OGH 9ObA104/20i

OGH9ObA104/20i17.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass & Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Meinrad Einsle, Dr. Rupert Manhart, Dr. Susanne Manhart, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 137.772,32 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 116.054,12 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 7. Oktober 2020, GZ 15 Ra 45/20k‑37, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00104.20I.1217.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger wurde mit Wirkung vom 1. 2. 1978 als Landesangestellter in den Landesdienst der Beklagten aufgenommen. Mit Beschluss der Landesregierung vom 23. 12. 1986 wurde einer Sonderregelung nach § 123 Landesbedienstetengesetz 1979 (Vlbg LBedG 1979) zugestimmt, wonach der Kläger folgende Ansprüche erhalten sollte: Dienstbezüge wie ein Landesbeamter mit gleichen Vordienstzeiten erhält; der Dienstnehmeranteil zur gesetzlichen Pensionsversicherung wird vom Land getragen; Ruhe- und Versorgungsgenüsse in der Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den ungekürzten Versicherungsleistungen, wie sie Landesbeamte und ihre versorgungsberechtigten Hinterbliebenen erhalten; Kündigungsschutz nach § 130 Abs 1 Vlbg LBedG 1979.

[2] Eine Pragmatisierung des Klägers war nicht möglich, weil er nicht in der Hoheitsverwaltung tätig war. Bei Inkrafttreten des Vlbg LBedG 2000 optierte der Kläger nicht in das neue Dienstrecht, für ihn galt daher weiter das LBedG 1979, aufgrund Neukundmachung idF und mit der Bezeichnung LBedG 1988.

[3] Nach seinem Austritt wegen Erreichung des Pensionsanfallsalters per 31. 7. 2018 begehrt der Kläger die Zahlung einer Abfertigung nach § 112c Vlbg LBedG 2000 idF LGBl Nr 25/2003 (nunmehr § 114) iVm § 120 LBedG 1988.

[4] Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass ein Abfertigungsanspruch durch die Sonderregelung nach § 123 Vlbg LBedG 1979 abbedungen worden sei.

[5] Die Vorinstanzen sahen den Abfertigungsanspruch des Klägers als berechtigt an. Aufgrund einer abweichenden Berechnung der Höhe nach wurde dem Klagebegehren aber nur in Höhe von 116.054,12 EUR brutto sA stattgegeben. Die Abweisung des Mehrbegehrens ist in Rechtskraft erwachsen.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die außerordentliche Revision der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung ist mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, dass es sich bei der Sonderregelung um einen Bescheid handelt, aus dem sich bei entsprechender Auslegung die Nichtberechtigung der Ansprüche des Klägers ergebe.

[8] 1. Das Dienstverhältnis des Klägers wurde durch Ernennung zum Landesangestellten nach § 2 Abs 3 Vlbg LBedG 1979 begründet. Dabei handelte es sich nach der gesetzlichen Ausprägung um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, das aber materiell dem eines Vertragsbediensteten im Sinn des VBG glich oder zumindest nahekam. Aus diesem Grund wurden die Bestimmungen über die Landesangestellten mit Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 3. 12. 1986, G 117/86, als verfassungswidrig aufgehoben, wobei die Aufhebung mit Ablauf des 30. 11. 1987 in Kraft trat.

[9] 2. Dementsprechend lag zum Zeitpunkt der dem Kläger gewährten Sonderregelung nach § 123 Vlbg LBedG 1979 noch ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis vor. Insoweit ist der Beklagten darin Recht zu geben, dass die Entscheidung über eine solche Sonderregelung in Bescheidform zu ergehen hatte (so auch VwGH 14. 11. 1988, 87/12/0154).

[10] Daraus ist für die Beklagte aber nichts gewonnen, weil das Berufungsgericht die Einwände der Beklagten auch unter der Annahme, dass ein Bescheid vorliegt, vertretbar als unberechtigt angesehen hat.

[11] 3. Der Spruch eines Bescheids ist nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv, auszulegen. Für die Bedeutung einer spruchmäßigen Aussage ist weder maßgeblich, wie sie die Behörde verstanden wissen wollte, noch wie sie der Empfänger verstand. Da Bescheide Gesetzen (im materiellen Sinn) näher stehen als privatrechtlichen Verträgen, ist es vielmehr angebracht, bei ihrer Auslegung analog den Grundsätzen der §§ 6 und 7 ABGB vorzugehen. Folglich stellt der Wortlaut des Spruchs Anfang und Grenze jeder Auslegung dar (VwGH 12. 12. 2017, Ra 2017/05/0272).

[12] 4. § 123 Vlbg LBedG 1979 sah vor, dass Landesangestellten in verantwortungsvoller Verwendung, abweichend von den Bestimmungen dieses Gesetzes, durch Sonderregelung höhere Dienstbezüge, Unkündbarkeit, weitergehende Kündigungsfristen, sowie Ruhe- und Versorgungsgenüsse zur gesetzlichen Pensionsversicherung zuerkannt werden können.

[13] Unter Bezugnahme auf § 123 Abs 1 Vlbg LBedG 1979 wurden dem Kläger Dienstbezüge und Ruhe- und Versorgungsgenüsse wie einem Landesbeamten zuerkannt. Daraus ergibt sich zunächst, dass der Kläger anstelle der kongruenten Leistungen für Landesangestellte die entsprechenden (höheren) Leistungen für Landesbeamte erhalten sollte. Dessen ungeachtet sollte er weiter Landesangestellter bleiben, weshalb alle anderen Rechte und Pflichten aus diesem Dienstverhältnis sich weiter nach den für Landesangestellte geltenden Vorschriften richten sollten.

[14] 5. Die Abfertigung ist ein dem Landesangestellten nach dem Gesetz zustehender, von der Dauer und der Art der Beendigung des Dienstverhältnisses abhängiger Anspruch. Sie dient nicht nur der Versorgung und als Überbrückungshilfe für den Arbeitnehmer, sondern soll den Arbeitnehmer auch dafür entlohnen, dass er seine Arbeitskraft für längere Zeit zur Verfügung gestellt hat (RS0028911 [T2]). Zwar ist damit einer Abfertigung auch der Zweck der Versorgung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses immanent, doch kann aus einem vom Arbeitgeber sichergestellten, über der Pensionsleistung nach ASVG liegenden Pensionsanspruch allein nicht auf einen Entfall des Abfertigungsanspruchs geschlossen werden.

[15] Zu berücksichtigen ist weiters, dass durch eine Sonderregelung nach § 123 Vlbg LBedG 1979 ermöglicht werden soll, einzelnen Landesangestellten aufgrund des besonderen Wertes ihrer Verwendung für die Beklagte über die im Gesetz vorgesehenen Ansprüche hinaus Leistungen zuzuerkennen. Damit, dass durch die Zuerkennung solcher Ansprüche im Gegenzug andere nach dem Gesetz zustehende Ansprüche entfallen sollen, weil diese nach Ansicht der Beklagten durch die Sondervergütung mitumfasst sein sollen, muss der Dienstnehmer, wenn diese nicht gesondert angeführt werden, in der Regel nicht rechnen.

[16] 6. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall die Abfertigung, die weder einen Dienstbezug noch einen pensionsrechtlichen Ruhe- und Versorgungsgenuss darstellt, nicht von den Bescheidwirkungen erfasst ist, hält sich daher im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[17] 7. Soweit die Beklagte geltend macht, dass damit der Kläger besser gestellt würde als andere Landesangestellte, so entspricht es dem Wesen einer Sonderregelung, dass durch sie für einen bestimmten Arbeitnehmer gegenüber den allgemeinen Vergütungsbestimmungen vorteilhaftere Regelungen ermöglicht werden. Aufgrund der allgemein gehaltenen Formulierung des § 123 Vlbg LBedG 1979 kann die Ausgestaltung dieser Besserstellung im Einzelfall unterschiedlich erfolgen, ohne dass allein daraus auf eine unsachliche Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer geschlossen werden kann.

[18] Eine – auch dem Kläger bekannte – „langjährige Abwicklungspraxis“ hat das Verfahren nicht ergeben.

[19] 8. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[20] 9. Die Revisionsbeantwortung war mangels einer Mitteilung nach § 508a Abs 2 erster Satz ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Für sie gebührt daher kein Kostenersatz (RS0043690 [T6, T7]).

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