OGH 6Ob204/19x

OGH6Ob204/19x23.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Sabine Schuster, Rechtsanwältin in Lenzing, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterhalts, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 7. August 2019, GZ 21 R 124/19p‑31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128066

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Aufhebung der ehelichen Haushaltsgemeinschaft ist der gesamte angemessene Unterhalt grundsätzlich nur mehr in Geld zu leisten (RS0009414 [T4]), wobei (bestimmte) vom Unterhaltspflichtigen zugunsten des Unterhaltsberechtigten getragene Aufwendungen – etwa zur Erhaltung der vom unterhaltsberechtigten Ehegatten benützten Wohnung im gebrauchsfähigen Zustand – als Naturalleistungen abzuziehen sind (RS0009414 [T2]).

2. Die Vorinstanzen rechneten der Klägerin im Einzelnen festgestellte, vom Beklagten getragene Aufwendungen sowie jene Beträge, die sie aus dem Guthaben des gemeinsamen Kontos der Parteien für sich verwendete, als Naturalunterhalt an, dessen Wert jedoch nicht die Höhe des geschuldeten Geldunterhalts erreichte. Eine konkludente Vereinbarung dahin, dass der Beklagte nur Naturalunterhalt – sohin keinen darüber hinausgehenden Geldunterhalt – schulde, sei nicht zustande gekommen. Es stehe fest, dass der Beklagte keine weiteren Naturalleistungen erbringen, die Verfügungsberechtigung der Klägerin hinsichtlich seines Gehaltskontos (des bisherigen gemeinsamen Kontos) beenden und ihr die Möglichkeit der Nutzung seiner Kreditkarte für Online-Einkäufe entziehen werde.

3. Der Revisionswerber steht auf dem Standpunkt, dass kein Unterhaltsrückstand entstanden sei, weil die Klägerin jederzeit auf das gemeinsame Konto der Parteien habe zugreifen können.

4. Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

4.1. Der Beklagte hielt dem Unterhaltsbegehren der Klägerin im Verfahren nicht nur ihre Zugriffsmöglichkeit auf das gemeinsame Konto entgegen, sondern bestritt die Berechtigung ihres Unterhaltsanspruchs materiell wegen Vernachlässigung der Haushaltsführung, Anspannung auf ein Eigeneinkommen, Verwirkung, sowie der Behauptung höherer anrechenbarer Naturalleistungen und einer konkludenten Unterhaltsvereinbarung.

4.2. Das Prozessvorbringen des Beklagten kann damit insgesamt nicht dahin verstanden werden, seine Geldunterhaltspflicht bereits durch Zahlung gemäß § 1412 ABGB erfüllt zu haben, indem die geschuldeten Unterhaltsbeiträge in die Verfügungsmacht (auch) der Klägerin gelangt seien. Es lässt sich vielmehr dahin zusammenfassen, dass die Lebensbedürfnisse der Klägerin ohnehin gedeckt gewesen seien und ihr ein darüber hinausgehender Unterhaltsanspruch nicht zustehe.

4.3. Eine Unterhaltsverletzung liegt bereits dann vor, wenn derjenige, der Unterhalt in Geld zu leisten verpflichtet ist, diesen nicht in gehöriger Art anbietet (RS0047121).

Darüber hinaus kann künftiger Unterhalt auch begehrt werden, wenn der Ehemann mit Unterhaltsleistungen zwar nicht säumig war, jedoch die Unterhaltspflicht mit der Behauptung bestreitet, die Ehefrau habe den Unterhaltsanspruch verwirkt oder die Weiterbringung seiner Unterhaltsleistung dahingestellt sein lässt, in Zweifel zieht oder sonst erklärt, dass er ohne Rechtspflicht leiste (10 Ob 58/13x EF‑Z 2014/114 [Gitschthaler]).

4.4. Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich der Unterhalt der Ehegattin gemäß § 94 ABGB mit rund 33 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen, wobei der genannte Prozentsatz bei einer konkurrierenden Sorgepflicht für Kinder um etwa 4 % pro Kind zu verringern ist (RS0012492 [T7, T18]; vgl RS0009547 [T2, T3]). Eine „Überalimentierung“, wie sie im Bereich des Kindesunterhalts aus pädagogischen Gründen vermieden werden soll, ist bei der Bemessung des Unterhalts Erwachsener nicht anzuwenden, weil hier erzieherische Überlegungen nicht Platz greifen können (RS0111994 [T1]; RS0012492 [T16]).

4.5. Unterhaltsansprüche können grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden (RS0034969 [T1]).

4.6. Die Ausmessung des Unterhaltsbeitrags durch die Vorinstanzen folgt den dargestellten Grundsätzen. Allein der Umstand, dass die Klägerin Geldunterhaltsbeiträge erst im Nachhinein einfordert, rechtfertigt das Unterschreiten der nach der Rechtsprechung geschuldeten Höhe des Unterhaltsbeitrags nicht. Soweit das Revisionsvorbringen darauf abzielt, die Berechtigung eines über den geleisteten Naturalunterhalt hinausgehenden Geldunterhaltsanspruchs der Klägerin in Zweifel zu ziehen, wird damit keine erhebliche Rechtsfrage dargetan.

Die Unterhaltsverletzung ergibt sich hier bereits daraus, dass der Beklagte seine Verpflichtung zur Leistung von Geldunterhalt (über die erbrachten Naturalleistungen hinaus) im Prozess bestreitet, sohin seine Rechtspflicht in Zweifel zieht (4.3.).

4.7. Aus den Entscheidungen 8 Ob 39/16t und 8 Ob 94/97z ist für den Rechtsstandpunkt des Beklagten nichts zu gewinnen. Es trifft zwar zu, dass in diesen Entscheidungen die Einräumung einer Zeichnungsberechtigung hinsichtlich von Konten ohne behebbares Guthaben zu beurteilen war. Dass der Oberste Gerichtshof darin keine Unterhaltsgewährung erblickte, rechtfertigt aber nicht den Gegenschluss für einen Fall wie den vorliegenden, in dem sich die Unterhaltsverletzung bereits aus der Bestreitung des Anspruchs der Klägerin ergibt.

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