European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129493
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der 1957 geborene Kläger war im Zeitraum von 1. 6. 1999 bis 31. 12. 2004 und von 1. 5. 2012 bis 31. 3. 2017 selbständig als Landwirt tätig. Weiters war er in diesen Zeiträumen im Rahmen eines Dienstverhältnisses als Gemeindewaldaufseher beschäftigt.
[2] Mit Bescheid vom 28. 7. 2017 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten in diesen Zeiträumen mit der Begründung ab, dass die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten den Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 4 Schwerarbeitsverordnung (SchwerarbeitsV) nicht erfüllen.
[3] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung von Schwerarbeitszeiten. Wenngleich er mit seinen jeweils unter 8 Stunden täglich liegenden Arbeitszeiten als selbständiger Landwirt und als angestellter Gemeindewaldaufseher bei isolierter Betrachtung beider Tätigkeiten den relevanten Arbeitsenergieumsatz von 2.000 kcal nach § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV nicht erreiche, würde diese Grenze bei Berücksichtigung beider Tätigkeiten zusammen und der daraus resultierenden zumindest elfstündigen täglichen Arbeitszeit bei weitem überschritten.
[4] Die Beklagte wiederholte ihren bereits im Bescheid vertretenen Rechtsstandpunkt.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[6] Es legt seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
[7] Bei einer Fünftageswoche arbeitete der Kläger durchschnittlich 6,13 Stunden täglich als Gemeindewaldaufseher und 6,02 Stunden täglich als Landwirt. Ausgehend von diesen Arbeitszeiten erreicht der tägliche Arbeitsenergieumsatz bei isolierter Betrachtung weder als Landwirt noch als Gemeindewaldaufseher 2.000 kcal täglich. Diese Belastungsgrenze wäre nur bei Berücksichtigung beider Tätigkeiten im Sinn einer „Addition“ der 6,13 Stunden täglich als Landwirt und der zusätzlich 6,02 Stunden täglich als Gemeindewaldaufseher ausgeübten Tätigkeiten zusammen überschritten. Wäre der Kläger nur als Landwirt tätig gewesen, hätte er bei einer Arbeitszeit von 12,15 Stunden (6,13 und 6,02) einen täglichen Arbeitsenergieumsatz von 2.000 kcal (bezogen auf das gesamte Jahr) überschritten.
[8] Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass auch mehrere Tätigkeiten die Ausübung von Schwerarbeit begründen können. Schwerarbeitsmonate werden aber nur dann erworben, wenn eine oder mehrere besonders belastende Tätigkeiten im Sinne des § 1 SchwerarbeitsV mindestens in der Dauer von 15 Tagen in einem Kalendermonat ausgeübt worden seien. Jede der ausgeübten Tätigkeiten jeweils für sich müsse daher eine besonders belastende Berufstätigkeit sein. Bei überschneidender Ausübung mehrerer selbständiger oder unselbständiger Tätigkeiten seien für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen, die jeweils für sich Schwerarbeit seien. Diese Voraussetzung erfülle weder die Tätigkeit des Klägers als selbständiger Landwirt noch seine Tätigkeit als Gemeindewaldaufseher.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es legte seiner Entscheidung (von der Revision unbestritten gelassen) weiters zugrunde, der Kläger sei als Waldaufseher im Wesentlichen mit der Waldbewirtschaftung sowie der Weg- und Wildbachbetreuung befasst gewesen; demgegenüber habe seine Tätigkeit als Landwirt in weit überwiegendem Ausmaß aus dem Betreuen von Haustieren bestanden. Das Berufungsgericht billigte (mit ausführlicher Begründung) die Rechtsansicht des Erstgerichts und ließ die Revision unter Hinweis darauf zu, dass sich das Berufungsgericht an der (aktuellen) Entscheidung 10 ObS 89/18p orientieren haben könne, diese Entscheidung in der Literatur aber Kritik erfahren habe.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[11] 1. Als Tätigkeiten, die unter körperlich besonders belastenden Bedingung erbracht werden, gelten alle Tätigkeiten, die als schwere körperliche Arbeit geleistet werden. Diese liegt vor, wenn bei einer 8-stündigen täglichen Arbeitszeit von Männern mindestens 2.000 Arbeitskilokalorien verbraucht werden (§ 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung, BGBl II 2006/104 [SchwerarbeitsV]).
[12] 2.1 Ein Schwerarbeitsmonat ist jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a ASVG begründet (§ 4 SchwerarbeitsV).
[13] 2.2 Die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten soll jenen Versicherten offenstehen, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit tatsächlich besonders belastenden Formen von Schwerarbeit ausgesetzt waren (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9). Für die Frage, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, ist daher die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ausschlaggebend (RS0130802), dies unabhängig davon, ob die jeweilige Tätigkeit als selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (10 ObS 117/16b, SSV‑NF 30/82 = DRdA 2017/43, 400 [Bell]; 10 ObS 89/18p SSV‑NF 32/73 = DRdA 2019/50, 529 [Bell] = ZAS 2019/50, 281 [Heckenast]).
[14] 2.3 Die Angabe von acht Stunden in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV stellt nach der Rechtsprechung nur einen Richtwert dar. Aus der Anlage zur Schwerarbeitsverordnung, in der die Grundsätze der Feststellung körperlicher Schwerarbeit festgelegt werden, gehe hervor, dass sich bei der körperlichen Schwerarbeit der Arbeitsenergieumsatz aus dem Gesamtenergieumsatz pro Arbeitstag bezogen auf den Regelfall einer achtstündigen Arbeitszeit ergibt. Zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen wurde auch der Nachweis zugelassen, dass (bei Ausübung einer oder auch mehrerer Tätigkeiten) der geforderte Arbeitskilojouleverbrauch nicht schon bei achtstündiger Arbeitszeit überschritten wird, sondern erst bei längeren Arbeitszeiten (RS0129750; 10 ObS 151/19g). Der Versicherte kann auch nachweisen, dass er aufgrund der besonderen Schwere der Tätigkeit auch bei kürzeren Arbeitszeiten den geforderten Arbeitskalorienverbrauch erfüllt (RS0129751).
[15] 3. In der Entscheidung 10 ObS 89/18p, (SSV‑NF 32/73) hat der Oberste Gerichtshof zur Frage des Vorliegens von Schwerarbeitszeiten bei einer Kombination von mehreren beruflichen Tätigkeiten (unselbständig und selbständig) Stellung genommen. Aus dem Wortlaut des § 4 SchwerarbeitsV folge, dass im Fall der Ausübung mehrerer Tätigkeiten neben‑ oder nacheinander jede dieser Tätigkeiten für sich die Kriterien des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllen müssen. Aus der Wendung („in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden“) sei erkennbar, dass bei Vorliegen mehrerer unter § 1 Abs 1 Z 1 bis Z 6 SchwerarbeitsV fallender (unterschiedlicher) Tätigkeiten die Gleichbehandlung vorausgesetzt sei (10 ObS 23/16d SSV‑NF 30/30 = DRdA 2017/4, 37 [De Brito]). Für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats seien daher nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen, die für sich besonders belastende Tätigkeiten gemäß § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV seien. Als Beispiel für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats können etwa 5 Tage Arbeit bei Hitze [§ 1 Abs 1 Z 2 SchwerarbeitsV] zuzüglich 11 Tage körperliche Schwerarbeit [§ 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV]) genannt werden.
[16] 4. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung in vertretbarer Weise auf den vorliegenden, der Entscheidung 10 ObS 89/18p vergleichbaren Sachverhalt angewendet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger – bei Einzelbetrachtung der unterschiedlichen Tätigkeiten – der Nachweis nicht gelungen sei, dass er aufgrund der besonderen Schwere der Tätigkeit auch bei seinen jeweils acht Stunden unterschreitenden Arbeitszeiten den geforderten Arbeitskalorienverbrauch erreicht habe.
[17] 5. Die Revision hält dem entgegen, dass die Entscheidung 10 ObS 89/18p (SSV‑NF 32/73) im Hinblick auf die in der Literatur erfolgte Kritik korrekturbedürftig sei. Sowohl Bell, Schwerarbeit quo vadis? DRdA 2019/50, 527 [531], und Heckenast, Körperliche Schwerarbeit bei überschneidender Ausübung mehrerer Tätigkeiten, ZAS 2019/50, 281 [283], gingen davon aus, das Erreichen der relevanten Arbeitskaloriengrenze könne nicht davon abhängen, ob eine oder mehrere Tätigkeiten ausgeübt werden bzw in wie vielen Dienstverhältnissen bzw selbständigen Tätigkeiten die Arbeitsenergie umgesetzt werde.
[18] 5.1 Heckenast gründet seine Ansicht auf die Prämisse, der Verordnungsgeber gehe vom physikalischen Grundsatz „Leistung = Arbeit : Zeit“ aus, weshalb man Arbeit in Relation zu einer Zeiteinheit setzen und (insbesondere bei Vorliegen von mehreren Tätigkeiten) den Arbeitsenergieumsatz bezogen auf eine Arbeitsstunde messen müsse.
[19] 5.2 Dieser Ansicht ist der Oberste Gerichtshof bereits in der (erst nach Einbringung der Revision veröffentlichten) Entscheidung 10 ObS 151/19g im Hinblick auf die in § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV und der Anlage zu ihrem § 3 verwendeten Formulierungen nicht gefolgt. § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV iVm § 3 SchwerarbeitsV und der Anlage zur SchwerarbeitsV nehme eindeutig eine Tagesbetrachtung vor (Rainer/Pöltner in SV-Komm [166. Lfg] § 4 APG Rz 157).
[20] 5.3 Gegen die Richtigkeit dieser Rechtsansicht wird in der Revision nicht argumentiert. Im Übrigen führt im vorliegenden Fall auch die fiktive Hochrechnung jeder der beiden Tätigkeiten (für sich) auf jeweils acht Stunden nicht dazu, dass der Kläger bei Ausübung seiner Tätigkeiten den Grenzwert von 2.000 kcal erreicht bzw überschreitet.
[21] 6.1 Auch die Begründung von Bell, es komme zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Differenzierung zwischen Arbeitnehmern, die zB bei neunstündiger Arbeitszeit lediglich einer Tätigkeit nachgehen und jenen, die mehrere Tätigkeiten iSv § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV ausführen, bietet keinen Anlass von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen:
[22] 6.2 Wie bereits in der Entscheidung 10 ObS 89/18p (SSV‑NF 32/73) dargelegt, stellt die in § 4 SchwerarbeitsV verwendete Formulierung „Ein Schwerarbeitsmonat ist jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 ... ausgeübt werden“ darauf ab, dass jede Tätigkeit für sich eine besonders belastende Berufstätigkeit sein muss.
[23] 6.3 Eine Kumulation von Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV mit jenen des § 1 Abs 1 Z 1–3 der SchwerarbeitsV ist daher unzulässig. Wie der Verfassungsgerichtshof ausführt, führen bestimmte erschwerende Elemente des einen Tatbestands nicht zur Qualifikation als Schwerarbeit, wenn sie nicht in ausreichender Intensität vorliegen. Ein Ausgleich durch andere Elemente (die für sich allein nicht Schwerarbeit sind) sei nicht möglich (VfGH G 20/11, V 13/11 VfSlg 19.530/2011).
[24] 6.4 Die Intention des Verordnungsgebers geht auch nicht dahin, die Erhöhung des Richtwerts von acht Stunden in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV – etwa durch eine parallel ausgeführte selbständige Erwerbstätigkeit – zu dem Zweck zuzulassen, dass die in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV definierte Kaloriengrenze allein durch die Ausdehnung der Arbeitszeit überschritten werden kann, obgleich die verrichteten Tätigkeiten für sich gesehen nicht besonders belastend sind. Wird beispielsweise neben einer Tätigkeit, bei der die Belastungsgrenze nicht erreicht wird, eine leichte Handarbeit im Sitzen ausgeführt, könnte der Energieverbrauch die Belastungsgrenze auch nach nur kurzer Ausübung dieser Nebentätigkeit überschreiten. In einem derartigen Fall soll keine Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vorliegen.
[25] 6.5 Dem Vorwurf, § 4 SchwerarbeitsV verletze den Gleichheitsgrundsatz, indem eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung vorgenommen werde, ist entgegenzuhalten, dass bei Richtigkeit dieser Ansicht, gegenüber Versicherten in der Lage des Klägers jene Versicherten schlechter gestellt wären, die im Rahmen zweier (oder mehrerer) Tätigkeiten jeweils Schwerarbeit leisten (wie etwa in dem unter Pkt 3 genannten Beispiel). Dafür fehlt eine sachlich gerechtfertigte Begründung.
[26] 7. Hat der Verordnungsgeber seine rechtspolitischen Vorstellungen, bestimmte besonders belastende Schwerarbeiten (und nicht jede Art der Schwerarbeit schlechthin) für den Bereich der Schwerarbeitspension zu berücksichtigen, im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen auf die ihm geeignet erscheinende Art verwirklicht, ist ihm dies nicht verwehrt (RS0053889 [T15], RS0053959 [T4], RS0053509 [T12]). Nur sachlich nicht begründbare gesetzliche Regelungen sind verfassungsrechtlich verboten. Dabei ist unter „Sachlichkeit“ einer Regelung nicht ihre Zweckmäßigkeit oder Gerechtigkeit zu verstehen (VfGH B662/87 ua VfSlg 11.664/1988; 10 ObS 30/16h zu § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV).
[27] 8. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[28] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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