European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129569
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1. Der Antrag auf Anberaumung einer Revisionsverhandlung wird abgewiesen.
2. Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Teilurteil des Erstgerichts im bekämpften Umfang mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es im Spruch statt „Kapitalsparbücher“ „Sparbücher“ zu lauten hat.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin fand am 18. Oktober 2016 in der von ihr seit dem Jahr 2000 bewohnten Mietwohnung in einem Fensterpolsterbezug drei jeweils durch ein Losungswort vinkulierte anonyme Sparbücher der beklagten Bank mit einem Einlagestand von je 300.000 ATS (= 21.801,85 EUR), die am 28. Dezember 1998, am 12. April 1999 und am 11. Mai 1999 eröffnet worden waren. Die Klägerin zeigte den Fund am 20. Oktober 2016 beim Fundamt an und übergab diesem gleichzeitig die Sparbücher. Nach Ablauf eines Jahres wurden ihr diese vom Fundamt wieder ausgehändigt.
[2] Die Klägerin legte daraufhin noch im Oktober 2017 in einer Filiale der Beklagten die drei Sparbücher sowie die Übergabebestätigung des Fundamts vor und ersuchte um Auszahlung der Sparguthaben. Sie unterfertigte am 7. November 2017 drei von der Beklagten vorbereitete Formulare, in denen sie jeweils um Schließung des Bankkontos innerhalb von sieben Bankwerktagen oder per 8. November 2017 und um Überweisung auf ihr bei der Beklagten geführtes Girokonto ersuchte. Aufgrund ihrer Mitteilung, die Losungsworte (naturgemäß) nicht zu kennen, wurden ihr von der Beklagten darüber hinaus drei weitere Formulare vorgelegt, die jeweils die Erklärung enthielten, dass sie Eigentümerin der näher bezeichneten, bisher anonymen Sparurkunde sei, das Losungswort vergessen habe und sich verpflichte, die Beklagte schad- und klaglos zu halten, falls irgendwelche Ansprüche gegen diese aus der Bekanntgabe des Losungsworts an sie und der damit verbundenen Möglichkeit, Verfügungen über das Sparbuch zu treffen, erhoben würden. Die Klägerin wies sich gegenüber der Beklagten durch ihren österreichischen Reisepass aus.
[3] Mit Schreiben vom 2. Jänner 2018 retournierte die Beklagte die drei Sparbücher an die Klägerin und teilte ihr mit, eine nochmalige juristische Prüfung habe ergeben, dass der Finder eines vinkulierten Sparbuchs mangels Kenntnis des Losungsworts auch nach Abgabe einer Schad- und Klagloserklärung nicht über die Spareinlage verfügen könne.
[4] Die Klägerin begehrte zunächst die Zahlung von 65.405,55 EUR samt 4 % Zinsen aus je 21.801,85 EUR seit 29. Dezember 1998, 13. April 1999 und 12. Mai 1999; in der Folge modifizierte sie ihr Begehren dahin, dass die Beklagte ihr Zug um Zug gegen Aushändigung der Originalsparbücher 65.405,55 EUR „sowie die auf den Sparbüchern seit deren Eröffnung angereiften Guthabenszinsen“ und darüber hinaus gesetzliche Zinsen aus der Summe der Spareinlagen und der angereiften Guthabenszinsen seit dem 7. November 2017 (dem Tag der erstmaligen Auszahlungsaufforderung an die Beklagte) zu zahlen habe. Sie habe gemäß § 395 ABGB Eigentum an den Sparbüchern erworben. Aufgrund ihrer materiellen Berechtigung stehe die Unkenntnis des Losungsworts der Auszahlung nicht entgegen. Bei den Sparbüchern handle es sich nicht um Namenspapiere (Rektapapiere), sondern um Inhaberpapiere. Durch Vereinbarung eines Losungsworts werde das Sparbuch nicht zum Namenspapier. Wer das Überbringersparbuch überbringe, verfüge über einen sofort und unmittelbar fälligen Anspruch auf Auszahlung der verbrieften Forderung. Da es sich um Sparbücher nach der Rechtslage vor der BWG‑Novelle 2000 handle, sei es irrelevant, dass keine Identifizierung des seinerzeitigen Kunden (des Rechtsvorgängers der Klägerin) erfolgt sei und jetzt nicht mehr nachgeholt werden könne, und dass die Einlagestände jeweils über 15.000 EUR lägen. Die Auflösung der Sparbücher habe nach Maßgabe der Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung zu erfolgen. Abgesehen davon könne den Sorgfaltspflichten der Bank nach dem FM-GwG problemlos entsprochen werden, weil die Identität der Klägerin klar und auch ihr Erwerbstitel amtlich bescheinigt sei.
[5] Die Beklagte wendete ein, bei allen drei Sparbüchern handle es sich um sogenannte Großbetragssparbücher, weil der Guthabensstand jeweils zumindest 15.000 EUR betrage. Gemäß § 32 Abs 4 Z 2 BWG dürfe die Auszahlung daher nur an den identifizierten Kunden – also den Eröffner des Sparbuchs – erfolgen. Eine Identifizierung des Eröffners sei bei Eröffnung der Sparbücher noch nicht vorgeschrieben gewesen und auch nach Inkrafttreten der BWG-Novelle 2000 nicht erfolgt. Mangels Kundenidentifizierung sei eine Auszahlung aus den Sparbüchern gesetzlich verboten. Die Auffassung der Klägerin, sie sei aufgrund des Fundes der Sparbücher deren Eigentümerin und materiell Berechtigte der verbrieften Sparguthaben, sei verfehlt, weil die Forderung auf Auszahlung eines Sparguthabens eine unkörperliche Sache sei und nur körperliche Sachen gefunden werden könnten. Bei den Sparbüchern handle es sich um Rektapapiere; Forderungen daraus könnten nur durch Zession und nicht durch Übergabe des Wertpapiers nach sachenrechtlichen Grundsätzen übertragen werden. Seit der BWG-Novelle 2000 gebe es keine Überbringersparbücher mehr. Das Zinsenbegehren sei unschlüssig, weil die Klägerin jeweils 4 % Zinsen ab Eröffnung des Sparbuchs begehre, obwohl nicht bei sämtlichen Sparbüchern die gesamte Einlage bereits bei der Eröffnung bezahlt worden sei. Darüber hinaus seien nicht 4 % Zinsen jährlich vereinbart worden.
[6] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte mit Teilurteil, der Klägerin Zug um Zug gegen Aushändigung der drei (durch Angabe der Nummern und der Eröffnungsdaten näher bezeichneten) „Kapitalsparbücher“ [richtigerweise handelt es sich um ein Kapitalsparbuch und zwei täglich fällige Sparbücher, siehe Beilagen ./A bis ./C und ./H bis ./J] den Betrag von 65.405,55 EUR samt 4 % Zinsen seit 9. November 2017 zu zahlen, wies das Zinsenmehrbegehren für den Zeitraum 7. bis 8. November 2017 unbekämpft ab und behielt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vor. Bei einem Überbringersparbuch handle es sich nach herrschender Meinung um ein unvollkommenes Inhaberpapier, das nach sachenrechtlichen Regeln übertragen und verpfändet werden könne. Ein Erwerb nach § 371 ABGB komme nach der Rechtsprechung zwar nicht in Betracht, ein Erwerb durch Fund gemäß § 395 ABGB sei aber nicht ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 395 ABGB seien hier erfüllt, sodass die Klägerin mit Ausfolgung der Sparbücher an sie durch das Fundamt Eigentümerin auch der Spareinlagen geworden sei. Für – wie hier – vor dem 1. November 2000 ausgegebene, auf Inhaber/Überbringer lautende Sparurkunden ordne § 103b BWG an, dass Ein- und Auszahlungen nach dem 30. Juni 2002 nur erfolgen dürften, wenn die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 BWG erfüllt seien. Dies bedeute, dass diese Sparurkunden nach diesem Zeitpunkt auf eine bestimmte Bezeichnung lauten müssten. Soweit diese Umwandlung nicht erfolgt sei, bestimme § 40 Abs 1 BWG, dass Ein- und Auszahlungen nach dem 30. Juni 2002 erst nach Identifizierung des Kontos bzw Kontoinhabers (Sparers) erfolgen dürften. Kontoinhaberin sei hier die Klägerin, die die Sparbücher durch Fund erworben und sich gegenüber der Beklagten auch identifiziert habe. Da die Klägerin das Losungswort nicht angeben könne, müsse sie gemäß § 31 Abs 3 BWG aF ihr Verfügungsrecht über die Spareinlage nachweisen. Diesen Nachweis (Eigentumserwerb durch Fund) habe sie erbracht. Da die Klägerin zuletzt neben den bezifferten Einzahlungsbeträgen auch die Zahlung der seit Eröffnung der Sparbücher angereiften Guthabenszinsen begehrt habe, könne vorerst nur ein Teilurteil gefällt werden, weil mit der Klägerin noch nicht erörtert worden sei, dass es sich dabei um ein bislang nicht bestimmbares Leistungsbegehren handle.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, wies das Klagebegehren, soweit es Gegenstand des Teilurteils des Erstgerichts war, ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei. Sparurkunden könnten auf eine bestimmte Bezeichnung, insbesondere auf den Namen des gemäß den Bestimmungen des FM-GwG identifizierten Kunden lauten. Gemäß §§ 5 f FM-GwG hätten die Kredit- und Finanzinstitute ua vor Beginn einer dauernden Geschäftsbeziehung, wozu insbesondere das Spareinlagengeschäft nach § 31 Abs 1 BWG gelte, die Identität des Kunden festzustellen. Auszahlungen dürften gemäß § 32 Abs 2 BWG nur gegen Vorlage der Sparurkunde geleistet werden. Bei Spareinlagen, deren Guthabensstand – wie hier – mindestens 15.000 EUR betrage, dürfe unbeschadet eines Verfügungsvorbehalts gemäß § 31 Abs 3 BWG (Losungswort) und unbeschadet der Identitfizierungspflicht gemäß § 5 Z 3 FM-GwG bei Ein- und Auszahlungen von mindestens 15.000 EUR gemäß § 32 Abs 4 Z 2 BWG nur an den gemäß den Bestimmungen des FM-GwG identifizierten Kunden ausbezahlt werden. Während ein mit einem Losungswort vinkuliertes Kleinbetragssparbuch mit einem 15.000 EUR nicht übersteigenden Guthabensstand, bei dem die Auszahlung gemäß § 31 Abs 3 BWG nur die Vorlage der Sparurkunde und die Angabe des Losungsworts voraussetze, nach überwiegender Lehre als Inhaberpapier gelte, sodass insbesondere die Frage der Übertragbarkeit nach den Regeln für bewegliche körperliche Sachen zu lösen sei, dürfe bei einem Großbetragssparbuch, dh bei Spareinlagen, deren Guthabensstand mindestens 15.000 EUR betrage, gemäß § 32 Abs 4 Z 2 BWG nur an den gemäß den Bestimmungen des FM-GwG identifizierten Kunden ausbezahlt werden. Bei solchen Sparbüchern könne daher aus der Innehabung allein noch nicht auf eine Berechtigung des Vorlegers geschlossen werden; vielmehr sei seine materiell-rechtliche Legitimation zu prüfen. Ein Großbetragssparbuch sei daher wertpapierrechtlich als Rektapapier zu qualifizieren. Damit werde der Rechtsübergang aber nicht nach sachenrechtlichen Grundsätzen vollzogen, sondern durch Zession. Daraus folge, dass die Klägerin an den Sparbüchern kein Eigentum gemäß § 395 ABGB erwerben habe können. Abgesehen davon seien die Vorschriften der §§ 388 ff ABGB auf Sparurkunden generell nicht anwendbar, weil für den Verlust von Sparurkunden Sonderbestimmungen bestünden (§ 31 Abs 4 BWG).
[8] In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin zusammengefasst geltend, bei den Sparbüchern handle es sich trotz der nachträglichen Gesetzesänderung nach wie vor um anonyme Überbringersparbücher und damit um Inhaberpapiere. Weder die BWG-Novelle 2000 noch die Einführung des FM-GwG hätten die anonymen Inhabersparbücher automatisch in Namenspapiere umgewandelt. Es habe auch keine Verpflichtung bestanden, Altsparbücher bis zu einem bestimmten Termin in Sparbücher nach neuer Rechtslage umzuwandeln. Gemäß § 31 Abs 5 BWG sei seit dem 30. Juni 2002 nur die rechtsgeschäftliche Übertragung von Sparurkunden unzulässig. Ein originärer Eigentumserwerb, wie hier nach § 395 ABGB, sei daher nicht ausgeschlossen. Seit dem 30. Juni 2002 dürfe zwar aus Sparbüchern mit einem Einlagestand von mehr als 15.000 EUR keine anonyme Auszahlung mehr erfolgen, es sei aber nur derjenige zu identifizieren, der das Guthaben liquidiere, und nicht der seinerzeitige Einleger. Die Identität der Klägerin sei der Beklagten hinlänglich bekannt. Dass die Klägerin die Losungsworte der Sparbücher nicht kenne, schade nicht, weil sie ihre materielle Berechtigung nachgewiesen habe.
[9] Die Beklagte beantragt in ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
[11] 1. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Auszahlung der Sparguthaben darauf, dass sie gemäß § 395 ABGB originär Eigentum erworben habe. Dass es möglich ist, an einem gefundenen Sparbuch – einer beweglichen körperlichen Sache (§ 388 ABGB) – Eigentum nach § 395 ABGB zu erwerben, ist nicht zu bezweifeln. Von entscheidender Bedeutung ist hier jedoch die Beantwortung der Frage, ob ein Eigentumserwerb nach § 395 ABGB auch den Anspruch auf Auszahlung des Guthabens aus dem gefundenen (Überbringer‑)Sparbuch verschafft.
[12] 2.1. Die drei Sparbücher wurden – entsprechend der Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Eröffnung, also vor der BWG-Novelle 2000, als (vinkulierte) Überbringersparbücher gestaltet. Bei einem Überbringersparbuch handelt(e) es sich um ein Inhaberpapier iSd § 1393 Satz 3 ABGB (1 Ob 622/94 SZ 68/44 mwN; 4 Ob 170/11w SZ 2012/27).
[13] 2.2. Nur echte Inhaberpapiere können nach sachenrechtlichen Grundsätzen mit Gutglaubensschutz übertragen werden. Nach herrschender Meinung ist der Kreis der (echten) Inhaberpapiere geschlossen. Nur den echten Inhaberpapieren kommen besondere Rechtswirkungen zu, die von den Parteien nicht beliebig herbeigeführt werden können (RS0110564).
[14] 2.3. Rechte aus Inhaberpapieren werden grundsätzlich durch Übereignung des Papiers nach den für die Übereignung beweglicher Sachen geltenden Regeln übertragen (1 Ob 173/14v SZ 2014/96). Inhaberpapiere erfordern vom Inhaber keinen Nachweis seiner materiellen Berechtigung aus dem Papier. Die Unterscheidung der Wertpapiere danach, ob der Papierinhaber den Nachweis seiner materiellen Berechtigung zu erbringen hat, lässt bei Ausklammerung der Orderpapiere keinen Mischtyp zu: Entweder ist ein solcher Nachweis nicht erforderlich, dann handelt es sich um ein Inhaberpapier, oder der Papierinhaber muss seine materielle Berechtigung nachweisen, dann liegt eben ein Rektapapier vor (RS0041394). Die Bank war bei nicht vinkulierten, auf Überbringer lautenden Sparurkunden verpflichtet, an den Inhaber der Sparurkunde bloß aufgrund des Papiers zu zahlen (RS0041394 [T2]). Der Erwerb von Einlagen, die durch nicht oder bloß mittels Losungswort vinkulierte, auf Überbringung lautende Sparurkunden verkörpert sind, erfolgt nach sachenrechtlichen Regeln. Ein Erwerb nach § 371 ABGB kommt bei Sparbüchern nicht in Betracht, wohl aber ein gutgläubiger Pfandrechts- oder Eigentumserwerb (6 Ob 56/99z; 7 Ob 128/04f je mwN).
[15] 3.1. Gegenstand des Fundes können gemäß § 388 ABGB verlorene und vergessene Sachen sein; verloren sind bewegliche, in niemandes Gewahrsame stehende Sachen, die ohne den Willen des Inhabers aus seiner Gewalt gekommen sind (Abs 1), und vergessen sind bewegliche Sachen, die ohne den Willen des Inhabers an einem fremden, unter der Aufsicht eines anderen stehenden Ort zurückgelassen worden und dadurch in fremde Gewahrsame gekommen sind (Abs 2). Ob im Anlassfall die Sparbücher verloren oder vergessen wurden, ist hier ohne Bedeutung, weil es für die Frage des Eigentumserwerbs des Finders auf diese Differenzierung nicht ankommt (Eccher/Riss in KBB6 § 388 Rz 2).
[16] 3.2. Der Finder hat den Fund gemäß § 390 ABGB unverzüglich der zuständigen Fundbehörde unter Abgabe der gefundenen Sache anzuzeigen. Gemäß § 395 ABGB erwirbt er, wenn die Sache innerhalb eines Jahres ab Erstattung der Anzeige von keinem Verlustträger angesprochen wird, mit Ausfolgung der Sache an ihn Eigentum daran.
[17] 4. Zur Frage, ob an einer in einem Überbringersparbuch verbrieften Spareinlage Eigentum nach § 395 ABGB erworben werden kann, fehlt bisher Rechtsprechung.
[18] 5. In der Lehre wird, soweit diese Frage überhaupt thematisiert wird, dazu Folgendes vertreten:
[19] 5.1. Nach Spielbüchler in Rummel 3 § 392 ABGB Rz 3 erstrecken sich Benützungsrecht und Eigentumserwerb „nur auf die gefundene Sache, nicht auf den dadurch eröffneten Zugriff auf andere Vermögenswerte (Spareinlage oder Pfandgut)“; eine nähere Begründung (oder eine Belegstelle) findet sich dazu nicht. In der aktuellen Auflage dieses Kommentars (vgl Holzner in Rummel/Lukas 4 zu § 395 ABGB) wird diese Meinung nicht mehr vertreten.
[20] 5.2. Avancini in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht1 I Rz 9/109 differenziert danach, ob eine Inhabersparurkunde oder eine Rektasparurkunde gefunden wurde; während ein Eigentumserwerb an einer Rektasparurkunde die Gläubigerschaft an der Spareinlage nicht berühre, erfasse der Eigentumserwerb beim Inhaberpapier auch die Spareinlage.
[21] 5.3. Apathy in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht2 II Rz 3/117 gibt zum Thema „Erwerb der Spareinlage durch den Finder?“ zunächst die Auffassung von Spielbüchler (siehe 5.1.) und die gegenteilige Meinung von Avancini (5.2.) wieder und vertritt im Anschluss die Ansicht, es sei zu berücksichtigen, dass bei nicht auf den Namen des identifizierten Kunden lautenden Kleinbetragssparbüchern ein Losungswort zwingend zu vereinbaren sei (§ 31 Abs 3 BWG); der Finder, der das Losungswort nicht kenne, könne daher nicht über das Guthaben verfügen. Da § 31 BWG für diesen Fall keine Befreiung von der Notwendigkeit, das Losungswort zu nennen, vorsehe, spreche dies dafür, auch bei Inhabersparbüchern keinen Erwerb der Spareinlage nach § 395 ABGB zuzulassen. Diese Beurteilung trage auch dem Zweck der Abschaffung anonymer Sparbücher Rechnung, Geldwäsche zu verhindern. Könnte man nämlich durch Verschweigung des bisher Berechtigten Spareinlagen erwerben, wäre dies ein probates Mittel zur Geldwäsche.
[22] 6.1. § 31 BWG („Sparurkunden“) bestimmt in seinem Abs 3 (idgF): „Bei Spareinlagen, deren Guthabenstand weniger als 15 000 Euro oder Euro-Gegenwert beträgt, und die nicht auf den Namen des gemäß den Bestimmungen des FM-GwG identifizierten Kunden lauten, muss der Vorbehalt gemacht werden, dass Verfügungen über die Spareinlage nur gegen Angabe eines von ihm bestimmten Losungswortes vorgenommen werden dürfen. [...] Wurde der Vorbehalt durch Angabe eines Losungswortes gemacht, so hat der Vorleger der Sparurkunde bei Verfügungen das Losungswort anzugeben oder, wenn er hiezu nicht imstande ist, sein Verfügungsrecht über die Spareinlage nachzuweisen. § 5 Z 3 FM-GwG bleibt unberührt. Über eine Spareinlage, die von Todes wegen erworben worden ist, kann ohne Angabe des Losungswortes verfügt werden; dasselbe gilt für den Fall der Vorlage der Sparurkunde im Zuge einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Zwangsvollstreckung.“
[23] 6.2. Vordergründig ist daherApathy dahin zuzustimmen, dass sich § 31 Abs 3 BWG nur auf Kleinbetragssparbücher beziehe und es daher für Sparbücher mit einem Guthabensstand von zumindest 15.000 EUR keine entsprechende Regelung für den Fall der Unkenntnis des Losungsworts gebe.
[24] 6.3. Allerdings regelt § 32 BWG („Einzahlungen, Auszahlungen und Verzinsung“) in seinem Abs 4 (idgF) Folgendes: „Unbeschadet eines Verfügungsvorbehalts gemäß § 31 Abs 3 und unbeschadet § 5 Z 3 FM-GwG ist das Kreditinstitut zur Auszahlung gegen Vorlage der Sparurkunde und nach Maßgabe der folgenden Z 1 bis 3 berechtigt:
[…] 2. bei Spareinlagen, deren Guthabenstand mindestens 15 000 Euro oder Euro-Gegenwert beträgt, oder die auf den Namen des gemäß den Bestimmungen des FM‑GwG identifizierten Kunden lauten, darf nur an den gemäß den Bestimmungen des FM-GwG identifizierten Kunden ausbezahlt werden […]“. Durch diesen Verweis auf § 31 Abs 3 BWG ist aber auch für mit Losungswort vinkulierte Großbetragssparbücher die Möglichkeit eröffnet, dessen Kenntnis durch Nachweis der materiellen Berechtigung zu substituieren. Damit ist aber der Argumentation von Apathy die Grundlage entzogen.
[25] 6.4. Aus der Vorschrift des § 31 Abs 4 BWG lässt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht ableiten, dass Sparbücher nicht Gegenstand eines Fundes nach §§ 388 ff ABGB sein könnten. Diese Bestimmung normiert nämlich lediglich, dass ein Kreditinstitut, dem der Verlust einer Sparurkunde unter Angabe des Namens, der Anschrift und des Geburtsdatums des Verlustträgers gemeldet wurde, den behaupteten Verlust in den Aufzeichnungen zu der betreffenden Spareinlage zu vermerken hat und innerhalb von vier Wochen nach einer solchen Meldung keine Auszahlung aus der Spareinlage leisten darf, bezieht sich also nicht auf den hier vorliegenden Fall.
[26] 6.5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass im Fall des originären Eigentumserwerbs an einem (vor der BWG-Novelle 2000 eröffneten) Überbringersparbuch durch Fund auch der Anspruch auf Auszahlung des Sparguthabens auf den Finder übergeht.
[27] 7. Seit Inkrafttreten der BWG-Novelle 2000 gibt es – jedenfalls bei einem Einlagestand von zumindest 15.000 EUR (zu sog Kleinbetragssparbüchern siehe 4 Ob 170/11w) – keine Inhabersparbücher (anonyme Überbringersparbücher) mehr. Seither müssen Sparbücher entweder auf den Namen einer bestimmten Person lauten (Namenssparbücher) oder eine sonstige Bezeichnung haben (Bezeichnungssparbücher). Bei Bezeichnungssparbüchern wird zwischen Klein- und Großbetragssparbüchern unterschieden; Kleinbetragssparbücher sind zwingend mit einem Losungswort zu versehen und ihre Guthaben dürfen an jeden identifizierten Vorleger der Sparurkunde ausbezahlt werden, der das Losungswort nennt (§ 32 Abs 4 Z 1 BWG), während die Auszahlung aus sog Großbetragssparbüchern gemäß § 32 Abs 4 Z 2 BWG nur an den gemäß (früher: § 40 Abs 1 BWG; nunmehr:) den Bestimmungen des FM-GwG identifizierten Kunden erfolgen darf. Das bedeutet aber nicht, dass vor Inkrafttreten der BWG-Novelle 2000 zulässigerweise eröffnete anonyme (Überbringer‑)Sparbücher mit einem Einlagestand von zumindest 15.000 EUR (bzw Euro-Gegenwert) rückwirkend abgeschafft worden wären:
[28] 7.1. Nach der Übergangsvorschrift des § 103b Abs 1 BWG (idgF) gelten die Bestimmungen des § 31 Abs 1 und 3 und des § 32 Abs 4 idF der BWG-Novelle 2000 für neu abgeschlossene Spareinlagenverträge ab dem 1. November 2000; bei zu diesem Zeitpunkt bestehenden Sparbüchern, die nicht auf Namen des Kunden lauten, insbesondere Überbringersparbüchern, dürfen unbeschadet § 40 Abs 1 Z 4 idF BWG-Novelle 2000 Ein- und Auszahlungen nach dem 30. Juni 2002 nur erfolgen, wenn zuvor die in § 31 Abs 1 idF BWG-Novelle 2000 genannten Voraussetzungen erfüllt wurden.
[29] 7.2. § 31 Abs 1 BWG idF BWG-Novelle 2000 lautete: „Spareinlagen sind Geldeinlagen bei Kreditinstituten, die nicht dem Zahlungsverkehr, sondern der Anlage dienen und als solche nur gegen die Ausfolgung von besonderen Urkunden (Sparurkunden) entgegengenommen werden dürfen. Sparurkunden können auf eine bestimmte Bezeichnung, insbesondere auf den Namen des gemäß § 40 Abs 1 identifizierten Kunden lauten, die Verwendung anderer Namen als des gemäß § 40 Abs 1 identifizierten Kunden ist jedenfalls unzulässig.“
[30] 7.3. § 40 Abs 1 BWG idF BWG-Novelle 2000 lautete: „Die Kredit- und Finanzinstitute haben die Identität eines Kunden festzuhalten
1. bei Anknüpfung einer dauernden Geschäftsbeziehung […];
2. bei allen nicht in den Rahmen einer dauernden Geschäftsbeziehung fallenden Transaktionen, deren Betrag sich auf mindestens 200.000 S oder Schilling-Gegenwert beläuft, und zwar unabhängig davon, ob die Transaktion in einem einzigen Vorgang oder in mehreren Vorgängen, zwischen denen eine Verbindung offenkundig gegeben ist, getätigt wird; ist der Betrag zu Beginn der Transaktion nicht bekannt, so ist die Identität dann festzuhalten, sobald der Betrag bekannt ist und festgestellt wird, dass er mindestens 200.000 S oder Schilling-Gegenwert beträgt;
3. wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Kunde objektiv an Transaktionen mitwirkt, die der Geldwäscherei (§ 165 – unter Einbeziehung von Vermögensbestandteilen, die aus einer strafbaren Handlung des Täters selbst herrühren – und § 278a Abs 2 StGB) dienen;
4. nach dem 31. Oktober 2000 bei jeder Einzahlung auf Spareinlagen und nach dem 30. Juni 2002 auch bei jeder Auszahlung von Spareinlagen, wenn der ein- oder auszuzahlende Betrag mindestens 200.000 S oder Schilling-Gegenwert beträgt.“
[31] 7.4. Der Verweis des § 103b auf § 31 Abs 1 BWG kann daher nur so verstanden werden, dass es bei Auszahlungen von einem vor Inkrafttreten der BWG-Novelle 2000 eröffneten Überbringersparbuch, das aufgrund des Einlagestands nunmehr als „Großbetragssparbuch“ zu qualifizieren ist, (nur) der Erfassung der Identität jener Person bedarf, an die ausgezahlt wird.
[32] 7.5. Auch im Bericht des Finanzausschusses, über dessen Vorschlag die Übergangsbestimmung ins Gesetz Eingang fand, wurde dazu ausgeführt: „Für bestehende Sparbücher war eine Übergangsregelung vorzusehen, wonach bis 31. Juni 2002 jene rechtliche Ausgestaltung zu erfolgen hat, wie sie in den genannten Bestimmungen für neu eröffnete Sparbücher ab dem 1. November 2000 gilt“ (157 BlgNR XXI. GP 5). Im Einklang damit ergibt sich überdies aus den StenProt der Nationalratssitzung, dass – anders als nach einem Vorschlag der FATF, wonach man für Sparer mangels Identifikation bis zum 30. 6. 2002 bei einem Einlagestand von mehr als 200.000 ATS eine Fondslösung vorsehen solle, was einer stillen Enteignung gleichkäme – jene Sparer, die ein Sparbuch mit einem entsprechenden Einlagestand haben und bis zum 30. Juni 2002, also in mehr als zwei Jahren nicht einmal den Weg zur Bank finden, um sich zu identifizieren, (nur) eine verschärfte Kontrolle in Kauf nehmen müssen, weil zunächst kontrolliert werden muss, ob Verdacht auf Geldwäsche besteht oder nicht, sodass eine Auszahlung erst nach einer Frist von sieben Tagen möglich ist (StenProtNR 30. Sitzung XXI. GP, 19 und 266).
[33] 7.6. Auch in der Lehre wird vertreten, dass alte Überbringersparbücher auch nach dem 30. Juni 2002 in der bisherigen rechtlichen Ausgestaltung bestehen bleiben, aber vor einer Auszahlung eine Identifizierung des Inhabers samt routinemäßiger Meldung an die Geldwäschemeldestelle des BKA zu erfolgen hat (Harrich in Laurer/M. Schütz/Kammel/Ratka, BWG4 § 32 Rz 30; Apathy in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht2 II Rz 3/27 und 3/30).
[34] 7.7. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist also nicht entscheidend, wer das Sparbuch seinerzeit eröffnet hat, sondern wer jetzt das Geld abheben möchte (wer Inhaber ist). Dass der seinerzeitige Eröffner der Sparbücher nicht mehr identifiziert werden kann, steht einer Auszahlung der Guthaben somit nicht entgegen. Vielmehr ist nur die – ohnehin bereits erfolgte – Identifizierung der Klägerin als der nunmehrigen Inhaberin erforderlich. Dass der Klägerin die Losungsworte der Sparbücher nicht bekannt sind (und auch nicht bekannt sein können), schadet nicht, weil sie, wie bereits ausgeführt (oben Punkt 6.3.), die mangelnde Kenntnis des Losungsworts durch den Nachweis ihrer materiellen Berechtigung substituieren kann.
[35] 8. Das rechtsgeschäftliche Verfügungsverbot des § 31 Abs 5 BWG gilt schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht auch für originären Eigentumserwerb.
[36] 9. Die Revision der Klägerin erweist sich daher als berechtigt, sodass das Teilurteil des Erstgerichts mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßgabe wiederherzustellen ist.
[37] 10. Gemäß § 509 Abs 1 ZPO entscheidet der Oberste Gerichtshof über die Revision grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorherige mündliche Verhandlung. Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, besteht, kein Anlass, iSd § 509 Abs 2 ZPO ausnahmsweise eine mündliche Revisionsverhandlung anzuberaumen. Der diesbezügliche Antrag der Klägerin ist daher als unbegründet abzuweisen (RS0043679 [T5]; RS0043689 [T5]).
[38] 11. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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