erbantrittserklärung der Erstantragstellerin ab. Es traf im Wesentlichen die wiedergegebenen Tatsachenfeststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Erstantragstellerin sei erbunwürdig iSd § 539 ABGB, weil sie das Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden begangen habe, das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht sei. Zudem sei sie erbunwürdig iSd § 540 ABGB, weil die Unterschiebung eines letzten Willens als absichtliche Vereitelung der Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen zu behandeln sei.

[11] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erstantragstellerin nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

[12] Nach eingehender Befassung mit Rechtsprechung und Lehre kam das Rekursgericht zum Ergebnis, die Unterschiebung eines nicht vom Erblasser herrührenden Testaments lasse sich „problemlos“ unter den Generaltatbestand des § 540 ABGB nF subsumieren. Im Übrigen sei eine Absicht des Gesetzgebers, einen Erben, der eine gefälschte letztwillige Verfügung unterschiebe, dann zu privilegieren, wenn der Verstorbene keine letztwillige Anordnung hinterlassen habe, nicht ersichtlich. Die Erbunwürdigkeit nach § 540 ABGB sei daher zu bejahen.

[13] Die Erstantragstellerin habe überdies zu Lasten der Zweitantragstellerin das mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedrohte Vergehen des versuchten schweren Betrugs iSd §§ 15 Abs 1, 146, 147 Abs 1 erster Fall und Abs 3 StGB begangen, weil sie diese durch Täuschung über Tatsachen und mit Bereicherungsvorsatz zur Abstandnahme von der Abgabe einer Erbantrittserklärung über zumindest zwei Drittel des Nachlasses zu verleiten versucht habe. Die Privilegierung nach § 166 StGB liege mangels Angehörigeneigenschaft der Zweitantragstellerin nicht vor. Das Verhalten der Erstantragstellerinseidaher unter § 541 Z 1 ABGB subsumierbar. § 543 Abs 2 ABGB sehe zwar einen nachträglichen Verlust der Erbfähigkeit nur für die Tatbestände der §§ 539, 540 ABGB und nicht auch für die strafbaren Handlungen gegen nahe Angehörige nach § 541 ABGB vor. Es sei jedoch Lehrmeinungen zu folgen, wonach es untragbar erschiene, wenn nach § 543 ABGB der Sohn des Erblassers, der nach dem Tod seines Vaters seine Mutter ermorde, nach dem Vater nicht erbunwürdig wäre. Dies könne vom Gesetz nicht gemeint sein: Das Verhalten des Täters vor und nach dem Tod sei gleich verwerflich, sodass in Analogie zu § 543 Abs 2 ABGB („Verlassenschaft“) auch solche Fälle als Ausnahme von § 543 Abs 1 ABGB angesehen werden müssten: Wenn schon die strafbare Handlung am ehemaligen Eigentum des Erblassers nach dessen Tod zur Erbunwürdigkeit führe, müsse dies umso mehr für strafbare Handlungen gegen seine Angehörigen gelten. Die Erstantragstellerin sei daher auchnach § 541 Z 1 ABGB erbunwürdig.

[14] Schließlich komme auch eine Erbunwürdigkeit nach § 539 ABGB in Betracht, wonach – abweichend von der Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 – auch eine gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft einen Erbunwürdigkeitstatbestand darstelle. Als solche komme hier die mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB in Betracht. Ob sich diese Tat gegen die Verlassenschaft richte, sei zwar fraglich, weil das von §§ 223 f StGB geschützte Rechtsgut die Rechtspflege sei. Dies könne aber dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der von der Erstantragstellerin versuchte schwere Prozessbetrug eine gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft sei.

[15] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu folgenden Fragen nicht existiere:

1. ob durch § 540 ABGB ausschließlich der durch eine gewillkürte Erbfolgeregelung zum Ausdruck gebrachte Wille des Erblassers oder auch die gesetzliche Erbfolge geschützt werde;

2. ob auch eine nach dem Tod des Erblassers verübte strafbare Handlung gegen einen nahen Angehörigen iSd § 541 Z 1 ABGB zum Eintritt der Erbunwürdigkeit führe;

3. ob das Vergehen des versuchten schweren Betrugs nach §§ 15 Abs 1, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB eine strafbare Handlung gegen den Nachlass gemäß § 539 ABGB darstelle.

[16] Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Erstantragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dass ihr Erbrecht zu einem Drittel und dasjenige der Zweitantragstellerin zu zwei Dritteln festgestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Die Zweitantragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[18] Der Revisionsrekurs ist aus dem ersten der vom Rekursgericht genannten Gründe zulässig, er ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[19] Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, nach § 540 ABGB idF nach dem ErbRÄG 2015 sei die Gefährdung der gesetzlichen Erbfolgeordnung nicht tatbestandsmäßig. Das Rekursgericht sei ohne entsprechende Feststellungen von einer Vereitelungsabsicht der Erstantragstellerin ausgegangen.Diese habe auch keine Betrugshandlung zum Nachteil der Zweitantragstellerin gesetzt. Selbst wenn man eine solche annähme, läge darin keine strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft iSd § 539 ABGB. Eine solche liege auch in der Urkundenfälschung nicht vor, weil sich diese (nur) gegen die Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweiszeichen richte, aber nicht in die Rechtssphäre des Erblassers eingreife. Da nach § 543 Abs 1 ABGB die Erbfähigkeit im Zeitpunkt des Erbanfalls vorliegen müsse und § 543 Abs 2 ABGB den nachträglichen Verlust der Erbunwürdigkeit nur an die Tatbestände der §§ 539 und 540, nicht aber auch des § 541 ABGB knüpfe, könne eine strafbare Handlung nach § 541 Z 1 ABGB gegen Angehörige des Erblassers nach dessen Tod keine Erbunwürdigkeit begründen. Auch wenn man – wie das Rekursgericht – § 541 Z 1 ABGB auf diesen Fall analog anwenden wollte, stehe nicht fest, dass die Erstantragstellerin die Zweitantragstellerin habe täuschenund zur Abstandnahme von der Abgabe einer Erbantrittserklärung verleiten wollen. Bei Annahme einer strafbaren Betrugshandlung hätte das Rekursgericht aufgrund der Selbstanzeige der Erstantragstellerin die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch nach § 16 StGB prüfen müssen.

Rechtliche Beurteilung

[20] Hierzu wurde erwogen:

[21] 1. Anzuwendendes Recht

[22] Da der Erblasser nach dem 31. Dezember 2016 verstorben ist, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen der §§ 539 bis 543 ABGB in der Fassung des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

[23] 2. Relevante Normen (idF des ErbRÄG 2015)

„Gründe für die Erbunwürdigkeit

§ 539 ABGB

Wer gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, ist erbunwürdig, sofern der Verstorbene nicht zu erkennen gegeben hat, dass er ihm verziehen hat.

 

§ 540 ABGB

Wer absichtlich die Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen vereitelt oder zu vereiteln versucht hat, etwa indem er ihn zur Erklärung des letzten Willens gezwungen oder arglistig verleitet, ihn an der Erklärung oder Änderung des letzten Willens gehindert oder einen bereits errichteten letzten Willen unterdrückt hat, ist erbunwürdig, sofern der Verstorbene nicht zu erkennen gegeben hat, dass er ihm verziehen hat. Er haftet für jeden einem Dritten dadurch zugefügten Schaden.

 

§ 541 ABGB

Wer

1. gegen den Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten des Verstorbenen oder gegen dessen Verwandte in gerader Linie eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist,

ist erbunwürdig, wenn der Verstorbene aufgrund seiner Testierunfähigkeit, aus Unkenntnis oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage war, ihn zu enterben, und er auch nicht zu erkennen gegeben hat, dass er ihm verziehen hat.

Beurteilung der Erbfähigkeit

 

§ 543 ABGB

(1) Die Erbfähigkeit muss im Zeitpunkt des Erbanfalls vorliegen. Eine später erlangte Erbfähigkeit ist unbeachtlich und berechtigt daher nicht, anderen das zu entziehen, was ihnen bereits rechtmäßig zugekommen ist.

(2) Wer nach dem Erbanfall eine gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft im Sinn des § 539 begeht oder die Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen vereitelt oder zu vereiteln versucht (§ 540), verliert nachträglich seine Erbfähigkeit.“

 

[24] 3. Rechtsprechung

[25] 3.1. Vorbemerkungen

[26] Zur Erbunwürdigkeit nach den Bestimmungen idF des ErbRÄG 2015 liegt – abgesehen von der Entscheidung 2 Ob 100/19y (RS0133137) zur Auswirkung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch auf die Erbunwürdigkeit – noch keine Rechtsprechung vor.

[27] Es muss daher auf die Rechtsprechung, die zu den Vorläuferbestimmungen der geltenden Vorschriften ergangen ist, zurückgegriffen und geprüft werden, ob und gegebenenfalls inwieweit sie angesichts der gesetzlichen Änderungen aufrechtzuerhalten ist.

[28] Dabei ist § 540 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 Vorläuferbestimmung einerseits zu § 539 ABGB nF, andererseits zu (dem hier nicht relevanten) § 541 Z 3 ABGB nF. Neu in § 539 ABGB nF gegenüber der Vorläuferbestimmung ist, dass jetzt auch strafbare Handlungen gegen die Verlassenschaft erbunwürdig machen.

[29] § 542 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 ist die Vorläuferbestimmung zu § 540 ABGB nF. Im gegebenen Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Vorläuferbestimmung (laut ständiger Rechtsprechung nur demonstrativ) einzelne verpönte, die Verwirklichung des Erblasserwillens beeinträchtigende Handlungen des Erbunwürdigen anführte. Diese im Gesetz genannten Handlungen bezogen sich ausschließlich auf den erklärten Willen.

[30] Demgegenüber verlangt § 540 ABGB nF absichtliches Handeln und umschreibt den Tatbestand allgemein als Vereitelung der Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen, wozu demonstrativ („etwa“) Beispiele genannt werden.

[31] Die in § 541 Z 1 ABGB nF normierte Erbunwürdigkeit ist neu und knüpft an mit der dritten Teilnovelle zum ABGB (RGBl 1916/69) aufgehobene vormalige Erbunwürdigkeitstatbestände an (vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  5 f).

[32] 3.2. Rechtsprechung zu § 542 ABGB aF

[33] 3.2.1. In der Entscheidung 1 Ob 128/29 SZ 11/42 (RS0014976) führte der Oberste Gerichtshof aus, die §§ 540, 542 ABGB (aF) beruhten auf einer Rücksichtnahme auf den (mutmaßlichen) Willen des Erblassers. Selbst wenn der Erblasser nach der erfolgreichen Hinderung am Testieren durch den Erben seine Testierfähigkeit wieder erlangt habe, ließe sich noch immer mit gutem Grund annehmen, dass der Erblasser den Erbunwürdigen nicht bedacht hätte. Die Erbunwürdigkeit werde durch die nachfolgende Testierfähigkeit nicht beseitigt.

[34] 3.2.2. In 1 Ob 722/50 SZ 24/38 (RS0014978) wurde ausgesprochen, wer den wahren Willen des Erblassers zu verwirklichen bestrebt sei, werde nicht erbunwürdig, möge er sich auch ungehöriger Mittel bedient haben.

[35] 3.2.3. Der Entscheidung 3 Ob 271, 272/53 JBl 1954, 174 (RS0012271) lag zugrunde, dass der Erblasser ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung gestorben war. Nach dem Klagevorbringen hatte die beklagte Witwe dem Erblasser knapp vor seinem Tod einen unbeschriebenen Bogen zur Unterfertigung unterschoben, um so den Erblasser zu einer letztwilligen Erklärung, die er bei voller Verstandeskraft niemals abgegeben hätte, zu verleiten. Der Oberste Gerichtshof führte aus, die Erbunwürdigkeitsgründe des § 542 ABGB (aF) seien nicht taxativ aufgezählt, auch die Unterschiebung oder Fälschung eines Testaments mache nach dieser Gesetzesbestimmung erbunwürdig. Erbunwürdigkeit liege im konkreten Fall jedoch nicht vor, weil durch Setzung einer Unterschrift auf ein unbeschriebenes Blatt ein letzter Wille nicht erklärt werden könne.

[36] 3.2.4. Im Fall der Entscheidung 5 Ob 616/83 SZ 57/95 (RS0012265) lag ein Testament vor. Der (darin nicht bedachte) Witwer der Erblasserin legte beim Verlassenschaftsgericht ein jüngeres Testament zu seinen Gunsten vor und wurde in der Folge wegen versuchten schweren Betrugs nach den §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs  3 StGB strafgerichtlich verurteilt, weil er mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, versucht habe, den Richter des Verlassenschaftsgerichts über die Tatsache seines Erbrechts durch Benützung einer falschen Urkunde zu täuschen und ihn zur Einantwortung der Verlassenschaft an ihn zu verleiten, wodurch die im älteren Testament Bedachte am Vermögen geschädigt werden sollte. Der Oberste Gerichtshof führte aus, die Unterschiebung eines letzten Willens in Form der Urkundenfälschung sei seit dem Inkrafttreten des StGB wegen der nunmehr für dieses Delikt vorgesehenen Strafdrohung von nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe (§ 223 StGB; Anmerkung des Senats: Dabei wurde die Qualifikation in § 224 StGB übersehen, wonach bei Herstellen einer falschen letztwilligen Verfügung bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe drohen) nicht mehr dem § 540 ABGB (aF) zu unterstellen; sie könne nur im Wege der Analogie nach § 542 ABGB (aF) erbunwürdig machen. Diese Gesetzesbestimmung normiere den Ausschluss vom Erbrecht als Sanktion für Verfehlungen gegen den letzten Willen des Erblassers. Sei aber die Erbunwürdigkeit nur dann gegeben, wenn sich die Handlungsweise, die sie bewirken solle, als Verstoß gegen den wahren Willen des Erblassers darstelle, so müsse demjenigen, gegen den der äußere Schein der Sanktion des § 542 ABGB (aF) spreche, das Recht zugebilligt werden, trotz des strafgerichtlich festgestellten, von § 540 ABGB (aF) tatbestandsmäßig nicht umfassten Verhaltens darzutun, dass seine Erbunwürdigkeit iSd § 542 ABGB (aF) dennoch nicht gegeben sei (weil er den wahren Willen des Erblasser verwirklichen habe wollen).

[37] 3.2.5. Im Fall 6 Ob 690/83 SZ 57/147 (RS0012273 [T1]) starb der Erblasser lediglich unter Hinterlassung eines Kodizills, jedoch keines Testaments. Der Kläger oder ein Dritter mit dessen Billigung fälschte ein Testament zugunsten des Klägers, aufgrund dessen dem Kläger der gesamte Nachlass eingeantwortet wurde. Der Kläger wurde von allen drei Instanzen für erbunwürdig nach § 542 ABGB (aF) erachtet. Das Berufungsgericht führte aus, die Verhinderung (der Verwirklichung des letzten Willens) könne sich gegen jeden letzten Willen, also auch gegen ein Kodizill richten. Der Oberste Gerichtshof sprach unter Berufung auf 1 Ob 581/84 NZ 1985, 13 und Lehrmeinungen aus, durch § 542 ABGB (aF) werde jede Handlung (Unterlassung) erfasst, die in der Absicht geschehe, den Willen des Erblassers zu vereiteln, weshalb auch die Unterschiebung eines falschen letzten Willens unter die Sanktion des § 542 ABGB (aF) falle.

[38] 3.2.6. Im Fall 5 Ob 581/85 (RS0012272) war die Erblasserin ohne Testament verstorben. Die Klägerin, die wegen Fälschung eines zu ihren Gunsten lautenden Testaments wegen versuchten schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB rechtskräftig verurteilt worden war, klagte die Verlassenschaft und die Erbin (ua) auf Einverleibung ihres Eigentums an einer Liegenschaft, weil die aufgrund früherer Vereinbarungen berechtigte Erwartung, als Gegenleistung einmal Eigentümerin dieser Liegenschaft zu werden, mangels einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin zu ihren Gunsten nicht eingetreten sei. Der Oberste Gerichtshof führte aus, die Verurteilung der Klägerin wegen Testamentsfälschung habediese nicht (nach § 542 ABGB [aF]) erbunwürdig gemacht, weil sie nicht gegen die Intentionen der Erblasserin gehandelt, sondern deren Willen verwirklichen habe wollen.

[39] 3.2.7. In der Entscheidung 1 Ob 175/99p (RS0112469) sprach der Oberste Gerichtshof aus, die Aufzählung der Erbunwürdigkeitsgründe in § 542 ABGB (aF) sei nicht erschöpfend; sanktioniert sei vielmehr jede Handlung oder Unterlassung in der Absicht, den Willen des Erblassers zu vereiteln. Unerheblich sei, dass die Beklagten durch ihr Vorgehen nicht die Erbfolge selbst hätten beeinflussen wollen, sondern den Willen der Erblasserin nur betreffend ausgesetzte Vermächtnisse zu vereiteln getrachtet hätten, manifestiere sich doch der letzte Wille des Erblassers auch in solchen Anordnungen (in diesem Sinn auch 9 Ob 124/04g = RS0112469 [T1]; 1 Ob 281/06i).

[40] 3.2.8. In 7 Ob 43/07k SZ 2007/48 wurde zunächst ausgesprochen, durch § 542 ABGB (aF) werde jede Handlung oder Unterlassung sanktioniert, die in der Absicht geschehe, den Willen des Erblassers – auch in Bezug auf ausgesetzte Legate – zu vereiteln (RS0112469 [T2]). In weiterer Folge wird unter Berufung auf Kralik (Erbrecht³ 38) obiter auch ausgeführt, bei Erbunwürdigkeit nach § 542 ABGB (aF) müsse eine „Gefährdung der gewillkürten Erbfolgeordnung“ beabsichtigt sein (RS0121922; RS0012271 [T2]; RS0012273 [T4]; ebenso im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision 6 Ob 264/11h).

[41] 3.2.9. Dagegen führte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 112/08s aus, nach § 542 ABGB (aF) machten Handlungen oder Unterlassungen erbunwürdig, die in der Absicht geschähen, den Willen des Erblassers zu vereiteln (RS0112469 [T5]). Auch der Widerruf, die Unterschiebung und die Verfälschung eines letzten Willens seien als Verfehlungen iSd § 542 ABGB (aF) zu werten (RS0121922 [T3]). Die Rechtsauffassung, § 542 ABGB (aF) sanktioniere nur Verfehlungen gegen die gewillkürte Erbfolgeordnung, sei schon deshalb unzutreffend, weil nach Lehre und Rechtsprechung Verfehlungen gegen den letzten Willen des Erblassers iSd § 542 ABGB (aF) auch dann vorlägen, wenn sich die Handlung oder Unterlassung des betroffenen Erbanwärters zwar nicht gegen ein Testament, aber gegen ein Kodizill bzw gegen ausgesetzte Legate richte (RS0112469 [T6]).

[42] 3.2.10. In 3 Ob 157/12b (Zurückweisung einer außerordentlichen Revision) wurde unter Berufung auf Welser (in Rummel³ § 542 Rz 3) gesagt, die Unterdrückung (einer letztwilligen Verfügung) führe auch dann zur Erbunwürdigkeit, wenn der letzte Wille nicht formgültig gewesen sei, weil § 542 ABGB (aF) Verfehlungen gegen den letzten Willen des Erblassers sanktionieren wolle.

[43] 3.3. Lehre zu § 542 ABGB aF und zu § 540 ABGB nF

[44] 3.3.1. Zu § 542 ABGB aF

[45] Weiß (in Klang2 III 104) will die Unterschiebung eines Testaments nicht unter § 542 ABGB (aF), sondern wegen der Strafbarkeit des Urkundenbetrugs unter § 540 ABGB (aF) subsumieren (strafbare Handlungen gegen den Erblasser). Erbunwürdig sei diesfalls aber – trotz Strafbarkeit – derjenige nicht, der den wahren Willen des Erblassers zu verwirklichen bestrebt gewesen sei. Für diese Absicht sei der Fälscher beweispflichtig.

[46] Kralik (Erbrecht3 39) lehnt die „verbreitete Meinung“, dass Erbunwürdigkeit dann nicht eintrete, wenn die Handlung dem wahren Willen des Erblassers zum Durchbruch verhelfen solle, ausdrücklich ab. Denn es sei eine alte Erfahrung, dass der Erblasser oftmals zu Lebzeiten allen möglichen Leuten Erbteile oder Vermächtnisse verspreche, um sie sich wohlgesinnt zu erhalten, dann aber in ganz anderer Weise verfüge oder die versprochene Verfügung nicht errichte.

[47] Eccher (in Schwimann/Kodek 4 § 542 Rz 2)und Apathy (in KBB4 § 542 Rz 2)referieren die Rechtsprechung und führen als Erbunwürdigkeitsgründe ua die Fälschung oder Unterschiebung eines Testaments an.

[48] Nach Welser (in Rummel/Lukas 4 § 542 Rz 1 und 5) müsse eine Gefährdung der gewillkürten Erbfolgeordnung beabsichtigt sein; überhaupt sei jede Vereitelung des Erblasserwillens verpönt.

[49] Welser/Zöchling-Jud (Bürgerliches Recht II14 Rz 1896) führen zum alten Recht aus, bei Fälschung eines Testaments beseitige die Erbunwürdigkeit ein gesetzliches Erbrecht und ein Pflichtteilsrecht des Täters oder seine Berechtigung aus einem anderen, echten Testament.

[50] Likar‑Peer (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 542 Rz 2 und 26 ff) meint, § 542 ABGB (aF) sanktioniere Handlungen, die auf die Vereitelung des letzten Willens bzw die Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers (wozu auch die Freiheit, nicht zu testieren, gehöre) abzielten. Gemeinsam sei diesen in § 542 ABGB (aF) erwähnten Handlungen, dass dadurch der Erblasser in seiner Testierfreiheit gewaltsam beschränkt oder eine dem wahren Willen des Erblassers widersprechende Erbfolge herbeigeführt werden solle. Unterschiebung und Verfälschung letztwilliger Verfügungen ließen sich kaum unter § 540 Fall 1 ABGB (aF; strafbare Handlung gegen den Erblasser) subsumieren. Mit der Urkundenfälschung werde nicht in ein Rechtsgut des Erblassers eingegriffen. Eine Unterdrückung des Willens des Erblassers, die gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen, scheide mangels Vorhandenseins eines letzten Willens jedenfalls aus – ganz abgesehen davon, dass der Erblasser, der nicht testiere, oft gar keinen Willen hinsichtlich der eintretenden Erbfolge habe. Ansonsten sei jede „Vereitelungshandlung“, dh eine Handlung und Unterlassung, die in der Absicht geschehe, den Willen des Erblassers zu vereiteln, mit Erbunwürdigkeit sanktioniert.

[51] 3.3.2. Zu § 540 ABGB nF

[52] Nemeth (in Schwimann/Kodek 5 § 540 Rz 1 und 4) führt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung aus, § 540 ABGB (nF) sanktioniere allgemeine Verfehlungen gegen den letzten Willen des Erblassers; diese könnten sich gegen ein Testament, aber auch zB gegen ausgesetzte Vermächtnisse oder andere letztwillige Anordnungen richten. Als Beispiele nennt er ua die Unterschiebung oder Fälschung eines Testaments.

[53] Welser (Erbrechts-Kommentar § 540 Rz 1 und 7) nennt als Vereitelungshandlungen ua Unterschiebung und Verfälschung eines letzten Willens. Sanktioniert werde überhaupt jede absichtliche Vereitelung des Erblasserwillens, sei sie gelungen oder nur versucht.

[54] Apathy/Neumayr (in KBB6 §§ 539 bis 541 Rz 3 f) meinen, die Vorsatzform der Absicht bedinge, dass es der Person darauf ankommen müsse, dass der wahre letzte Wille, also eine letztwillige Verfügung oder ein Erbvertrag, vereitelt werde. Als Beispiele werden unter Berufung auf die Rechtsprechung Unterschiebung oder Fälschung eines Testaments genannt.

[55] Likar‑Peer (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 542 Rz 62 ff) verweist auf den Gesetzeswortlaut des § 540 ABGB (nF), der sich explizit auf Vereitelungshandlungen beziehe, die gegen den wahren letzten Willen gerichtet seien. Damit sei klargestellt, dass keine Erbunwürdigkeit eintrete, wenn mit der entsprechenden Handlung nur der wahre Wille des Verstorbenen verwirklicht werden sollte, wie dies von der Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage vertreten worden sei. Der Gesetzgeber habe einzelne Fälle aufgezählt, andere typische Fälle, wie etwa die Unterschiebung eines nicht vom Verstorbenen herrührenden und die Verfälschung eines von ihm stammenden Testaments hingegen nicht. Aufgrund des Generaltatbestands ließen sich diese jedoch problemlos unter § 540 ABGB (nF) subsumieren.

[56] 4. Stellungnahme

[57] 4.1. Zunächst ergibt sich aus der Rechtsprechung zum alten Recht, dass nicht nur die Beeinträchtigung der gewillkürten Erbfolgeordnung, sondern auch der ausgesetzten Vermächtnisse erbunwürdig macht (vgl oben 3.2.5., 3.2.7. und 3.2.9.). Die Rechtssätze RS0121922, RS0012271 (T2) und RS0012273 (T4) geben daher die Rechtsprechung verkürzt und insoweit unrichtig wieder.

[58] An dieser Rechtslage ist auch für das neue Recht nicht zu zweifeln.

[59] 4.2. Zur hier maßgeblichen Frage, ob § 540 ABGB nF (bzw früher § 542 ABGB aF) auch die gesetzliche Erbfolge schützt, findet sich in der Rechtsprechung keine eindeutige Aussage und auch kein einziger Fall, in dem sie ausdrücklich bejaht worden wäre.

[60] Die Lehre lässt dazu – wie aus Punkt 3.3. ersichtlich – klare Aussagen weithin vermissen. Während Likar-Peer den Schutz auch der gesetzlichen Erbfolge deutlich ablehnt, scheinen (lediglich) Welser/Zöchling-Jud gegenteiliger Ansicht zu sein.

[61] Die bisherige Rechtsprechung bietet jedoch immerhin Indizien für den Schutz auch der gesetzlichen Erbfolge: Denn den unter Punkt 3.2.3. (3 Ob 271, 272/53) und 3.2.6. (5 Ob 581/85) dargestellten Entscheidungen ist gemeinsam, dass der Erblasser jeweils ohne letztwillige Verfügung verstorben war und vor (3.2.3.) oder nach (3.2.6.) dem Tod des Erblassers inkriminierte, den letzten Willen beeinträchtigende Handlungen gesetzt wurden. Zwar wurde in beiden Fällen Erbunwürdigkeit verneint, aber gerade nicht mit der Begründung, die gesetzliche Erbfolge sei nicht geschützt, sondern weil (im Ergebnis) ein absolut untauglicher Versuch angenommen wurde (3.2.3.) bzw weil die Klägerin in der Absicht gehandelt habe, den Willen der Erblasserin zu verwirklichen (3.2.6.). Diese Begründungen setzen aber jeweils voraus, dass – wären diese Gründe, weshalb Erbunwürdigkeit nicht gegeben sei, nicht vorhanden gewesen – sehr wohl Erbunwürdigkeit auch bei Beeinträchtigung der gesetzlichen Erbfolge eingetreten wäre. Somit kann gesagt werden, dass aus diesen Entscheidungen gewisse Anhaltspunkte für die Bejahung auch des Schutzes der gesetzlichen Erbfolge hervorgehen.

[62] 4.3. Der Grund, warum sich die Lehre (zum alten Recht) fast ausschließlich mit Fragen der Beeinträchtigung der gewillkürten Erbfolge bzw Anordnung von Vermächtnissen befasst, könnte auch darin gelegen sein, dass § 542 ABGB aF (nach Rechtsprechung und Lehre bloß demonstrativ) ausschließlich Handlungen anführt, die eine Beeinträchtigung des erklärten oder zu erklärenden letzten Willens betreffen (§ 542 ABGB aF: „Wer den Erblasser zur Erklärung des letzten Willens gezwungen, oder betrüglicher Weise verleitet, an der Erklärung, oder Abänderung des letzten Willens gehindert, oder einen von ihm bereits errichteten letzten Willen unterdrückt hat, …“).

[63] 4.4. § 540 ABGB nF unterscheidet sich von der Vorgängerbestimmung – wie erwähnt (3.1.) – vor allem dadurch, dass die Bestimmung mit einem Generaltatbestand beginnt („Wer absichtlich die Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen vereitelt oder zu vereiteln versucht hat, …“).

[64] Unter diese Generalklausel lässt sich aber auch der vorliegende Fall der Beeinträchtigung der gesetzlichen Erbfolge subsumieren, spricht die Bestimmung doch nur vom „wahren letzten Willen“ und nicht vom „wahren erklärten letzten Willen“.

[65] 4.5. Aus § 541 ABGB nF ergibt sich die (im alten Recht so nicht positivierte) Wertung des Gesetzgebers, die Unterlassung letztwilliger Verfügungen eines Testierfähigen, der über die maßgebliche Sachlage Bescheid weiß und nicht aus sonstigen Gründen an der Erklärung eines letzten Willens verhindert war, als relevante Willensbetätigung zu akzeptieren: Denn aus dem auf die Z 3 folgenden Satzteil ergibt sich eindeutig, dass trotz Vorliegens einer davor genannten Erbunwürdigkeit der Betreffende nicht erbunwürdig ist, wenn der Verstorbene „in der Lage war, ihn zu enterben“.

[66] Dazu sagen die Materialien, die in § 541 geregelten Erbunwürdigkeitsgründe seien nur dann heranzuziehen, wenn der Verstorbene keine Beschränkung der Erbenstellung habe vornehmen können (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  5).

[67] So führt auch Burtscher (Keine Erbunwürdigkeit bei Rücktritt vom Versuch – Anmerkung zu OGH 24. 4. 2020, 2 Ob 100/19y, ÖJZ 2020/133, 1127 [1128]) zu § 541 ABGB zutreffend aus, aus der Passivität des Verstorbenen ziehe die Bestimmung den Schluss, dass er trotz Vorliegens eines relativen Erbunwürdigkeitsgrundes keine Enterbung wünsche.

[68] 4.6. An die soeben dargestellte Wertung des Gesetzgebers kann mit folgenden Erwägungen angeknüpft werden: Auch jemand, der keinen letzten Willen erklärt, kann einen wahren letzten Willen haben, der vereitelt werden kann: So kann etwa jemand gerade deshalb bewusst kein Testament machen, weil er über die nach seinem Tod geltende gesetzliche Erbfolge Bescheid weiß und diese Erbfolge billigt, sie also bewusst eintreten lassen will.

[69] Eines solchen bewussten Willens bedarf es aber gar nicht: Aus der Wertung des § 541 ABGB ergibt sich – wie ausgeführt –, dass der Gesetzgeber grundsätzlich jeder testierfähigen Person das Wissen unterstellt, dass man die Erbfolge durch letztwillige Verfügung regeln kann. Allgemein bekannt ist weiter, dass für den Fall, dass man keinen letzten Willen erklärt, das Gesetz Regelungen bereit hält, mit anderen Worten die gesetzliche Erbfolge eintritt. Von der gesetzlichen Erbfolge dürfte zumindest so viel allgemein bekannt sein, dass bei Vorhandensein von Kindern diese erben.

[70] Wer somit als Testierfähiger aus welchen Gründen auch immer keine letztwillige Verfügung trifft, betätigt nach der Vorstellung des Gesetzgebers seinen Willen (durch Unterlassung) regelmäßig zumindest insoweit, als er sich mit der gesetzlichen Erbfolge abfindet.

[71] Die Unbeachtlichkeit eines „wahren letzten Willens“ in Form der Unterlassung der Errichtung eines Testaments für die Frage der Erbunwürdigkeit nach § 540 ABGB nF hätte vor allem eine bedenkliche Ungleichbehandlung zwischen gewillkürter Erbfolge (bzw der Aussetzung von Vermächtnissen) und der Intestaterbfolge zur Konsequenz. Jene wäre durch § 540 ABGB nF geschützt, diese hingegen nicht.

[72] 4.7. Schließlich geben die Materialien zum ErbRÄG 2020 einen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber auch die gesetzliche Erbfolge geschützt wissen wollte:

[73] In den Erläuterungen zu § 539 ABGB nF heißt es (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  5):

„§ 539 des Entwurfs entspricht weitgehend dem bisherigen § 540 und regelt die Erbunwürdigkeit auf Grund einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen und – neu – auch gegen die Verlassenschaft. Damit sollen strafbare Handlungen, wie etwa die Unterschlagung, die Zerstörung oder der Diebstahl von in der Verlassenschaft befindlichen Sachen oder die widerrechtliche Kontobehebung mit Bereicherungsvorsatz zur Erbunwürdigkeit führen, weil auch dadurch der letzte Wille des Verstorbenen oder die gesetzliche Erbfolge faktisch vereitelt wird.“

 

[74] Mit der Einführung der Erbunwürdigkeit bei strafbaren Handlungen gegen die Verlassenschaft will der Gesetzgeber daherauch die gesetzliche Erbfolge und somit die Interessen der gesetzlichen Erben schützen.

[75] Unter der Voraussetzung der Begehung einer gerichtlich strafbaren Vorsatztat mit Strafdrohung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe (Voraussetzung der Erbunwürdigkeit nach § 539 ABGB nF, aber nicht nach § 540 ABGB nF) ist hier ein Größenschluss berechtigt: Wenn der Gesetzgeber die gesetzlichen Erben schon bei teilweiser Beeinträchtigung (genannt: Unterschlagung, Zerstörung oder Diebstahl von in der Verlassenschaft befindlichen Sachen oder die widerrechtliche Kontobehebung mit Bereicherungsvorsatz) schützen will, ist ihm ein solcher Wille umso mehr zu unterstellen, wenn durch (strafbare) Handlungen die gesetzliche Erbfolge zur Gänze ausgeschaltet wird und so die gesetzlichen Erben nicht nur weniger, sondern gar nichts erben. Auch dies spricht für die Erbunwürdigkeit bei Vereitelung der gesetzlichen Erbfolge.

[76] 4.8. Der erkennende Senat kommt somit zu folgendem Zwischenergebnis:

[77] Die absichtliche Vereitelung der Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen iSd § 540 ABGB idF des ErbRÄG 2015 und somit Erbunwürdigkeit liegt auch dann vor, wenn der Verstorbene keine letztwillige Verfügung hinterlassen hat und durch die Handlung eines Erben die gesetzliche Erbfolge beeinträchtigt wird oder werden soll, etwa durch Fälschung oder Unterschiebung eines Testaments.

[78] 5. Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch?

[79] 5.1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Erstantragstellerin entgegen ihrem Vorbringen im Rechtsmittel sehr wohl den auch schon vom Rekursgericht angenommenen versuchten schweren Betrug nach §§ 15 Abs 1, 146, 147 Abs 1 erster Fall StGB begangen hat: Ihre Übergabe des Testaments an den Gerichtskommissär konnte keinen anderen Zweck haben, als zumindest den Verlassenschaftsrichter darüber zu täuschen, dass es kein gültiges Testament gab, und ihn dazu zu veranlassen, aufgrund des gefälschten Testaments die Einantwortung der Verlassenschaft an die Erstantragstellerin zu verfügen, wodurch die Zweitantragstellerin durch Entgang von zwei Dritteln der Erbschaft aufgrund des Gesetzes (§ 744 Abs 1 ABGB) in ihrem Vermögen geschädigt worden wäre. Der Bereicherungsvorsatz der Erstantragstellerin steht fest (vgl insofern gleichgelagert 5 Ob 616/83 [3.2.4.]).

[80] Die Frage, ob dadurch der – in § 543 Abs 2 ABGB nF nicht erwähnte – Erbunwürdigkeitsgrund des § 541 Z 1 ABGB nF verwirklicht wurde, kann aber aus den folgenden Erwägungen, die auch für diesen Erbunwürdigkeitsgrund gelten würden, auf sich beruhen.

[81] 5.2. Die Erstantragstellerin hat im Revisionsrekurs vorgebracht, selbst bei Annahme, sie hätte sich wegen versuchten schweren Betrugs strafbar gemacht, könnte ihr durch ihre Selbstanzeige wegen der Testamentsfälschung der Strafaufhebungsgrund nach § 16 Abs 1 StGB zugute kommen.

[82] 5.3. Nach § 16 Abs 1 StGB wird der Täter wegen des Versuchs oder der Beteiligung daran nicht bestraft, wenn er freiwillig die Ausführung aufgibt oder, falls mehrere daran beteiligt sind, verhindert oder wenn er freiwillig den Erfolg abwendet.

[83] 5.4. Der erkennende Senat hat erst jüngst in der Entscheidung 2 Ob 100/19y (EF‑Z 2020/112 [zust Dollenz]; vgl auch zust U. Neumayr, Keine Erbunwürdigkeit bei Strafaufhebungsgründen, NZ 2020, 299) ausgesprochen, dass ein strafbefreiender Rücktritt von einer versuchten strafbaren Handlung der Annahme von Erbunwürdigkeit iSd § 539 ABGB nF entgegensteht (RS0133137). Der Senat ließ sich dabei vor allem von der Erwägung leiten, dass § 539 ABGB nF direkt auf das Strafrecht verweist und somit der Gesetzgeber den Begriff „strafbare Handlung“ grundsätzlich im Sinne des Strafrechts verstanden wissen will. Wenn nun das Strafrecht den freiwilligen Rücktritt vom Versuch als positiven Sinneswandel mit Straffreiheit belohnt, wäre nicht verständlich, wenn dies nicht auch im Erbrecht für die Frage der Erbunwürdigkeit gälte.

[84] 5.5. Wie ausgeführt, ist der vorliegende Fall nicht unter § 539 ABGB nF, sondern unter § 540 ABGB nF zu subsumieren. Im Unterschied zu § 539 ABGB nF verlangt § 540 ABGB nF für die dort angeordnete Erbunwürdigkeit nicht die Begehung einer strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

[85] Dies macht aber keinen entscheidenden Unterschied: Denn die in § 540 ABGB nF demonstrativ beschriebenen und die in der Rechtsprechung und Lehre behandelten Fälle der absichtlichen Vereitelung der Verwirklichung des letzten Willens weisen ebenso wie § 539 ABGB nF einen unverkennbaren Bezug zum Strafrecht auf.

[86] 5.6. So vertritt Burtscher (ÖJZ 2020/133, 1127 [1128]) im Gefolge der Entscheidung 2 Ob 100/19y die Ansicht, konsequenterweise werde auch beim Rücktritt von einer versuchten Vereitelung des letzten Willens weder für die Erbunwürdigkeit (§ 540) noch für eine Enterbung (§ 770 Z 3) Raum bleiben.

[87] 5.7. Der Senat ist daher der Ansicht, dass die in der Entscheidung 2 Ob 100/19y vorgenommene Wertung auch im Anwendungsbereich des § 540 ABGB nF sachgerecht ist. Als weiteres Zwischenergebnis wird somit festgehalten:

[88] Ein strafbefreiender Rücktritt von einer versuchten strafbaren Handlung, die die absichtliche Vereitelung der Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen zum Ziel hat, steht der Annahme von Erbunwürdigkeit iSd § 540 ABGB nF entgegen.

[89] 6. Folgerungen für den vorliegenden Fall

[90] 6.1. Zunächst kommt der Erstantragstellerin die Rechtsprechung, wonach die Erbunwürdigkeit ausnahmsweise nicht besteht, wenn der Testamentsfälscher den wahren Willen des Erblassers verwirklichen wollte (vgl RS0014978), nicht zugute, weil diese Voraussetzung auf sie nicht zutrifft: Nach den Feststellungen ging es ihr ja nicht darum, einem allfälligen Willen des Erblassers zum Durchbruch zu verhelfen, sondern darum, dass sie alleine erben wollte. Daher war die Erforschung eines „wahren Willens“ des Erblassers nicht erforderlich.

[91] 6.2. Die (bloße) Urkundenfälschung nach den §§ 223 f StGB, die hinsichtlich der Erstantragstellerin diversionell erledigt wurde, spielt für deren Erbunwürdigkeit keine Rolle. Denn die bloße Herstellung einer falschen Urkunde ist auch mit dem Vorsatz, sie im Rechtsverkehr zu verwenden, solange nicht geeignet, die Verwirklichung des wahren letzten Willens des Erblassers zu vereiteln, als sie nicht tatsächlich eingesetzt wird.

[92] Der Einsatz der gefälschten Urkunde in Betrugsabsicht (hier die Übergabe des gefälschten Testaments an den Gerichtskommissär) fällt aber bereits – wie erwähnt – unter §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB und konsumiert die Strafbarkeit nach §§ 223 f StGB (RS0094523 [T2, T3]; RS0090916 [T2]; vgl auch RS0094520).

[93] Mit der Selbstanzeige der Erstantragstellerin wegen der Testamentsfälschung und der Mitteilung dieses Sachverhalts an den Gerichtskommissär (ON 14) ist ungeachtet der dadurch allenfalls wieder auflebenden Strafbarkeit der (bloßen) Urkundenfälschung (vgl RS0090916 [T2]) jegliche Möglichkeit der Vereitelung der Verwirklichung des wahren letzten Willens des Erblassers durch das gefälschte Testament weggefallen.

[94] 6.3. Es kommt daher nach Ansicht des Senats darauf an, ob die Erstantragstellerin mit ihrer Selbstanzeige und Mitteilung an den Gerichtskommissär Straffreiheit nach § 16 Abs 1 StGB erlangt hat. Dies würde erfordern, dass sie den Erfolg freiwillig abgewendet hat.

[95] Der Senat hat in der Entscheidung 2 Ob 100/19y die Rechtsprechung zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch dargestellt: Freiwillig ist der Rücktritt vom Versuch, wenn sich der Täter sagt, er könnte die Tat vollenden, aber er wolle es überhaupt nicht oder wenigstens nicht jetzt. Dafür können auch äußere Umstände – wie etwa ein Appell des Opfers – maßgebend sein, sofern beim Täter gleichwohl die Vorstellung erhalten bleibt, dass eine dem Tatplan entsprechende Vollendung der Tat noch möglich wäre (RS0089877; vgl auch RS0089897), ihr also auch (wenigstens zum Teil) keine tatsächlichen oder vermeintlichen Hindernisse entgegenstehen (RS0090216). Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter aus eigenem Antrieb von einem von ihm für durchführbar gehaltenen deliktischen Vorhaben ablässt. Dies trifft etwa nicht bei Furcht vor drohender Entdeckung zu (RS0089989). Der Rücktritt ist freiwillig, wenn er aus autonomen (keineswegs aber zwingend ethisch wertvollen) Motiven erfolgt (RS0089892). Dabei schadet es nicht, wenn der Täter von der Deliktsvollendung aus Furcht vor Entdeckung oder Strafe Abstand nimmt (RS0089813). Die Freiwilligkeit des Rücktritts fehlt jedoch, wenn der Täter nicht aus (allgemeiner) Furcht vor Entdeckung und Strafe die Ausführung der Tat aufgibt, sondern weil er sich infolge der konkreten Befürchtung, entdeckt zu werden, aufgrund der gegebenen Situation (Tatsituation) außer Stande fühlt, den Tatplan zu Ende zu führen (RS0089862).

[96] 6.4. Der festgestellte Sachverhalt lässt eine Beurteilung, ob die Erstantragstellerin den Erfolg ihres Betrugsversuchs nach den angeführten Kriterien freiwillig abgewendet hat, nicht zu. Die Feststellungen sind daher ergänzungsbedürftig.

[97] Somit erweist sich die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen als notwendig. Zur Vermeidung einer auch im Außerstreitverfahren verbotenen Überraschungsentscheidung (§§ 182 f ZPO iVm § 14 AußStrG) wird das Erstgericht den Parteien Gelegenheit geben müssen, zur aufgezeigten Frage der Freiwilligkeit der Erfolgsabwendung durch die Erstantragstellerin Vorbringen zu erstatten und Beweisanträge zu stellen. Nach dem ergänzten Verfahren wird das Erstgericht weitere entsprechende Feststellungen treffen und neuerlich über das Erbrecht entscheiden müssen. Erweist sich die Erfolgsabwendung durch die Erstantragstellerin als freiwillig iSv § 16 Abs 1 StGB, ist ihre Erbunwürdigkeit nach den vorstehenden Erwägungen weggefallen. Andernfalls ist die Erstantragstellerin erbunwürdig.

[98] 7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 185, 78 Abs 1 AußStrG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte