OGH 14Os83/19s

OGH14Os83/19s3.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 2019 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Leitner in der Strafsache gegen Dalibor M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 10. April 2019, GZ 180 Hv 10/19b‑80, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00083.19S.0903.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Dalibor M***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in der Nacht zum 9. Oktober 2016 in G***** seinen Vater Juro M***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihn zu Boden stieß und ihm bis zu dessen Bewusstlosigkeit zunächst acht bis zehn wuchtige Faustschläge gegen dessen Kopf und Gesicht sowie dann zwei wuchtige, gezielte Fußtritte in den „seitlichen Oberkörper“ und ins Gesicht, versetzte, wobei er erst über Intervention des hinzukommenden Slavko K***** damit aufhörte, sodass die Tatvollendung scheiterte.

Die Geschworenen haben die anklagekonforme Hauptfrage bejaht und die in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und jenes der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB gestellten Eventualfragen unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 10a und 12 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO, weil die „Krankengeschichte“ des Opfers trotz dessen (berechtigter) Inanspruchnahme der Aussagebefreiung (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) verlesen und dem Sachverständigengutachten zugrunde gelegt worden sei. Ihr zuwider handelt es sich bei dieser aber um keinen „Bestandteil“ eines Protokolls über eine Zeugenvernehmung oder eines Schriftstücks, das mit dem Ziel errichtet wurde (RIS‑Justiz RS0117259; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 228), Aussagen von Zeugen festzuhalten (§ 252 Abs 1 StPO). Vielmehr stellt der relevierte medizinische Befund ein Schriftstück iSd § 252 Abs 2 StPO dar, welches, wenn es– wie hier – für die Sache von Bedeutung ist, verlesen werden muss (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 124). Der – auf die Unterlassung einer Aussonderung iSd § 322 StPO gestützte – Vorwurf einer Verletzung des

Umgehungsverbots des § 252 Abs 4 StPO geht schon mit Blick auf die (zu Recht) erfolgte Verlesung ins Leere.

Das weitere Beschwerdevorbringen (nominell Z 5, der Sache nach Z 10a) moniert (nach Art einer

Aufklärungsrüge) das Unterbleiben der „Beiziehung eines Dolmetschers für die richtige, vom Angeklagten gesprochene und für diesen verständliche (gemeint: kroatische) Sprache“ und verweist darauf, der Angeklagte habe den lediglich für die albanische Sprache gerichtlich zertifizierten Dolmetscher nicht „fehlerfrei verstehen“ können, worauf er diesen in der Hauptverhandlung auch hingewiesen habe, was jedoch „offensichtlich“ nicht „weitergeleitet“ worden sei. Die Beschwerde macht damit – auch mit Blick darauf, dass der mit dem Dolmetscher ohnehin in kroatischer Sprache kommunizierende (ON 79 S 2) Angeklagte sogar imstande war, in der Hauptverhandlung auf ein „Missverständnis bei der Übersetzung“ anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung hinzuweisen (ON 79 S 9) – nicht plausibel, wodurch er gehindert gewesen sei, die Beiziehung eines anderen Dolmetschers zu beantragen (RIS-Justiz RS0115823).

Die

Fragenrüge (Z 6) reklamiert die Stellung einer Zusatzfrage nach strafbefreiendem

Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB), weil der Angeklagte „von sich aus vom Opfer abgelassen“ habe.

Gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen und jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines die begehrte Zusatzfrage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0119417; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23). Durch selektives Betonen einzelner Aussageteile unter Außerachtlassen des Zusammenhangs wird die Indizwirkung für eine angestrebte Zusatzfrage nicht dargetan (vgl RIS-Justiz RS0100464).

Soweit die Beschwerde bloß Teile der Verantwortung des Angeklagten hervorhebt, nach denen er aufgrund der Bewusstlosigkeit des Opfers von diesem abgelassen habe (ON 79 S 8), vernachlässigt sie seine weiteren in der Hauptverhandlung getätigten Angaben, insbesondere jene, wonach ihn ein Mann von seinem Vater weggezogen habe und es auch sein könne, dass er ungeachtet dessen noch zweimal gegen das Tatopfer getreten habe (ON 79 S 8). Indem die Fragenrüge weiters die Angaben des Zeugen K***** ins Treffen führt, denen zufolge der Angeklagte „von selbst weggegangen“ sei (ON 79 S 16), berücksichtigt sie wiederum nicht dessen weitere Depositionen in der Hauptverhandlung, wonach er den Angeklagten während dessen Tatausführung angeschrieen habe, dieser danach „sofort aufgehört“ habe, aufgestanden sei und das Opfer noch zwei- oder dreimal getreten habe (ON 79 S 16 f). Insgesamt zeigt die Beschwerde somit keine nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaften Indizien dafür auf, dass der Angeklagte aus einem

autonomen Motiv, also aus eigenem Antrieb (im Sinne einer inneren Umkehr), endgültig von der Ausführung des Mordes Abstand genommen habe (Hager/Massauer in WK2 StGB § 16 Rz 127 ff; RIS‑Justiz RS0089892).

Mit dem Vorbringen, beim Versuch sei „jedenfalls die Tauglichkeitsprüfung sowie die Bestimmung der Ausführungsnähe nach § 15 Abs 2 StGB in die Schuldfrage aufzunehmen“, verfehlt die Beschwerdekritik an der Hauptfrage (Z 6) die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes, verabsäumt sie doch zum einen eine deutliche und bestimmte Bezeichnung von die Tatvollendung (infolge absoluter Untauglichkeit der vorliegenden Tathandlungen zur Herbeiführung des Todes eines Menschen) angeblich hindernden Umständen, die in die Hauptfrage aufzunehmen gewesen wären (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 30), und erklärt zum anderen nicht, warum die festgestellten Tathandlungen als Ausführungshandlungen zum Verbrechen des Mordes nicht in Betracht kämen.

Soweit die Fragenrüge eine Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§§ 15, 76 StGB) vermisst, unterlässt sie mit dem bloßen Verweis auf den „vorliegenden Sachverhalt“ und das „abgeführte Beweisverfahren“ den gebotenen Hinweis auf konkrete Verfahrensergebnisse, die einen allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekt zur Tatzeit (RIS-Justiz RS0092271) und einen währenddessen spontan entstandenen Tötungsentschluss des Angeklagten indizieren würden (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 43; 15 Os 64/14x). Im Übrigen mangelt es dem Vorbringen an jeglicher Fundierung der Rechtsbehauptung allgemeiner Begreiflichkeit eines allfälligen solchen Zustands (RIS-Justiz RS0100677 [T5]).

Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO greift erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorgekommen sind oder vorkommen hätten können, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der

Geschworenen konstatierten entscheidenden Tatsachen aufkommen lassen, mit anderen Worten gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unrichtige Lösung der Schuldfrage qualifiziert nahelegen. Eine über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0119583).

Solche erheblichen Bedenken gegen die Sachverhaltsannahmen zum Tötungsvorsatz werden mit den Hinweisen auf einzelne Passagen der Verantwortung des diese Intention in Abrede stellenden Angeklagten in der Hauptverhandlung und das Sachverständigengutachten, demzufolge beim Opfer keine Lebensgefahr bestanden habe und die „5 bis 6 wuchtigen Faustschläge noch nicht sicher geeignet waren, den Tod herbeizuführen“, nicht geweckt. Dass aus den vorgeführten Beweisen andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, wie dies die Beschwerde darzulegen versucht, stellt den bezeichneten Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS‑Justiz RS0099674).

Die – die Unterstellung der Tat nach § 76 StGB anstrebende – Subsumtionsrüge (

Z 12) ist darauf zu verweisen, dass die Erörterung aller aus den Verfahrensergebnissen resultierenden Rechtsfragen durch die Vorschriften über die Fragestellung (§§ 312 bis 316 StPO) sichergestellt ist (RIS‑Justiz RS0099909; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 614). Die zu § 281 Abs 1 Z 9 und 10 StPO entwickelte Judikatur zu Feststellungsmängeln ist daher auf Rügen gemäß § 345 Abs 1 Z 11 und 12 StPO nicht übertragbar. Indem sich die Beschwerde somit prozessordnungswidrig (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613, 581) nicht am im Wahrspruch festgestellten Sachverhalt orientiert, sondern Feststellungen zu einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung vermisst, verfehlt sie das Anfechtungsziel materiell‑rechtlicher Nichtigkeit.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1

StPO.

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