European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126850
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die A* GmbH ist schuldig, der P* GmbH die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die P* GmbH (in der Folge: Antragstellerin), deren Geschäftsführer Dipl.‑Ing. J* ist, und die Revisionsrekurswerberin, deren Geschäftsführer Dr. R* ist, sind zu je 50 % Gesellschafter der eingetragenen S* GmbH. Kollektiv vertretungsbefugte Geschäftsführer dieser Gesellschaft sind Dipl.‑Ing. J* und Dr. R*; die Gesellschaft verfügt weder über einen Aufsichtsrat noch über einen Prokuristen. Dipl.‑Ing. J* und Dr. R* sind Mehrheits- bzw Alleingesellschafter der Antragstellerin bzw der Revisionsrekurswerberin.
Nach Auffassung der Antragstellerin stehen der Gesellschaft Forderungen gegenüber der Revisionsrekurswerberin in Höhe von 950.000 EUR und gegenüber der Revisionsrekurswerberin sowie deren Geschäftsführer in Höhe von 16.667 EUR sowie von 4.313 EUR aus dem Titel der Einlagenrückgewähr, der Bereicherung und der Geschäftsführerhaftung zu. In der außerordentlichen Generalversammlung vom 26. 9. 2018, in der sich die Gesellschafterinnen auf keinen Vorsitzenden einigen konnten, beantragte die Antragstellerin deshalb die Fassung des Beschlusses auf Rückforderung von 950.000 EUR von der Revisionsrekurswerberin und von 17.500 EUR sowie 4.550 EUR von der Revisionsrekurswerberin und deren Geschäftsführer; aufgrund dessen offensichtlichen Interessenkonflikts möge Dipl.‑Ing. J* allein mit der Durchführung beauftragt werden. Die Antragstellerin stimmte für diesen Antrag, die Revisionsrekurswerberin dagegen; außerdem erhoben beide Gesellschafterinnen Widerspruch mit der Begründung, die jeweils andere sei von der Beschlussfassung ausgeschlossen.
Über Antrag der Antragstellerin (dieser spricht zwar formell vom „Prozesskurator“, meint aber erkennbar einen Kollisionskurator) bestellten die Vorinstanzen für die Gesellschaft einen Kollisionskurator zur Führung von Gerichtsverfahren zur klageweisen Einbringung von Forderungen gegenüber der Revisionsrekurswerberin in Höhe von 950.000 EUR und gegenüber der Revisionsrekurswerberin sowie deren Geschäftsführer in Höhe von 16.667 EUR sowie von 4.313 EUR. In Kollisionsfällen sei nach ständiger Rechtsprechung sowohl die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG als auch die Bestellung eines Kollisionskurators analog § 271 ABGB idF vor dem 2. Erwachsenenschutzgesetz zulässig, woran sich durch die Neuformulierung der Kollisionskuratel durch das 2. Erwachsenenschutzgesetz (§ 277 Abs 2 ABGB nF) nichts geändert habe. Ein Interessenwiderstreit bestehe hinsichtlich Dr. R*, sollen doch Klagen gegen ihn persönlich und gegen die in seinem Alleineigentum stehende Revisionsrekurswerberin von der Gesellschaft eingebracht werden, was die Bestellung eines Kollisionskurators notwendig mache. Durch diese Bestellung werde nicht ein gesellschaftsinterner Machtkampf durch das Gericht geschlichtet, die Antragstellerin könne auch nicht auf ihre Minderheitsrechte nach § 48 GmbHG verwiesen werden, bestehe doch zwischen diesen und einer Kuratorbestellung Anspruchskonkurrenz.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Im Verfahren zur Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG genießen die Gesellschafter und der bestellte Notgeschäftsführer Parteistellung (6 Ob 53/06x); nichts Anderes kann in einem Verfahren gelten, in dem für die Gesellschaft ein Kollisionskurator bestellt wird bzw werden soll. Die Revisionsrekurswerberin ist Gesellschafterin der Gesellschaft.
2. Nach herrschender Auffassung kommt die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG auch dann in Betracht, wenn ein Geschäftsführer zwar vorhanden ist, aber eine Interessenkollision vorliegt (6 Ob 36/85; 6 Ob 53/06x; Pöltner, Der Notgeschäftsführer in der GmbH [2002] 40 ff; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 15a Rz 2; Rohregger/Kudma in FAH [2017] § 15a GmbHG Rz 57; N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG² [2018] § 15a Rz 17 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in FN 48). Die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers setzt voraus, dass entweder überhaupt keine Geschäftsführer vorhanden sind oder vorhandene Geschäftsführer ganz allgemein oder im Einzelfall nicht handeln können (RS0059994; Koppensteiner/Rüffler aaO § 15a Rz 3). Ein Geschäftsführer ist auch dann nicht handlungsfähig, wenn er einem Interessenkonflikt unterliegt (6 Ob 53/06x; 6 Ob 67/18y). Allerdings soll die Bestellung eines Notgeschäftsführers nur ein Vertretungsdefizit beseitigen, nicht aber dazu dienen, Rechtshandlungen der Gesellschaft zu erzwingen (vgl 6 Ob 53/06x; 6 Ob 67/18y; 6 Ob 26/19w). Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, wonach die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers unzulässig ist, wenn ein Geschäftsführer bloß einzelne Geschäftsführungsakte ablehnt; in einem solchen Fall liegt es an der Gesellschafterversammlung, die ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen (RS0059994).
3. Nach ebenfalls herrschender Auffassung kann statt oder vor der Bestellung eines Notgeschäftsführers (unter anderem) analog § 271 ABGB idF vor dem 2. Erwachsenenschutzgesetz ein Kollisionskurator für die Gesellschaft bestellt werden (RS0049011; RS0059923; Ratka in Straube, WK GmbHG [2013] § 15a Rz 2 mit weiteren Nachweisen aus der Literatur; Koppensteiner/Rüffler aaO § 15a Rz 2; Rohregger/Kudma aaO Rz 57). Da der Gesetzgeber des 2. Erwachsenenschutzgesetzes im hier interessierenden Zusammenhang in § 277 Abs 2 ABGB nF lediglich Umformulierungen der §§ 271 ff ABGB aF vornahm (vgl Erläut zu § 277 ABGB, zitiert bei Gitschthaler/Schweighofer, Erwachsenenschutzrecht [2017] 135), hat sich mit Inkrafttreten des 2. Erwachsenenschutzgesetzes – entgegen der im außerordentlichen Revisionsrekurs vertretenen Auffassung – keine Änderung der Rechtslage ergeben. Diese Option kommt seit Einfügung des § 15a GmbHG durch die GmbHG‑Nov 1980 insbesondere dann in Betracht, wenn keine weiteren dringenden Vertretungshandlungen als jene der konkreten Prozessführung anstehen (Duursma/Duursma-Kepplinger/M. Roth, Handbuch zum Gesellschaftsrecht[2007] Rz 2809; Ratka aaO Rz 2); nach Zib (Der Notgeschäftsführer – Geschäftsführer oder Supersheriff? in FS Aicher [2012] 895) erscheint es sogar vorzugswürdig, bei einer Interessenkollision des Gesellschafter-Geschäftsführers keinen Notgeschäftsführer, sondern einen Kollisionskurator zu bestellen, der den Gesellschaftern nicht weisungsgebunden ist. Der Kollisionskurator dient dabei (lediglich) der Umsetzung von Gesellschafterbeschlüssen; seine Bestellung setzt das Anfallen einer – kollisionsbehafteten – bestimmten Angelegenheit voraus (Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] §§ 271, 272 Rz 4).
4. Geht man im Sinn dieser herrschenden Auffassung (3.) von einer Konkurrenz hinsichtlich der Bestellung von Notgeschäftsführern und Kollisionskuratoren bei Handlungsunfähigkeit des Vertretungsorgans infolge Kollision (vgl 6 Ob 53/06x; 6 Ob 67/18y) aus, dann erschiene es systemwidrig, in ersterem Fall darauf zu achten, dass nur ein Vertretungsdefizit beseitigt wird, nicht aber Rechtshandlungen der Gesellschaft erzwungen werden sollen, in zweiterem Fall aber die Entscheidung über eine (allfällige) Klagsführung von der Generalversammlung der Gesellschaft auf das Gericht bzw den Kollisionskurator zu verlagern. Für diese Auffassung spricht auch die Entscheidung 5 Ob 521/84, wonach „für eine ordnungsmäßige Vertretung der Gesellschaft erforderlichenfalls durch die Bestellung eines Kollisionskurators, wenn es lediglich um die Durchsetzung der Anmeldung geht, oder durch die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG gesorgt werden“ kann. Sowohl die Bestellung eines Notgeschäftsführers (6 Ob 53/06x) als auch jene eines Kollisionskurators haben gegenüber gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen lediglich subsidiären Charakter (vgl auch Pöltner aaO 68).
5. Da die Bestellung eines Kollisionskurators (lediglich) das Anfallen einer – kollisionsbehafteten – bestimmten Angelegenheit voraussetzt, ist zu prüfen, ob entsprechende Gesellschafterbeschlüsse bereits vorliegen bzw ob solche für eine Prozessführung gar nicht notwendig sind. In einem solchen Fall wäre – jedenfalls im vorliegendenFall – von der Notwendigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators auszugehen: Die Gesellschaft wird kollektiv von ihren Geschäftsführern Dipl.‑Ing. J* und Dr. R* vertreten, bedarf somit auch im Fall einer Prozessführung der Gesellschaft gegen die Revisionsrekurswerberin, deren Alleingesellschafter Dr. R* ist, und/oder gegen diesen persönlich eines weiteren Vertreters neben Dipl.‑Ing. J*. In solchen Verfahren würde Dr. R* aber einer Kollision unterliegen (dazu ausführlich 6 Ob 169/09k GeS 2010, 77 [Fantur] = AnwBl 2010, 399 [Saurer]).
6. Der erkennende Fachsenat hat bereits klargestellt, dass es für die Geltendmachung der Rückforderungsansprüche nach § 83 GmbHG – anders als in den Fällen des § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG – keines vorausgehenden Gesellschafterbeschlusses bedarf (6 Ob 72/16f GesRZ 2016, 343 [Ettmayer/Arnold]; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 83 Rz 13; Aburumieh/Gruber in FAH [2017] § 35 GmbHG Rz 88); vielmehr wären Gesellschafterbeschlüsse, die sich gegen die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs gesetzwidrig geleisteter Zahlungen richten, gemäß § 83 Abs 4 GmbHG nichtig (6 Ob 72/16f).
6.1. Nach den Antragsbehauptungen soll sich die Geltendmachung von 950.000 EUR ausschließlich gegen die Revisionsrekurswerberin und aus dem Titel der „Einlagenrückgewähr“ richten.
6.2. Die Geltendmachung von Ansprüchen in Höhe von 16.667 EUR und 4.313 EUR sowohl gegen die Revisionsrekurswerberin als auch gegen Dr. R* stützt sich auf die Behauptung der Antragstellerin, dieser habe von der Gesellschaft errichtete Wohnungen sich selbst bzw dem Sohn seiner Lebensgefährtin unentgeltlich zur Benützung überlassen; auch dabei habe es sich um eine unzulässige Einlagenrückgewähr gehandelt.
Nun richten sich zwar Ansprüche der Gesellschaft aus dem Titel der unzulässigen Einlagenrückgewähr grundsätzlich gegen den Gesellschafter (hier: die Revisionsrekurswerberin). Allerdings hat der erkennende Senat in der Entscheidung 6 Ob 38/18h (NZ 2018/103 [Wimmer, 401] = GesRZ 2018, 303 [Zimmermann]) im Zusammenhang mit Beschlussanfechtungen nach §§ 41 ff GmbHG bereits klargestellt, dass eine Ansprüche gegen eine Gesellschaft sichernde einstweilige Verfügung „zur Verstärkung des Unterlassungsgebots“ auch gegen deren Geschäftsführer gerichtet werden kann (ErwGr 6.2.), selbst wenn dem Antragsteller gegen den Geschäftsführer ein eigener Anspruch nicht zusteht (ErwGr 6.3.); die Gesellschaft handle ja ohnehin durch ihre Organe. Diesen Schutzgedanken hat der Senat (unter Hinweis auf 7 Ob 2350/96f und 7 Ob 59/03g zur Sicherung von Ansprüchen aus Syndikatsverträgen nicht nur gegenüber Vertragspartnern, sondern auch gegenüber deren Töchterunternehmen) auch dann für anwendbar erklärt, wenn der zu sichernde (Unterlassungs-)Anspruch zwar gegenüber der Gesellschaft besteht, das Unterlassungsgebot aber dadurch unterlaufen würde, dass (100%ige) Tochter- bzw Enkelunternehmen der Gesellschaft die verbotenen Handlungen und Maßnahmen setzen (6 Ob 142/19d [ErwGr 3.3.]). Dieser Gedanke lässt sich auch im Zusammenhang mit Ansprüchen aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr jedenfalls dann nutzbar machen, wenn– wie hier – der Geschäftsführer der Gesellschafterin sich selbst oder nahen Angehörigen (6 Ob 195/18x NZ 2019/21 [Dejaco, 81] = ZfS 2019, 8 [Karollus] = GesRZ 2019, 193 [Kalss] = JEV 2019, 38 [Hügel, 77]) in Vertretung der Gesellschafterin Leistungen zukommen lässt, die dem Verbot der Einlagenrückgewähr unterliegen.
7. Mit der in § 48 GmbHG eröffneten Klagsführung durch Gesellschafter wird die Klagemöglichkeit der Gesellschaft nicht verdrängt (erg „auch von Gesellschaftern“ in § 48 Abs 1 GmbHG).
8. Damit war aber dem außerordentlichen Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG.
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