OGH 10ObS134/20h

OGH10ObS134/20h15.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ö*, vertreten durch Summer Schertler Kaufmann Droop Lerch Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kostenerstattung (8.244,13 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 10. August 2020, GZ 25 Rs 35/20 p‑22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 22. April 2020, GZ 34 Cgs 157/19a‑15, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130436

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin, die ihren Wohnsitz in Österreich hat und unstrittig bei der beklagten Österreichische Gesundheitskasse (zuvor: Vorarlberger Gebietskrankenkasse) krankenversichert ist, verbrachte ihren Urlaub im Sommer 2017 in der Türkei. Während ihres Aufenthalts in der Türkei verfügte die Klägerin über keinen Urlaubskrankenschein. Es steht nicht fest, dass sich die Klägerin zum Zweck der Inanspruchnahme einer ärztlichen Betreuung in die Türkei begeben hat.

[2] Als die Klägerin in der Türkei war, bekam sie starke Schmerzen und Blutungen. Sie begab sich in ein privates Krankenhaus, wo sie operiert wurde. Aufgrund von Komplikationen musste die Klägerin nach dieser Operation in der Türkei ein weiteres Mal behandelt werden. Dabei wurde ihr ein Stent implantiert.

[3] Der Klägerin wurden für die Behandlungen in der Türkei insgesamt 35.790,67 TL – umgerechnet 8.725,18 EUR – in Rechnung gestellt. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Honorarnoten:

- 14. 7. 2017, Krankenhaus A* 35.000 TL (umgerechnet 8.532,22 EUR);

- 21. 7. 2017, Krankenhaus U* 274 TL (umgerechnet 66,80 EUR);

- 21. 7. 2017, Krankenhaus U* 247,83 TL (umgerechnet 60,42 EUR);

- 28. 7. 2017, staatliches Krankenhaus K* 269,67 TL (umgerechnet 65,74 EUR).

[4] Die Klägerin beantragte nach ihrem unbestrittenen Vorbringen bei der Beklagten am 12. 9. 2017 die Rückerstattung der ihr in Rechnung gestellten Kosten von 8.532,22 EUR.

[5] Nach Erhalt der Rechnungen samt Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung sandte die Beklagte die Rechnungen (mehrfach) an den türkischen Versicherungsträger, um mittels eines Formulars Informationen über die Höhe des Rückerstattungsbetrages des türkischen Versicherungsträgers zu erhalten. Der türkische Versicherungsträger teilte der Beklagten am 13. 3. 2019 mit dem von ihr übermittelten Formular (A/TR 9, Blg ./6) mit, dass der Gesamterstattungsbetrag nach den türkischen Rechtsvorschriften 1.181,79 TL (umgerechnet 288,09 EUR) betrage.

[6] Mit Schreiben vom 22. 7. 2019 beantragte die Klägerin von der Beklagten die Erlassung eines Bescheids über den Kostenerstattungsanspruch.

[7] Mit Säumnisklage vom 30. 10. 2019 begehrte die Klägerin von der Beklagten zunächst die Rückerstattung von Kosten in Höhe von 8.532,22 EUR. Diese Klage wurde der Klägerin zunächst zur Verbesserung zurückgestellt.

[8] Mit Bescheid vom 5. 11. 2019 bestimmte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung für die vier oben wiedergegebenen Honorarnoten mit 1.181,79 TL (umgerechnet 288,09 EUR) und wies das Mehrbegehren ab.

[9] Die Klägerin begehrt mit ihrer verbesserten und auch gegen diesen Bescheid gerichteten Klage nach Einschränkung 8.244,13 EUR sA an Kostenerstattung für die genannten Honorarnoten. Ihr seien für die erfolgten und erforderlichen medizinischen Behandlungen in der Türkei insgesamt 8.532,22 EUR in Rechnung gestellt worden. Die Beklagte sei als zuständiger Träger verpflichtet, ihr diese Kosten zu erstatten. Die Klägerin sei so zu stellen, als wäre sie in der Türkei krankenversichert. Der türkische Sozialversicherungsträger habe einen umfassenden Leistungskatalog und gewähre lediglich für ästhetische und alternativmedizinische Behandlungen keinen Versicherungsschutz. Auch gemäß dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei im Bereich der sozialen Sicherheit (BGBl III 2000/219, in der Folge: AbkSozSi‑Türkei), das eine Gleichbehandlungsklausel enthalte, sowie gemäß der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei über soziale Sicherheit (BGBl III 2000/220, in der Folge: DV) habe die Beklagte der Klägerin den gesamten Rechnungsbetrag zu ersetzen. Zumindest gebühre der Klägerin aber Kostenerstattung im Sinn des § 131 ASVG in Höhe von 80 % all dessen, was der österreichische Krankenversicherungsträger bei Inanspruchnahme eines seiner Vertragspartner für die Krankenbehandlung zu bezahlen gehabt hätte.

[10] Die Beklagte bestritt nicht, dass es sich für die Klägerin um einen Notfall gehandelt habe. Da aber das vorgesehene Verfahren gemäß Art 5 DV nicht eingehalten worden sei (Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen Trägers beim aushelfenden Träger zum Nachweis des Anspruchs), habe die Beklagte gemäß Art 6 DV beim aushelfenden türkischen Sozialversicherungsträger eine Auskunft über die zu erstattenden Kosten eingeholt. Diese Auskunft sei Grundlage für die Bestimmung der zu erstattenden Kosten.

[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[12] Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung mit der Maßgabe nicht Folge, dass es den angefochtenen Bescheid zur Gänze wiederherstellte. Zutreffend habe die Beklagte Art 6 DV angewendet. Der Klägerin gebühre danach Kostenerstattung für die in der Türkei in Anspruch genommenen Krankenbehandlungen nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu den für den aushelfenden türkischen Träger maßgebenden Sätzen. Die Einwände der Klägerin gegen die Richtigkeit der Auskunft des türkischen Sozialversicherungsträgers seien völlig unsubstantiiert geblieben, weshalb an der Richtigkeit dieser Auskunft keine Bedenken bestünden. Da die Klägerin nicht einmal ansatzweise dargelegt habe, aufgrund welcher Aspekte aus der türkischen Rechtsordnung ein für sie günstigeres Ergebnis zu erzielen gewesen wäre, seien dazu keine weiteren Erhebungen erforderlich gewesen. Der im AbkSozSi‑Türkei verankerte Gleichheitssatz sei nicht verletzt, weil auch ein in der Türkei ansässiger Krankenversicherter gegenüber dem türkischen Träger keinen höheren Anspruch auf Kostenerstattung hätte. § 131 ASVG komme wegen des Anwendungsvorrangs des AbkSozSi‑Türkei nicht zur Anwendung. Darüber hinaus setze ein Anspruch auf Kostenerstattung eine Vorfinanzierung durch den Versicherten voraus, die die Klägerin nicht einmal behauptet habe. Der Anspruch der Klägerin lasse sich schließlich weder aus dem zwischen der EWG und der Türkei abgeschlossenen Assoziierungsabkommen noch aus der Verordnung (EU) Nr 1231/2010 noch aus dem Europäischen Abkommen über die soziale Sicherheit begründen.

[13] Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zu den Art 5 und 6 DV im Verhältnis zu Art 12 AbkSozSi sowie bezüglich der in Art 5 DV vorgesehenen sekundären Bescheinigungspflicht fehle.

[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie die (gänzliche) Stattgebung der Klage begehrt.

[15] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revisionswerberin macht geltend, dass sie ausreichendes Vorbringen zur Anwendbarkeit türkischen Rechts erstattet habe, sodass dieses amtswegig zu ermitteln gewesen wäre. Die Verwertung der – nicht vom Gericht eingeholten – Auskunft des türkischen Sozialversicherungsträgers als einzige Erkenntnisquelle für das türkische Recht genüge nicht. Maßgeblich seien die Bestimmungen des türkischen Sozialrechts: Der Klägerin wäre danach der volle Anspruch auf Kostenerstattung zugestanden. Dass die Klägerin über keinen Urlaubskrankenschein verfügt habe, dürfe ihr nicht schaden. Sowohl dem behandelnden Krankenhaus als auch dem türkischen Versicherungsträger wäre es nach Art 5 DV möglich gewesen, die benötigte Bescheinigung von der Beklagten anzufordern. Art 6 DV gelange nicht zur Anwendung. Die Beklagte habe gemäß Art 12 AbkSozSi‑Türkei Geldleistungen zu gewähren. Sie habe gemäß § 131 ASVG 80 % jenes Betrags, der bei Inanspruchnahme von Vertragspartnern des österreichischen Versicherungsträgers entstanden wäre, zu ersetzen. Das AbkSozSi‑Türkei enthalte die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Aufrechterhaltung von Ansprüchen. Danach solle die Klägerin zumindest jenen Kostenersatz erhalten, den sie bei Behandlung durch einen österreichischen Wahlarzt erhalten würde. Diesbezüglich sei das Verfahren sekundär mangelhaft geblieben.

[17] Mit diesen Ausführungen zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[18] 1.1 Sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich des AbkSozSi‑Türkei sind im vorliegenden Fall unstrittig eröffnet (Art 2 Abs 1 Z 1 lit a und Art 3 lit a AbkSozSi‑Türkei).

[19] 1.2 Kapitel 1 in Abschnitt III des AbkSozSi‑Türkei enthält in den Art 10 ff besondere Bestimmungen über Krankheit, Mutterschaft und Tod (Sterbegeld). Art 11 AbkSozSi‑Türkei lautet auszugsweise wie folgt:

Artikel 11

Sachleistungen

(1)  Eine Person, welche die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates erfüllt und

a) … oder

b) deren Zustand während eines Aufenthaltes im Gebiet des anderen Vertragsstaates unverzüglich Leistungen erfordert und sich die Person nicht zum Zwecke der Inanspruchnahme einer ärztlichen Betreuung in den anderen Vertragsstaat begeben hat, oder

c) …,

hat Anspruch auf Sachleistungen zu Lasten des zuständigen Trägers vom Träger des Wohn‑ oder Aufenthaltsortes nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob sie bei diesem versichert wäre. …“

[20] Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin unstrittig erfüllt.

[21] 1.3 Der Umstand, dass die Klägerin während ihres Aufenthalts in der Türkei Sachleistungen in Anspruch genommen hat, die der türkische Sozialversicherungsträger für die Beklagte als zuständigen österreichischen Sozialversicherungsträger im Weg der Sachleistungsaushilfe erbracht hat, löst primär einen – hier nicht zu behandelnden – Anspruch des türkischen Sozialversicherungsträgers gegen den zuständigen österreichischen Sozialversicherungsträger auf Kostenerstattung gemäß Art 15 AbkSozSi‑Türkei aus (iVm Art 15 DV).

[22] 1.4 Für die praktische Durchführung des Art 11 AbkSozSi‑Türkei enthält Art 5 DV eine ergänzende Regelung. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

Artikel 5

Gewährung von Leistungen

(1)  In den Fällen des Artikels 11 des Abkommens hat der Versicherte dem aushelfenden Träger zum Nachweis des Anspruches eine Bescheinigung des zuständigen Trägers vorzulegen. Diese Bescheinigung gibt insbesondere die Zeitdauer an, für die Leistungen gewährt werden dürfen. Legt der Versicherte die Bescheinigung nicht vor, so hat der zuständige Träger über Ersuchen des aushelfenden Trägers in den Fällen des Artikels 11 Absatz 1 Buchstaben a und b des Abkommens eine solche Bescheinigung auszustellen.“

[23] Art 5 Abs 1 DV legt daher lediglich fest, auf welche Weise der Versicherte dem aushelfenden Träger den Nachweis seines Anspruchs auf Sachleistungen bei Krankheit aus der Krankenversicherung zu erbringen hat und welche Vorgangsweise einzuhalten ist, wenn der Versicherte die erforderliche Bescheinigung (Formular A/TR 3, „Urlaubskrankenschein“) nicht vorlegt. Diese Bestimmung begründet entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin keinen (ihr zustehenden) Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber der Beklagten. Auch bei der von der Klägerin geforderten Einhaltung der Vorgangsweise gemäß Art 5 Abs 1 Satz 3 DV würde sich lediglich ein Kostenerstattungsanspruch des türkischen Sozialversicherungsträgers gegen die Beklagte ergeben.

[24] 1.5 Eine ergänzende Regelung zu Art 5 DV enthält Art 6 DV. Diese Bestimmung lautet:

Artikel 6

Erstattung von Sachleistungen bei Nichteinhaltung des vorgesehenen Verfahrens

Die entstandenen Aufwendungen sind auf Antrag der betreffenden Person vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften mit den für den aushelfenden Träger maßgebenden Sätzen zu erstatten, sofern die vorgesehenen Verfahrensregelungen nicht eingehalten werden konnten. Der aushelfende Träger hat dem zuständigen Träger auf dessen Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen.“

[25] Wird daher wie im vorliegenden Fall das Verfahren gemäß Art 5 DV nicht eingehalten, ermöglicht Art 6 DV einen Kostenerstattungsanspruch der versicherten Person gegenüber dem zuständigen Versicherungsträger. Diesen Anspruch hat die Beklagte nach der ihr vom türkischen Träger erteilten Auskunft erfüllt. Dem hält die Revisionswerberin entgegen, Art 6 DV gelange nicht zur Anwendung, weil das Verfahren gemäß Art 5 Abs 1 Satz 3 DV einzuhalten gewesen wäre, wonach die Beklagte über Ersuchen des aushelfenden türkischen Trägers die erforderliche Bescheinigung auszustellen gehabt hätte. Dieses Argument übergeht aber, dass das Verfahren nach Art 5 DV – wie ausgeführt – keinen Kostenerstattungsanspruch der versicherten Person gegen den zuständigen Krankenversicherungsträger begründet.

[26] 2.1 Zu Unrecht beruft sich die Revisionswerberin auf Art 12 AbkSozSi‑Türkei, der die Erbringung von Geldleistungen in den Fällen des Art 11 Abs 1 AbkSozSi‑Türkei regelt. Der Ausdruck „Geldleistung“ bedeutet nach Art 1 Abs 1 Z 10 AbkSozSi‑Türkei eine „Geldleistung […] einschließlich aller ihrer Teile aus öffentlichen Mitteln, aller Zuschläge, Anpassungsbeträge, Zulagen sowie Kapitalabfindungen und Zahlungen, die als Beitragserstattungen geleistet werden“. Diese Begriffsbestimmung soll sicherstellen, dass von der Exportverpflichtung alle Leistungen und Leistungsteile erfasst werden, soweit nicht ausdrücklich Ausnahmen vorgesehen sind (10 ObS 122/16p, SSV‑NF 31/1, zur vergleichbaren Bestimmung des Art 1 Abs 1 Z 9 AbkSozSi‑Bosnien und Herzegowina).

[27] 2.2 Eine Geldleistung aus der Krankenversicherung sind in diesem Sinn beispielsweise das Krankengeld (§ 138 ff ASVG) und das Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 117 Z 3 ASVG) sowie das Wochengeld (§ 162 ASVG) aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft (§ 117 Z 4 lit d ASVG; 10 ObS 122/16p SSV‑NF 31/1, mwH). Einen solchen Anspruch auf Geldleistung hat die Klägerin jedoch nicht geltend gemacht. Die von der Klägerin aus dem Versicherungsfall der Krankheit (§ 117 Z 2 ASVG) in Anspruch genommene Krankenbehandlung wird nach § 133 Abs 2 ASVG nicht als Geld‑, sondern grundsätzlich als Sachleistung erbracht. Diese Sachleistung wurde von der Klägerin in der Türkei im Weg der Sachleistungsaushilfe auch in Anspruch genommen. Der nunmehr von ihr geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung resultiert daraus, dass die Klägerin Leistungserbringer aufsuchte, die in keinem Vertragsverhältnis zur Beklagten stehen, und dass das Verfahren gemäß Art 5 Abs 1 DV nicht eingehalten wurde. Das macht diesen Anspruch, mag er auch auf Geld gerichtet sein, noch nicht zu einem Anspruch auf eine Geldleistung im Sinn des Art 1 Abs 1 Z 10 AbkSozSi‑Türkei. Ein Anspruch auf Geldleistung im Sinn des AbkSozSi‑Türkei wäre überdies gemäß Art 5 Abs 2 DV – auf den sich die Klägerin gar nicht beruft – dann, wenn der Versicherungsfall im Gebiet des anderen Vertragsstaats eintritt, beim aushelfenden Träger geltend zu machen, der den Antrag an den zuständigen Träger weiterleitet.

[28] 3.1 Schließlich beruft sich die Klägerin auf einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 131 ASVG und macht in diesem Zusammenhang geltend, dass diese Bestimmung den Art 6 DV verdränge.

[29] 3.2 Wie ausgeführt soll die österreichische soziale Krankenversicherung den Heilbedarf des Versicherten in der Form der Sachleistungen decken. An die Stelle von Sachleistungen tretende Geldleistungen des Krankenversicherungsträgers („Kostenerstattung“) sollen im Bereich der Krankenbehandlung hingegen die Ausnahme bilden (RS0115953). Um den gesetzlichen Auftrag des Sachleistungsprinzips in der Krankenversicherung zu verwirklichen, ist es erforderlich, den sozialversicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch nicht nur vom Entstehen eines wahlärztlichen Honoraranspruchs abhängig zu machen, sondern auch von der endgültigen schuldbefreienden Zahlung durch die versicherte Person (RS0113911).

[30] 3.3 Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung aus der Krankenversicherung setzt daher voraus, dass die Kosten vorher von der versicherten oder anspruchsberechtigten Person getragen wurden (10 ObS 361/01p SSV‑NF 15/142, RS0111541 [T1]). Die Klägerin hat jedoch – worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat – gar nicht vorgebracht, die ihr in der Türkei in Rechnung gestellten Beträge bezahlt zu haben. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Klägerin ein Anspruch auf Kostenerstattung schon aus diesem Grund nicht zusteht, tritt die Klägerin in ihrer Revision nicht entgegen. Es bedarf daher auch keines weiteren Eingehens auf die Frage, ob oder in welcher Höhe ein solcher Anspruch nach § 131 ASVG neben einem Anspruch nach Art 6 DV bestehen könnte (vgl dazu näher Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [60. Lfg] AbkAllgTeil Rz 43, 68; Mosler in SV‑Komm [242. Lfg] § 131 ASVG Rz 3).

[31] Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

[32] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 ASGG. Der beklagte Versicherungsträger hat seine Verfahrenskosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens selbst zu tragen (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).

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