VwGH Ra 2020/20/0143

VwGHRa 2020/20/014323.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Spruchpunkte B) und C) des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2020, W142 2150696‑2/17E, betreffend Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: K A in L, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGVG 2014 §29
62018CJ0406 PG VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200143.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in den Spruchpunkten B) und C) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte stammt aus Somalia und stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 21. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Zulassung des Asylverfahrens durch Ausfolgung einer nach § 51 AsylG 2005 ausgestellten Aufenthaltsberechtigungskarte keine weiteren Verfahrensschritte setzte, brachte der Mitbeteiligte am 6. Dezember 2016 eine Säumnisbeschwerde ein.

3 Nach Durchführung von Ermittlungen zum entscheidungswesentlichen Sachverhalt holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 1. März 2017, der dem Mitbeteiligten am 2. März 2017 zugestellt wurde, die bis dahin versäumte Entscheidung (innerhalb der nach § 16 Abs. 1 VwGVG vorgesehenen Frist) nach. Die Behörde wies mit diesem Bescheid den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag ab. Unter einem sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Mitbeteiligten kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stufte die Angaben des Mitbeteiligten zu den Gründen seiner Flucht aus dem Heimatland als unglaubwürdig ein. Zudem habe er ‑ so die Behörde in ihrer weiteren Begründung ‑ keine vom Heimatstaat ausgehende Verfolgung geltend gemacht. Die Lage in seiner Heimatstadt Kismayo habe sich seit seiner im Jahr 2013 erfolgten Ausreise stark verändert. Kismayo stehe nunmehr unter der Kontrolle der Übergangsregierung. Verfolgungshandlungen durch die al Shabaab gebe es dort nicht mehr.

5 Weiters befasste sich die Behörde ausführlich mit jener Situation, in der sich der Mitbeteiligte im Fall der Rückkehr in sein Heimatland befinden werde, und kam zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Mitbeteiligten nicht vorlägen.

6 Des Weiteren enthält der Bescheid noch Ausführungen zu den übrigen Spruchpunkten.

7 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

8 Das Bundesverwaltungsgericht hob den Bescheid vom 1. März 2017 mit Beschluss vom 28. Juni 2018 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Das begründete das Verwaltungsgericht damit, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine ausreichenden Erhebungen zum Vorbringen des Mitbeteiligten, wonach er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, vorgenommen habe.

9 Nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid 10. Oktober 2018 den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag neuerlich sowohl in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA‑Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

10 Die vom Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht, soweit sie sich gegen den Spruchpunkt I. richtete, nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab [Spruchpunkt A)]. Der Beschwerde zu Spruchpunkt II. gab das Verwaltungsgericht statt und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt werde [Spruchpunkt B)]. Unter einem erteilte das Bundesverwaltungsgericht dem Mitbeteiligten eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 mit Gültigkeit für ein Jahr [Spruchpunkt C)]. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

11 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht zunächst davon aus, dass es dem Mitbeteiligten nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung im Heimatland glaubhaft zu machen. Aufgrund der ‑ näher dargestellten ‑ Widersprüche in seinen Angaben sei letztlich der Schluss zu ziehen, dass er die von ihm geschilderten Ereignisse in Wahrheit nicht erlebt habe. Seinem Vorbringen sei die Glaubwürdigkeit zu versagen. Da überdies davon auszugehen sei, dass der Mitbeteiligte dem Clan der Ajuran nicht angehöre, sei auf das weitere Vorbringen, Angehörige dieses Clans würden im Heimatland des Mitbeteiligten diskriminiert, nicht weiter einzugehen.

12 Zu den persönlichen Verhältnissen des Mitbeteiligten stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass dessen Identität nicht feststehe. Er gehöre ‑ entgegen seinem Vorbringen ‑ nicht dem „Clan der Ajuran, Subclan Waalamoge, Subsubclan Kunie“, an. Der Mitbeteiligte stamme aus Kismayo und sei im Heimatland mehrere Jahre lang in die Schule gegangen. In Österreich habe er von September 2017 bis Juni 2018 die Tiroler Fachberufsschule Lienz besucht. Die Ausbildung an dieser Schule habe er abgebrochen. Der Mitbeteiligte sei verheiratet. Seine Ehefrau, seine Mutter, seine Geschwister und sein Onkel lebten nach wie vor in Kismayo. Der Mitbeteiligte sei gesund sowie arbeits- und leistungsfähig.

13 Das Bundesverwaltungsgericht traf weiters Feststellungen zur Situation in Somalia, darunter auch zur Lage in Kismayo. Nach diesen (hier auszugsweise wiedergegebenen) Feststellungen gelte diese Stadt als ruhig und sicher. Zivilisten könnten sich dort frei und „relativ“ sicher bewegen. Die Bevölkerung von Kismayo sei um 30% auf etwa 300.000 Bewohner gewachsen. Viele „Zuzügler“ kämen aus dem Umland, aus Kenia oder der weltweiten Diaspora zurück. Der Aufbau der dortigen Polizei und Justiz werde international unterstützt. Die Kriminalität sei auf niedrigem Niveau. Die Al Shabaab sei dort „nur eingeschränkt“ aktiv. Es komme nur selten zu Anschlägen oder Angriffen. Die Stadt sei unter der Kontrolle von Regierungskräften. Kismayo sei wegen der dort gegebenen Sicherheit das Hauptziel von Rückkehrern. Die Regierung von Jubaland habe die Front bis in das Vorfeld von Jamaame verschieben können. Infolgedessen sei Al Shabaab nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Punktuell gelinge es der al Shabaab dennoch, in Kismayo Anschläge zu verüben.

14 Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Mitbeteiligten begründete das Bundesverwaltungsgericht allein damit, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Status mit Bescheid vom 3. Februar 2020 einem anderen aus Somalia stammenden Asylwerber zuerkannt habe. In diesem Bescheid sei die Behörde zum Ergebnis gekommen, dass „die Kriterien für eine ausweglose Lage derzeit aufgrund der allgemein mangelnden Sicherheitssituation sowie der in den letzten Jahren vorherrschenden Naturkatastrophen (Dürre, Regenfälle, uäm.) noch vorliegen und somit objektiv gesehen die Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat derzeit noch nicht als ausreichend stabilisiert angesehen werden“ könne. Folglich sei auch dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuzuerkennen.

15 In Bezug auf den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision verneinte das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen der in Art. 133 Abs. 4 B‑VG genannten Tatbestände und verwies darauf, dass die für die Entscheidung maßgebliche Rechtsprechung bei den jeweiligen Erwägungen zitiert worden sei.

16 Die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen dieses Erkenntnis eingebrachte Revision wendet sich ausschließlich gegen jene Spruchpunkte B) und C), mit denen dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde.

17 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Von diesem wurde das Vorverfahren eingeleitet. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ erwogen:

19 Die revisionswerbende Behörde macht ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe gegen § 29 VwGVG verstoßen, weil in dessen Begründung nur auf einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl verwiesen worden sei. Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfordere aber die Prüfung der den Einzelfall betreffenden Umstände. Es sei aufgrund der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar, weshalb dem Mitbeteiligten dieser Schutzstatus zuerkannt worden sei. Im Weiteren stellt die Behörde dar, weshalb ihrer Ansicht nach aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht abzuleiten sei, dass dem Mitbeteiligten subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei.

20 Die Revision ist zulässig und begründet.

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht eines Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts gemäß § 29 VwGVG festgehalten, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221, mwN).

22 Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0355, mwN).

23 Die revisionswerbende Behörde macht zu Recht geltend, dass die angefochtenen Aussprüche einer nachvollziehbaren Begründung entbehren. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen vorliegen, handelt es sich um eine Prüfung, die aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalls stattzufinden hat (vgl. dazu etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2019/20/0340; 31.10.2019, Ra 2019/20/0309; in Bezug auf die unionsrechtlichen Vorgaben vgl. EuGH 19.3.2020, C‑406/18, Rn. 29, wonach jede Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus auf einer individuellen Prüfung, deren Ziel es ist, festzustellen, ob unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Antragstellers die Voraussetzungen für die Zuerkennung vorliegen, beruhen muss). Eine solche Prüfung hat das Bundesverwaltungsgericht mit seinem bloßen Hinweis, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe in einem anderen Fall die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz an einen aus Somalia stammenden Asylwerber bejaht, nicht vorgenommen.

24 Dass sich im vorliegenden Fall bereits aus den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Mitbeteiligten und zur Lage in Somalia ‑ im Besonderen zur Situation in Kismayo, von wo der Mitbeteiligte stammt ‑ evident und daher ohne eingehende Betrachtung der den Einzelfall bestimmenden Umstände ableiten ließe, der Mitbeteiligte hätte jedenfalls einen Anspruch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, ist nicht zu sehen. Den darauf abzielenden Ausführungen des Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung war daher nicht zu folgen.

25 Sohin war das angefochtene Erkenntnis im Umfang seiner Anfechtung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Wien, am 23. Juni 2020

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