European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00215.19X.0624.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, sodass sie zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 9.294 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 12. 2005 zu bezahlen und die mit 2.829,80 EUR (darin enthalten 347,80 EUR USt und 743 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.623,36 EUR (darin enthalten 341,56 EUR USt und 2.574 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Im Jahr 1993 schloss der damalige Ehegatte der Klägerin als Versicherungsnehmer einen Kapitallebensversicherungsvertrag auf den Ab- und Erlebensfall von 1. 11. 1993 bis 1. 11. 2033 ab. Er selbst war versicherte Person 1, die Klägerin versicherte Person 2. Bezugsberechtigter im Erlebensfall war der Versicherungsnehmer. Im Jahr 1998 beantragte der Versicherungsnehmer die Beitragsfreistellung, wozu er der Beklagten über deren Ersuchen die Originalpolizze mit der Polizzennummer (…)‑004 übersandte. Daraufhin teilte die Beklagte dem Versicherungsnehmer unter Verweis auf die neue Polizzen-Nummer […]‑005 mit, dass sie wunschgemäß den Versicherungsvertrag prämienfrei gestellt habe.
Die Klägerin und der Versicherungsnehmer wurden am 9. 11. 2004 einvernehmlich geschieden. Im Scheidungsfolgenvergleich heißt es unter anderem:
„[…]
Die Lebensversicherungsverträge und die daraus resultierenden Erträge, unabhängig davon, auf wen die Lebensversicherungsverträge tatsächlich lauten, und zwar bei [...] sowie bei [… Anm: der Beklagten ] verbleiben der Frau alleine, die auch verpflichtet ist, allfällige Prämienleistungen und sonstigen Verpflichtungen vertragskonform nachzukommen und diesbezüglich den Mann schad- und klaglos zu halten.
[...]“
Mit Schreiben vom 16. 2. 2005 erklärte die Klägerin, den Lebensversicherungsvertrag zu kündigen und übermittelte dazu der Beklagten eine Ausfertigung des Scheidungsfolgenvergleichs. Die Beklagte beantwortete das Schreiben ua dahin, dass die Zusendung der letztgültigen Originalpolizze erforderlich sei. Die Klägerin übermittelte diese nicht. Mit Schreiben vom 19. 12. 2005 beantragte der Versicherungsnehmer unter Verweis auf den beigelegten Scheidungsfolgenvergleich die „Übertragung“ des Lebensversicherungsvertrags auf die Klägerin, die den Antrag ebenfalls unterfertigte. Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin mit, dass zur Durchführung des Versicherungsnehmerwechsels ein Identifikationsnachweis, eine Tarifumstellung, die Wiederaufnahme der Prämienzahlung durch die Klägerin sowie ihre „aktuellen Gesundheitsangaben“ der Klägerin notwendig seien.
Am 26. 5. 2008 ersuchte die Klägerin, die versicherte Person 1 zugleich den Versicherungsnehmer aus dem Vertrag zu löschen. Daraufhin forderte die Beklagte Unterlagen wie zuvor, die die Klägerin nicht übermittelte.
Am 12. 1. 2016 kündigte der Versicherungsnehmer den Lebensversicherungsvertrag und ersuchte um Überweisung des Abrechnungsbetrags auf sein Konto. Dem legte er eine Nichtigkeitserklärung wegen Verlusts der Versicherungspolizze bei, in der er erklärte, dass die ausgestellte Versicherungspolizze in Verlust geraten sei und als null und nichtig gelte, sowie, dass er die Versicherungspolizze seines Wissens nach an niemand Dritten weitergegeben habe. Der Versicherungsvertrag wurde per 1. 2. 2016 storniert und der Rückkaufswert in Höhe von 9.294 EUR dem Versicherungsnehmer überwiesen.
Der Versicherungsnehmer verstarb am 13. 7. 2018. Sein Nachlass in Höhe von 630,06 EUR wurde der Witwe auf Abschlag ihrer Begräbniskostenforderung gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt überlassen.
Die Klägerin begehrte die Bezahlung des Klagsbetrags. Mit dem Scheidungsvergleich sei vereinbart worden, dass der Lebensversicherungsvertrag mit allen Rechten und Pflichten auf sie übergehe. Diese Vereinbarung sei der Beklagten zur Kenntnis gebracht worden. Diese habe aber wider Treu und Glauben den Rückkaufswert an den früheren Ehegatten ausbezahlt.
Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die notwendigen Identifizierungsdaten der Klägerin und die sonstigen angeforderten Unterlagen und Informationen seien der Beklagten zu keinem Zeitpunkt übermittelt worden, sodass es zu keinem Wechsel des Versicherungsnehmers habe kommen können und der bisherige Versicherungsnehmer verfügungsberechtigt geblieben sei. Die Klägerin habe sich auch seit 2008 nicht mehr mit der Beklagten in Verbindung gesetzt, weshalb die Beklagte davon ausgehen habe können, dass die Klägerin sich mit ihrem früheren Gatten geeinigt habe und eine Übertragung des Versicherungsvertrags auf die Klägerin nicht (mehr) gewünscht sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe die Zustimmung der Beklagten zur Vertragsübernahme nicht nachgewiesen. Das Verhalten der Beklagten verstoße nicht gegen Treu und Glauben, weil sie die Klägerin wiederholt auf die Voraussetzungen für einen Versicherungsnehmerwechsel hingewiesen habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte rechtlich aus, dass die Klägerin den Wechsel des Versicherungsnehmers trotz der Belehrungen der Beklagten nie ausreichend vorangetrieben habe. Der Inhalt des Scheidungsfolgenvergleichs sei keine Zession von Ansprüchen, sondern bedeute, dass es an der Klägerin gelegen sei, die vereinbarte Übertragung des Versicherungsvertrags umzusetzen. Dem sei sie nicht nachgekommen. Das Verfügungsrecht über die Forderung sei daher beim ursprünglichen Versicherungsnehmer geblieben. Als Mitversicherte habe die Klägerin keinen Anspruch auf die Auszahlung des Rückkaufwerts gehabt. Die Beklagte sei nicht dazu verhalten gewesen, die Interessen der Klägerin aus dem Scheidungsfolgenvergleich anlässlich des Rückkaufs der Lebensversicherung im Jahr 2016 zu wahren.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Frage, inwiefern die Beklagte anlässlich der Verfügung des früheren Ehegatten über die Lebensversicherung gehalten gewesen sei, die Interessen der Klägerin in Kenntnis des Scheidungsfolgenvergleichs und einer (ableitbar) falschen Nichtigkeitserklärung des Versicherungsnehmers wahrzunehmen, die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
1. Personelle Änderungen in einem bestehenden Versicherungsvertrag können entweder dadurch eintreten, dass eine Vertragsübernahme mit Austausch eines der Vertragspartner erfolgt, oder dadurch, dass Verfügungen über einzelne Ansprüche aus dem Vertrag vorgenommen werden, wie zB mit Zession, Verpfändung oder Vinkulierung (vgl Schauer, Versicherungsvertragsrecht, 277 ff).
2. Die Vertragsübernahme ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Sie wird nach herrschender Ansicht als einheitliches Rechtsgeschäft („Einheitstheorie“) verstanden, wodurch die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird und der Vertragsübernehmer an die Stelle der aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei tritt (5 Ob 122/15z; vgl RS0117578). Diese Vertragsübernahme bedarf der Mitwirkung von Alt-, Neu- und Restpartei und jedenfalls der Zustimmung des verbleibenden Vertragspartners (7 Ob 22/17m mwN; 5 Ob 122/15z; vgl RS0115028; RS0108705 [T1, T3]).
3. Forderungen des Versicherungsnehmers „aus der Versicherung“ (§ 15 VersVG) können als Geldforderungen im Allgemeinen aber auch ohne weiteres abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden (7 Ob 228/07s; 7 Ob 157/12g; 7 Ob 196/17z; 7 Ob 53/19y; vgl RS0032544). Die Abtretung ist im VersVG nicht besonders geregelt, sodass für sie die allgemeinen Bestimmungen des ABGB gelten (Schauer in Fenyves/Schauer, VersVG § 166, Rz 40). Grundsätzlich können bei der Zession nach §§ 1392 ff ABGB akzessorische Nebenrechte, die der Verwirklichung oder Sicherung des Anspruchs dienen, nicht vom Hauptanspruch getrennt und selbstständig abgetreten werden (RS0038501 [T2]; Neumayr in KBB6 § 1393Rz 8). Sie gehen ohne weiteres auf den Zessionar der abgetretenen Hauptforderung über (vgl RS0032648; Lukas in ABGB‑ON, § 1393 Rz 16).
4. Mit den Ansprüchen aus der Lebensversicherung werden im Zweifel sämtliche Rechte des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag (auch Gestaltungsrechte, insbesondere das Kündigungsrecht) an den Zessionar übertragen (7 Ob 196/17z mwN).
5. Ab der Verständigung von der Abtretung kann der Schuldner nicht mehr schuldbefreiend an den Altgläubiger zahlen (§§ 1395, 1396 ABGB).
6. Die Vereinbarung über die wesentlichen Scheidungsfolgen nach § 55a EheG hat ua die Ansprüche auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse zu umfassen (Stabentheiner in Rummel 3 § 55a EheG Rz 14). Damit soll vermieden werden, dass nach der Scheidung langwierige und aufwändige Verfahren über die Scheidungsfolgen geführt werden (Aichorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, § 55a EheG Rz 4). Das Ziel der nachehelichen Vermögensaufteilung liegt in einer billigen Zuweisung der real vorhandenen Bestandteile des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (6 Ob 657/88; 7 Ob 530/93; Stabentheiner in Rummel³ § 81 EheG Rz 1). Diese Teilung soll auch nach den Grundsätzen des Wohlbestehenkönnens und der Trennung der Lebensbereiche der geschiedenen Ehegatten erfolgen (vgl Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, Vor §§ 81 ff EheG Rz 4).
7. Auch Lebensversicherungsverträge sind eine zur Verwertung bestimmte Sparform und daher mit dem Rückkaufswert in die Aufteilung zwischen den Ehegatten einzubeziehen (Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, § 81 EheG Rz 26).
8. Wenn daher Ehegatten in einem auch die Aufteilung ehelicher Ersparnisse beinhaltenden Scheidungsfolgenvergleich vereinbaren, dass Lebensversicherungsverträge und ihre Erträge einem Ehegatten alleine „verbleiben“ sollen, liegt – mangels ersichtlicher anderer Interessenlage – auf der Hand, dass damit der in der Lebensversicherung liegende (Rückkaufs‑)Wert als Teil der ehelichen Ersparnisse dem jeweiligen Ehegatten endgültig zugeordnet werden soll, das heißt, dass die Forderungen aus dem Versicherungsvertrag an den anderen Ehegatten zediert werden.
9. Da der Zweck eines Scheidungsfolgenvergleichs als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann, was insbesondere für einen rechtlich versierten Versicherer gilt, kann der vorliegende Scheidungsfolgenvergleich objektiv nicht anders als die Vereinbarung einer Zession aller Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Klägerin verstanden werden. Die Zession umfasste auch die Kündigungsrechte. Die Klägerin wandte sich dementsprechend an die Beklagte mit der Erklärung der Kündigung des Versicherungsvertrags unter Vorlage des Scheidungsfolgenvergleichs, was nur als Antrag auf Auszahlung des Rückkaufswerts verstanden werden kann. Sie wiederholte dieses Begehren sogar gemeinsam mit dem Versicherungsnehmer, neuerlich unter Vorlage des Scheidungsfolgenvergleichs, kann doch der objektive Erklärungswert des (laienhaft formulierten) Schreibens vom 19. 12. 2005 unter den gegebenen Umständen vom Versicherer ebenfalls nicht anders verstanden werden. Dennoch verlangte die Beklagte, ohne auf das Verlangen der Klägerin einzugehen, neben einem Identifikationsnachweis eine Tarifumstellung, die Wiederaufnahme der Prämienzahlung und aktuelle Gesundheitsangaben der Klägerin, was bedeutet, dass sie zu Unrecht von der Klägerin trotz Kündigung eine Vertragsübernahme und die Aufnahme der Prämienzahlung forderte.
10. Dass die Vereinbarung im Scheidungsfolgenvergleich allenfalls auch Versicherungsverträge umfasste, deren Versicherungsnehmerin die Klägerin selbst war, ändert an dieser Beurteilung nichts. Die Vermögenswerte sollten der Klägerin verbleiben. Ist sie bereits Versicherungsnehmerin erübrigt sich eine Zession der Ansprüche.
11. Daraus folgt, dass die Beklagte von der zwischen den vormaligen Ehegatten vereinbarten Abtretung des Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag gemäß § 1395 ABGB verständigt wurde und daher nur noch an die Zessionarin auszahlen durfte. Die Zahlung an den Versicherungsnehmer im Jahr 2016 hatte keine schuldbefreiende Wirkung, sodass der Klägerin weiterhin der Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts zusteht. Der Rückkaufswert ergibt sich aus der Auszahlung an den Versicherungsnehmer. Die begehrten Zinsen wurden nicht substantiiert bestritten. Der Zuspruch orientiert sich am zweiten Aufforderungsschreiben. Dem Klagebegehren ist daher in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen stattzugeben.
12. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)