OGH 5Ob64/19a

OGH5Ob64/19a24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* GmbH, *, vertreten durch die Liebenwein Rechtsanwälte GmbH in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei C*, vertreten durch die Lachinger Rechtsanwälte OG in Korneuburg, gegen die beklagte Partei i* ag, *, vertreten durch die Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. DI * S*, vertreten durch die Allmayer-Beck Stockert Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. S*, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, wegen 1.834.890,41 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Februar 2019, GZ 1 R 166/18s‑70, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E126225

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Reichweite eines vertraglichen Gewährleistungsverzichts ist durch Auslegung im Einzelfall nach der Absicht der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs zu ermitteln (8 Ob 9/19k; RS0016561 [T1]; RS0018564 [T13]). Dabei ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur am Wortlaut der Vereinbarung zu haften, sondern es sind auch alle ihren Abschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen (8 Ob 9/19k; RS0016561 [T3]). Im Zweifel sind Verzichtserklärungen restriktiv auszulegen (RS0018561 [T1]; RS0018564 [T9]). In diesem Sinn erstreckt sich ein vertraglicher Gewährleistungsverzicht nicht auf das Fehlen– ausdrücklich oder schlüssig – zugesicherter Eigenschaften (8 Ob 9/19k; RS0018564 [T7, T12]; RS0018561 [T2]; RS0018523 [T2]).

1.2. Ob die Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft vorliegt oder nicht, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO sind daher insoweit grundsätzlich nicht gegeben. Die Auslegung eines Vertrags im Einzelfall begründet vielmehr nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (8 Ob 9/19k; 4 Ob 197/16y; 2 Ob 209/07k; vgl auch 10 Ob 47/18m; 2 Ob 304/02y; RS0014177 [T2]).

1.3. Eine solche Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht hier nicht unterlaufen. Die Revisionswerberin bezieht sich auf die Erklärung im Kaufvertrag, dass „weitere Bestand- oder sonstige Benutzungsrechte Dritter“ nicht bestünden. Die (erst) im Zug der Bauarbeiten zu Tage getretenen Fundamentvorsprünge des auf der Nachbarliegenschaft errichteten Gebäudes widersprächen dieser vertraglichen Zusicherung. Das Berufungsgericht qualifizierte die Fundamentvorsprünge (und die damit verbundenen bautechnischen Notwendigkeiten) hingegen als Fragen der Beschaffenheit und Verwendbarkeit der Liegenschaft, für die die Streitteile die Gewährleistung ausdrücklich ausschlossen. „Benutzungsrechte Dritter“ im Sinn der von der Revisionswerberin geltend gemachten Ausnahme vom allgemeinen Gewährleistungsverzicht seien mit den Fundamentvorsprüngen nicht verbunden. Das Berufungsgericht hat daher den vertraglichen Ausschluss der Gewährleistung – entgegen der Auffassung der Revisionswerberin – gerade nicht auf eine zugesicherte Eigenschaft erstreckt. Dieses vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis ist unter Bedachtnahme auf die zur Auslegung von Verträgen entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig.

2.1. Entgegen der Behauptung der Revisionswerberin ließ das Berufungsgericht auch die im Zusammenhang mit den behaupteten Nutzungsrechten Dritter wesentliche Rechtsfrage, ob eine Dienstbarkeit vorliegt, nicht unbeantwortet. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl zum Erlöschen durch gutgläubigen Erwerb: RS0012151, RS0034776; zur Offenkundigkeit: RS0034803, RS0011633, RS0011651) führte es vielmehr aus, dass selbst wenn eine außerbücherliche Dienstbarkeit zugunsten der Nachbarliegenschaft bestanden hätte, diese ohnehin mangels Offenkundigkeit durch den gutgläubigen Erwerb der Liegenschaft erloschen wäre. Die vom Berufungsgericht tatsächlich (zu Recht) nicht abschließend geklärte Frage, ob bis zum Eigentumserwerb der Beklagten eine außerbücherliche Dienstbarkeit bestanden hat, ist für die Entscheidung nicht relevant und bloß theoretischer Natur. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist auch nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271).

2.2. Gleiches gilt für die von der Revisionswerberin als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage der Qualifikation der Fundamentteile als unselbstständige Bestandteile der Liegenschaft. Die Revisionswerberin führt nicht aus und es ist auch nicht ersichtlich, welchen Einfluss diese Frage auf die rechtliche Beurteilung haben sollte. Abgesehen davon, dass zu dieser sachenrechtlichen Beurteilung umfangreiche Rechtsprechung besteht (vgl RS0009914; RS0009891; RS0112912; RS0009909; RS0009865) und die obiter angestellten Erwägungen der Vorinstanzen damit im Einklang stehen, mangelt es daher (auch) dieser Rechtsfrage an der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderlichen Präjudizialität (vgl RS0088931).

3.1. Eine Aufklärungspflicht besteht in der Regel nur dann, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0106641; RS0016390; RS0014820; RS0014811; RS0087139). Art und Ausmaß der Aufklärungspflicht richten sich dabei nach der Beschaffenheit und Funktionsweise des Kaufgegenstands und nach dem vorauszusetzenden Wissensstand des Käufers, somit nach den Umständen des Einzelfalls (10 Ob 47/18m; RS0048335 [T1]; RS0111165).

3.2. Eine solche Frage des Einzelfalls wirft in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Eine aus Gründen der Rechtssicherheit trotz der Einzelfallbezogenheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf. Die Revisionswerberin legt ihren Rechtsausführungen vielmehr schon insofern nicht den festgestellten Sachverhalt zugrunde, als sie von der positiven Kenntnis der Beklagten und der Unvollständigkeit der bereitgestellten Daten ausgeht. Das Erstgericht stellte jedoch ausdrücklich fest, dass der Beklagten die Fundamentvorsprünge nicht bekannt waren und sie der Klägerin den gesamten Bauakt und damit sämtliche ihr zur Verfügung stehende Informationen zugänglich machte.

4.1. Die von der Klägerin behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

4.2. Die in der Revision neuerlich gerügten Verfahrensfehler erster Instanz im Zusammenhang mit den vermeintlichen Stoffsammlungsmängeln hat das Berufungsgericht verneint. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371).

4.3. Die in der außerordentlichen Revision der Klägerin angesprochene Ausnahme von diesem Grundsatz liegt nur dann vor, wenn das Berufungsgericht einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat (RS0043051 [T5]; RS0106371 [T5]; RS0042963 [T37]), etwa weil es die Behandlung einer Mängelrüge infolge der vermeintlichen rechtlichen Unerheblichkeit des gerügten Mangels unterließ (RS0043051 [T5]). Die in diesem Sinn ergangenen Entscheidungen beziehen sich allerdings nicht auf den Fall, dass das Berufungsgericht – wie hier – einen primären Verfahrensmangel nach ausdrücklicher Prüfung verneint hat, unterläge doch sonst jede zweitinstanzliche Entscheidung über eine Mängelrüge der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RS0043051 [T4]; RS0042963 [T55]). Im Übrigen ist dem Berufungsgericht bei der Erledigung sowohl der Mängel- als auch der Beweisrügen eine solche unrichtige rechtliche Beurteilung auch nicht unterlaufen.

5. Die außerordentliche Revision zeigt somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Diese war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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