OGH 1Ob231/20g

OGH1Ob231/20g28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J***** S*****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in Seiersberg‑Pirka, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 250.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2020, GZ 5 R 80/20d‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. März 2020, GZ 31 Cg 23/19a‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00231.20G.0128.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von 250.000 EUR sA an Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden. In einem amtsärztlichen Gutachten sei fälschlicherweise eine auf Epilepsie lautende Verdachtsdiagnose gestellt worden, worauf ihm mit Bescheid vom 20. 11. 2007 die Lenkberechtigung entzogen worden sei. In der Folge sei ihm beginnend mit Bescheid vom 4. 9. 2008 die Lenkberechtigung mehrmals befristet erteilt und jeweils zu Unrecht vorgeschrieben worden, Antikonvulsiva einzunehmen und den Medikamentenspiegel nachzuweisen, weil die unzutreffende Verdachtsdiagnose in sämtlichen weiteren amtsärztlichen Gutachten übernommen (und damit den jeweiligen Bescheiden zugrunde gelegt) worden sei, ohne deren Richtigkeit zu prüfen. Mit Bescheid vom 10. 2. 2016 sei ihm die Lenkberechtigung erneut entzogen und über seinen Antrag mit Bescheid vom 6. 6. 2016 wiederum befristet unter der Auflage, Antikonvulsiva einzunehmen und den Medikamentenspiegel nachzuweisen, erteilt worden. Insgesamt habe er ohne entsprechende medizinische Indikation aufgrund der ihm erteilten Auflagen über einen Zeitraum von 11 Jahren Medikamente eingenommen, was mit massiven physischen und psychischen Nebenwirkungen verbunden gewesen sei.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts. Gehe man im Sinn der gemäßigten Einheitstheorie von einem einheitlich zu beurteilenden Schaden aus, der mit dem ersten behauptetermaßen unrichtigen amtsärztlichen Gutachten bzw dem darauf aufbauenden Bescheid eingetreten sei und sämtliche der hier geltend gemachten weiteren (Folge‑)Schäden erfasse, seien die Ansprüche des Klägers jedenfalls verjährt, weil die Verjährungsfrist nach den Feststellungen spätestens im April 2012 in Gang gesetzt worden sei. Unterstelle man im Sinn des Klägers eine fortgesetzte Schädigung, sodass mit jedem weiteren amtsärztlichen Gutachten bzw jedem weiteren Bescheid eine neue Verjährungsfrist hinsichtlich jeder weiteren Schädigung zu laufen begonnen habe, seien zwar aus dem Bescheid vom 6. 6. 2016 abgeleitete Ansprüche nicht verjährt. Der Kläger habe aber insoweit gegen die Rettungsobliegenheit verstoßen, weil er diesen Bescheid in Rechtskraft erwachsen lassen habe, sodass ein allfälliger Schadenersatzanspruch auch insoweit entfalle.

[3] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, die mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1.1 Nach § 6 Abs 1 Satz 1 AHG verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 leg cit in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist. Diese Frist wird dann in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten neben dem Schaden der gesamte seinen Anspruch begründende Sachverhalt soweit bekannt ist oder zumutbarerweise bekannt sein muss, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (RIS‑Justiz RS0034512 [T9]). Nur dann, wenn dem Geschädigten der Schaden nicht bekannt geworden (oder der Schaden aus einem Verbrechen entstanden) ist, verjährt der Ersatzanspruch erst nach 10 Jahren nach der Entstehung des Schadens (§ 6 Abs 1 zweiter Satz AHG).

[5] 1.2 Dafür, dass der Anspruch des Klägers der zehnjährigen Frist des § 6 Abs 1 AHG unterläge, bestehen keine Anhaltspunkte. Soweit er in seiner Revision geltend macht, dass ihm die schädlichen Nebenwirkungen der ihm bescheidmäßig aufgetragenen Einvernahme von „epiverhindernden“ Medikamenten nicht bekannt gewesen sei und deswegen § 6  Abs 1 zweiter Satz AHG zum Tragen komme, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, nach dem ihm bereits im April 2012 bekannt war, dass das eingenommene Medikament Demenz und Sehstörungen hervorrufen kann, und er auch schon damals der Meinung war, an weiteren Nebenwirkungen dieser Medikamente, wie Müdigkeit, Gedankenlosigkeit, Entzündungen im Darm, auf der Haut, Blasenentzündungen, Geschwüren, Blasen an den Fußballen, Angstzuständen und Sehstörungen zu leiden. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen von der kurzen Verjährungsfrist ausgegangen sind.

[6] 2.1 Für den Beginn des Fristenlaufs stellen die Verjährungsbestimmungen des AHG nicht auf das schädigende Ereignis und die Kenntnis des Schädigers, sondern auf die Entstehung des Schadens und, bei der dreijährigen Verjährungsfrist auf dessen Kenntnis ab (RS0050376 [T1]; RS0050338). Die Voraussetzung, dass dem Geschädigten der Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden bekannt geworden sein muss, wird schon dann erfüllt, wenn der Geschädigte Kenntnis von den schädlichen Wirkungen eines Ereignisses erlangt, dessen Ursache oder Mitursache ein (bestimmtes) dem Schädiger anzulastendes Verhalten ist (RS0034951 [T2]; 1 Ob 53/07m; 1 Ob 19/08p ua). Die Verjährung beginnt daher zu dem Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte ausreichend Gewissheit über ein Verschulden von Organen des Rechtsträgers hat oder weiß, dass er ohne eigene Aktivität seinen Wissensstand nicht mehr erhöhen kann (RS0050360).

[7] 2.2 Nach dem den Obersten Gerichtshof bindenden (dazu RS0002399 [T2]; RS0123663 [T2] ua) Feststellungen der Tatsacheninstanzen, ist der Kläger bereits im April 2012 davon ausgegangen, dass er tatsächlich nicht an Epilepsie leidet und sich daher zu Unrecht einer medikamentösen Therapie unterzieht, wobei er schon damals der Überzeugung war, dass die Erstellung einer Epilepsiediagnose in den amtsärztlichen Gutachten nicht lege artis erfolgte. Ausgehend davon begegnet es entgegen dessen Ansicht auch keinen Bedenken, wenn die Vorinstanzen den Beginn der Verjährungsfrist mit diesem Zeitpunkt ansetzten. Soweit der Revisionswerber nach wie vor darauf beharrt, er habe erst im Jahr 2018 Kenntnis von den maßgeblichen Zusammenhängen erhalten, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sodass sein Rechtsmittel insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (RS0043312; RS0043603 [T2; T8]).

[8] 2.3 Unterlässt der Kläger innerhalb der dreijährigen Frist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG die Einbringung einer Klage, verjährt nicht nur der Anspruch auf Schadenersatz für den schon eingetretenen (sogenannten) Primärschaden, sondern auch für alle voraussehbaren künftigen Schäden (Teil‑[folge‑]schäden im Sinn der gemäßigten Einheitstheorie: RS0034511; RS0050338), weil die Verjährungsfrist nach herrschender Rechtsprechung für diesen und die voraussehbaren künftigen weiteren Teilschäden oder Folgeschäden einheitlich beginnt (1 Ob 109/18p mwN). Wenn der Kläger dem Berufungsgericht einen „Auslegungsfehler“ unterstellt, weil es mögliche Ansprüche wegen des allenfalls fehlerhaften Bescheids vom 6. 6. 2016 gesondert prüfte, und diesem insoweit vorwirft, dass es die Folgen aus den in den Führerscheinentzugsverfahren seit dem Jahr 2007 mehrfach erteilten Auflagen zur Einnahme von Medikamenten nicht im Sinne der Einheitstheorie als Teil‑[folge‑]schäden beurteilt hat, übersieht er, dass dann seine Ansprüche – auch jene aus dem Bescheid vom 6. 6. 2016 – zur Gänze verjährt wären. Damit ist auch nicht zu erkennen, inwieweit der Kläger beschwert sein soll, weil das Berufungsgericht

unter der Annahme fortgesetzter schädigender Handlungen, bei welchen Schäden, die nur oder auch auf ein späteres Verhalten des Schädigers zurückgehen, keine verjährungsrechtlich mit einem Primärschaden einheitlich zu beurteilenden Folgeschäden bilden, sodass jeder weitere Schadenseintritt einen neuen Verjährungsbeginn auslöst (dazu 1 Ob 211/14g; 1 Ob 13/16t), mögliche Ansprüche des Klägers aus dem Bescheid vom 6. 6. 2016 verjährungsrechtlich gesondert betrachtet hat. Dass es allfällige Ansprüche verneinte, weil der Kläger gegen die Rettungsobliegenheit verstoßen hat, entspricht den vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu § 2 Abs 2 AHG vertretenen Grundsätzen:

[9] 3.1 Nach § 2 Abs 2 AHG besteht kein Ersatzanspruch, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde beim Verwaltungsgericht und Revision beim Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Der spätere Amtshaftungswerber muss bereits im Anlassverfahren alle verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfe – im weiten Sinn (RS0050097) – erheben, die dazu dienen, fehlerhafte Entscheidungen zu beseitigen (RS0050080 [T1]; RS0110188). Nur für unverbesserliche Akte der Vollziehung soll Ersatz gewährt werden (RS0053077). Hat der Geschädigte die Erhebung eines Rechtsmittels schuldhaft unterlassen, so entfällt ein Amtshaftungsanspruch insoweit, als das Rechtsmittel Abhilfe schaffen hätte können; eine Verschuldensteilung im Sinne des § 1304 ABGB kommt nicht in Betracht (RS0027200).

[10] 3.2 Es trifft zu, wie der Kläger für sich in Anspruch nimmt, dass die Unterlassung offenbar aussichtsloser Abhilfemaßnahmen die Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 AHG nicht eintreten lässt (RS0052920). Nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats ist in diesem Zusammenhang darauf abzustellen, ob dem Geschädigten ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, der zumindest abstrakt geeignet ist, den Schaden zu beseitigen bzw dessen endgültigen Eintritt zu verhindern. Ist dies der Fall, hat er von einem solchen Rechtsbehelf bei sonstigem Verlust seines Ersatzanspruchs Gebrauch zu machen, es sei denn, ein solcher Schritt wäre von vornherein aussichtslos, weil der Schaden unabwendbar feststeht (vgl nur 1 Ob 176/17i). Der Kläger hat von vornherein auf eine schriftliche Ausfertigung verzichtet und kein Rechtsmittel gegen den Bescheid vom 6. 6. 2016 erhoben. Warum ein solches nicht einmal abstrakt geeignet gewesen sein soll, eine ihm günstigere Rechtsposition zu verschaffen, kann er nicht schlüssig darlegen, wenn er einerseits darauf verweist, dass die Verwaltungsbehörde unter Verstoß gegen die Offizialmaxime nicht ausreichend ermittelt habe und es keines Privatgutachtens bedurft hätte, um dem Gutachten eines Amtssachverständigen entgegenzutreten, wozu er Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zitiert, und andererseits wegen der nicht erfolgten Gutachtensergänzung von Amts wegen das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen offenbar von vornherein als nicht aussichtsreich ansieht. Dass ein Rechtsmittel gegen die von ihm als unrichtig angesehenen Bescheide keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, behauptet er mit dem bloßen Hinweis auf die unterbliebene Gutachtensergänzung im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Mit der Frage, warum der Behörde über ein Rechtsmittel nicht die Verbreiterung bzw Aktualisierung der Entscheidungsgrundlagen aufgetragen worden wäre, befasst sich die Revision nicht einmal im Ansatz und kann daher eine Aussichtslosigkeit nicht darlegen.

[11] 3.3 Soweit er meint, die unterlassene Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Bescheid vom 6. 6. 2016 könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil er zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis über die Zusammenhänge zwischen einer Einnahme der Medikamente und seiner Leidenszustände gehabt habe, ignoriert er erneut die gegenteiligen Sachverhaltsfeststellungen und kann schon deshalb keine Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht aufzeigen.

[12] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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