OGH 10Ob30/20i

OGH10Ob30/20i13.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. S*, geboren * 2010, 2. A*, geboren * 2011, 3. A*, geboren * 2008 und 4. A*, geboren * 2015, allevertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder‑ und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirk *), wegen Unterhaltsvor-schuss, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. April 2020, GZ 44 R 126/20k, 44 R 127/20g, 44 R 128/20d, 44 R 129/20a‑95, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Favoriten vom 26. Februar 2020, GZ 8 Pu 77/19z‑77–80, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129833

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Der Schriftsatz der Kinder vom 3. 8. 2020 wird zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] I. Der im Nachhang zum Revisionsrekurs erstattete Schriftsatz vom 3. 8. 2020 verstößt gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels.

[2] II. Nach dem Akteninhalt sind die Kinder und ihre Eltern Staatsangehörige der Russischen Föderation. Eine der 22 (Teil‑)Republiken der Russischen Föderation ist die Autonome Republik Tschetschenien (in der Folge: Tschetschenien). Die Eltern sind in Tschetschenien geboren, die Kinder in Österreich. Die Eltern waren (lediglich) in religiöser Hinsicht verheiratet und sind seit dem Frühjahr 2019 in religiöser Hinsicht wieder geschieden. Die Mutter wird von ihrer Familie unterstützt (bei ON 7).

[3] Dem Vater wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundes‑ und Asylsenats vom 11. 2. 2004 und der Mutter mit Bescheid des Bundesasylamts vom 5. 12. 2005 der Status eines/einer Asylberechtigten zuerkannt. Den Kindern wurde in der Folge gemäß § 34 Abs 2 AsylG ebenfalls der Status von Asylberechtigten zuerkannt, und zwar mit Bescheiden des Bundesasylamts (bei ON 46) vom 12. 3. 2010 (S*), 29. 4. 2011 (A*), 28. 11. 2008 (A*) und 4. 3. 2015 (A*). Die Kinder und die Eltern besitzen immer noch aufrechten Asylstatus (ON 45). Die Mutter und die Kinder verfügen über Konventionsreisepässe (ON 82), und zwar mit Ausstellungsdatum 18. 12. 2015 (Mutter), 29. 5. 2019 (S*, A* und A*), und 23. 8. 2018 (A*). Die im Akt erliegenden Bescheide des Bundesasylamts betreffend die Mutter und die Kinder (ON 46) lassen die persönlichen Umstände, die zur Flucht der Eltern geführt haben und damit auch deren Fluchtgründe nicht erkennen.

[4] Mit einstweiliger Verfügung des Bezirksgerichts Favoriten vom 21. 11. 2018, GZ 8 C 50/18x‑5 (bei ON 7), wurde dem Vater gemäß § 382b und e EO ua der Aufenthalt in der Wohnung der Mutter und der Kinder verboten. Unter anderem nahm das Gericht als bescheinigt an, dass der Vater gedroht habe, die Kinder zu entführen und nach Tschetschenien zu bringen. Selbst nach seiner Einvernahme bei der Polizei habe der Vater die Tür zur leeren Wohnung der Mutter aufgebrochen und die Reisepässe der drei älteren Kinder an sich genommen.

[5] Der Vater der Kinder verpflichtete sich mit Unterhaltsvereinbarungen gemäß § 210 Abs 2 ABGB vom 17. 9. 2018, seinen Kindern ab 1. 9. 2018 jeweils einen Unterhaltsbeitrag von 50 EUR pro Monat zu zahlen.

[6] Die Kinder beantragten am 15. 7. 2019 die Zuerkennung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG jeweils in Höhe von 50 EUR pro Monat.

[7] Mit Beschlüssen vom 23. 7. 2019 (ON 18–21) bewilligte das Erstgericht im ersten Rechtsgang die beantragten Unterhaltsvorschüsse. Das Rekursgericht hob diese Beschlüsse über Rekurs des Bundes mit Beschluss vom 17. 9. 2019 (ON 39) auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Flüchtlingseigenschaft sei vom Gericht selbständig als Vorfrage zu prüfen. Dies gelte auch im vorliegenden Fall, weil die Zuerkennung des Asylstatus an die Eltern, aber auch an die Kinder bereits Jahre zurückliege. Die Drohung des Vaters, die Kinder nach Tschetschenien zu bringen und der damit einhergehende Umstand, dass der Vater die Reisepässe der drei älteren Kinder an sich genommen habe, lasse darauf schließen, dass der Vater die Lebensverhältnisse in Tschetschenien nunmehr als ausreichend sicher einschätze und die Möglichkeit ins Auge fasse, ein Familienleben dort zu führen. Es verblieben daher Zweifel am Weiterbestand der Flüchtlingseigenschaft der Kinder, die eine „Verbreiterung der Tatsachengrundlage“ durch Prüfung des Asylstatus von Eltern und Kindern unumgänglich mache.

[8] Das Erstgericht forderte darauf im zweiten Rechtsgang die Kinder zur Vorlage von Nachweisen zum aufrechten Asylstatus der Mutter und der Kinder auf. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte über Anfrage der Rechtsvertretung der Kinder mit, dass Eltern und Kinder immer noch aufrechten Asylstatus besitzen. Es übermittelte dem Erstgericht die schon genannten Asylbescheide für die Mutter und die Kinder aus den Jahren 2005 bis 2015. Das Erstgericht bewilligte neuerlich die Unterhaltsvorschüsse entsprechend dem Antrag der Kinder (ON 47–50). Das Rekursgericht gab dem vom Bund gegen diese Beschlüsse erhobenen Rekurse Folge, hob die angefochtenen Beschlüsse des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf (ON 64). Maßgeblich sei, ob und aus welchem Grund die seinerzeit geltenden Fluchtgründe, die zur Gewährung von Asyl geführt haben, noch bestehen. Dazu seien die damaligen Fluchtgründe und ihr Fortbestand zu prüfen. Die Kinder, vertreten durch den Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe, hätten im Hinblick auf ihre Nähe zum Beweis entsprechendes Vorbringen zu erstatten und Beweisanbote zu unterbreiten.

[9] Mit Beschluss vom 16. 12. 2019 forderte das Erstgericht auch im dritten Rechtsgang die Kinder auf, Vorbringen und Beweisanbote zu den ursprünglichen Fluchtgründen und deren Fortbestehen zu erstatten.

[10] Der Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe übermittelte infolge dieser Aufforderung eine mit der Mutter am 9. 1. 2020 aufgenommene Niederschrift (ON 71). Die Mutter gibt darin an, keine neuen Asylbescheide für sich und ihre Kinder zu haben. Sie habe keinen Kontakt zu ihrem Heimatland und wisse nicht, wie die Lage dort sei. Würde sie mit den Kindern in die Heimat zurückkehren, wären sie dort obdachlos und hätten keinerlei soziale und finanzielle Absicherung. Würde der Vater die Kinder mit sich in die Heimat zurücknehmen, würde er das tun, um sie zu verletzen und ihr das Schlimmste anzutun.

[11] Weiters legte der Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe einen Artikel aus „Wikipedia“ über „Tschetschenien“ und einen Bericht des Deutschlandfunks vom 12. 3. 2019, „Tschetschenien – Frauen als Freiwild“, vor und brachte dazu vor, dass Tschetschenien trotz des fortschreitenden Wiederaufbaus keineswegs als sicheres Land bezeichnet werden könne. Es komme zu schweren Menschenrechtsverletzungen an der tschetschenischen und russischen Zivilbevölkerung; die tschetschenische Regierung billige offiziell sogenannte „Ehrenmorde“. Insbesondere seinerzeit Geflüchtete fürchteten sich vor Vergeltungsmaßnahmen. Die soziale Stellung der Frau sei bedenklich, es gelte als ehrverletzend, wenn eine Frau einen tschetschenischen Mann mit den Kindern verlässt. Alle diese Umstände ließen den Schluss zu, dass eine alleinstehende tschetschenische Mutter mit vier Kindern ohne jegliche finanzielle Absicherung und ohne Angehörige in ihrer Heimat kein sicheres und geordnetes Leben führen könne.

[12] Mit den nunmehr angefochtenen Entscheidungen bewilligte das Erstgericht auch im dritten Rechtsgang den Kindern für die Zeit vom 1. 7. 2019 bis zum 30. 6. 2024 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe. Das Erstgericht führte begründend aus, dass die Kinder weiterhin einen aufrechten Asylstatus besäßen und Tschetschenien nicht als ein sicheres Land bezeichnet werden könne.

[13] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Bundes Folge und wies die Vorschussanträge der Kinder ab. Infolge des seit der Gewährung von Asyl an die Eltern in den Jahren 2004 und 2005 verstrichenen Zeitraums könne von einer selbständigen Prüfung der Flüchtlingseigenschaft durch das Gericht nicht abgesehen werden. Dabei sei zu beachten, dass der erstmalige Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen an strengere Anforderungen geknüpft sei als die Weitergewährung. Die Pflicht, Gründe für das aufrechte Fortbestehen ihrer Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Flüchtlingsprotokoll zu behaupten, hätten die Kinder im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Weder aus allgemeinen Berichten über Tschetschenien noch aus den Angaben der Mutter lasse sich beurteilen, aus welchen Gründen konkret die Eltern aus der Russischen Föderation flüchten mussten und ob diese Fluchtgründe noch aufrecht bestehen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil es keine Rechtsprechung „zur Frage der notwendigen Intensität und Personenbezogenheit der Behauptung und Bescheinigung des Vorliegens und Anhaltens der damaligen Fluchtgründe“ gebe.

[14] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Kinder mit dem Antrag, die den Unterhaltsvorschussanträgen stattgebenden Beschlüsse des Erstgerichts wiederherzustellen. Es wurden keine Rechtsmittelbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[15] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

[16] Die Revisionsrekurswerber führen aus, dass ihr Asylstatus aufrecht sei und sie – wie ihre Mutter – über zeitnah ausgestellte Konventionsreisepässe verfügten. Ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Abs 2a AsylG sei nicht eingeleitet worden. Solange der Status als Asylberechtigter andauere, bestehe ein subjektives Recht auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses. Es sei nicht ansatzweise dargelegt worden, dass und inwieweit sich die politische Situation im Herkunftsland der Familie signifikant geändert hätte. Aus Tschetschenien werde weiterhin von schweren Menschenrechtsverletzungen gegen Familien berichtet. Da ein Konventionsreisepass nur einem Asylberechtigten ausgestellt werde und ein Asylberechtigter ex lege Flüchtlingsstatus habe, reiche der Umstand, dass die Kinder über gültige Konventionsreisepässe verfügten für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen aus.

[17] Flüchtlingseigenschaft und Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG:

[18] Flüchtlinge sind nach der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl 1955/55, GFK) und dem Flüchtlingsprotokoll (BGBl 1974/78) österreichischen Staatsbürgern im Sinn des § 2 Abs 1 UVG gleichgestellt und haben demnach Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse (10 Ob 46/10b; 10 Ob 22/18k mwN; ausführlich Hueber, Zur Anspruchsberechtigung anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter, iFamZ 2018, 275).

[19] Flüchtlingseigenschaft in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofs:

[20] Die Flüchtlingseigenschaft ist nicht vom Vorliegen der Feststellung durch eine Behörde abhängig. Sie ist materieller Natur und ergibt sich aus Art 1 A Z 2 GFK, wonach Flüchtling ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen“. Sowohl die Feststellung einer Behörde, dass einem Fremden Flüchtlingseigenschaft zukommt (etwa verbunden mit der Zuerkennung des Status als Asylberechtigter, § 3 Abs 5 AsylG 2005), als auch die Feststellung einer Behörde, dass einem Fremden die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (etwa in Fällen der Aberkennung des Asyls, § 7 Abs 4 AsylG 2005) hat nur deklarativen Charakter (so ausdrücklich Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes: „Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist ein deklaratorischer Akt“, vgl auch 10 Ob 19/17t; 10 Ob 11/20w; VwGH 95/01/0071; 96/01/1083 ua).

[21] Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union stellt das Genfer Abkommen einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar. Die Bestimmungen der RL 2011/95/EU wurden erlassen, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Abkommens auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Art 1 der GFK zu leiten (EuGH C‑391/16 , C‑77/17 und C‑78/17 , M, ECLI:EU:C:2019:403, Rn 81; VwGH Ro 2019/01/0014). Eine der Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A GFK ist das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den Gründen der Verfolgung, nämlich Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und den Verfolgungshandlungen oder dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen (Erwägungsgrund 29 der RL 2011/95/EU ).

[22] Jede Entscheidung über die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft muss nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (daher) auf einer individuellen Prüfung beruhen, deren Ziel es ist, festzustellen, ob unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Antragstellers die Voraussetzungen für eine solche Zuerkennung vorliegen (EuGH C‑406/18 , PG, ECLI:EU:C:2020:216, Rn 29 mwH; vgl auch VwGH Ra 2020/20/0143 mwH). Es sind daher konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person Flüchtlingseigenschaft zukommt (vgl VwGH Ra 2019/20/0340). Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention im Zeitpunkt der Entscheidung an. Dem Antragsteller muss, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit der Verfolgung genügt nicht (VwGH Ra 2019/20/0412 mwH).

[23] Zum gerichtlichen Verfahren nach dem UVG:

[24] Im gerichtlichen Verfahren nach dem UVG über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen hat das Gericht – im Einklang mit der dargestellten Rechtslage – auch nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Flüchtlingseigenschaft jeweils selbständig als Vorfrage zu prüfen (RS0110397; RS0037183).

[25] Gemäß § 10 UVG hat das Gericht über die Gewährung von Vorschüssen im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden. Gemäß § 11 Abs 2 UVG hat der Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorschüssen in erster Linie aufgrund der Pflegschaftsakten, durch Urkunden oder sonst auf einfache Weise nachzuweisen. (Nur) sofern dies nicht einfach möglich ist – also nur subsidiär (10 Ob 33/17a) – können die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 2 UVG durch eine der Wahrheit entsprechende Erklärung des Vertreters glaubhaft gemacht werden.

[26] § 11 Abs 2 UVG bezweckt zwar, dass das Verfahren rasch und ohne weitwändige Ermittlungen abzuwickeln ist (RS0088823 [T3]). Dennoch gilt grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz des § 16 AußStrG. Das Gericht hat daher vor Antragsabweisung zu versuchen, Unklarheiten aufzuklären und auf eine Substantiierung des Vorbringens zu den Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken. Diese Aufklärungs- und Anleitungspflicht trifft auch das Rechtsmittelgericht, sie besteht auch gegenüber dem Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe (10 Ob 68/18z mwH).

[27] Daher muss in einem Fall wie im vorliegenden das Kind bereits im Antrag darlegen und entsprechende Beweismittel anbieten, aus denen sich als Anspruchsvoraussetzung das Bestehen seiner Flüchtlingseigenschaft ergibt. Es sind daher konkrete, personenbezogene Gründe für das Vorhandensein der Flüchtlingseigenschaft des Kindes zu behaupten und unter Beweis zu stellen, aus denen sich die Flüchtlingseigenschaft ergibt (zB die Verfolgung eines Elternteils durch den russischen Sicherheitsdienst infolge eines Engagements für den tschetschenischen Widerstand, 10 Ob 3/18s).

[28] Allgemeine Berichte über die Entwicklung eines Landes können diesen Anforderungen im Allgemeinen nicht entsprechen, weil darin keine Hinweise auf die persönlichen Fluchtgründe enthalten sind. Die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren kann – ebenso wie die darauf beruhende Ausstellung eines Konventionsreisepasses – wie ausgeführt nicht mehr als Indizwirkung für die Beurteilung der Vorfrage der Flüchtlingseigenschaft entfalten (10 Ob 19/17t; 10 Ob 11/20w ua). Insbesondere dann, wenn die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft der Eltern – und von dieser abgeleitet auch jene der Kinder – bereits mehrere Jahre zurückliegt, muss das Gericht die Flüchtlingseigenschaft auch dann selbständig prüfen, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Verwaltungsbehörde die Auskunft erteilt, dass der Status als Asylberechtigter nach wie vor aufrecht und/oder ein Konventionsreisepass ausgestellt worden sei (RS0110397 [T1]).

[29] Das Gericht hat individuell zu prüfen, ob die Flüchtlingseigenschaft der antragstellenden Kinder zum Zeitpunkt seiner Entscheidung über die Gewährung von Vorschüssen (noch) besteht. Es kommt konkret darauf an, ob die antragstellenden Kinder aus konkreten, sie betreffenden Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung befürchten müssen, bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt zu werden und ob sie wegen dieser Furcht nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, sich des Schutzes dieses Staats zu bedienen.

[30] Dazu geeignete Mittel sind beispielsweise (s § 31 Abs 1 AußStrG) Urkunden, die die von den Antragstellern behaupteten Fluchtgründe – insbesondere in der Regel auch des Elternteils, in dessen Pflege und Erziehung sich die Kinder befinden (vgl §§ 13 Abs 1 Z 2, 14 UVG) – konkret betreffen. Zielführend kann aber beispielsweise auch die Einvernahme der Eltern oder allfälliger Zeugen durch das Gericht (§§ 31, 35 AußStrG) zu den konkreten Fluchtgründen sein, die sie an der Rückkehr in das Heimatland hindern. Wie ausgeführt muss den antragstellenden Kindern bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit zur Verfolgung genügt nicht (VwGH Ra 2019/20/0412).

[31] Daraus folgt für das konkrete Verfahren:

[32] Das Erstgericht hat zwar auch im dritten Rechtsgang keine Feststellungen getroffen, aus denen sich seine Rechtsansicht begründen ließe, die Flüchtlingseigenschaft der antragstellenden Kinder hätte im konkreten Fall auch noch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung über die Gewährung von Vorschüssen bestanden.

[33] Allerdings rügen das die Revisionsrekurswerber in ihrem Rechtsmittel nicht. Sie führen lediglich aus, dass ihnen als Asylberechtigte und Inhaber erst vor relativ kurzer Zeit ausgestellter Konventionsreisepässe ex lege Flüchtlingseigenschaft zukäme. Weder mit diesen Ausführungen, noch mit ihrem Hinweis, dass kein Aberkennungsverfahren nach dem Asylgesetz eingeleitet worden sei, aber auch nicht mit ihren Ausführungen, dass nicht „dargelegt“ worden sei, dass sich die Situation in Tschetschenien verändert hätte, zeigen die Revisionsrekurswerber eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts auf:

[34] Denn im Verfahren außer Streitsachen gilt zwar der Untersuchungsgrundsatz. Das hat aber keineswegs zur Folge, dass es für die Parteien keine Beweislast gibt. Die subjektive Beweislast, das ist die Verpflichtung der Parteien, den Beweis der für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu erbringen, wird nur durch die Verpflichtung des Gerichts ergänzt, auch ohne Parteienbehauptungen die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen zu erheben. Wird aber trotz des Untersuchungsgrundsatzes der Beweis für entscheidungserhebliche Tatsachen nicht erbracht, dann muss auch in den von diesem Grundsatz beherrschten Verfahren dem Gericht eine Regel an die Hand gegeben werden, nach der es zu bestimmen hat, zu wessen Lasten die Unmöglichkeit der Beweisführung geht. Es gelten dann die allgemeinen Beweislastregeln (1 Ob 210/18s; RS0008752; RS0006330 [T3]). Der Umstand, dass ein Sachverhalt trotz amtswegiger Untersuchungspflicht nicht aufgeklärt werden konnte, geht letztlich zu Lasten des Behauptenden (RS0008752 [T1]).

[35] Die antragstellenden Kinder haben weder in ihren Anträgen noch in Befolgung der ihnen vom Erstgericht nach den Entscheidungen des Rekursgerichts in den ersten zwei Rechtsgängen jeweils erteilten Aufträge Behauptungen und Beweisanbote zu ihren und ihrer Eltern konkreten, persönlichen Fluchtgründen aufgestellt. Solche Fluchtgründe ergeben sich, worauf das Rekursgericht hingewiesen hat, auch nicht aus den vorliegenden Asylbescheiden der Kinder, aber auch nicht aus dem die Mutter betreffenden Asylbescheid (der entgegen den Ausführungen des Rekursgerichts ebenfalls mit ON 46 vorgelegt wurde). Aus den Angaben der Mutter ergibt sich eine sehr glaubwürdige Sorge vor Obdachlosigkeit und Armut im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, nicht aber die Gefahr einer Verfolgung. Nach ihren Angaben wäre offenbar auch dem Vater eine Rückkehr mit den Kindern in den Herkunftsstaat möglich. Aus den Länderangaben zu Tschetschenien bzw dem Bericht des Deutschlandfunks ergeben sich keine Hinweise auf persönliche Fluchtgründe der antragstellenden Kinder bzw ihrer Eltern.

[36] Vor diesem Hintergrund ist das Rekursgericht zutreffend davon ausgegangen, dass den antragstellenden Kindern der Nachweis ihrer Flüchtlingseigenschaft und damit ihrer Anspruchsberechtigung im konkreten Fall nicht gelungen ist.

[37] Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

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