European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125086
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.411,20 EUR (darin 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin begehrte von der beklagten Stadtgemeinde als Halterin eines Gehwegs im Stadtgebiet Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung für die Folgen eines Sturzes vom 7. Juli 2016. Auf dem asphaltierten Gehweg (Gehstreifen neben der Straße) befand sich eine Vertiefung im Ausmaß von rund 50 cm mal 40 cm mit einer Tiefe von zumindest 3 cm, die sich bei trockenem Wetter farblich nicht vom sonstigen Asphalt unterschied und die die Klägerin vor ihrem Sturz nicht bemerkte. Die Beklagte kontrolliert diesen Bereich täglich; die jeweils für bestimmte Strecken eingeteilten Straßenkehrer sind beauftragt, Auffälligkeiten wie Ölflecken, Vertiefungen etc zu melden und der Straßenmeister führt zusätzliche Kontrollfahrten durch. Gemeldete Vertiefungen werden sofort behoben. Die Stelle, an der die Klägerin zu Sturz kam, hätte bei den Kontrollen auffallen müssen, denn in der Vertiefung sammelt sich Regenwasser an. Die Unebenheit war jedoch den zuständigen Straßenkehrern nicht aufgefallen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagten komme das Haftungsprivileg des § 1319a ABGB zugute, weil ihr kein Organisationsverschulden vorgeworfen werden könne und die Fehleinschätzung (bzw das Übersehen) der Gefahrträchtigkeit der Vertiefung durch die von der Beklagten eingesetzten Personen nicht als grob fahrlässig zu werten sei.
Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision mit der Begründung zu, dass die Frage, ob die am Tag des Unfalls vorhandene Bodenunebenheit überhaupt eine Mangelhaftigkeit des Wegs darstelle, nicht geprüft worden sei und jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, in welchem Ausmaß Unebenheiten auf öffentlichen Gehsteigen (allenfalls gerade noch) zu tolerieren seien.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
1.1 Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit eines Wegs ist das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen (RIS‑Justiz RS0087605). Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen und billigen Grundsätzen vom Halter erwartet werden kann (RS0030180). Welche Maßnahmen ein Wegehalter im Einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich danach, was nach der Art des Wegs, besonders nach seiner Widmung, seiner geografischen Situierung in der Natur und dem daraus resultierenden Maß seiner vernünftigerweise zu erwartenden Benutzung (Verkehrsbedürfnis), für seine Instandhaltung angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist (RS0030180 [T2]; RS0029997). Es kommt jeweils darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine gefahrlose Benützung gerade dieses Wegs sicherzustellen (RS0087607). Da das Merkmal der Zumutbarkeit – wie bereits ausgeführt – die Berücksichtigung dessen erfordert, was nach allgemeinen billigen Grundsätzen vom Halter erwartet werden kann (RS0030180), ist der Umfang der Sorgfaltspflicht nicht allgemein zu bestimmen, sondern kann nur im Einzelfall geprüft werden (RS0030202 [T1, T3]; RS0087607).
1.2 Die – aufgrund der konkreten Situation im Einzelfall zu beurteilende – Frage der Mangelhaftigkeit eines Wegs steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den konkreten Verkehrsbedürfnissen und der objektiven Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen für den Wegehalter. Allgemeine, generelle Aussagen zum (gerade noch) tolerierbaren Ausmaß von Bodenunebenheiten auf öffentlichen Gehsteigen – und damit letztlich zu den Voraussetzungen der Mangelhaftigkeit als Weg im Sinn des § 1319a ABGB – können also nicht getroffen werden.
2.1 Dem Geschädigten obliegt neben dem Beweis der Wegehaltereigenschaft und des mangelhaften Zustands des Wegs auch jener der groben Fahrlässigkeit (RS0124486 [T2]). Grobe Fahrlässigkeit ist allgemein (nur dann) anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RS0030644). Auch die Beurteilung des Verschuldensgrades stellt jedoch in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar; hängt sie doch ebenfalls regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0030171 [T7, T11]).
2.2 Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin steht die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich die Beklagte auf ihr Haftungsprivileg nach § 1319a ABGB berufen kann, mit den Grundsätzen dieser Rechtsprechung in Einklang:
Nach den konkreten Umständen am Unfallsort waren an der Unfallstelle auf beiden Seiten der Straße Gehwege (Gehstreifen) vorhanden; der von der Klägerin benutzte, auf dem sie zu Sturz kam, war aber wesentlich schmaler (0,82 m breit) als der auf der anderen Seite verlaufende Fußgängerbereich („viel breiter“). Der schmalere Gehstreifen war zur – etwa 4,8 m breiten – Fahrbahn auch nicht erhöht. Eine besonders intensive Fußgängerfrequenz auf dieser schmalen Seite (dem schmaleren Gehweg) wurde nicht behauptet und ist nach den Verfahrensergebnissen auch nicht anzunehmen; ebenso wenig steht fest, seit wann (oder durch welche mögliche Ursache) es zu dieser Unebenheit kam. Auch in Anbetracht der unstrittig täglich seitens der Beklagten kontrollierten Flächen im Unfallbereich stellt daher die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte als Wegehalterin für die Schäden aus der von den Straßenkehrern übersehenen, zum Sturz der Klägerin führende Vertiefung mangels nachgewiesener grober Fahrlässigkeit im Sinn des § 1319a ABGB nicht haftet, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.
2.3 Der in der Revision zitierten Entscheidung 7 Ob 589/89, in der eine Haftung des Wegehalters zum Teil bejaht wurde, lag ein Fall zugrunde, in dem die Gemeinde den Gehsteig im Ortskern nur etwa vierteljährlich kontrollierte, wobei die für den Sturz ursächliche Schadstelle sowie weitere Asphaltaufbrüche mit bis zu einem halben Meter Durchmesser bereits mehr als ein halbes Jahr vorhanden und bei den Instandsetzungsarbeiten im Herbst nicht behoben worden waren. Auch die zweite in der Revision genannte Entscheidung (OLG Linz 5 R 141/79 ZVR 1980/230) betrifft einen völlig anderen Sachverhalt, weil die dort beklagte Gemeinde eine Vertiefung auf einem stark frequentierten Gehsteig im Ortsgebiet trotz Kenntnis davon nicht beseitigen ließ. Mit dem vorliegenden Fall sind diese Entscheidungen daher nicht vergleichbar.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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