European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129798
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden.
Begründung:
[1] Die Beklagte betreibt ein Einkaufszentrum. Die Nebenintervenientin führt im Rahmen eines mit der Beklagten im Jahr 2008 geschlossenen Vertrags sämtliche Reinigungsarbeiten durch.
[2] Die Klägerin stürzte am 7. 6. 2018 um etwa 10:06 Uhr beim Betreten eines Aufzugs in einer künstlich ausreichend ausgeleuchteten Vorhalle, die durch eine Glasschiebetür vom dritten (untersten) Geschoß der Parkgarage des Einkaufszentrums erreicht werden kann. Die dort verwendeten Bodenfliesen (unglasierte keramische Feinsteinzeugfliesen) sind – auch nach erfolgter Feuchtreinigung – rutschfest.
[3] Die Vorhalle, von der aus das Einkaufszentrum mit Aufzügen erreicht werden kann, wird täglich zwischen 6:00 Uhr und 7:00 Uhr früh maschinell gereinigt. Die Randbereiche der Vorhalle, die mit der Reinigungsmaschine nicht erreicht werden können, werden manuell mit einem Wischmopp zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr am Vormittag gereinigt. Im Anschluss werden die feuchten Bereiche trocken nachgewischt. Noch vor Beginn der Reinigung wird eine gelbe Warntafel, auf der auf die Rutschgefahr aufmerksam gemacht wird, aufgestellt. Diese Tafel darf erst dann entfernt werden, wenn alle feuchten Stellen wieder aufgetrocknet sind. Die Vorhalle wird – wie die Aufzüge – alle zwei Stunden kontrolliert und bei Bedarf wieder gereinigt. Kontrolliert wird auch das Vorhandensein der Warntafeln: diese werden immer wieder von Besuchern des Einkaufszentrums verschoben, verstellt oder umgeworfen, was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nebenintervenientin und der Beklagten bekannt ist. Diese haben auch die Anweisung, verschobene oder umgefallene Warntafeln wieder aufzustellen.
[4] Am 7. 6. 2018 reinigte eine Mitarbeiterin der Nebenintervenientin die Aufzugsvorhalle. Diese Mitarbeiterin war bereits ein Jahr problemfrei, insbesondere auch im Einkaufszentrum, für die Nebenintervenientin tätig. Sie reinigte die Randbereiche der Vorhalle zunächst feucht und wischte mit einem trockenen Tuch nach. Es steht nicht fest, ob eine Warntafel an diesem Tag in der Aufzugsvorhalle aufgestellt wurde. Die Klägerin rutschte im noch feuchten Bodenbereich vor dem Zugang zum Aufzug aus und stürzte nach vorn in die Aufzugskabine. Sie erlitt dadurch einen Bruch der linken Speiche am körperfernen Ende mit einem Abbruch des Ellengriffels.
[5] Die Klägerin begehrt nach Ausdehnung der Klage die Zahlung von 8.566,43 EUR an Schmerzengeld, Kosten einer Haushalts‑ und Pflegehilfe, Fahrtkosten, Medikamentenkosten, Besuchskosten und pauschalen Unkosten sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Dauer‑ und Spätfolgen des Sturzes vom 7. 6. 2018. Die Beklagte habe ihr obliegende Verkehrssicherungs‑ sowie vertragliche Schutz‑ und Sorgfaltspflichten verletzt. Sie habe auch Überwachungs‑ und Organisationspflichten gegenüber der Nebenintervenientin verletzt.
[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Nebenintervenientin die ihr vertraglich übertragenen Reinigungsarbeiten ordnungsgemäß ausgeführt habe und die Kunden durch entsprechende Warntafeln vor der Sturzgefahr ausreichend gewarnt worden seien. Der Boden sei mit rutschfestem Belag versehen. Die Klägerin hätte die Gefahr leicht erkennen können, sie treffe ein Mitverschulden.
[7] Die Nebenintervenientin brachte vor, dass sie die Reinigungsarbeiten durch zuverlässiges und geschultes Personal vertragskonform ausgeführt habe. Sämtliche Flächen seien regelmäßig kontrolliert und alle erforderlichen Absicherungsmaßnahmen ergriffen worden.
[8] Das Erstgericht sprach der Klägerin 3.588,22 EUR samt Zinsen zu und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, dass die Beklagte für sämtliche Spät‑ und Dauerfolgen aus dem Sturz der Klägerin vom 7. 6. 2018 zu 50 % hafte, das Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Die Beklagte selbst habe keine Verletzung von Verkehrssicherungs‑ und vorvertraglichen Schutzpflichten gegenüber der Klägerin als ihrer Kundin zu verantworten. Sie hafte allerdings für Fehlverhalten der Nebenintervenientin als ihrer Erfüllungsgehilfin. Diese habe zu verantworten, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die zur Absicherung der noch feuchten gereinigten Bodenflächen erforderlichen Warntafeln in der Aufzugsvorhalle am Unfallstag aufgestellt gewesen seien. Die Klägerin treffe allerdings ein Mitverschulden von 50 %, weil sie nicht auf den Boden geachtet habe. Dass der Boden im Randbereich der Halle zur Aufzugskabine feucht und rutschig gewesen sei, hätte die Klägerin bei entsprechender Aufmerksamkeit erkennen können. Die Entscheidung über die Kosten behielt das Erstgericht gemäß § 52 Abs 2 ZPO vor.
[9] Das Berufungsgericht gab den von der Klägerin, der Beklagten und der Nebenintervenientin erhobenen Berufungen nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass hinterfragbar sei, ob das Berufungsgericht in der Anwendung der Beweislastregeln von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.
[10] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Nebenintervenientin, der die Beklagte beitrat.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[12] Werden Tätigkeiten an eigenverantwortlich handelnde Personen weitergegeben, so treffen die Verkehrssicherungspflichten (nur) diese, während der Übertragende nur mehr für Auswahlverschulden und unter Umständen für Überwachungsverschulden haftet (RS0023938 [T7]). Weder die Nebenintervenientin in der Revision noch die Beklagte in ihrer Beitrittserklärung zu dieser Revision stellen jedoch die Rechtsansicht des Erstgerichts in Frage, dass die Beklagte für Fehlverhalten der Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin einzustehen habe. Die Beklagte hat ihre Passivlegitimation nicht bestritten.
[13] Voraussetzung für das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht ist eine vom Sicherungspflichtigen geschaffene oder ihm zurechenbare Gefahrenquelle (RS0022778 [T30]). Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (RS0110202). Eine die Revision ungeachtet des Einzelfallcharakters rechtfertigende korrekturbedürftige Rechtsansicht des Berufungsgerichts zeigt die Revisionswerberin nicht auf.
[14] Nach ständiger Rechtsprechung ist Haftungsansatz stets die vom Geschädigten zu beweisende Pflichtverletzung. Dieser hat die Sorgfaltsverletzung und die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden zu beweisen (Reischauer in Rummel 3 § 1298 ABGB Rz 4a). Bei Nichtfeststellbarkeit eines objektiv vertragswidrigen Verhaltens des Schädigers ist nach der vom Berufungsgericht beachteten Rechtsprechung die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB aber auch bereits dann anwendbar, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist (RS0026290). Mit der Kritik an dieser Rechtsprechung setzte sich die Entscheidung 10 Ob 53/15i ausführlich auseinander und hielt an ihr fest. Ungeachtet vereinzelter Kritik im Schrifttum an der Entscheidung 10 Ob 53/15i (Dullinger, JBl 2016, 591 [596 f]; Gerstberger, Die Beweislastverteilung der §§ 1296 ff ABGB, JAP 2018/2019/13, 112; Zehentmayer, JBl 2019, 110 [112 f]), hielt die Rechtsprechung an diesen Grundsätzen fest (vgl die Nachweise in RS0026290, zuletzt 6 Ob 221/18w). Die von der Revisionswerberin als „gegenteilig“ zitierte, in RS0026458 zusammengefasste Rechtsprechung betrifft nicht Fragen der Beweislastumkehr bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, sondern (im Wesentlichen) den Umfang von Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts.
[15] In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch ein aufgrund von Nässe rutschiger Boden als objektiv sorgfaltswidriger Zustand – abhängig von den konkreten Umständen – ein objektiv fehlerhaftes Verhalten indizieren und damit einen Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB bilden kann (6 Ob 221/18w mwH). Davon ist das Berufungsgericht nach den Feststellungen in fraglos vertretbarer Weise ausgegangen, muss doch mit einem feuchten und rutschigen Boden gerade in einem an eine Parkgarage anschließenden Innenraum wie im vorliegenden Fall nicht gerechnet werden. Die Ausführungen der Revisionswerberin, es sei von bloßer „Restfeuchte“ auszugehen, finden in den Feststellungen des Erstgerichts keine Deckung. Das Erstgericht hat unangefochten festgestellt, dass der Boden „etwas rutschig“ war und die Klägerin im „noch feuchten Bodenbereich“ vor dem Liftzugang „ausrutschte“ (Ersturteil, S 8). Disloziert im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung stellte das Erstgericht – worauf das Berufungsgericht hinwies – neuerlich fest, dass der Klägerin der „feuchte und rutschige Bereich außerhalb des Aufzugs“ nicht auffiel, obwohl eine Erkennbarkeit der „Rutschigkeit“ (!) „anscheinend sehr wohl gegeben“ war.
[16] Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Nebenintervenientin im konkreten Fall eine Verletzung von Schutz‑ und Sorgfaltspflichten vorwerfbar war, weil nicht feststeht, ob eine Warntafel aufgestellt war, ist nicht korrekturbedürftig, weil das – ohnehin vorgesehene – Aufstellen einer Warntafel in einer Situation wie der vorliegenden möglich und zumutbar ist. Die von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung 7 Ob 572/79 ist mit dem vorliegenden Fall schon deshalb nicht vergleichbar, weil das damalige Verfahren ein Stiegenhaus in einem Wohnhaus betraf und nicht den Zugang zu einem Einkaufszentrum mit Kundenverkehr.
[17] Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
[18] Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO. Das Erstgericht hat die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten. Daran ist auch der Oberste Gerichtshof gebunden (vgl RS0129336).
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