OGH 8Ob53/20g

OGH8Ob53/20g25.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch Feuchtmüller Stockert Moick Rechtsanwalt GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Gottgeisl & Leinsmer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. April 2020, GZ 40 R 58/20f‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129279

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gelten dessen Abs 2 und 3 nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird. Der hier fälschlicherweise gestellte Antrag des Beklagten auf Abänderung des Ausspruchs über die Unzulässigkeit der Revision, verbunden mit der ordentlichen Revision, ist daher in eine außerordentliche Revision nach § 505 Abs 4 ZPO umzudeuten (RIS‑Justiz RS0123405).

2.1 Ausgehend von den Feststellungen, dass der Beklagte im Bestandobjekt Nahrungsmittel, Getränkedosen, Kleidung, Bücher und elektrische Geräte in großer Zahl angesammelt hat, die Wohnung daher nur schwerzugänglich ist, und zwar über einen schmalen Pfad von der Eingangstür ins Innere, und darin ein intensiver Gestank vorherrscht, der die Erstrichterin am Betreten der Wohnung im Zuge des Ortsaugenscheins hinderte, hat das Berufungsgericht das Vorliegen des Auflösungstatbestands des erheblich nachteiligen Gebrauchs gemäß § 1118 ABGB bejaht.

Diese Beurteilung zieht der Revisionswerber nur mehr insofern in Zweifel, als er meint, dass der Oberste Gerichtshof bislang keine Stellung „zu den Anforderungen an das geforderte Bewusstsein zum nachteiligen Gebrauch“ genommen habe; dem Beklagten sei nicht bewusst gewesen und hätte aufgrund seiner psychischen Erkrankung (Messie‑Syndrom) auch nicht bewusst sein können, dass sein Verhalten hinsichtlich des Gebrauchs des Mietobjekts nachteilig sei.

2.2 Nach ständiger Rechtsprechung setzen derAuflösungstatbestand bzw Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs kein Verschulden des Mieters voraus (RS0020981; RS0020867; RS0070243 ua). Es reicht, dass dem Mieter die Nachteiligkeit seines Verhaltens bewusst war oder bewusst sein musste (RS0067957). Eine der Auflösungserklärung bzw Aufkündigung vorangehende Abmahnung ist als Erfordernis redlicher Rechtsausübung daher nur dann erforderlich, wenn dem Mieter die Schädlichkeit des Gebrauchs nicht ohne weiteres erkennbar ist oder erkennbar sein muss (RS0021058 [T3]). In der Entscheidung 8 Ob 67/14g, der die Aufkündigung eines – wie hier – am Messi‑Syndrom erkrankten Mieters wegen erheblich nachteiligen Gebrauchs zugrunde lag, hat der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 164/02t nochmals klargestellt, dass dem Mieter die Schädlichkeit seines Verhaltens nicht subjektiv erkennbar sein muss. Vielmehr wird nur die nach einem allgemeinen Maßstab von einem durchschnittlichen Mieter zu erwartende Erkennbarkeit der Schädlichkeit eines bestimmten Verhaltens zur Erfüllung des Kündigungsgrundes des erheblich nachteiligen Gebrauchs gefordert.

Es ist damit nicht mehr entscheidend, dass der Beklagte selbst im Anlassfall vorgebracht hat, der Ernst der Lage sei ihm bewusst, und darüber hinaus ausgesagt hat, er habe sich ob des Zustands der Wohnung geniert.

3. Ein Bestandverhältnis wird nach Verwirklichung eines Auflösungsgrundes gemäß § 1118 ABGB bereits mit Zugang der Auflösungserklärung beendet (RS0105354). Deshalb ist eine spätere Besserung des Verhaltens des Bestandnehmers (hier nachdem der Beklagte Kenntnis von dem Räumungsverfahren erlangt hatte) rechtlich bedeutungslos (10 Ob 62/04x ua).

Überdies spricht der Revisionswerber ohnehin nur davon, dass ein „Fortschritt“ eingetreten wäre bzw er mit Aufräumarbeiten in der Küche begonnen habe, die – wie bereits das Berufungsgericht festgehalten hat – nach den Feststellungen bloß ganz geringfügig waren und eine positive Zukunftsprognose nicht begründen könnten.

4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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