OGH 9ObA56/20f

OGH9ObA56/20f26.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau, den Hofrat Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Dr. Herbert Hübel, Mag. Thomas Payer, Mag. Susanne Payer und Mag. Michael Gruber, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle *****, vertreten durch Dr. Johannes Honsig‑Erlenburg, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Festellung des aufrechten Bestandes eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Mai 2020, GZ 12 Ra 16/20i‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00056.20F.0826.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die vom Revisionswerber als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfrage, ob die für die Kündigung eines Angestellten nach § 22 DOA vorgesehenen Wirksamkeitserfordernisse auch bei der Entlassung einzuhalten sind (insbesondere der Entlassungsgrund angegeben werden muss), ist im vorliegenden Fall nicht zu lösen, weil der Grund für die Entlassung im Entlassungsschreiben ohnedies genannt ist. Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus (RS0088931 [T8]).

2.1 Die Beurteilung, ob das Verhalten des Dienstnehmers eine vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses rechtfertigt, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (RS0106298; RS0103201 [T2] ua). Auch der Entlassungsgrund nach § 31 Abs 1 Z 3 DOA, der dann verwirklicht ist, wenn der Angestellte seine Dienstpflichten in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Eine Einzelfallentscheidung ist vom Obersten Gerichtshof aber nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste. Bewegt sich das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung und trifft es seine Entscheidung ohne krasse Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0044088 [T8, T9]).

2.2 Die Arbeitstätigkeit des Klägers bestand im Wesentlichen in der Erledigung von Kostenersatzanträgen. Die Vorinstanzen erachteten den Standpunkt der Beklagten, dass der Kläger seine Dienstpflichten in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt hat, als gerechtfertigt, nachdem er trotz wiederholter Aufforderungen Weisungen nicht befolgte, die die Kontrolle seiner Arbeitsleistung ermöglichen sollten. Diese nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgte Beurteilung steht im Einklang mit der Rechtsprechung, dass auch die Verweigerung von Kontrollmaßnahmen und die beharrliche Missachtung einer Weisung einen Entlassungsgrund darstellen können (RS0029813 [T6]; RS0082248; RS0029896). Davon, dass der Kläger der Weisung zur Übermittlung vollständiger Arbeitsaufzeichnungen über die erledigten Fälle nachkommen hätte müssen, obwohl er zwischenzeitig einen Krankenstand angetreten hatte, sind die Vorinstanzen nicht ausgegangen.

3. Die dem Kläger letztmalig gesetzte Frist zur Übermittlung vollständiger Arbeitsaufzeichnungen endete an einem Freitag. An diesem Tag langten beim beklagten Sozialversicherungsträger Aufzeichnungen des Klägers ein, die in mehrfacher Weise unvollständig waren (insbesondere die Kalenderwoche 9 wiederum nicht umfassten). Die rechtliche Beurteilung, die nach Prüfung der Aufzeichnungen am Dienstag ausgesprochene Entlassung sei nicht verfristet, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung zum Grundsatz der Unverzüglichkeit des Entlassungsausspruchs bei juristischen Personen (RS0031789; RS0082158; RS0029273).

4. Bei der Würdigung des Gesamtverhaltens des Dienstnehmers anlässlich einer Entlassung kann nach der Rechtsprechung auch auf Vorfälle zurückgegriffen werden, hinsichtlich deren der Dienstgeber zu einem früheren Zeitpunkt auf sein Kündigungs- oder Entlassungsrecht verzichtet hat und die für sich allein noch nicht eine Kündigung oder Entlassung rechtfertigen können (RS0082248 [T4]). Von dieser Rechtsprechung weichen die Vorinstanzen nicht ab, wenn sie zurückliegende Verfehlungen des Klägers nur zur Illustration für das dem geltend gemachten Entlassungsgrund zugrundeliegende Verhalten herangezogen haben (9 ObA 160/98i).

5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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