OGH 10ObS126/19f

OGH10ObS126/19f16.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2019, GZ 12 Rs 57/19 t‑41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 16. April 2019, GZ 20 Cgs 160/17b‑37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00126.19F.0416.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung einer Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG ab dem 1. 4. 2018.

Der am 29. 3. 1958 geborene Kläger war in den letzten 15 Jahren vor dem 1. 4. 2018 161 Kalendermonate als Hausbesorger einer Wohnungseigentümergemeinschaft in einer Wohnhausanlage tätig. Das Dienstverhältnis unterlag dem Hausbesorgergesetz, BGBl 1970/16 (HbG), es endete am 31. 10. 2016. Die Wohnhausanlage besteht aus 117 Wohnungen mit 12 Stiegenhäusern inklusive Laubengängen, ein Haus war mit Lift ausgestattet. Zur Siedlung gehören sieben Reihenhäuser, 175 Tiefgaragen‑Parkplätze und 58 Außenparkplätze samt Zufahrten und Gehwegen, die zum Teil mit Pflastersteinen belegt sind.

Die Arbeitszeiten des Klägers waren von Montag bis Donnerstag von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr mit einer halbstündigen Mittagspause. Am Freitag begann die Arbeitszeit um 7:00 Uhr und endete um 13:00 Uhr. Der Kläger leistete weder Überstunden noch Sonn‑, Feiertags‑oder Nachtarbeit.

Der Kläger hatte neben der Kontrolle der Beleuchtung, der Betreuung der Grünanlagen und Winterdienstarbeiten wie Schneeräumung und Streuung die gemeinschaftlichen Teile der Wohnhausanlage in dem vom Erstgericht im Einzelnen festgestellten Umfang zu kehren und reinigen. Sowohl inhaltlich als auch zeitlich war die Haupttätigkeit des Klägers die Reinigung der gemeinschaftlichen Außen‑ und Innenanlagen.

Der Kläger verdiente zuletzt monatlich 4.813,35 EUR brutto. Die Lohnabrechnungen setzen sich jeweils aus den Positionen Reinigungsentgelt, Gehsteig, Aufzug, Materialkosten, Strompauschale, Waschmaschine, Rasenmähen, Reinigen, Tiefgarage, asphaltierte Flächen mit Schneeräumung, Mülltonnenpauschale, Spielplatz, Betreuungsarbeiten und Barbezug Hausbesorgerwohnung zusammen.

Der monatlich tatsächlich erzielte Durchschnittsverdienst von Hausbesorgern liegt – basierend auf einer Zusammenschau kollektivvertraglicher Ansätze für Hausbesorgerleistungen – bei einer 40‑Stunden‑Woche bei 1.940 EUR. Der monatliche Durchschnittsverdienst von Hausbesorgern, deren Dienstverhältnis dem Hausbesorgergesetz unterliegt, beträgt 1.880 EUR brutto.

Der Kläger ist aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, seine bisherige Tätigkeit als Hausbesorger zu verrichten.

Der Kläger kann jedoch noch als Reinigungskraft, insbesondere mit Reinigungswagen, in Krankenhäusern und Handelszentren arbeiten. Für diese Verweisungstätigkeiten gibt es bundesweit zumindest über 100 offene oder besetzte Arbeitsplätze. Als Reinigungskraft in Büros, Handelsbetrieben oder in einer Krankenanstalt ist der Kläger mit der Reinigung von Allgemeinflächen (Räume, Gänge, Stiegenhäuser) betraut. Zur Reinigung der Flächen werden Arbeitsgeräte wie Besen, Wischer etc eingesetzt. Hinsichtlich der Arbeitszeit und der Qualität der Arbeitsleistung ist bei einer Reinigungskraft in der „Sicht‑ oder Unterhaltsreinigung“ eine höhere Kontrolldichte gegeben, als bei der bisherigen Tätigkeit des Klägers als Hausbesorger, in der der Kläger dennoch einer „gewissen Kontrolle“ durch die Eigentümergemeinschaft unterlag.

Der monatliche Durchschnittsverdienst einer Reinigungskraft in der „Sicht‑ und Unterhaltsreinigung“ mit mehrjähriger Praxis beträgt bei einer 40‑Stunden‑Woche 1.800 EUR brutto.

Mit Bescheid vom 19. 7. 2017 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung einer Invaliditätspension mangels Vorliegens von Invalidität sowie die Gewährung von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation ab.

Nach einer Klageeinschränkung begehrt der Kläger die Zuerkennung einer Invaliditätspension ab dem 1. 4. 2018. Invalidität liege gemäß § 255 Abs 4 ASVG vor. Den Beruf des Hausbesorgers könne der Kläger nicht mehr ausüben. Eine Verweisung auf die Tätigkeit als Reinigungskraft in Krankenhäusern und Handelszentren sei infolge der dabei in Kauf zu nehmenden gravierenden Lohneinbuße und des gänzlich verschiedenen arbeitskulturellen Umfelds nicht zumutbar.

Die Beklagte wandte insbesondere ein, dass die Lohneinbuße bei einer Verweisung des Klägers auf eine Tätigkeit als Reinigungskraft nicht gravierend sei. Die Lohneinbuße sei abstrakt und ausgehend von dem von Hausbesorgern allgemein erzielten Durchschnittsverdienst, nicht aber anhand des individuellen Letztbezugs des Klägers zu beurteilen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bejahte die Zulässigkeit der Verweisung des Klägers auf den Beruf einer Reinigungskraft in Krankenhäusern oder Handelszentren, sodass Invalidität gemäß § 255 Abs 4 ASVG nicht vorliege. Ca 70 % der Tätigkeit des Klägers als Hausbesorger entfielen auf Reinigungsarbeiten. Für diese Teiltätigkeit des bisher ausgeübten Berufs gebe es einen Arbeitsmarkt und ein Arbeitsumfeld, das dem bisherigen ähnlich sei, sodass der Kläger im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG auf die Tätigkeit als Reinigungskraft verwiesen werden könne. Eine gewisse Einschränkung an Eigenverantwortung und Selbständigkeit müsse der Versicherte hinnehmen. Ausgehend von einem monatlichen Durchschnittsverdienst von Hausbesorgern bei einer 40‑Stunden‑Woche in Höhe von 1.940 EUR und dem Durchschnittsverdienst einer Reinigungskraft mit mehrjähriger Praxis von 1.800 EUR liege keine gravierende Lohneinbuße vor. Auf den bisher individuell vom Kläger erzielten Verdienst, der der Größe der Wohnhausanlage und der Anwendbarkeit des Hausbesorgergesetzes geschuldet sei, sei aufgrund der vorzunehmenden abstrakten Prüfung nicht abzustellen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, welches Einkommen der Ermittlung der mit der Verweisungstätigkeit verbundenen Lohneinbuße zugrunde zu legen sei, wenn das vom Versicherten bisher bezogene Einkommen aufgrund einer Änderung der Grundlagen in Gesetz und kollektiver Rechtsgestaltung nicht mehr erzielbar sei, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung der Klage beantragt.

Die Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig.

Der Kläger hält auch in der Revision an seinem Standpunkt fest, dass eine Verweisung gemäß § 255 Abs 4 ASVG auf die Tätigkeit als Reinigungskraft in Krankenhäusern und Handelszentren für ihn nicht in Frage komme, weil es sich dabei um eine unzumutbare Änderung des Arbeitsumfelds handle und weil eine solche Verweisung mit einer gravierenden Lohneinbuße verbunden sei.

1.1 Als invalid gilt gemäß § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG auch der (die) Versicherte, der (die) das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen.

1.2 Der Kläger ist nach den Verfahrensergebnissen nicht mehr in der Lage, seine bisherige Tätigkeit als Hausbesorger weiterhin auszuüben.

2. Gemäß § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG sind „zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit“ zu berücksichtigen. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Rechtsprechung beachtet, wonach eine Verweisung (bzw Änderung der Tätigkeit) dann als zumutbar angesehen wird, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde, keine gravierende Lohneinbuße damit verbunden ist und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (RS0100022; RS0120866). Der Begriff der zumutbaren Änderung iSd § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG ist nach der Rechtsprechung eng zu interpretieren (10 ObS 185/02g, SSV‑NF 16/100; RS0100022 [T3]). Die Frage, ob eine „zumutbare Änderung“ der Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG vorliegt, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden und ist daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (10 ObS 34/17y mwH; RS0100022 [T34]).

3. Aufgrund der für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen hat der Kläger in der überwiegenden Arbeitszeit seiner Tätigkeit als Hausbesorger Reinigungstätigkeiten durchgeführt. Dass Reinigungsarbeiten daher bereits bisher als Teiltätigkeit der Hausbesorgertätigkeit des Klägers ausgeübt wurden, ist im Revisionsverfahren nicht weiter strittig.

4.1 Zutreffend sind die Vorinstanzen bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger eine gravierende Lohneinbuße hinnehmen muss, nicht von seinem zuletzt erzielten Verdienst als Hausbesorger ausgegangen. Beim Tätigkeitsschutz des § 255 Abs 4 ASVG handelt es sich nicht um einen Arbeitsplatzschutz, sondern um eine– besondere – Form des Berufsschutzes (RS0087658 [T3, T4]). Die Bestimmung stellt daher nicht auf die Anforderungen an einen bestimmten Arbeitsplatz (etwa jenen, den der Kläger zuletzt innehatte) ab, sondern auf die „Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (10 ObS 102/08k, SSV‑NF 22/56; RS0087658 [T5]). Es kommt schon daher nicht auf die konkrete Arbeit des Klägers als Hausbesorger einer größeren Wohnhausanlage und daher auch nicht auf die damit – infolge der Anwendbarkeit desHausbesorgergesetzes – verbundene höhere Entlohnung des Klägers an, sondern auf die von ihm in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag 1. 4. 2018 mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübte „abstrakte Tätigkeit“ des Hausbesorgers mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (10 ObS 34/17y). Am Arbeitsmarkt sind nicht nur Hausbesorgertätigkeiten in großen oder größeren Wohnhausanlagen gefragt, sodass die Vorinstanzen zu Recht vom festgestellten Durchschnittsverdienst für Hausbesorgertätigkeiten an sich ausgegangen sind.

4.2 Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass ausgehend von einem Durchschnittsverdienst für Hausbesorger von monatlich 1.940 EUR brutto nach kollektivvertraglichen Ansätzen keine gravierende Lohneinbuße anzunehmen ist, wenn in der Verweisungstätigkeit als Reinigungskraft in Krankenhäusern oder Handelszentren bei einer 40‑Stunden‑Woche monatlich 1.800 EUR brutto im Durchschnitt verdient werden können, wird in der Revision nicht in Frage gestellt und bedarf im Einzelfall keiner Korrektur. Da der Durchschnittsverdienst von Hausbesorgern, deren Dienstverhältnis dem Hausbesorgergesetz unterliegt, mit monatlich 1.880 EUR noch näher an jenem der Verweisungstätigkeiten liegt, bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage im konkreten Fall.

5.1 Bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Änderung der Tätigkeit kommt dem auch vom Revisionswerber ins Treffen geführten „arbeitskulturellen Umfeld“ besondere Bedeutung zu. Darunter ist nach der Rechtsprechung etwa das technische Umfeld, die Kontakte mit Mitarbeitern und Kunden und die räumliche Situation – etwa ob Arbeiten im Freien oder in einem abgeschlossenen Raum oder am Fließband durchzuführen sind – zu verstehen (10 ObS 185/02g SSV‑NF 16/100 und der in dieser Entscheidung wiedergegebene AB 187 BlgNR 21. GP  3 f zur Neuregelung des § 255 Abs 4 ASVG sowie die Feststellung des Ausschusses vom 31. 5. 2000; Födermayr in SV‑Komm [197. Lfg] § 255 ASVG Rz 200 ff mit Beispielen aus der Rechtsprechung).

5.2 Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine Verweisung des Klägers auf Reinigungstätigkeiten in Krankenhäusern und Handelszentren, als zumutbar anzusehen ist, ist schon deshalb nicht korrekturbedürftig, weil der Kläger Reinigungstätigkeiten bereits bisher als (wesentliche) Teiltätigkeiten als Hausbesorger ausgeübt hat und für diese ein Arbeitsmarkt besteht. Reinigungstätigkeiten hat der Kläger auch als Hausbesorger zu einem beträchtlichen Teil in geschlossenen Räumen ausgeübt. Eine Änderung des technischen Umfelds behauptet der Kläger auch in der Revision nicht. Keinesfalls ist ein Erlernen „gänzlich neuer Tätigkeiten“ für die Ausübung der Verweisungstätigkeit erforderlich (vgl 10 ObS 56/03p, SSV‑NF 17/56). Aus den Feststellungen ergibt sich kein Hinweis, dass die vom Revisionswerber ins Treffen geführten Kontakte zu Bewohnern der Hausanlage eine (besondere) Rolle für die Tätigkeit des Klägers als Hausbesorger gespielt hätten. Eine gewisse Einschränkung an selbständiger bzw eigenverantwortlicher Tätigkeit muss der Versicherte auch beim Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG hinnehmen (10 ObS 105/06y, SSV‑NF 20/51; 10 ObS 113/08b, SSV‑NF 23/3; 10 ObS 39/11z, SSV‑NF 25/45).

6. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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