European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070NC00021.19A.0829.000
Spruch:
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.
Begründung:
Mit der an das Bezirksgericht Schwechat gerichteten Klage vom 8. Jänner 2019 begehrte der Kläger, das beklagte Flugunternehmen mit Sitz in der Ukraine zur Zahlung von 250 EUR zu verurteilen. Er stützt sich dabei auf die Verordnung 261/2004/EG über Fluggastrechte (in der Folge: „FluggastrechteVO“). Der bei der Beklagten gebuchte Flug habe von Wien‑Schwechat nach Kiew‑Boryspil geführt und sei mehr als drei Stunden verspätet gewesen. Da die Flugstrecke nicht mehr als 1.500 km betragen habe, stehe dem Kläger eine Ausgleichsleistung gemäß Art 5 iVm Art 7 Abs 2 FluggastrechteVO von 250 EUR zu.
Mit Beschluss vom 10. Jänner 2019 wies das Bezirksgericht Schwechat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Der in Anspruch genommene Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 88 Abs 1 JN stehe nicht zur Verfügung, weil dafür der urkundliche Nachweis einer Vereinbarung über den Erfüllungsort erforderlich sei. Eine solche Vereinbarung liege hier nicht vor.
Mit Beschluss vom 11. April 2019 bestätigte das Rekursgericht diese Entscheidung, sodass der Zurückweisungsbeschluss in Rechtskraft erwuchs.
Mit seinem – für diesen Fall erhobenen, an den Obersten Gerichtshof gerichteten – Ordinationsantrag gemäß § 28 JN beantragt der Kläger die Ordination des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien als für die Klage örtlich zuständiges Gericht. Die Ansprüche würden aus Unionsrecht abgeleitet, weshalb Österreich sicherstellen müsse, dass die Ansprüche effektiv durchgesetzt werden könnten. Außerdem sei die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar, weil die Klagsführung im Ausland ein übermäßiges Erschwernis begründe und die Durchsetzung der Ansprüche in der Ukraine aussichtslos erscheine.
Rechtliche Beurteilung
Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben:
1. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, das für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Z 1), wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2), oder wenn die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart wurde (Z 3).
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Ordinationsantrag unzulässig, bevor die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeit in einem bereits anhängigen ordentlichen Verfahren rechtskräftig entschieden wurde (RS0046450); im Anlassfall liegt eine solche Entscheidung vor. Anders als bei einer Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN (vgl 4 Nc 8/19t) kommt eine Ordination nach Z 2 leg cit auch dann in Betracht, wenn im Rahmen des Zuständigkeitsstreits die internationale Zuständigkeit Österreichs verneint wurde (§ 28 Abs 2 JN). Wird ein Ordinationsantrag – wie hier – als Eventualantrag für den Fall gestellt, dass das angerufene Gericht seine örtliche Zuständigkeit nicht bejaht, dann hat das in der Hauptsache angerufene Gericht zwar über die Zuständigkeit zu entscheiden, darf die Klage aber nicht zurückweisen (RS0128796). Die hier bereits erfolgte Zurückweisung der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit steht dem Ordinationsantrag jedoch nicht entgegen. Im Fall seiner Stattgebung ist die Klage neu beim ordinierten Gericht einzubringen (8 Nc 16/19y mwN).
2.1. Der Kläger stützt seinen Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Durch diese Bestimmung wird eine inländische Notkompetenz für den Fall eröffnet, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist. Da es sich um eine Notkompetenz handelt, ist eine strenge Prüfung geboten (vgl RS0046159; RS0057221 [T4]).
Die nach der in Rede stehenden Bestimmung erforderliche allgemeine Voraussetzung des Naheverhältnisses zum Inland ist hier schon durch den Abflugort in Wien‑Schwechat erfüllt.
2.2. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland liegt nach der Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden könnte, eine Prozessführung im Ausland wenigstens eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder die Kostspieligkeit des ausländischen Verfahrens die ausländische Rechtsverfolgung unzumutbar macht (RS0046148).
Gemäß § 79 Abs 2 EO sind (nur) Akte und Urkunden für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staats, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar sind und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt ist. Damit geht Österreich vom Prinzip der formellen Gegenseitigkeit aus (vgl Garber in Angst/Oberhammer , EO 3 § 79 Rz 19).
Zwischen Österreich und der Ukraine besteht kein bilaterales Abkommen oder multilaterales Übereinkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw von Entscheidungen über Ansprüche aus Flugverspätungen.
Aus dem Vorbringen des Klägers im Ordinationsantrag ergibt sich, dass er die Durchsetzung seiner ihm durch die FluggastrechteVO eingeräumten Rechte in der Ukraine für aussichtslos hält. Daraus lässt sich (noch) ausreichend deutlich ableiten, dass er die Vollstreckung in Österreich anstrebt, was bei einem Exekutionstitel aus der Ukraine allerdings nicht möglich ist. Der Ordinationsantrag ist daher berechtigt.
2.3. Dieses Ergebnis wird durch folgende – auch vom Ordinationswerber aufgezeigten – unionsrechtlichen Überlegungen bekräftigt: Der Kläger leitet seine Ansprüche aus der FluggastrechteVO, also aus einem unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt ab. Für solche Ansprüche haben die Mitgliedstaaten nach Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen (vgl RS0132702). Diesem Unions‑Verfahrensgrundrecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen (vgl 4 Nc 11/19h mwN). Aus diesem Grund sind alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der FluggastrechteVO normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen (6 Nc 1/19b = ZVR 2019/114 [zust Mayr ]; siehe allgemein EuGH C‑274/16, flightright ), zumal eine Verweigerung der Ordination geradezu einer Rechtsschutzverweigerung gleichkäme ( Mayr , ZVR 2019, 261 [263]).
3. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts enthält § 28 JN keine ausdrücklichen Vorgaben. Nach der Rechtsprechung ist dabei auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der vorliegenden Rechtssache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, weil der Abflugort im Sprengel dieses Gerichts gelegen war; zudem wurde die vorliegende Klage bei diesem Gericht bereits behandelt (vgl 4 Nc 11/19h; 6 Nc 1/19b; 2 Nc 12/19s; 2 Nc 17/12s).
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