OGH 5Ob49/19w

OGH5Ob49/19w25.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Wiedenbauer Mutz Winkler & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach M*, vertreten durch Mag. Wolfgang Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, sowie den Nebenintervenienten C*, vertreten durch Mag. Barbara Seebacher, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2019, GZ 40 R 169/18a‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E125063

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht hob die Aufkündigung der von der Verstorbenen gemieteten Wohnung auf und wies das Räumungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die beklagte Verlassenschaft zur Räumung. Es bejahte den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG mangels dringenden Wohnbedürfnisses des Nebenintervenienten an der aufgekündigten Wohnung. Dessen Eintrittsberechtigung scheitere auch am (Nicht‑)Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts im Zeitpunkt des Ablebens der bisherigen Mieterin.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1. Die Beurteilung der Frage, ob das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nach den im Einzelfall festgestellten Umständen zu bejahen ist oder nicht, ist keine solche von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042789; RS0044086; zum schutzwürdigen Interesse RS0079210 [T3]). Abzustellen ist immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls unter Einschluss sowohl der rechtlichen als auch der tatsächlichen Verhältnisse (4 Ob 210/17m mwN). Eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts ist hier nicht zu erkennen:

1.2. Nach der Rechtsprechung (RS0068334) fehlt das dringende Wohnbedürfnis nur dann, wenn eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht. Abzustellen ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Todes des bisherigen Mieters; nachträgliche Änderungen sind insoweit zu berücksichtigen, als sie zum Zeitpunkt des Todes des Mieters für die nächste Zeit zu erwarten waren. Auf ungewisse in der Zukunft liegende Verhältnisse ist bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses hingegen nicht Bedacht zu nehmen (7 Ob 273/07h = immolex 2008/89 [Iby]; RS0069970; 1 Ob 72/11m mwN). Eine in einem Ort liegende ausreichende und gleichwertige Wohnmöglichkeit kann dennoch ein dringendes Wohnbedürfnis an einer Mietwohnung in einem anderen Ort begründen, wenn der Aufenthalt des Eintrittsberechtigten dort unabweislich notwendig ist (RS0069972), dies ist vom Kündigungsgegner nachzuweisen (RS0069972 [T3]).

1.3. Zu 6 Ob 805/80 (MietSlg 33.376) verneinte der Oberste Gerichtshof das dringende Wohnbedürfnis. Der Eintrittswerber hatte eine abgesicherte Wohnmöglichkeit in seinem eigenen, ganzjährig bewohnbaren Haus, das – wenn auch in einem Stadtrandgebiet, so doch – in derselben Stadt wie die aufgekündigte Wohnung lag, dies trotz ungünstigeren Zugangs zu öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Geschäften des täglichen Bedarfs und der Bequemlichkeit des Zugangs über öffentliche Verkehrsflächen bei Schneelage. Eine Aussage, nur ein ganzjährig bewohnbares Haus in derselben Stadt sei als abgesicherte Wohnmöglichkeit zu werten, ist dieser Entscheidung nicht zu entnehmen. Sie steht der Beurteilung, eine Übersiedlung in das ganzjährig benutzbare, mit dem PKW in nur 35 Minuten erreichbare Eigenheim in I* sei zumutbar, nicht entgegen. Dort gibt es nach den Feststellungen eine zumindest vergleichbare Infrastruktur auch in Bezug auf Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung und Gastronomie. Der zu 7 Ob 2109/96i entschiedene Fall betraf die Zumutbarkeit der Übersiedlung einer 77‑jährigen Pensionistin von Wien nach Baden, die aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls verneint wurde, war dort doch im Winter die zum Eigenheim führende Straße fallweise nicht begehbar. Abgesehen davon fand die Beklagte dort in ihrer Wiener Wohnung durch die im gleichen Haus lebende Schwägerin und Nichte entsprechende Sozialkontakte vor. (Nur) aus diesen Gründen war die Übersiedlung von Wien nach Baden nicht zuzumuten. Auch 8 Ob 529/93 stellte darauf ab, dass die Eintrittswerberin seit dreieinhalb Jahrzehnten im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern in der aufgekündigten Wohnung lebte, ihren gesamten Freundeskreis in diesem Ort hatte, regelmäßig mehrmals pro Woche in ihrer Freizeit im dort befindlichen Gasthaus ihres Cousins aushalf und letztlich ihren dort gelegenen Obstgarten betreute, weshalb der Verweis auf eine nur als Übernachtungsmöglichkeit dienende, weniger als 40 m2 aufweisende Kleinwohnung in einer anderen Stadt unzumutbar war. Die Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich in diesem von höchstgerichtlicher Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen und ist daher nicht korrekturbedürftig:

2. Nach den Feststellungen könnte der Nebenintervenient in seinem bestandfreien, voll eingerichteten und ganzjährig bewohnbaren Haus samt Garten in I* wohnen. Ein aufgrund eines Wasserschadens entstandener Schimmelfleck von 75 x 20 cm ist problemlos behebbar. Der Nebenintervenient ist bereits in Pension und kümmerte sich in den letzten Jahren ausschließlich um seine Mutter, er hat weder Kinder noch einen Freundeskreis in Wien. Seine Sozialkontakte beschränken sich auf die tägliche Einnahme des Mittagessens in einem bestimmten Gasthaus und regelmäßige Arztbesuche zur Behandlung seiner Neurodermitis. Derzeit ist der Nebenintervenient 68 Jahre alt und rüstig, Einschränkungen für das Bewohnen eines Eigenheims mit Garten gab es zum Zeitpunkt des Todes der bisherigen Mieterin nicht. Angesichts dieser Feststellungen von einer nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch gleichwertigen (bzw allenfalls sogar höherwertigen) Wohnmöglichkeit des Nebenintervenienten im Eigenheim in I* auszugehen, die sein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung im Sinn der zitierten Rechtsprechung ausschließt, ist keine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung. Schon mangels dieser Voraussetzung hat das Berufungsgericht den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG daher zutreffend bejaht. Auf die Frage, ob aufgrund der Rückkehrwilligkeit der bisherigen Mieterin und der objektiven Möglichkeit für eine solche Rückkehr von einem gemeinsamen Haushalt auszugehen war (vgl 9 Ob 88/08v), kommt es daher nicht mehr an.

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