European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00122.16P.0124.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 416,26 EUR (darin enthalten 69,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der am 25. 8. 1966 geborene, in Bosnien wohnhafte Kläger hat keine qualifizierte Berufsausbildung erworben. Ab dem Jahr 2001 war er in Österreich als Forstarbeiter berufstätig. Seit einem Arbeitsunfall 2009 geht er keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung mehr nach. Aufgrund seiner medizinischen Leistungseinschränkungen sind dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab 1. 4. 2014 nur mehr leichte Arbeiten mit weiteren – im Einzelnen festgestellten – Einschränkungen zumutbar. Eine Besserung des Gesundheitszustands ist möglich. Seit April 2010 gewährt der Versicherungsträger in Bosnien und Herzegowina dem Kläger eine Pension. Von der beklagten Partei erhielt er von 1. 6. 2010 bis 31. 3. 2012 eine befristete Invaliditätspension.
Mit Bescheid vom 6. 11. 2014 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 22. 5. 2013 auf Weitergewährung der Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht gab der gegen den Bescheid gerichteten Klage statt. Es stellte fest, dass dauerhafte Invalidität nicht vorliege, dass die Invalidität voraussichtlich mindestens 6 Monate andauern werde, berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig seien und dass Anspruch auf Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß aus der Krankenversicherung bestehe. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass das Abkommen zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit BGBl III 2001/229 (im Folgenden nur: „Abkommen“) für Geldleistungen der Kranken‑ und Pensionsversicherung ausdrücklich einen Leistungsexport durch den zuständigen österreichischen Sozialversicherungsträger direkt an den jeweiligen Anspruchsberechtigten vorsehe (Art 4 und 5 des Abkommens, sowie Art 8 und 14 der Durchführungsvereinbarung vom 12. 2. 1999, BGBl III 2001/230 zur Durchführung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit). Zwar seien auf Pensionsempfänger aus der österreichischen Pensionsversicherung, die in Bosnien und Herzegowina ihren Wohnsitz haben, die Rechtsvorschriften Bosnien und Herzegowinas über die Krankenversicherung der Pensionisten anzuwenden (Art 13 des Abkommens). Um einen solchen Anspruch gehe es hier aber nicht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Das Rehabilitationsgeld sei nach dem Willen des Gesetzgebers als Leistung aus der Krankenversicherung konzipiert, weise aber starke Bezüge zur Pensionsversicherung auf, weil es sich um eine Leistung handle, die ausschließlich im Zusammenhang mit einem Antrag auf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in Betracht komme und die bisherige befristete Invaliditätspension ersetze. Materiell sei das Rehabilitationsgeld daher als Leistung der Pensionsversicherung anzusehen. Im Hinblick auf diese vom Gesetzgeber gewählte Mischkonstruktion sei es vertretbar, das Rehabilitationsgeld als im Zusammenhang mit der Invalidität stehende (zu exportierende) „andere Geldleistung“ iSd Art 14 der Durchführungsvereinbarung zu qualifizieren, die vom zuständigen Träger direkt an die Anspruchsberechtigten zu zahlen sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung zur Frage des Exports des Rehabilitationsgeldes nach Bosnien und Herzegowina bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger beantwortete Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1.1 Zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina steht das Abkommen über soziale Sicherheit BGBl III 2001/229 (im Folgenden nur: „Abkommen“) in Kraft, das sich (unter anderem) auf die österreichischen Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfall‑ und Pensionsversicherung bezieht (Art 2 Abs 1 lit a, b und c). Die – einen Grundsatz des zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts darstellende – Exportverpflichtung ist in Art 5 des Abkommens verankert. Soweit das Abkommen nichts anderes bestimmt, dürfen nach Art 5 Pensionen, Renten und andere Geldleistungen mit Ausnahme der Leistungen bei Arbeitslosigkeit, auf die nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats Anspruch besteht, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet des anderen Vertragsstaats wohnt. Ausgenommen von der Exportverpflichtung sind nur die Ausgleichszulage nach den österreichischen Rechtsvorschriften und die Schutzzulage nach den Rechtsvorschriften von Bosnien und Herzegowina (Art 5 Abs 2 lit a und b des Abkommens).
1.2 Demnach sind Pensionen, Renten und andere Geldleistungen auch zu gewähren, wenn der Versicherte im anderen Vertragsstaat wohnt oder sich dort aufhält. Dabei richtet sich der Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staats ( Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Abk AllgTeil Rz 69). Die Leistungen sind direkt an die Versicherten (bzw deren gesetzliche Vertreter) auszuzahlen und nicht im Wege der Verbindungsstellen (Art 8 bzw Art 14 der Vereinbarung über die Durchführung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit BGBl III 2001/230).
1.2 Eine Begriffsbestimmung für die in Art 5 des Abkommens genannten Ausdrücke „Geldleistung“, „Rente“ oder „Pension“ finden sich in Art 1 Abs 1 Z 9 des Abkommens. Danach bedeuten diese Begriffe eine Geldleistung, Rente oder Pension einschließlich aller ihrer Teile aus öffentlichen Mitteln, aller Zuschläge, Anpassungsbeträge und Zulagen sowie Kapitalabfindungen und Zahlungen, die als Beitragserstattungen geleistet werden. Diese Begriffsbestimmungen sollen sicherstellen, dass von der Exportverpflichtung alle Leistungen und Leistungsteile erfasst werden, soweit nicht ausdrücklich Ausnahmen vorgesehen sind.
1.4 Für den österreichischen Bereich sind mit „Rente“ die Leistungen der Unfallversicherung, mit „Pension“ die Leistungen der Pensionsversicherung gemeint ( Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Abk Allg Teil [29. Lfg] Rz 8). Als Geldleistung iSd Art 1 Abs 1 Z 9 bzw Art 5 des Abkommens wird in der Lehre das Krankengeld nach den §§ 138 ff ASVG bzw § 106 GSVG, das Wochengeld nach § 162 ASVG, Betriebshilfen nach § 102a GSVG und § 98 BSVG und Unterstützungsleistungen nach § 104a GSVG, aber auch das Rehabilitationsgeld nach § 143a ASVG angesehen ( Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [29. Lfg] Abk Allg Teil Rz 69; Sonntag , Vorübergehende Invalidität nach dem SRÄG 2012, Rz 55).
Dieser Ansicht ist – jedenfalls was das Rehabilitationsgeld betrifft – zu folgen:
Das Rehabilitationsgeld wird als (periodische) Geldleistung von den Krankenversicherungsträgern aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erbracht (§ 117 Z 3 ASVG, § 143a ASVG). Es dient als Ersatz für die mit 31. 12. 2013 wegfallende befristete Invaliditätspension (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 10 und 20) und gleicht das Risiko einer zeitlich begrenzten Minderung der Arbeitsfähigkeit aus, bei der die Chance auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit besteht. Ziel ist die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt (10 ObS 119/15w, DRdA 2016/39, 349 [ Panhölzl ] mit Hinweis auf ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 2). Eine der in Art 5 Abs 2 des Abkommens genannten Ausnahmen (Ausgleichs‑ bzw Schutzzulage) liegt demnach nicht vor.
3.1 Art 13 des Abkommens steht der sich aus Art 5 ergebenden Exportverpflichtung nicht entgegen. Art 13 regelt die Zuständigkeit für die Krankenversicherung von Pensionsbeziehern und stellt den für die Kostentragung zuständigen Vertragsstaat fest (Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Abk Allg Teil [29. Lfg] Rz 59). Vorgesehen ist die ausschließliche Zuordnung zur Krankenversicherung des Wohnortstaats. Für den Kläger, der eine Pension eines Versicherungsträgers in Bosnien und Herzegowina bezieht und dort seinen Wohnsitz hat, gelten demnach für die Krankenversicherung die Rechtsvorschriften seines Wohnortstaats Bosnien und Herzegowina.
3.2 Die von der Revisionswerberin gezogene Schlussfolgerung, da der Kläger nicht der österreichischen Krankenversicherung unterliege, habe er auch keinen Leistungsanspruch auf das (österreichische) Rehabilitations-geld, ist nicht zu folgen. Dass das Rehabilitationsgeld eine aufrechte Krankenversicherung als Anspruchsvoraussetzung verlangt, geht aus dem Wortlaut des § 143a ASVG nicht hervor. Zwar könnte die Einordnung des Rehabilitationsgeldes unter die Leistungen der Krankenversicherung eher dafür sprechen, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld auf das Bestehen einer Krankenversicherung abstellt. Im Hinblick auf die für Rehabilitationsgeldbezieher gegebene Teilversicherung in der Krankenversicherung nach § 8 Abs 1 Z 1 lit d ASVG ist die aufrechte Krankenversicherung aber nicht als Anspruchsvoraussetzung für das Rehabilitationsgeld, sondern als Rechtsfolge des Rehabilitationsgeldbezugs zu sehen. Dazu kommt, dass der Gesetzgeber das Rehabilitationsgeld als Ersatz für die wegfallende befristete Invaliditätspension schaffen wollte, ohne dass er explizit eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung wie eine aufrechte Krankenversicherung normiert hätte (10 ObS 133/15d).
4. Den weiteren Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:
4.2 Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) wurde die befristete Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension für Versicherte, die – wie der Kläger – am 1. Jänner 2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, abgeschafft. Für diese Personengruppe wurde ein Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation bei vorübergehender Invalidität/Berufs-unfähigkeit sowie die neuen Leistungen des Rehabilitations- und des Umschulungsgeldes eingeführt.
4.2 Die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation (§ 302 Abs 1 ASVG) sind vom Pensionsversicherungsträger unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands und der Zumutbarkeit für die versicherte Person zu erbringen (§ 253f Abs 2 ASVG).
4.3 Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitationsgeld sind im Wesentlichen, dass vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt (§ 255b, § 273b ASVG) und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar sind (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20). Der Anspruch auf Rehabilitationsgeld ist aber auch vom Erwerb von Pensionsversicherungszeiten abhängig, weshalb das Rehabilitationsgeld zugleich eine Gegenleistung für die vom Kläger in Österreich entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge darstellt. Da das Rehabilitationsgeld vom Krankenversicherungsträger ausgezahlt wird, die Pensionsversicherungsträger aber den Krankenversicherungsträgern die dadurch entstandenen Kosten zu ersetzen haben (§ 143c ASVG), wird das Rehabilitationsgeld indirekt durch Beiträge zur Pensionsversicherung finanziert.
4.4 Wenngleich die Absicht des österreichischen Gesetzgebers dahin geht, das Rehabilitationsgeld prinzipiell als Leistung bei Krankheit zu qualifizieren, gibt es somit bedeutende Berührungspunkte mit der Pensionsversicherung (weiters im Hinblick auf die Antragstellung, Zuständigkeit zur Bescheiderlassung, Untersuchung etc). Das Rehabilitationsgeld wurde deshalb als Leistung mit Sondercharakter bzw als „Mischleistung“ zwischen Krankenversicherungs‑ und Pensionsversicherungsleistung qualifiziert (10 ObS 133/15d; Pfeil, Systemfragen der geminderten Arbeitsfähigkeit, DRdA 2013, 363 [372].
4.5 Nach der zu einem Fall mit grenzüberschreitendem Bezug zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 133/15d ist im Hinblick auf diesen Sondercharakter bei Anwendung der Koordinierungsvorschriften keine alleinige Anknüpfung an die Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzmitgliedstaats aus der Krankenversicherung vorzunehmen, weil damit ein Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten einherginge, der in bestimmten Fällen die unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken könnte. Erfüllt ein Versicherter im Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnung VO 883/2004 alle Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Rehabilitationsgeldes, kann ihm dieses nicht deshalb verwehrt werden, weil er in einem anderem Mitgliedstaat wohnt und dieser Mitgliedstaat grundsätzlich nach der Koordinierungsverordnung für Geldleistungen zuständig wäre, sondern hat eine Anknüpfung an den Erwerb von Versicherungszeiten in Österreich zu erfolgen.
6. Wenngleich bilateral nicht der umfassende Freizügigkeitsgrundsatz des EU‑Primärrechts gilt, sind diese Überlegungen in ähnlicher Weise auf das Abkommen Österreichs mit Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit übertragbar, weil es andernfalls dazu kommen könnte, dass unter Umständen erheblichen Versicherungszeiten bei vorübergehender Invalidität – anders als bei dauernder Invalidiät – keine österreichische Leistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gegenüberstehen würde (siehe Sonntag, Vorübergehende Invalidität nach dem SRÄG 2012, Rz 56).
Es hat somit dabei zu bleiben, dass das Rehabilitationsgeld eine „andere Geldleistung“ iSd Art 5 des Abkommens darstellt und bei Vorliegen der weiteren Anspruchsvoraussetzungen an einen in Bosnien und Herzegowina wohnhaften Versicherten zu exportieren ist.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Der Kostenzuspruch beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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