OGH 1Ob231/19f

OGH1Ob231/19f21.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. W* S*, vertreten durch die Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH, Salzburg, gegen die beklagte Partei G*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Christian Schubeck und Dr. Michael Schubeck, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 6. November 2019, GZ 22 R 299/19b‑29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 27. August 2019, GZ 31 C 101/18w‑24, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127630

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung können Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt wurden, nicht als Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963). Zudem nimmt die Beklagte zur Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das die abstrakte Eignung der Unterlassung der Einholung eines bestimmten Sachverständigengutachtens für die Verhinderung einer erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung der Streitsache begründet verneinte, inhaltlich gar nicht Stellung.

2. Ob eine konkludente Willenserklärung vorliegt und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hat, ist regelmäßig einzelfallbezogen zu beurteilen und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0109021 [T6]). An eine schlüssige Servitutsbegründung sind grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, weil diese einem Teilrechtsverzicht gleichkommt (RS0114010 [T6]). Ein schlüssiger Dienstbarkeitsvertrag kommt nicht schon durch die bloße Duldung eines bestimmten Gebrauchs des dienenden Guts, sondern erst dann zustande, wenn zusätzliche Sachverhaltselemente den Schluss erlauben, der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende rechtsgeschäftliche Wille der (jeweils) Belasteten habe sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezogen (RS0111562; vgl RS0011661 [T4]).

Die Beklagte vermag keine Umstände aufzuzeigen, aus denen sich die (behauptete) konkludente unentgeltliche Einräumung eines Dienstbarkeitsrechts zu Gunsten ihres Grundstücks 711/2 ergibt.

3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass selbst wenn – was die Beklagte nachzuweisen versucht – ihr unbebautes Grundstück 711/2 seit mehr als drei Jahrzehnten über das Grundstück 713 des Klägers „verkehrlich aufgeschlossen“ gewesen sein sollte, eine unzulässige Ausdehnung eines allenfalls ersessenen Geh‑ und Fahrrechts über das Grundstück 713 für das Grundstück 711/2 vorliegen würde, ist nicht zu beanstanden. Die Fragen des Ausmaßes bzw Umfangs einer Dienstbarkeit und der Grenzen der zulässigen Erweiterung sind grundsätzlich einzelfallbezogen und bilden – von einer (hier nicht vorliegenden) Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0016368 [T18a]; vgl RS0011733 [T11]).

Nach § 484 ABGB kann der Besitzer des herrschenden Guts zwar sein Recht auf die ihm gefällige Art ausüben. Servituten dürfen aber nicht erweitert, sondern müssen vielmehr, insoweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestatten, eingeschränkt werden. Eine die Belastung des dienenden Guts erheblich erschwerende Änderung der Benützungsart des herrschenden Guts wäre eine unzulässige „Erweiterung der Dienstbarkeit“ (RS0016370; RS0097856 [T9, T12]). Der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit erfordert eine Interessenabwägung (vgl RS0011733), wobei der Eigentümer des dienenden Grundstücks erhebliche oder gar unzumutbare Erschwernisse nicht hinnehmen muss (RS0011733 [T2, T5]). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die geplante Errichtung eines Einfamilienhauses mit Carport auf einem bislang unbebauten Grundstück (711/2) sei eine bedeutende Änderung der Benützungsart und zudem eine Kultur‑ und Widmungsänderung dieser Liegenschaft, die schon wegen der zu erwartenden regelmäßigen Fahrten der Bewohner dieses Einfamilienhauses eine erhebliche Mehrbelastung des dienenden Grundstücks 713 bewirke, womit eine unzulässige Ausdehnung einer allfälligen Dienstbarkeit vorliege, entspricht der zitierten Judikatur. Seine Beurteilung, die Nutzung des unbebauten Grundstücks 711/2 als Gartenfläche und gelegentlich als Kfz‑Abstellplatz für Besucher des früher auf Grundstück 704/3 befindlichen Mehrparteienhauses habe das benachbarte Grundstück 713 des Klägers wesentlich weniger belastet, als es eine regelmäßige Benützung des auf dem Grundstück 711/2 geplanten Einfamilienhauses samt Carport täte, ist auch deshalb unbedenklich, weil das Befahren durch die Besucher dem (herrschenden) Grundstück 704/3 zuzurechnen ist und nicht dem Grundstück 711/2.

4. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0011618; RS0119170) entsteht bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit. Damit wird angenommen, dass der durch den Übertragungsakt tatsächlich geschaffene Zustand die Natur einer Dienstbarkeit hat und die Servitut somit unmittelbar durch den Übertragungsakt entsteht. Im Zeitpunkt der Übereignung des dienenden Grundstücks müssen Anlagen vorhanden sein, die den Zweck des Dienens offenkundig machen (RS0011618 [T8]). Ob im Zeitpunkt des Erwerbs des dienenden Grundstücks Anlagen oder sonstige Einrichtungen vorhanden waren, die den Zweck des Dienens als offenkundig erkennen ließen und eine Erkundigungspflicht auslösten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0011618 [T30]; RS0034803 [T19]; RS0119170 [T5]).

Selbst wenn im Zeitpunkt der Übereignung des dienenden Grundstücks 713 das Grundstück 711/2 über dieses erkennbar „verkehrlich aufgeschlossen“ gewesen wäre, würde sich daraus das von der Beklagten angestrebte Geh‑ und Fahrrecht „im Ausmaß der vorhersehbaren (gemeinsamen) Nutzung mit [ihrem] Grundstück 704/3“ nicht ergeben.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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