OGH 7Ob65/19p

OGH7Ob65/19p24.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei S***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei G***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in Wien, wegen 78.466,96 EUR sA (AZ 26 Cg 32/15h des Landesgerichts Wiener Neustadt) sowie 1.000 EUR sA und Herausgabe (AZ 26 Cg 103/16a des Landesgerichts Wiener Neustadt), über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2018, GZ 5 R 163/18d‑70, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00065.19P.0424.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1.  Nach § 64 AÖSp, die hier dem Vertragsverhältnis der Streitteile zugrunde liegen, verjähren alle Ansprüche gegen den Spediteur, gleichviel aus welchem Rechtsgrund und unabhängig vom Grad des Verschuldens, in sechs Monaten. Die Verjährung beginnt mit der Kenntnis des Berechtigten vom Anspruch, spätestens jedoch mit der Ablieferung des Gutes (vgl RIS‑Justiz RS0106911).

§ 64 AÖSp erfasst nunmehr alle Ansprüche gegen den Spediteur, also über die Schadenersatzansprüche nach dem – dispositiven – § 414 UGB hinaus (

RS0119348; 7 Ob 116/17k mwN) auch Ansprüche aus der Verletzung einer Nebentätigkeit aus dem Speditionsvertrag (7 Ob 123/12g); die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte ältere Rechtsprechung

(RS0049681) erging zu den AÖSp idF vor 1989 und ist deshalb überholt.

1.2.  Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (stRsp, zB: RS0042936, RS0044298, RS0042776 [T1, T3]).

2.1. Die Vorinstanzen haben den hier vereinbarten „Palettentausch“ als Nebenvereinbarung zum Speditions- und Lagervertrag aufgefasst und dahin beurteilt, dass daraus ein auf Bewahrung von Sachenrechten an Paletten gerichteter Inhalt nicht ableitbar ist und dieser Vereinbarung daher nicht zu entnehmen ist, dass der Beklagten nach Übergabe Eigentumsrechte weiterhin zustehen sollten. Gegenteiliges wird von der Revision auch nicht nachvollziehbar dargelegt.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, nach der Vereinbarung der Parteien sei beim vorliegenden „Palettentausch“ davon auszugehen, dass ein Eigentümerwechsel hinsichtlich der Paletten eintrat, ist im Einzelfall auch deshalb nicht zu beanstanden, weil diese nach den Vereinbarungen auch nicht im hier zu beurteilenden Lager in Wien verblieben, sondern mit den Waren der Beklagten ausgeliefert wurden. Die Revisionswerberin führt überdies selbst ins Treffen, dass im Rahmen der Geschäftsverbindung Paletten auch aus anderen Lagerstätten „oder auch anderen Orten“ auszufolgen gewesen seien. Die Beurteilung, dass für die Annahme von Quantitätseigentum iSd § 415 ABGB (vgl RS0010926) keine Grundlage besteht, hält sich damit im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums.

2.2.  Dass die Vorinstanzen die Verjährungsfrist des § 64 AÖSp auf die (sowohl aufrechnungsweise als auch mit Widerklage geltend gemachten) Ansprüche der Beklagten (Geldanspruch/Ausfolgeanspruch) aus dem „Palettentausch-vertrag“ der Parteien anwandten, ist vor dem Hintergrund, dass § 64 AÖSp alle Ansprüche unterliegen, ebenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

3.  Selbst grobe Fahrlässigkeit des Spediteurs schließt die kurze Verjährungsfrist des § 64 AÖSp nicht aus (

RS0049684). Auf die von der Beklagten relevierte Rechtsfrage, ob die kurze Verjährungsfrist des § 64 AÖSp auch bei Vorsatz des Spediteurs gilt, kommt es hier nicht an, weil die Vorinstanzen auf Basis des festgestellten Sachverhalts ein vorsätzliches Handeln der Klägerin jedenfalls vertretbar verneinten.

4. Die Verjährung beginnt nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem das Recht „zuerst hätte ausgeübt werden können“, seiner Geltendmachung also kein rechtliches Hindernis, wie etwa mangelnde Fälligkeit, mehr entgegensteht (RS0034343 [T2]).

Nach den Feststellungen fand eine standortbezogene monatsweise Verrechnung des Lagergeldes statt, das auf Grundlage der jeweiligen Palettenstände in den jeweiligen (insgesamt drei) Lagern bestimmt wurde. Dass die Vorinstanzen den Beginn der Verjährungsfrist für die aus dem „Palettentauschvertrag“ resultierenden (Gegen- bzw Widerklage-)Forderungen der Revisionswerberin im hier vorliegenden Einzelfall spätestens mit der auch von der Beklagten vorgebrachten Beendigung der Zusammenarbeit der Streitteile (nur) bezüglich des Lagers in Wien Anfang März 2014 (und nicht erst mit der gänzlichen Beendigung der Vertragsbeziehung auch bezüglich der übrigen Lager Ende März 2016) annahmen, ist auch nicht zu beanstanden, weil sich nach dem eigenen Vorbringen der Revisionswerberin die von ihr behaupteten Palettenfehlbestände ausschließlich auf das (von den beiden anderen Lagern organisatorisch getrennte) Lager in Wien bezogen. Spätestens Anfang März 2014 war der Revisionswerberin dieser nunmehr geltend gemachte Fehlbestand, der sich in der Folge auch nicht mehr veränderte, konkret bekannt.

5. Zwar

unterbricht auch ein deklaratives Anerkenntnis dem Grunde nach die Verjährungsfrist (

RS0032394 [T1, T2]). Das Schreiben vom 8. August 2013, aus dem die Revisionswerberin ein Anerkenntnis der Klägerin ableiten will, wurde allerdings lange vor Beendigung der Vertragsbeziehung bezüglich des Lagers in Wien verfasst und war nicht geeignet, die ab Anfang März 2014 beginnende Verjährungsfrist zu unterbrechen.

6. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich insgesamt im Rahmen der Judikatur und sind im Einzelfall nicht zu beanstanden. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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