OGH 10ObS185/02g

OGH10ObS185/02g17.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gustav Liebhart (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ali Ü*****, Lagerarbeiter, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2002, GZ 9 Rs 17/02i-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Oktober 2001, GZ 6 Cgs 106/01i-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20. 9. 1943 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er kam 1966 nach Österreich und verrichtete hier stets Hilfsarbeitertätigkeiten. Seit 7. 11. 1985 war der Kläger ausschließlich als Lagerarbeiter bei der Firma R***** beschäftigt, die in Brunn am Gebirge ein Ersatzteillager für Österreich, Tschechien, Slowakei und Ungarn betreibt.

Das gesamte Lager umfasst eine Fläche von etwa 8.000 m2, aufgeteilt auf drei Stockwerke und eingeteilt in verschiedene Zonen. Die Regalhöhe beträgt in drei Ebenen insgesamt 7 m, wobei der Kläger in Zonen tätig war, wo keine Stapler eingesetzt wurden. Die Tätigkeit des Klägers umfasste die Erledigung einzelner Aufträge; den Mitarbeitern oblag jeweils die alleinige Durchführung der einzelnen Aufträge. Dabei musste der Kläger Gegenstände mit Gewichten zwischen 10 dag und 50 kg manipulieren. Zur Weiterleitung zur Auslieferung wurden entweder die Teile auf ein Förderband gelegt, das diese in einen - in weiterer Folge von einem LKW abgeholten - Container weitertransportierte, oder sie mussten vom Kläger selbst eingepackt und zum LKW verbracht werden. Zur Durchführung des jeweiligen Auftrags war es notwendig, im Computer nachzuschauen, wo ein bestimmtes Teil gelagert war. Seitens der Firma R***** wurde zwar die Erlangung eines Staplerführerscheins gefördert; der Kläger hat jedoch einen solchen Schein nicht erworben.

Ein Lagerarbeiter hat in Gewerbe und Industrie Erzeugnisse nach vorgegebenen Gesichtspunkten zu sortieren, in Regalen zu lagern, nach Anforderungs- und Computerlisten wieder aus Regalen zu entnehmen, eventuell auch zu verpacken, zu Kommissionen zusammen zu stellen und zu verladen. In Zwischenlagern werden Fertigungsteile in Regalen gelagert und aufgrund von Listen wieder entnommen und der Erzeugung der vorgegebenen Menge zu bestimmten Zeiten zugeführt. Dabei stehen Hubstapler, Elektrokarren, selbstfahrende Transportkarren und auch händisch zu bedienende Rollwagen in Verwendung. Bei der Tätigkeit handelt es sich um eine Hilfsarbeitertätigkeit, die aufgrund von Unterweisungen ausgeübt wird und nach einer etwa vierwöchigen Einschulungszeit ausgeübt werden kann. Die Bedienung von Hubstaplern und Elektrokarren bedarf einer Einschulung von jeweils ca sechs Wochen. Lagerarbeiter haben je nach dem zu lagernden Gut und der Ausstattung des Lagers mit maschinellen Lagereinrichtungen leichte und halbzeitig mittelschwere, zeitweise aber auch schwere körperliche Arbeit zu leisten. Sollten aufgrund der gelagerten Waren (zB Damenwäsche, Miederwaren, Strümpfe und dergleichen) nur leichte Hebe- und Trageleistungen zu verrichten sein, so kommt es in allen Fällen zumindest zeitweise zu Arbeiten an höhenexponierten Stellen, wobei das Besteigen einer Zimmerleiter mit wenigen Tritten nicht ausreicht. Der Kläger ist in der Lage, alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Sitzen und Stehen, jedoch nicht ständig im Gehen auszuführen. Arbeiten an höhenexponierten Stellen (hohe Leitern und Gerüste mit Ausnahme von Zimmerleitern mit einigen Stufen) sind ebenso wenig möglich wie Arbeiten, die ein ständiges Heben des rechten Armes über Kopfniveau erfordern. Der Kläger ist unterweisbar und kann eingeordnet werden.

Eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen des Klägers ist nicht mehr in der Lage, jene Arbeiten weiter zu verrichten, die vom Kläger bei der Firma R***** konkret zu verrichten waren, zumal es dabei durch die schweren Hebe- und Tragebelastungen sowie durch Arbeiten an höhenexponierten Stellen zu einer Überschreitung des Leistungskalküls kommen würde.

Auch andere Lagerarbeiten mit nur leichten bis mittelschweren körperlichen Belastungen wären einer Person mit den Leistungseinschränkungen des Klägers nicht möglich, weil dabei (berufstypisch) Tätigkeiten an höhenexponierten Stellen nicht auszuschließen sind. Dies würde auch dann zutreffen, wenn nach dem Erwerb eines Staplerscheines in einer dreitägigen Ausbildung überwiegend Staplerarbeiten verrichtet würden, weil auch dabei eine fallweise Tätigkeit an höhenexponierten Stellen nicht zu umgehen ist. Mit dem Leistungskalkül des Klägers vereinbar wären Transportarbeiten mittels selbstfahrenden Hubwagens (Ameise) in Erzeugungsbetrieben von Textilwaren, Bekleidungswaren und dergleichen. Dabei werden Halbfabrikate und Fertigwaren zu ebener Erde transportiert und mittelschwere Verladearbeiten ausgeführt. Die Arbeit wird zu gleichen Teilen im Stehen und Gehen verrichtet. Es handelt sich um einfache Hilfsarbeiten, bei denen jedoch nicht - wie bei der Firma R***** - das Kommissionieren von Waren notwendig ist. Wenngleich beide Tätigkeiten (einerseits Lagerarbeiten verbunden mit Kommissionieren, andererseits Transportarbeiten mittels selbstfahrenden Hubwagens) in die Arbeitskategorie 2 des Kollektivvertrags für Handelsarbeiter einzureihen sind, liegt der soziale Status des Transportarbeiters geringfügig niedriger, weil es zu keinem Kommissionieren von Waren kommt. Andererseits werden derartige Tätigkeit vor allem in der Pharmaindustrie auch von Angestellten ausgeführt. Eine Ähnlichkeit der beiden Tätigkeiten besteht vor allem darin, dass diese bei einem Lagerarbeiter berufstypisch den Transport von Waren von einem Lagerregal zu einem bestimmten Punkt des Betriebes (Warenauslieferung, zentrale Sammelstelle für Aufträge etc) bzw die Einordnung der angelieferten Waren umfasst, während sich die Durchführung von Transportarbeiten mittels selbstfahrenden Hubwagens (Ameise) in industriellen Erzeugungsbetrieben darin erschöpft, Waren zwischen einzelnen Produktionsstätten einer Firma hin und her zu transportieren. In beiden Fällen stehen die Transportarbeiten im Vordergrund.

Mit Bescheid vom 5. 2. 2001 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 12. 9. 2000 auf Zuerkennung der Invaliditätspension im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass er noch im Stande sei, der zuletzt überwiegend ausgeübten Tätigkeit unter Bedachtnahme auf zumutbare Änderungen im Tätigkeitsbereich nachzugehen. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Zuerkennung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG ab dem Stichtag 1. 10. 2000 gerichtete Klage im Hinblick darauf ab, dass die Änderung der Tätigkeit eines Lagerarbeiters in diejenige der Durchführung von Transportarbeiten mittels selbstfahrenden Hubwagens (Ameise) in Erzeugungsbetrieben von Textilwaren, Bekleidungswaren und dergleichen zumutbar sei. Sowohl beim Lagerarbeiter als auch bei einem Arbeiter, der Transportarbeiten mittels selbstfahrender Hubwagen durchführe, stehe das Transportieren von Waren zwischen betrieblichen Einrichtungen im Vordergrund. Diese Ähnlichkeit habe auch in der gleichen Einstufung im Kollektivvertrag für Handelsarbeiter Berücksichtigung gefunden. Außerdem sei die Änderung der Tätigkeit nur mit einer geringfügigen Änderung des sozialen Status und mit keiner Änderung des „arbeitskulturellen Verhaltens" verbunden. Das Berufungsgericht gab der vom Kläger dagegen erhobenen Berufung Folge und sprach dem Kläger eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 10. 2000 zu. Der beklagten Partei wurde bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von S 9.300,-- monatlich aufgetragen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, dass mit dem SVÄG 2000 (BGBl I 2000/43) die Bestimmungen über die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) mit 1. 7. 2000 aufgehoben worden seien. Gleichzeitig sei ein neuer § 255 Abs 4 ASVG in Kraft gesetzt worden, mit dem Versicherten ab einer bestimmten Altersgrenze der Zugang zu einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erleichtert werden sollte. Nach der Absicht des Gesetzgebers sollte ein wirksamer „Berufsschutz" für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen geschaffen werden, wobei ein anderer Tätigkeitsbereich jedenfalls dann unzumutbar sei, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden müsse, nach sich ziehe. So solle es nach dem Willen des Gesetzgebers nicht möglich sein, dass ein Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche wechseln müsse. Aus diesem Beispiel sei für den gegenständlichen Fall der Schluss zu ziehen, dass der Wechsel von der Automobilbranche in die Textilwaren- bzw Bekleidungswarenbranche als Änderung des arbeitskulturellen Umfeldes zu verstehen sei, die älteren Arbeitnehmern unter den Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht mehr zumutbar sei. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Tätigkeiten in ihrem Umfeld in irgend einer Weise vergleichbar seien. Bei der vom Erstgericht angenommenen Verweisungstätigkeit handle es sich um eine Arbeitstätigkeit im Bereich der industriellen Fertigung in einer Fabrik; darüber hinaus seien in Textilbetrieben nahezu ausschließlich Frauen beschäftigt, woraus sich ergebe, dass ein anderes arbeitskulturelles Umfeld bestehe als bei der bisherigen Tätigkeit des Klägers als Lagerarbeiter in einem Handelsbetrieb der Autobranche.

Zumal die übrigen Anforderungen des § 255 Abs 4 (neu) ASVG den Zugang zu dieser Pension ohnedies massiv einschränkten, sei das Verweisungsfeld des § 255 Abs 4 ASVG eng auszulegen, um die Absicht des Gesetzgebers zu gewährleisten, für ältere Arbeitnehmer einen wirksamen „Berufsschutz" zu schaffen.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrags berechtigt. Nach der Entscheidung des EuGH vom 23. 5. 2000, mit der das unterschiedliche Anfallsalter als europarechtswidrig festgestellt wurde (Rs C-104/98 , Buchner, DRdA 2000, 449, Panhölzl), hat der Gesetzgeber § 253d ASVG mit 30. 6. 2000 außer Kraft gesetzt (SVÄG 2000, BGBl I 2000/43) und mit Wirksamkeit für Stichtage ab 1. 7. 2000 einen neuen § 255 Abs 4 ASVG eingeführt, der folgenden Wortlaut hat:

"Als invalid gilt der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen."

In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird die Neuregelung folgendermaßen begründet:

"Auf Grund des am 23. Mai 2000 verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C-104/98 , Buchner, wird die österreichische Rechtslage, nach der das Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) für Frauen 55, für Männer 57 Jahre beträgt, als dem EG-Recht widersprechend angesehen, da dieser geschlechtsspezifische Unterschied der Richtlinie des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S 24) widerspricht. Nach der vorhergehenden Judikatur des EuGH zu dieser Richtlinie hat dieses Urteil zur Folge, dass das benachteiligte Geschlecht so lange Anspruch auf dieselben Vergünstigungen hat, als der nationale Gesetzgeber die EG-Widrigkeit nicht behoben hat. Daher haben de facto auf Grund dieses Urteils auch Männer einen Anspruch auf diese vorzeitige Alterspension bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres.

Mit Rücksicht darauf, dass im Entwurf eines SRÄG 2000 ohnehin die Aufhebung des § 253d ASVG samt Parallelbestimmungen mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 2000 vorgesehen ist, erweist es sich als notwendig, im Interesse der Rechtssicherheit sofort wirksame gesetzliche Maßnahmen zu setzen:

Entsprechend den im Entwurf eines SRÄG 2000 vorgesehenen Maßnahmen soll die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) aufgehoben werden, und zwar bereits mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2000. Für noch nicht 57-jährige männliche Versicherte, die nicht schon bis zum Ablauf des 22. Mai 2000 einen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) gestellt haben, sondern erst das am 23. Mai 2000 verkündete einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofes, mit dem das unterschiedliche Anfallsalter für Männer und Frauen bei dieser Pensionsart als dem EG-Recht widersprechend erklärt worden ist, zum Anlass genommen haben, einen solchen Antrag zu stellen, soll die vor dem 23. Mai 2000 maßgebliche Rechtslage weiterhin gelten.

Als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) soll unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch zehn Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Können diese Personen auf Grund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufsbzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw. eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann."

Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom 31. 5. 2000 mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen:

"Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob aus dem Abstellen auf "eine Tätigkeit", die in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt wurde, zu schließen ist, dass die neu geschaffene Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG weiterhin einen Tätigkeitsschutz für ältere Versicherte begründet (so Schrammel, Der Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 [888]) oder ob damit eine besondere Art des Berufsschutzes insbesondere für ältere unqualifiziert beschäftigte (ungelernte) Arbeitnehmer geschaffen werden sollte (so Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 [852] unter Berufung auf die im Ausschussbericht verwendete Wortfolge "wirksamer Berufsschutz"). Nach den Feststellungen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Kläger im 15jährigen Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch "eine" Tätigkeit als Lagerarbeiter ausgeübt hat. Im nächsten Schritt ist zu beurteilen, ob der Kläger in der Lage oder außer Stande ist, dieser "einen" Tätigkeit weiterhin nachzugehen. Dies ist für die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit eines Lagerarbeiters im Hinblick darauf zu verneinen, dass dabei berufstypisch Tätigkeiten an höhenexponierten Stellen nicht auszuschließen sind. Letztlich stellt sich die Frage, inwieweit dem Kläger Änderungen dieser Tätigkeit zuzumuten sind. Hiebei geht es nach den oben zitierten Gesetzesmaterialien um die Möglichkeit der Verweisung (Röhrenbacher aaO 850; teils aA Weißensteiner/Warkoweil, Überlegungen zur Invaliditäts- (Berufsunfähigkeits-) Pension nach § 255 Abs 4 und § 273 Abs 2 ASVG, DRdA 2001, 145 [148], die von einer "Änderungsmöglichkeit" anstelle von "Verweisungsmöglichkeit" sprechen).

Der berufskundliche Sachverständige Christian Hampl hat im Auftrag des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ein berufskundliches Gutachten erstattet, in dem auch verschiedene in § 255 Abs 4 ASVG verwendete Begriffe unter Verwendung der Gesetzesmaterialien interpretiert werden, darunter die Berücksichtigung zumutbarer Änderungen der ausgeübten Tätigkeit (Christian Hampl, Berufskundliches Sachverständigengutachten, 5. August 2000, Seite 2 ff. Auszugsweise abgedruckt bei Rudda, Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 [856 ff]). Hampl teilt dabei die "eine" Tätigkeit in Tätigkeitsbereiche oder Segmente auf. Beispielsweise wird bei einem Lagerarbeiter folgendermaßen aufgesplittet: Entladen von Fahrzeugen unterschiedlicher Art, Warenübernahme, gegebenenfalls Kommissionierung, ein respektives Auslagern unter Nutzung verschiedener Transport- und Hebefahrzeuge (Kran, Stapler, Förderer usw), Zusammenstellen von Waren für die Auslieferung, Transport und Verladung. Durch diese Zerlegung in Einzeltätigkeiten wird sodann die Tätigkeit eines Verladearbeiters, Transportarbeiters, Staplerfahrers, Kranführers und Warenübernehmers aus berufskundlicher Sicht als zumutbare Änderung iSd § 255 Abs 4 ASVG angeführt (kritisch zu dieser Vorgangsweise Weißensteiner/Warkoweil aaO 147).

Offenkundig sind die zumutbaren Änderungen eng zu interpretieren, da § 255 Abs 4 ASVG - trotz der Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen - ein Äquivalent für die aufgehobene Bestimmung des § 253d ASVG bilden sollte (Schrammel aaO 889), wobei aber der Gesetzgeber den Zugang zu dieser neuen Form der "Frühpension" gegenüber der alten Bestimmung erschweren wollte (Röhrenbacher aaO 849). Dies ist zum Einen durch die andere Gestaltung des Beobachtungszeitraums geschehen, zum Anderen aber auch durch die ausdrückliche Erwähnung der "zumutbaren Änderungen". In Übereinstimmung mit dem berufskundlichen Gutachten von Hampl ist daraus abzuleiten, dass jedenfalls eine Verweisbarkeit auf Teiltätigkeiten der bisherigen Tätigkeit zu bejahen ist, soweit dafür ein Arbeitsmarkt besteht (Schrammel aaO 889). Die in den Gesetzesmaterialien angesprochene "wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten", die mit dem Hinweis auf das "Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten" und auf die Verweisung "auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss" näher konkretisiert wird, spielt hier insoweit eine Rolle, als eine Verweisung dann als zumutbar angesehen werden muss, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist. Kriterien sind dabei neben dem technischen Umfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern und Kunden sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben sind (vgl Röhrenbacher aaO 852). Der Branche kann keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie kann aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen. Bei der für den Kläger als Verweisungsberuf in Betracht kommenden Tätigkeit als Transportarbeiter, der mittels selbstfahrenden Hubwagens (Ameise) in Erzeugungsbetrieben von Textilwaren, Bekleidungswaren und dergleichen tätig wird, handelt es sich um eine Teiltätigkeit der bisherigen Tätigkeit als Lagerarbeiter. Vom technischen und persönlichen Umfeld her betrachtet ähnelt sie der Tätigkeit in einem Lager, auch wenn die Branche gewechselt wird. Die Verweisung kann dem Kläger zugemutet werden.

Der Revision ist daher im Sinne einer Klagsabweisung Folge zu geben. Ein Eingehen auf die Frage, ob der Kläger seine bisherige Tätigkeit aufgegeben hat, erübrigt sich.

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