European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00024.19X.0529.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nurettin K***** des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (A.I.), der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A.II. und B.I.), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A.III.), des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und Abs 2 StGB (A.IV.) sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (B.II.) schuldig erkannt.
Danach hat er in Z***** und an anderen Orten Österreichs
A.I. von 5. bis 8. Jänner 2008 Manuela K***** widerrechtlich gefangen gehalten und ihr auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem er sie in einem Kellerraum gefesselt und geknebelt einsperrte und die Türen verschraubte, wobei die Freiheitsentziehung auf solche Weise begangen wurde, dass sie der Festgehaltenen [zufolge Fesselung, Knebelung, Schmerzen und Zurücklassen im einurinierten Zustand; US 6] besondere Qualen bereitete;
II. am 5. Jänner 2008 Manuela K***** dadurch, dass er sie am Hals packte und würgte sowie mit dem Kopf gegen die Wand schlug und ihr mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlug und sie dabei in den Kellerraum drängte, „diese mit Gewalt zu einer Duldung, nämlich in diesem Kellerraum zu verweilen, genötigt“;
III. durch die unter A.II. angeführten Tathandlungen, die ein Brillenhämatom rechts, eine Schädelprellung und eine Nasenprellung zur Folge hatten, Manuela K***** vorsätzlich am Körper verletzt;
IV. durch die unter A.II. angeführten Tathandlungen sowie am 6. Jänner 2008 dadurch, dass er [veranlasste, dass seine Schwägerin Fatma K*****; US 7] mit der am 17. Juli 2006 geborenen Peri K***** in die Türkei flüchtete, eine unmündige Person der Erziehungsberechtigten Manuela K***** entzogen;
B. zwischen 13. und 14. Juni 2007 Manuela K*****
I. durch gefährliche Drohung [mit zumindest einer Verletzung am Körper; US 4], und zwar durch die Äußerung, er werde sie schlagen, sollte sie ihm das Handy nicht ausfolgen, zu einer Handlung, und zwar zur Ausfolgung ihres Mobiltelefons genötigt;
II. gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr zwei Mal mit der Faust ins Gesicht schlug, nach einem Messer fragte, ein Messer zur Hand nahm, sie mit dem Hinterkopf mehrmals gegen die Wand schlug, sie an den Haaren erfasste und in das Badezimmer zerrte, dort von ihr forderte sich hinzuknien und zu ihr sagte, er werde ihr die Kehle durchschneiden, wobei er das Messer an ihre Kehle hielt, und zwei Tschetschenen würden warten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt:
Durch die – mit Verfahrensrüge (Z 4) bekämpfte – Ablehnung der begehrten Vernehmung der im Ausland lebenden Zeugen Nermin und Hüseyin J*****, Alessandra E*****, Hevi A*****, Ferdinando F*****, Augusto A*****, Mehmet U***** und Nurten G***** (ON 161 S 61) wurden keine Verteidigungsrechte verletzt:
Weshalb diese Personen, die der Angeklagte zunächst nicht namentlich benennen (ON 147 S 30 f), sondern erst kurz vor dem letzten Tag der Hauptverhandlung über eine „Kontaktperson“ ausfindig machen konnte (ON 161 S 62), nach Ablauf von mehr als zehn Jahren noch zu bestätigen in der Lage sein sollten, dass sie konkret vom 5. auf den 6. Jänner 2008 bei einer Feier im Haus des Angeklagten waren, und überdies durch deren Befragung der Nachweis zu erbringen sei, dass es tatsächlich Manuela K***** war, die sie an diesem Abend bewirtet hat und solcherart auch nicht im Keller eingesperrt gewesen sein konnte, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan (RIS‑Justiz RS0107040). Da § 281 Abs 1 Z 4 StPO nur auf den Beschluss selbst oder dessen Unterlassung (nicht aber auf die Gründe hiefür) abstellt, steht die Richtigkeit der Begründung des Schöffengerichts für seine abweisliche Entscheidung nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS‑Justiz RS0121628; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 318); insofern vorgetragene Kritik geht daher ins Leere. Das gilt auch für die zur Antragsfundierung nachgereichte Argumentation, weil bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrags stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Stellung des Antrags und den bei seiner Stellung vorgebrachten Gründen auszugehen ist (RIS‑Justiz RS0099618).
Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter die (zu Feierlichkeiten im Jänner 2008 getätigten) Aussagen der Zeugen Peter P*****, Alan C***** und Sedat Pe***** durchaus einer Würdigung unterzogen (US 9 f). Dabei waren sie nicht verhalten, jede einzelne (in der Beschwerdeschrift wiedergegebene) Passage deren Bekundungen einer gesonderten Erörterung zu unterziehen (RIS‑Justiz RS0106642). Dass aus diesen Verfahrensergebnissen auch andere (als die vom erkennenden Gericht gezogenen) Schlüsse denkbar gewesen wären, stellt keinen Nichtigkeitsgrund dar.
Davon, dass Manuela K***** während ihrer Aufenthalte im Frauenhaus immer wieder Kontakt zum Angeklagten hatte und auch Zeit bei ihm im Haus verbrachte, ging das Schöffengericht ohnehin aus (US 8), kam jedoch zum Ergebnis, dass dies nichts an deren Glaubwürdigkeit ändern könne. Das diesbezüglich aus Z 5 zweiter Fall erstattete Vorbringen übt bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
Inwiefern vom Angeklagten (mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2018; ON 155) vorgelegte Lichtbilder und Unterlagen in einem erörterungsbedürftigen Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zu einer entscheidungswesentlichen Feststellung (RIS‑Justiz RS0106268 [T5 und T6]) stehen sollten, lässt die Beschwerde nicht erkennen.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet „materielle Wertungsfehler“ zufolge „übergangener“ Beweisergebnisse, kritisiert eine „unvollständige Aufarbeitung divergierender Beweisergebnisse“ und fordert (andere) Feststellungen „zu dem sich aus den Zeugenaussagen ergebenen Sachverhaltskomplex bezüglich einer Feier im Widerspruch zu den Ausführungen der Zeugin zur Freiheitsberaubung und Nötigung“ ein. Damit verfehlt sie die Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes, der das strikte Festhalten am Urteilssachverhalt und den ausschließlich auf dessen Basis geführten Nachweis eines Rechtsirrtums zur Voraussetzung hat (RIS‑Justiz RS0099810). Indem der Beschwerdeführer den Ersatz tatsächlich getroffener Feststellungen durch für seinen Standpunkt günstigere begehrt, macht er keinen
Feststellungsmangel geltend, sondern erstattet neuerlich bloß ein Vorbringen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0118580 [T25]).
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) einen Verstoß gegen das Verbot wiederholter Strafverfolgung (ne bis in idem) darin ortet, dass der Beschwerdeführer „wegen desselben Sachverhaltskomplexes“ bereits in der Türkei verurteilt worden sei, erklärt sie nicht, weshalb ein türkisches Urteil die Voraussetzungen des – fürSchengenstaaten geltenden – Verbots der Doppelbestrafung nach Art 54 SDÜ oder des – zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union statuierten – Art 50 GRC begründen sollte (vgl Birklbauer, WK‑StPO § 17 Rz 8 ff, 27; Salimi in WK² StGB Vor §§ 62-67 Rz 26 ff; Gerson, Verfahrenseinstellung und transnationales Doppelbestrafungsverbot im „europäischen Strafverfahren“ – Deutsche und österreichische Perspektiven, JSt 2018, 466).
Dass sich aus Art 6 MRK ein Recht ableiten lassen sollte, nicht in verschiedenen Konventionsstaaten erneut vor Gericht gestellt zu werden, wird von der Beschwerde ohne methodengerechte Ableitung schlicht behauptet (RIS‑Justiz RS0116565; vgl dagegen den – innerstaatlich in § 17 Abs 1 StPO umgesetzten – Art 4 des 7. ZPMRK, wonach niemand „wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden“ darf).
Auf welches „Assoziationsabkommen der Türkei mit Österreich“ die Beschwerde Bezug nimmt, lässt diese nicht erkennen.
Die vom Nichtigkeitswerber vertretene Rechtsauffassung, „das Gebot der Vermeidung von Doppelbestrafung und doppelten Verfahren in unterschiedlichen Ländern“ gelte – vorbehaltlich des „ordre public“ – „prinzipiell immer“, entbehrt abermals einer Ableitung aus gesetzlichen Grundlagen und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung (zur Ablehnung eines transnationalen Strafklageverbrauchs als allgemeine Regel des Völkerrechts vgl Gerson, Verfahrenseinstellung und transnationales Doppelbestrafungsverbot im „
europäischen Strafverfahren“ – Deutsche und österreichische Perspektiven, JSt 2018, 466 mwN).
Die Behauptung, es sei mit Blick auf die Aussage der Zeugin Manula K***** von einem „Strafklageverbrauch“ hinsichtlich B.II. des Schuldspruchs auszugehen (Z 9 lit b), lässt offen (RIS‑Justiz RS0122332), auf welches konkrete „Gerichtsverfahren“ sich der Nichtigkeitswerber bezieht, das (aus seiner Sicht) „mit einem Freispruch oder einer Einstellung endete“, ohne dass die Staatsanwaltschaft „ein Wiederaufnahmeverfahren durchgeführt“ bzw „die Rechtskraft des alten Verfahrens“ „berücksichtigt“ hat (vgl insofern aber die – zur Verfahrensfortführung und Anklageausdehnung [ON 147 S 66 f, ON 161 S 66] – erfolgte Bekanntgabe der Staatsanwaltschaft vom 10. Oktober 2018 [ON 1 S 48 f]). Dass die Anklagebehörde zur (weiteren) Verfolgung dieses Vorfalls vom Juni 2007 (vgl ON 3 S 49 ff; ON 147 S 34 f) nicht berechtigt gewesen wäre, wird solcherart nur unsubstantiiert behauptet.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken, dass dem Ersturteil im Schuldspruch A.II. ein Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) anhaftet: Eine gefährliche Drohung oder Gewaltanwendung, mit der der Täter ausschließlich den Zweck verfolgt, des Opfers einer beabsichtigten Freiheitsentziehung habhaft zu werden oder eine bereits verwirklichte Freiheitsentziehung aufrecht zu erhalten, wird – sofern es sich nicht um eine schwere Nötigung nach § 106 StGB handelt – als typische Begleittat in der Regel, und zwar dann vom Unrechtsgehalt des § 99 StGB konsumiert, wenn ihr Unwert unter Berücksichtigung der konkreten Fallgegebenheiten im Verhältnis zur Haupttat deutlich zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0091710 [T1], RS0090842). Die vom Angeklagten zu A.II. des Schuldspruchs angewandten Nötigungsmittel dienten nach den erstgerichtlichen Feststellungen nur dazu, das Opfer zu nötigen, im Kellerraum zu bleiben (US 5). Sie fallen in ihrem zusätzlichen Unwert gegenüber der Freiheitsentziehung nach Lage des Falls nicht besonders ins Gewicht, weshalb sie bereits vom Schuldspruch nach § 99 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (A.I.) mitumfasst sind.
Mangels eines konkreten Nachteils sah sich der Oberste Gerichtshof zu einem amtswegigen Vorgehen nicht veranlasst. Das Oberlandesgericht hat die aufgezeigte Gesetzesverletzung aufgrund der Klarstellung – ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung – bei der Entscheidung über die gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0118870).
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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