Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Der am 25. 7. 1953 geborene und zum maßgeblichen Stichtag (1. 8. 2010) 57-jährige Kläger hat im Jahr 1971 die Lehre zum Bürokaufmann abgeschlossen und ist seit Jänner 1975 durchgehend bei der M***** AG in L***** beschäftigt. Er ist dort im Controlling, in der Kostenrechnung und in der internen Konzernverrechnung (teilweise auch Personal-Materialkostenrechnung und Ergebnisrechnung) tätig. Ihm obliegt auch die Datensammlung für Anträge auf Forschungsförderung. Dazu ist erforderlich, auftragsbezogen die Kosten zu erfassen und dem Antrag zugrundezulegen. Die Arbeiten des Controllings und der Kostenrechnung sind unter Termindruck auszuführen, weil die Arbeitsergebnisse stichtagsbezogen vorliegen müssen, dh, der Kläger muss vorgegebene Termine einhalten und seine Arbeiten bis zum Termin fertig haben. Das Sammeln der dazu notwendigen Daten ist eine notwendige Teiltätigkeit des Controllings und Kostenrechnens (dh, ohne Sammeln der Daten kann auch kein Ergebnis erstellt werden).
Da die Tätigkeiten des Controllings und der Kostenrechnung mit überdurchschnittlichem Zeitdruck verbunden sind, können sie vom Kläger, wegen seiner Einschränkung auf Arbeiten mit nur durchschnittlichem Zeitdruck nicht mehr ausgeübt werden. Möglich sind ihm jedoch Tätigkeiten im Einkauf, in der Fakturierung, in der Sachbearbeitung (zB typische Sekretärtätigkeit), was der Beschäftigungsgruppe E nach dem Kollektivvertrag der Angestellten in der Industrie und in vergleichbaren Kollektivverträgen entspricht (die bisherige Tätigkeit lag in der Beschäftigungsgruppe F). Solche Arbeitsplätze sind am allgemeinen Arbeitsmarkt in großer Anzahl vorhanden. Es handelt sich aber nicht um eine Teiltätigkeit der bisher überwiegend ausgeübten Tätigkeit als Controller und Kostenrechner. Solchen Bürotätigkeiten und der bisher ausgeübten Tätigkeit ist gemeinsam, dass sie „ein Arbeiten mit Zahlen unter Einsatz einer EDV“ erfordern. Arbeitsstellen, die nur der Vorbereitung und Stellung von Anträgen auf Forschungsförderung dienen, sind am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vorhanden.
Die Einstufungskriterien sind:
Beschäftigungsgruppe E: ArbeitnehmerInnen, die Tätigkeiten nach allgemeinen Richtlinien und Anweisungen selbständig ausführen, für die typischerweise über die Beschäftigungsgruppe D erforderliche Qualifikation hinaus zusätzliche Fachkenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind. Ferner AbsolventInnen von berufsbildenden höheren Schulen, wenn diese Qualifikation für erhebliche Teile der Tätigkeit im obigen Sinn von Bedeutung ist.
Beschäftigungsgruppe F: ArbeitnehmerInnen, die schwierige Tätigkeiten selbständig ausführen, für die typischerweise entweder über die Beschäftigungsgruppe D erforderliche Qualifikation hinaus zusätzliche Fachausbildungen oder große Fachkenntnisse, oder zumindest eine abgeschlossene BHS mit einschlägiger (entsprechender) für die ausgeübte Tätigkeit notwendige Berufserfahrung erforderlich ist.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klagebegehren ab. Wenn etwa ein Leiter des Rechnungswesens und des kaufmännischen Bereichs mit Berufs- und Tätigkeitsschutz auf den Bereich der Buchhaltung, des Mahnwesens, der Kontierung oder des Zahlungsverkehrs verweisbar sei (10 ObS 52/05b), so sei auch dem Kläger als gelernten Bürokaufmann, der als Kostenrechner tätig gewesen sei, eine solche Verweisungstätigkeit mit eigenständigem Arbeitsbereich zumutbar. Entscheidend sei hiefür, dass ein eigenständiges „Arbeiten mit zuvor gesammelten Daten und Zahlen unter Einsatz einer EDV“ eine schon bisher ausgeübte Tätigkeit gewesen sei, wobei ein Kostenrechner auch Aufgaben der Kalkulation kennen müsse. Fakturierung und Mahnwesen seien demnach mögliche Verweisungsfelder, wobei die Tätigkeit des Einbringens von Forschungsförderungsanträgen, die die betriebsinterne Daten- und Kostenerfassung voraussetzten, auch schon bisher als Teiltätigkeit ausgeübt worden sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil (§ 500a ZPO). Dass bei einer Tätigkeit des Fakturisten das Maß an Verantwortung, die Kontakte mit anderen Personen (Mitarbeiter, Kunden), Führungsaufgaben sowie die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitsverrichtung wesentlich geringer gefordert würden, vermöge der Kläger nicht aufzuzeigen. Entgegen seiner Ansicht sei es bei den genannten Verweisungstätigkeiten weiterhin Voraussetzung, dass über die Beschäftigungsgruppe D erforderliche Qualifikation hinaus zusätzliche Fachkenntnisse und Fähigkeiten erforderlich seien und auch AbsolventInnen von berufsbildenden höheren Schulen darunter fielen, wenn diese Qualifikation für erhebliche Teile der Tätigkeit von Bedeutung sei. Allein der Umstand, dass bei der Verweisbarkeit bloß eines von mehreren Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit nicht erfüllt werde (weil die Fakturierung keine Teiltätigkeit der bisher überwiegend ausgeübten Tätigkeit sei) mache die Verweisungstätigkeit trotz des bestehenden Tätigkeitsschutzes für den Kläger noch nicht unzumutbar.
Da die Umstände des Einzelfalls maßgeblich seien, komme die Zulassung der ordentlichen Revision nicht in Betracht.
In der Zulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger weiterhin darauf, eine Verweisung iSd §§ 273 Abs 2 iVm 255 Abs 4 ASVG sei nach ständiger Rechtsprechung nur dann möglich, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als Teiltätigkeit ausgeübt worden sei und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich sei. Hier sei zwar bei der bisherigen Tätigkeit und der möglichen Verweisungstätigkeit das Arbeitsumfeld im Büro ähnlich, es fehle jedoch das Kriterium, dass sie eine Teiltätigkeit der bisher ausgeübten Tätigkeit darstelle. Die Gemeinsamkeit, dass „Arbeiten mit Zahlen unter Einsatz der EDV“ vorlägen, sei für die nach der Judikatur eng zu interpretierende Änderung der Tätigkeit deutlich zu weit gezogen. Außerdem sei die Verweisungstätigkeit zwar selbständig auszuführen, aber keine „schwierige Tätigkeit“ sodass auch in der Verantwortung des Klägers ein deutlicher Unterschied bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Dazu wurde erwogen:
Die Frage, ob eine Verweisungstätigkeit eine „zumutbare Änderung“ der im Sinn des Tätigkeitsschutzes nach § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 4 ASVG maßgebenden „einen“ Tätigkeit darstellt, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und bildet als Frage des Einzelfalls regelmäßig keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage (10 ObS 53/10g; 10 ObS 125/09v = SSV-NF 23/64; 10 ObS 183/08x = SSV-NF 23/7 ua). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG eine Verweisung bzw Änderung der bisherigen Tätigkeit jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine wesentliche Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (10 ObS 125/09v = SSV-NF 23/64; vgl RIS-Justiz RS0100022).
Die Beurteilung der Vorinstanzen, eine Verweisung des Klägers auf Bürotätigkeiten im Bereich der Fakturierung, die eigenständig ausgeübt werden, stelle eine zumutbare Änderung der von ihm in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich ausgeübten Tätigkeit eines Controllers und Kostenrechners mit dem näher festgestellten Aufgabenbereich dar (weil eine Übereinstimmung der wesentlichen Tätigkeitsmerkmale vorliege und der Versicherte auch nach § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 4 ASVG gewisse Einschränkungen an selbständiger bzw eigenverantwortlicher Tätigkeit sowie einen gewissen Verlust an Einkommen und Sozialprestige hinnehmen müsse), entspricht der bereits vom Berufungsgericht zitierten ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats in vergleichbaren Fällen:
Nach der auf die Gesetzesmaterialien gestützten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher jedenfalls dann unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (wie etwa Bauhilfsarbeiter in der Textilbranche).
Bei der Beurteilung der Verweisbarkeit nach § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 4 ASVG kommt es nach der Rechtsprechung auch darauf an, mit welchem Maß an Verantwortung eine Tätigkeit verbunden war. Wenn die bisherige Tätigkeit selbständig und eigenverantwortlich ausgeführt wurde, wäre eine Änderung auf eine deutlich untergeordnete, nur nach Weisungen und Vorgaben zu verrichtende Tätigkeit nicht zumutbar (10 ObS 105/06y = SSV-NF 20/51; 10 ObS 52/05b mwN). In Bezug auf das Einkommen kann nur eine gravierende Lohneinbuße - als ein Kriterium unter anderem - eine Unzumutbarkeit der Verweisung bewirken (10 ObS 189/09f mwN; RIS-Justiz RS0100022 [T22]).
Hier stellt die Verweisungstätigkeit im Vergleich zur bisherigen Tätigkeit keine deutlich untergeordnete Tätigkeit dar, sondern umfasst Tätigkeiten, die vom Kläger auch bisher maßgeblich zu verrichten waren. Sowohl die bisherige Tätigkeit des Klägers als Controller und Kostenrechner als auch die in Betracht kommende Verweisungstätigkeit im Mahnwesen und der Fakturierung mit eigenständigem Arbeitsbereich umfasst nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen ein eigenständiges Arbeiten mit zuvor gesammelten Daten und Zahlen unter Einsatz einer EDV, wobei das Einbringen von Forschungsförderungsanträgen, welche die betriebsinterne Daten- und Kostenerfassung voraussetzen, auch schon bisher als Teiltätigkeit ausgeübt wurde. Eine gewisse Einschränkung an selbständiger bzw eigenverantwortlicher Tätigkeit muss die Versicherte aber - wie bereits ausgeführt - auch beim Tätigkeitsschutz nach § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 4 ASVG hinnehmen (10 ObS 105/06y = SSV-NF 20/51).
Da der Revisionswerber somit keine für die Entscheidung des Verfahrens relevante Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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