OGH 6Ob103/19v

OGH6Ob103/19v24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E*, 2. D*, 3. mj A*, geboren am * 2014, vertreten durch die Mutter E*, alle *, vertreten durch Dr. Karin Prutsch und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei S*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.000 EUR sA hinsichtlich der Drittklägerin, über die Revision der drittklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. März 2019, GZ 3 R 7/19b‑49, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Oktober 2019, GZ 11 Cg 67/17x‑43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127206

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Drittklägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Berechtigung eines Trauerschmerzengeldes für ein knapp zweijähriges Kleinkind.

Die beklagte Krankenhausträgerin haftet den Eltern der Drittklägerin („Klägerin“) für den Tod deren Schwester wenige Stunden nach deren Geburt im März 2016. Die verantwortlichen Ärzte in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus hätten grob fahrlässig zum einen die Mutter der Klägerin nicht über das Risiko einer möglichen Uterusruptur beim Versuch einer vaginalen Geburt der Schwester der Klägerin infolge eines vorangegangenen Kaiserschnitts bei der Geburt der Klägerin und damaliger Komplikationen aufgeklärt und zum anderen die Geburt der Schwester der Klägerin durch Kaiserschnitt verspätet eingeleitet. Beiden Eltern der Klägerin wurde (unter anderem) ein Trauerschmerzengeld zugesprochen. Den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch wiesen die Vorinstanzen jedoch im Hinblick auf das Alter der Klägerin und den Umstand, dass deren Schwester bereits wenige Stunden nach der Geburt verstarb, ab.

1. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt ein Ersatz des Seelenschmerzes („Trauerschmerzengeld“) über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung im Sinne des § 1325 ABGB geführt hat, bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers in Betracht (RS0115189). Dabei sind die Intensität der familiären Bindung, das Alter von Getötetem und Angehörigen und insbesondere das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft von Bedeutung. Die Intensität der Gefühlsgemeinschaft kann nicht (nur) an der Anzahl der gemeinsam verbrachten Lebensjahre gemessen werden. Der Umstand, dass die Angehörigen um den Verlust eines haushaltszugehörigen Mitglieds der Kernfamilie (Eltern-Kinder) trauern und wegen der besonderen Intensität der familiären Nahebeziehung auch als besonders schutzwürdig anzusehen sind, fällt entscheidend ins Gewicht (2 Ob 263/06z), wobei die genannten Umstände Hilfstatsachen, also Indizien sind, aus denen in der Regel auf die im Einzelfall nur schwer beweisbare Intensität der Gefühlsgemeinschaft geschlossen werden kann (2 Ob 55/08i; 1 Ob 114/16w ZVR 2016/202 [Danzl, 456] = RdM 2017/63 [Karner] = EvBl 2017/53; Huber, ÖJZ 2017, 383).

2. Nach der Rechtsprechung ist für die Zuerkennung von Trauerschmerzengeld die intensive Gefühlsgemeinschaft maßgeblich, wie sie zwischen den nächsten Angehörigen typischerweise besteht (vgl bloß 2 Ob 141/04f; 2 Ob 90/05g ZVR 2005/73 [Karner]; 10 Ob 81/08x ZfRV‑LS 2008/71 [Ofner] = IPRax 2009/37 [Spickhoff, 527]); eine solche besteht typischerweise auch zwischen Geschwistern, die im gemeinsamen Haushalt leben (2 Ob 90/05g; 2 Ob 55/08i; 10 Ob 81/08x). Ohne Haushaltsgemeinschaft – etwa im Falle von erwachsenen Geschwistern, die an verschiedenen Orten mit ihren eigenen Familien leben und nur mehr bei gelegentlichen Familienfeiern zusammentreffen – reicht das familiäre Naheverhältnis für sich allein jedoch nicht aus, um einen Anspruch auf Trauerschmerzengeld zu begründen; vielmehr wäre dann vom Geschädigten das Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft, die jener innerhalb der Kernfamilie annähernd entspricht, zu beweisen (2 Ob 90/05g; 10 Ob 81/08x). All diesen Entscheidungen lagen Sachverhalte zugrunde, in denen die Trauerschmerzengeld begehrenden Geschwister bereits älter, zum Teil fast volljährig und zum Teil bereits erwachsen waren.

3. Die Klägerin beruft sich im Revisionsverfahren darauf, dass „die ungeborene Schwester gemeinsam mit [der Klägerin] und ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt [gelebt]“ habe, weshalb „typischerweise vom Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft zwischen diesem noch ungeborenen Kind und seinen Geschwistern auszugehen“ sei; „auch wenn das ungeborene Kind den Mutterleib noch nicht verlassen hat, bedeute dies im Umkehrschluss nicht, dass ein gemeinsamer Haushalt noch nicht vorgelegen“ habe. „Natürlich bestehe auch bei einem Kleinkind, das die gesamte Schwangerschaft der Mutter miterlebt, typischerweise eine innige Beziehung zum ungeborenen Kind; das Kleinkind erlebe über neun Monate hinweg mit, wie sich die gesamte Kernfamilie auf ein neues Familienmitglied einstellt, der Bauch der Mutter wächst und darin neues Leben entsteht. Auch ein Kleinkind [sei] gefühlsmäßig in der Lage, die Freude der Kernfamilie auf ein neues Familienmitglied mitzuerleben und daran teilzuhaben. Ein Kleinkind [werde] natürlich auch die Trauer der Eltern über den Verlust eines Familienangehörigen miterleben und verstehen, dass etwas 'Schlimmes und für die Familie Einschneidendes' passiert ist.“

Mit diesen Ausführungen stellt die Klägerin aber nicht die von der Rechtsprechung geforderte intensive Gefühlsgemeinschaft zu ihrer ungeborenen Schwester dar, sondern beschreibt – durchaus nachvollziehbar – ihre gefühlsmäßige Beziehung zu ihrer Mutter. Die Haushaltsgemeinschaft für sich allein (sofern man bei einem Nasciturus überhaupt von einer solchen sprechen kann) stellt aber noch nicht das entscheidende Kriterium dar; maßgeblich ist die intensive Gefühlsgemeinschaft des Getöteten und des Angehörigen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, einem noch nicht einmal zweijährigem Kind, das „noch keine Vorstellung von Geburt und Tod in Form der Endgültigkeit des Sterbens hat, sodass es von einem nachhaltigen Trauerprozess nicht betroffen sein kann“, stehe Trauerschmerzengeld aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls (2 Ob 55/08i), nämlich dem Tod der Schwester wenige Stunden nach deren Geburt, nicht zu, ist somit jedenfalls vertretbar.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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