OGH 9Ob1/20t

OGH9Ob1/20t14.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gernot Moser ua, Rechtsanwälte in Schwaz, gegen die beklagten Parteien 1. C***** A*****, 2. T***** D***** und 3. C***** K*****, alle vertreten durch DI Mag. Nikolaus Gratl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 18.439,34 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. September 2019, GZ 3 R 117/19f‑84, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Telfs vom 12. März 2019, GZ 10 C 434/15m‑80, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00001.20T.0414.000

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben.

Der im angefochtenen Urteil enthaltene Zurückweisungsbeschluss (Spruchpunkt I.) wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts (Spruchpunkt I.) wiederhergestellt wird.

Im Übrigen (Spruchpunkt II.) werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und es wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Beklagten haben im Zuge der Errichtung eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten im März 2014 die Klägerin mit der Herstellung und dem Einbau von 5 Terrassentüren und 35 Fixverglasungen samt Zubehör zu einem Gesamtpreis von 28.423,28 EUR inkl USt beauftragt. Die Beklagten leisteten Teilzahlungen von 9.550,21 EUR und 4.974,07 EUR. Nach zahlreichen Mängelrügen der Beklagten und Verbesserungsarbeiten der Klägerin, teilte letztere schließlich mit E-Mail vom 26. 9. 2014 mit, dass das Gewerk nun fertig gestellt sei. Der (auch in Vertretung der Zweit- und Drittbeklagten auftretende) Erstbeklagte erklärte allerdings vor Ort, dass er das Gewerk so nicht abnehme.

Mit ihrer Klage vom 21. 1. 2015 begehrt die Klägerin von den Beklagten die Zahlung eines Betrags von 33.361,55 EUR sA, bestehend aus mehreren Werklohnrechnungen. Mit Schriftsatz vom 1. 10. 2015, vorgetragen in der mündlichen Verhandlung vom 8. 10. 2015, schränkte die Klägerin ihr Begehren infolge der von den Beklagten geleisteten Teilzahlungen sowie einer Gutschrift auf 18.439,34 EUR sA ein. Das Werk sei mängelfrei an die Beklagten übergeben worden.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren, beantragten Klagsabweisung und wandten zunächst die mangelnde Fälligkeit des Werklohns ein, weil das Werk noch nicht zur Gänze fertiggestellt sei und nach wie vor an wesentlichen Mängeln leide, die die Klägerin trotz mehrmaliger Aufforderung nicht verbessert habe.

Im August/September 2015 ließen die Beklagten die von der Klägerin eingebauten Fenster austauschen (Ersatzvornahme).

Mit Schreiben an die Klägerin vom 27. 9. 2017 erklärten die Beklagten, dass sie seit der Fertigstellung der Ersatzvornahme über ein mängelfreies Gewerk verfügten. Durch die schuldhaft von der Klägerin zu vertretende Leistungserbringung sei ihnen ein Gesamtschaden von 71.876,98 EUR entstanden. Mit den darin enthaltenen Kosten für die Sanierung der Gläser von 37.324,98 EUR erklärten sie hiermit die Aufrechnung bis zur Höhe der der Klägerin noch zustehenden offenen Werklohnforderung von 10.520,88 EUR.

Mit Schriftsatz vom 12. 2. 2018 (ON 54) brachten die Beklagten vor wie in ihrem Schreiben von 27. 9. 2017 und wendeten Schadenersatzforderungen von insgesamt 50.160,10 EUR (Kosten der Ersatzvornahme unter Berücksichtigung der erklärten Aufrechnung hinsichtlich der Werklohnforderung von 26.804,10 EUR, Kosten der Mängelbehebung der sechs Terrassentüren von 8.856 EUR, Kosten der Demontage, Material zur Wiederherstellung, Dämmung, etc. 1.900 EUR, Mehrkosten für die durch die Bauverzögerung entstandenen Mietzinszahlungen zur Deckung des dringenden Wohnbedürfnisses für 12 Monate von 7.200 EUR und 5.400 EUR) und 11.108,52 EUR (vorprozessuale Kosten) compensando gegen die Klagsforderung ein. Die Beklagten hätten ihre Schadenersatzforderungen gegen die Klägerin, nachdem diese ihr außergerichtliches Vergleichsanbot nicht angenommen habe, nun auch mit einer gesonderten Klage geltend gemacht.

Die Klägerin beantragte die Zurückweisung des neuen Vorbringens der Beklagten gemäß § 179 ZPO (ON 56).

In der mündlichen Verhandlung vom 20. 2. 2018 trugen die Parteien ihre Schriftsätze ON 54 und 56 vor und es wurde ein Sachverständiger bestellt. Dieser erstattete am 17. 9. 2018 und 15. 2. 2019 weitere Gutachten.

In der mündlichen Verhandlung vom 26. 2. 2019 brachten die Beklagten ergänzend vor, dass bestimmte Leistungen der Klägerin in Höhe von gesamt 7.030,44 EUR nicht erbracht worden seien, weshalb unter Berücksichtigung eines Skontos von der Klagsforderung nur ein Betrag von 10.520,88 EUR verbleibe, der aber aufgrund der bisher erhobenen Einwände nicht zu Recht bestehe.

Das Erstgericht wies – mit dem in das Urteil aufgenommenen Beschluss – die Anträge der Klägerin, das Vorbringen der Beklagten vom 12. 2. 2018 und 18. 2. 2019 gemäß § 179 ZPO als unzulässig zurückzuweisen, ab (Spruchpunkt I.).

Das Klagebegehren wies es mit Urteil zur Gänze ab (Spruchpunkt II.). Die Klägerin habe ihr Gewerk trotz der von den Beklagen erhobenen Mängelrügen nicht fertiggestellt. Bis zur vollständigen Verbesserung bestehender Mängel stehe den Beklagten das die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags (§ 1052 ABGB) begründende Leistungsverweigerungsrecht zu. Durch die Ersatzvornahme hätten die Beklagten zum Ausdruck gebracht, dass sie kein Interesse mehr an der Verbesserung der Mängel durch die Klägerin hätten. Damit scheide zwar die Verbesserung als primärer Gewährleistungsbehelf aus, aufgrund der zahlreichen wesentlichen und unwesentlichen Mängel stehe den Beklagten aber der (auch geltend gemachte) sekundäre Gewährleistungsbehelf der Wandlung zu. Die Klägerin habe daher keinen Werklohnanspruch gegen die Beklagte. Damit erübrigten sich auch Ausführungen zu den eingewendeten Gegenforderungen der Beklagten.

Gegen diese Entscheidungen erhob die Klägerin Rekurs und Berufung.

Das Berufungsgericht wies – ohne dass es im Spruch ausdrücklich über den Rekurs entschied – mit Beschluss das Vorbringen der Beklagten und deren Einwendungen der Gegenforderungen im Schriftsatz vom 12. 2. 2018 (ON 54) und in der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 26. 2. 2019 (ON 76) gemäß § 179 ZPO zurück (Spruchpunkt I.). Die Ablehnung des Zurückweisungsantrags hätte die Klägerin zutreffend mit Mängelrüge in der Berufung geltend gemacht. Da den Beklagten die Rechnungen über die durchgeführte Neuverglasung zum Zeitpunkt der Einbringung ihres Schriftsatzes am 6. 10. 2015 bereits zur Verfügung gestanden und nicht ersichtlich sei, weshalb das Vorbringen im Schriftsatz vom 12. 2. 2018 nicht bereits wesentlich früher erstattet hätte werden können, seien dieses Vorbringen und die Kompensandoeinwendungen der Beklagten gemäß § 179 ZPO wegen Verspätung zurückzuweisen.

Mit Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung der Klägerin Folge und gab dem Klagebegehren statt (Spruchpunkt II.). Aufgrund der Zurückweisung des weiteren Vorbringens der Beklagten sei entsprechend dem (ursprünglichen) Vorbringen der Beklagten lediglich zu prüfen, ob die Beklagten berechtigt den Werklohn aufgrund von Mängeln zurückbehalten durften. Dies sei hier aber nicht der Fall, weil die Beklagten mit dem selbst vorgenommenen Fenstertausch eine Verbesserung durch die Klägerin unmöglich gemacht hätten. Damit sei aber der Werklohn fällig geworden. Einen Preisminderungsanspruch hätten die Beklagten nicht geltend gemacht.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage, ob eine (erstmalige) Anwendung des § 179 ZPO durch das Berufungsgericht in jenen Fällen möglich sei, in denen das Erstgericht bereits die Beweise zum verspäteten Vorbringen aufgenommen habe, keine Rechtsprechung vorliege.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zurückweisung des neuen Vorbringens der Beklagten korrekturbedürftig ist; sie ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Hat nämlich das Erstgericht – wie hier – eine verfahrensrechtliche Entscheidung gemäß § 179 ZPO nicht getroffen und das neue Vorbringen aus materiell-rechtlichen Gründen nicht berücksichtigt, die zweite Instanz aber das neue Vorbringen gemäß § 179 ZPO zurückgewiesen, so kann diese Entscheidung des Berufungsgerichts in dritter Instanz überprüft werden (RS0036739).

2. Gegen den Zurückweisungsbeschluss nach § 179 ZPO ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig (§ 179 letzter Satz ZPO). Die Beklagten konnten daher diese Entscheidung erst mit ihrem nunmehr erhobenen Rechtsmittel anfechten. Ob der vorbehaltene Rekurs in diesem Fall in Verbindung mit dem Rechtsmittel gegen eine spätere abgesondert anfechtbare Entscheidung auszuführen ist, es aber nicht schadet, wenn der Rechtsmittelwerber den Beschwerdepunkt nicht gesondert als Revisionsrekurs, sondern im Rahmen der Revision ausführt, weil es sich dann um eine bloß unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels handelt (vgl 6 Ob 195/16v Pkt 8.1. mwN) oder ob die präkludierte und unterlegene Partei dies als Verfahrensmangel (Stoffsammlungsmangel) geltend machen kann/muss (vgl Annerl in Fasching/Konecny 3 II/3 § 179 ZPO Rz 91; Fucik in Rechberger, ZPO5 § 179 Rz 8; 6 Ob 62/13f; RW0000865), macht hier für die inhaltliche Behandlung des Rechtsmittelvorbringens keinen Unterschied (vgl 4 Ob 50/06s Pkt 2.). In ihrer – gesetzmäßig ausgeführten – Mängelrüge machen die Revisionswerber ohnedies einen entsprechenden Verfahrensmangel des Berufungsgerichts geltend.

3. Der Senat teilt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 12. 2. 2018 bereits wesentlich früher erstatten können, nicht. Erst im Schreiben an die Klägerin vom 27. 9. 2017 haben die Beklagten erstmals konkret ihre Schadenersatzforderung geltend gemacht und eine Aufrechnung mit der aus ihrer Sicht noch zu Recht bestehenden Werklohnforderung der Klägerin erklärt. Das diesen neuen rechtserzeugenden Tatsachen zugrunde liegende Vorbringen hätten die Beklagten ohne Einbringung eines Schriftsatzes frühestens in der mündlichen Verhandlung vom 20. 2. 2018 erstatten können (vgl § 257 Abs 3 ZPO). Abgesehen davon, dass die Bestimmung des § 179 ZPO der Sicherstellung der Prozessförderungspflicht der Parteien im Verfahren dient und diese die Parteien nicht dazu verhält, bestimmte außergerichtliche Schritte (rechtzeitig bzw früher) zu setzen, besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagten durch ihr Vorgehen den Prozess verschleppen wollten (vgl Ruhen des Verfahrens, außergerichtliche Vergleichsgespräche).

4. Da zum Vorbringen der Parteien (ab ON 54) nicht alle Beweise aufgenommen wurden und Feststellungen fehlen, ist mit einer Aufhebung vorzugehen und die Rechtssache sogleich an das Erstgericht zurückzuverweisen.

5. Bei seiner neuerlichen Entscheidung wird das Erstgericht unter anderem Folgendes zu berücksichtigen haben:

5.1. DieBeklagten haben sich zur Abweisung der klagsgegenständlichen Werklohnforderung im Verfahren ursprünglich auf ihr Leistungsverweigerungsrecht wegen bestehender Mängel am Werk, das nach herrschender Ansicht sich auf die Einrede des nicht (gehörig) erfüllten Vertrags nach § 1052 ABGB gründet (RS0020161; RS0021730 ua), gestützt.

5.2. Mit ihrem (großteils) neuen Vorbringen im Schriftsatz vom 12. 2. 2018 (ON 54) und in den mündlichen Verhandlungen vom 20. 2. 2018 und 26. 2. 2019 änderten die Beklagten die rechtserzeugenden Tatsachen ihrer Einwendungen. Sie berufen sich nunmehr darauf, dass das Werk nun – wenn auch durch Ersatzvornahme – zwar ordnungsgemäß fertiggestellt sei, aber die Werklohnforderung deshalb nicht zu Recht bestehe, weil die Klägerin zum einen nicht alle verrechneten Leistungen erbracht habe (ON 54 Seite 3) und zum anderen der der Klägerin zustehende Werklohn (10.520,88 EUR) durch außergerichtliche Aufrechnungserklärung mit einer den Beklagten zustehenden Schadenersatzforderung aus der Ersatzvornahme betreffend die Fenster getilgt sei. Zudem wendeten die Beklagten ihre Schadenersatzforderung auch compensando bis zur Höhe einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung ein.

5.3. Die außergerichtliche Aufrechnungserklärung der Beklagten setzt – worauf die Klägerin auch zutreffend hinweist – die Anerkennung der Hauptforderung voraus (RS0033970 [T10]). Auch erlischt das Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers, sobald er die Fertigstellung des Werks durch den Unternehmer verhindert oder unmöglich macht oder wenn er – wie hier – das noch unvollendete Werk von einem Dritten vervollständigen lässt (RS0021925 [T8]; RS0019929 [T6] ua). Begehrt der Werbesteller nicht mehr Verbesserung, sondern Preisminderung, weil der Werkunternehmer nicht sämtliche Leistungen erbracht hat, ist er zur Kompensation mit seiner Preisminderungsforderung berechtigt (RS0018759).

5.4. Ob die Klägerin mit der Verbesserung des ursprünglich mangelhaften Werks in Verzug war und die Beklagten daher die Verbesserungskosten der Berechnung ihres Geldersatzes zugrunde legen dürfen (vgl Zöchling-Jud in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 933a Rz 18 mwN; vgl RS0131269) oder ob die Beklagten infolge „voreiliger Selbstvornahme“ durch einen Dritten von der Klägerin nur den Ersatz jenes Aufwands verlangen können, als dieser Aufwand auch die Klägerin getroffen hätte (vgl 9 ObA 45/17h Pkt II.2.; RS0123968), kann mangels ausreichender Sachverhaltsgrundlage derzeit noch nicht beantwortet werden.

Der Berufung der Beklagten war daher Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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