OGH 8Ob8/20i

OGH8Ob8/20i29.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richterin der Rechtssache der klagenden Partei Erwin B*, vertreten durch Lackner & Hausmann Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch Dr. Manfred Moser, Rechtsanwalt in Pöttsching, wegen 6.890,70 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2019, GZ 13 R 66/19g‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Oberpullendorf vom 29. Jänner 2019, GZ 2 C 331/18i‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128778

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hat als Müllverband der burgenländischen Gemeinden die ihr nach dem burgenländischen Abfallwirtschaftsgesetz übertragenen Aufgaben zu besorgen. Dazu gehören insbesondere die Sammlung, Beförderung und Behandlung des im Pflichtbereich anfallenden Haushalts- und Sperrmülls. Die Beklagte hat mit der Erfüllung dieser Aufgaben seit 1997 durchgehend ein als GmbH organisiertes Tochterunternehmen beauftragt. Diese GmbH führt die operativen Tätigkeiten unter eigener Verantwortung durch. Sie besorgt unter anderem die Hausmüllentsorgung vom Grundstück des Klägers und seiner Nachbarn, wobei sie mit in ihrem Eigentum stehenden Müllfahrzeugen und eigenen Mitarbeitern die öffentliche, im Eigentum der Gemeinde stehende Straße befährt. Die Müllentsorgung im Siedlungsgebiet des Klägers wird auf die gleiche Weise durchgeführt wie überall im Burgenland.

Der Kläger brachte (soweit in dritter Instanz noch relevant) vor, an der Außenmauer seines Hauses seien durch vom Betrieb der Müllfahrzeuge ausgehende, nicht ortsübliche Vibrationen Risse entstanden. Gestützt auf § 364a ABGB begehrt er von der Beklagten die Kosten der Reparatur dieser Schäden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge.

Grundsätzlich könne der Eigentümer eines Grundstücks einen Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB wegen unzulässiger Immissionen nicht nur gegen den Nachbarn, sondern auch gegen einen unmittelbaren Störer richten, der die Beeinträchtigung durch eine behördlich genehmigte Anlage herbeiführt, sofern dieser das Grundstück aufgrund eines Rechtsverhältnisses mit dem Eigentümer materiell für eigene Zwecke benützt. Eine derartige Sonderbeziehung bestehe zwischen dem Beklagten und der Gemeinde als Eigentümerin des öffentlichen Straßengrundstücks nicht.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung für zulässig, weil keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Haftung eines Straßenbenutzers bestehe, von dessen eigenen oder beauftragten Fahrzeugen schädliche Immissionen ausgehen, wenn er eine jedermann in gleicher Art und Weise zugängliche öffentliche Straße benützt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen.

Beide Kriterien müssen kumulativ vorliegen, sodass auch übermäßige Immissionen zu dulden sind, wenn sie die ortsübliche Nutzung nicht wesentlich beeinträchtigen, aber auch, wenn sie das ortsübliche Maß nicht übersteigen, obwohl die ortsübliche Nutzung des Grundstücks dadurch wesentlich beeinträchtigt wird (RIS-Justiz RS0010587 [T4]).

Wird die Beeinträchtigung durch eine behördlich genehmigte Anlage verursacht, ist der Grundbesitzer nach § 364a ABGB nur berechtigt, den Ersatz des zugefügten Schadens zu verlangen, auch wenn der Schaden durch Umstände verursacht wird, auf die bei der behördlichen Verhandlung keine Rücksicht genommen wurde.

2. Die nachbarrechtlichen Ansprüche gelten auch im Verhältnis zwischen einem Privatgrundstück und einer öffentlichen Straße, die nach der Rechtsprechung als behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB gilt (RS0010565; RS0010596; Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 364a Rz 10).

3. Die störende Immission wird hier nicht durch den Nachbarn, sondern durch die Handlung eines Dritten verursacht. Ist der unmittelbare Störer nicht Eigentümer des Grundstücks, von dem die Immission ausgeht, und steht er mit dessen Eigentümer nicht in einem auf die Benützung des Grundstücks für eigene Zwecke abzielenden Rechtsverhältnis, ist er nach der herrschenden Rechtsprechung nicht „Nachbar“ iSd § 364 ABGB. Seine Passivlegitimation setzt nach der ständigen Rechtsprechung ein Sonderverhältnis zum Eigentümer voraus, das die Einbeziehung in das Nachbarrecht rechtfertigt (RS0010654 [T1]; Spielbüchler in Rummel³ § 364 Rz 6; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON § 364 Rz 6; Kerschner/E. Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 364 Rz 285; krit Oberhammer/Scholz‑Berger in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 364 Rz 12).

Der Oberste Gerichtshof hat demnach die Passivlegitimation des Betreibers eines Sanatoriums für mit dem Betrieb einhergehende Lärmimmissionen (8 Ob 128/09w), eines Flughafenbetreibers für Immissionen aus dem Flugbetrieb (8 Ob 135/06w) und eines Straßenerhalters für Schäden durch Salzstreuung (3 Ob 77/09h; 6 Ob 109/02a) bejaht. In mehreren Entscheidungen wurde dagegen eine „nachbarrechtliche“ Passivlegitimation des Bauunternehmers für Immissionen verneint, die seine Leute bei Erfüllung eines Auftrags des Liegenschaftseigentümers verursacht haben (RS0010598). Ein bloßes wirtschaftliches Interesse an der Erfüllung des Auftrags begründet die verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Haftung nicht (vgl 3 Ob 48/99a mwN).

4. Im vorliegenden Fall kommt aber der vom Berufungsgericht und in weiterer Folge von der Revision für erheblich erachteten Frage, ob die Benutzung einer öffentlichen Straße durch die Müllabfuhr aufgrund eines nachbarrechtlich relevanten Sonderverhältnisses zur Nutzung des Grundstücks für eigene Zwecke erfolgt, keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Die störenden Immissionen werden nach den Feststellungen nicht von der Beklagten verursacht, sondern von einer GmbH, die sämtliche operativen Tätigkeiten unter eigener Verantwortung, mit eigenen Fahrzeugen und Mitarbeitern durchführt.

Eine Zurechnung der Tätigkeit des Auftragnehmers an den Auftraggeber wird im Zusammenhang mit nachbarrechtlichen Ansprüchen nur als sogenannte Zustandsstörerhaftung in Bezug auf den Eigentümer des Nachbargrundstücks bejaht, von dem die Störung ausgeht. Dieser haftet nicht nur für eigenes Handeln oder Unterlassen, sondern auch für Dritte, die mit seiner Zustimmung oder Duldung von seinem Grundstück aus tätig werden und auf deren störendes Verhalten er Einfluss nehmen könnte (Kerschner/E. Wagner aaO § 364 Rz 289 ff; Oberhammer/Scholz-Berger in Schwimann/Kodek,ABGB5 III, § 364 Rz 13 mwN).

Ein Nichtnachbar, der einen selbstständig tätigen Unternehmer mit Leistungen beauftragt hat, wird dadurch, dass dieser Unternehmer anlässlich der Auftragserfüllung Immissionen von und nach Liegenschaften Dritter verursacht, aber nicht selbst zum verschuldensunabhängig nach §§ 364 f ABGB ausgleichspflichtigen Nachbarn. Eine solche Konstellation liegt hier vor. Es kommt hier auch nicht darauf an, dass die Beklagte als Gesellschafterin rechtlich in der Lage wäre, der Geschäftsführung der GmbH Weisungen zu erteilen.

Die Vorinstanzen haben daher die Passivlegitimation der Beklagten zu Recht verneint.

5. Ob Vibrationen, die durch eine reguläre, nach den Feststellungen im gesamten Bundesland gleich gehandhabte Hausmüllabfuhr verursacht werden, überhaupt eine nicht ortsübliche Immission darstellen könnten, muss bei diesem Ergebnis nicht weiter erörtert werden (RS0010678; RS0010653 [T14; T17; T22]; 1 Ob 198/19b mwN, 1 Ob 62/20d).

6. Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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