European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130243
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der noch vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 verstorbene Großvater des Minderjährigen hatte dessen Mutter Geschäftsanteile an einer Gesellschaft vermacht und insofern zugunsten des Minderjährigen ein Nachlegat auf den Überrest angeordnet. Der Nachvermächtnisfall tritt nach dem Testament mit Ableben der Vorlegatarin oder dann ein, wenn diese gegen bestimmte im Testament vorgesehene Auflagen verstößt. Wegen des dadurch begründeten Interessenwiderstreits zwischen dem Minderjährigen und seiner Mutter bestellte das Erstgericht einen Kollisionskurator, was der Senat durch Zurückweisung eines außerordentlichen Revisionsrekurses billigte (2 Ob 139/17f).
[2] In weiterer Folge verkaufte die Mutter die Geschäftsanteile. Der Kollisionskurator teilte dem Erstgericht mit, dass die Veräußerung nicht gegen die Auflagen des Testaments verstoßen habe. Da aber auch beim befreiten Nachlegat das Surrogationsprinzip gelte, sei seine Tätigkeit, anders als vom Anwalt der Mutter ihm gegenüber vertreten, weiterhin erforderlich.
[3] Das Erstgericht sprach ua aus, dass die Kollisionskuratel aus dem vom Kurator genannten Grund aufrecht bleibe.
[4] Das von der Mutter in diesem Punkt angerufene Rekursgericht hob die angefochtene Entscheidung auf, verwies die Sache an das Erstgericht zurück und ließ den Revisionsrekurs zu. Zwar sei grundsätzlich auch beim befreiten Nachlegat im Fall der Veräußerung eine Surrogation anzunehmen. Allerdings könne sich aus der Auslegung der letztwilligen Verfügung anderes ergeben. Das Erstgericht werde insofern den Willen des Erblassers zu erforschen haben. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Geltung des Surrogationsprinzips beim befreiten Nachlegat fehle.
[5] Der Revisionsrekurs der Mutter ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[6] 1. Auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn ein Streitfall aufgrund des eindeutigen Gesetzestextes und mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (RS0042656 [insb T48]).
[7] 2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur hier noch anwendbaren Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 gilt das (nun in § 613 Abs 3 ABGB nF ausdrücklich angeordnete) Surrogationsprinzip auch für die befreite Nacherbschaft (7 Ob 196/68 SZ 41/136; 6 Ob 136/07d; 6 Ob 210/09i; näher Kletečka, Ersatz- und Nacherbschaft [1999] 306 f). § 652 ABGB aF ordnete an, dass die Vorschriften über die Nacherbschaft auch auf das Nachlegat anzuwenden waren (ebenso nun § 652 ABGB nF). Damit ist die Auffassung des Rekursgerichts, dass das Surrogationsprinzip auch beim befreiten Nachlegat gelten kann, durch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und die gesetzliche Anordnung in § 652 ABGB gedeckt.
[8] 3. Das Rekursgericht hat aber auch zutreffend ausgeführt, dass beim befreiten Nachlegat die Auslegung der letztwilligen Verfügung entscheidet, ob Surrogation anzunehmen ist oder nicht (Kletečka,Ersatz- und Nacherbschaft 307 f; Kletečka/Holzinger in Kletečka/Schauer,ABGB-ON1.04 § 613 Rz 47 [zum neuen Recht]). Denn in diesem Fall ist auch denkbar, dass der Erblasser dem Nachlegatar tatsächlich nur das konkret vermachte Stück – hier also die Geschäftsanteile – zuwenden wollte. Diese Frage ist im fortgesetzten Verfahren zu klären. Die von der Mutter angestrebte Entscheidung allein aufgrund des Wortlauts des Testaments ist nicht möglich, weil auf den Willen des Erblassers unter Umständen auch aufgrund anderer Erkenntnisquellen, etwa durch Einvernahme des Testamentsverfassers, geschlossen werden kann. Welche Beweismittel insofern in Betracht kommen, ist im fortgesetzten Verfahren mit der Mutter und dem Kurator zu erörtern.
[9] 4. Dass kein Interessenwiderstreit mehr vorliege, weil eine Auflagenverletzung zufolge Veräußerung der Geschäftsanteile nicht mehr möglich sei, hat die Mutter in erster Instanz nicht behauptet. Ihr diesbezügliches Vorbringen ist daher eine unzulässige Neuerung. Auch diese Frage ist allerdings im fortgesetzten Verfahren zu erörtern.
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