OGH 9ObA12/19h

OGH9ObA12/19h28.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Peter Schleinbach in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. pharm. S*****, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 12.767,70 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. November 2018, GZ 7 Ra 37/18t‑18, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. März 2018, GZ 32 Cga 172/17p-13, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00012.19H.0328.000

 

Spruch:

 

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist als angestellte Apothekerin bei der Beklagten beschäftigt und zur Dienstleistung in der Anstaltsapotheke im L***** zugewiesen. Ihr wurde das Diplom der Fachapothekerin für Krankenhauspharmazie verliehen. Auf ihr Dienstverhältnis kommt der Kollektivvertrag für pharmazeutische Fachkräfte in öffentlichen Apotheken und Anstaltsapotheken (idF: KV) zur Anwendung.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 12.767,70 EUR brutto sA an Zulagen gemäß Art XVI Abs 6 KV für den Zeitraum 1. 1. 2015 bis 30. 9. 2017. Bis zum 31. 12. 2017 sei als Anspruchsvoraussetzung normiert gewesen, dass die Stelle im Apothekerbetrieb als Fachapothekerstelle deklariert worden sei. Sinn und Zweck der Bestimmung sei gewesen, dass jene Apotheker, die diese Zulage erhalten sollten, auch tatsächlich als Krankenhausfachapotheker beschäftigt würden. Dies sei bei ihr der Fall gewesen. Die Voraussetzung sei mit 1. 1. 2018 weggefallen. Da die Beklagte bereits zuvor der Klägerin die begehrte Zulage gewährt habe, habe sie anerkannt, dass die Voraussetzungen des Kollektivvertrags bereits zuvor erfüllt gewesen seien.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der Anspruch auf Fachapothekerzulage gemäß Art XVI Abs 6 KV nur dann bestanden habe, wenn zusätzlich zur Qualifikation des Dienstnehmers seine Stelle im Betrieb auch als Fachapothekerstelle deklariert worden sei. Eine Deklarierung der Stelle der Klägerin als Fachapothekerstelle sei erst mit 1. 10. 2017 erfolgt, weshalb die Klägerin erst ab diesem Zeitpunkt die Fachapothekerzulage erhalten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte fest, dass die Klägerin seit 1996 in der Zytostatikaabteilung der Anstaltsapotheke des L***** beschäftigt ist. In einer öffentlichen Apotheke gibt es eine solche Abteilung nicht. Seit 2005 gibt es entsprechend einer Verordnung der Österreichischen Apothekerkammer ein postgraduales Ausbildungsprogramm betreffend die Weiterbildung zur Fachapothekerin für Krankenhauspharmazie mit dem Ziel der Vermittlung von weitergehenden Kenntnissen und Fertigkeiten in der Krankenhauspharmazie sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht. Die Weiterbildung dauert im Volldienst drei Jahre und ist in einer Krankenhausapotheke zu absolvieren, die zur Weiterbildung geeignet ist.

Die Anstaltsapotheke des L***** wurde über Betreiben des Dienstgebers der Klägerin gemäß § 4 Abs 1 der Krankenhausfachapotheker-Weiterbildungsverordnung als Weiterbildungsstätte anerkannt und ihr die Ermächtigung zur Weiterbildung erteilt. Die Klägerin wurde mit 7. 4. 2005 von der Österreichischen Apothekerkammer als Weiterbildungsbeauftragte bestellt.

Für alle Apotheker der Anstaltsapotheke des L***** gibt es eine allgemeine Stellenbeschreibung, die als Anforderungsprofil auch die abgeschlossene bzw angestrebte Ausbildung gemäß Aus- und Weiterbildungsverordnung zum Krankenhausfachapotheker enthält. Für jede weitere Funktion, die ein Mitarbeiter ausübt, gibt es eine weitere Funktionsbeschreibung, dies ist im Fall der Klägerin die Funktionsbeschreibung für ihre Tätigkeit in der Pharmazeutisch-Onkologischen Abteilung.

Am 24. 8. 2016 wurde ein Antrag auf Gewährung der klagsgegenständlichen Funktionszulage an die S***** GmbH gerichtet. Nach Durchführung einer Bewertungssitzung am 30. 1. 2017 wurde am 2. 2. 2017 ein Schreiben an die Anstaltsleitung des Klinikums mit der Anfrage übermittelt, wie viele Stellen als Fachapothekerstellen zu deklarieren sind. Am 20. 9. 2017 langte eine Stellungnahme vom Bereich Personalmanagement ein, in der die Rechtsansicht vertreten wurde, dass die Zulage zu bezahlen sei, da in den Funktionsbeschreibungen bei den Anforderungen standardmäßig die abgeschlossene Ausbildung bzw die Bereitschaft zur Ausbildung dezidiert genannt wird. Mit 1. 10. 2017 wurde die Zulage ausbezahlt.

Die Krankenhausapotheker haben beim Verband der angestellten Apotheker einen Zweigverband. Es war eine langjährige Forderung, dass Krankenhausapotheker aufgrund ihrer dreijährigen Ausbildung ein höheres Gehalt bezahlt werden soll. Im Kollektivvertrag für pharmazeutische Fachkräfte wurde daher mit 1. 1. 2015 eine entsprechende Zulage vorgesehen. Seitens der angestellten Apotheker war der Wunsch, dass sämtliche Apothekerinnen, die über die entsprechende Ausbildung verfügen, diese Zulage erhalten. Die Fachapothekerzulage trägt der höheren Qualifikation der Dienstnehmer auf dem Gebiet der Krankenhauspharmazie sowie sich daraus ergebenden spezifischen Einsatzmöglichkeiten im Betrieb Rechnung. Aufgrund von Bedenken „von selbständiger Seite“, dass jemand zwar über die Ausbildung verfügt, aber nicht die entsprechende Tätigkeit ausübt, wurde im Kollektivvertragstext als Voraussetzung für die Gewährung der Zulage normiert, dass die Stelle des betreffenden Dienstnehmers als Fachapothekerstelle „deklariert“ wurde. Die Absolvierung der Ausbildung allein sollte nicht ausreichen.

In rechtlicher Hinsicht war das Erstgericht der Ansicht, dass mit der Formulierung „als Fachapothekerstelle deklariert“ sichergestellt werden sollte, dass der Anspruch nur bei tatsächlicher Ausübung der Tätigkeit als Anstaltsapotheker bestehen sollte. Darüber hinaus sei die Klägerin als Weiterbildungsbeauftragte gemäß § 4 Abs 3 der Krankenhausfachapotheke – Weiterbildungsordnung bestellt worden. Die Anstaltsapotheke sei über Wunsch des Dienstgebers eine anerkannte Ausbildungsstätte, weshalb es erforderlich gewesen sei, Krankenhausfachapotheker, ua die Klägerin, als Ausbildungsverantwortliche zu nominieren. Auch in der Stellenbeschreibung der Klägerin sei als Mindestqualifikation die Ausbildung zum Fachapotheker genannt. Die Klägerin habe die Voraussetzungen für die Gewährung der Zulage erfüllt.

Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung und gab der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten keine Folge. Es ließ die Revision zur Auslegung der kollektivvertraglichen Bestimmung zu.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragte die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Art XVI Abs 6 KV in der hier maßgeblichen Fassung vom 1. 1. 2015 lautete:

XVI. Besondere Bestimmungen für Apotheker in Krankenanstalten

(6) Dienstnehmer, welche die Berufsqualifikation Fachapotheker für Krankenpharmazie (aHPh) erworben haben und aufrecht erhalten, haben Anspruch auf eine Zulage in Höhe von 40 % der Ausgleichszulage, sofern ihre Stelle im Apothekenbetrieb als Fachapothekerstelle deklariert worden ist.

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RS0008782, RS0008807 ua). In erster Linie ist der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828, RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088).

3. Die Beklagte ist auch in ihrer Revision der Ansicht, dass „deklarieren“ iSd Art XVI Abs 6 KV eine eindeutige Erklärung im Sinn eines „deutlichen Kundgebens“ erfordere. Eine ausdrückliche Deklarierung der Stelle der Klägerin durch die Krankenhaus- oder Apothekenleitung sei erst mit 1. 10. 2017 erfolgt. Ein bloßes Ableiten des Vorliegens einer deklarierten Stelle aus einzelnen Indizien sei schon nach dem Wortlaut der Bestimmung denkunmöglich und unzulässig. Darin ist ihr nicht zu folgen:

4. Nach Art XVI Abs 6 KV gebührt die streitgegenständliche Zulage Dienstnehmern mit erworbener und aufrecht erhaltener Berufsqualifikation als Fachapotheker für Krankenhauspharmazie, sofern ihre Stelle im Apothekenbetrieb als Fachapothekerstelle deklariert worden ist. Richtig ist daher, dass die Zulage nicht nur die entsprechende Berufsqualifikation eines Dienstnehmers voraussetzt, sondern dass es auch der Innehabung einer als Fachapothekerstelle „deklarierten“ Stelle bedarf.

„Deklarieren“ bedeutet nach seinem Wortlaut unstrittig „eine Erklärung abgeben, kundmachen“. Art XVI Abs 6 KV legt nicht fest, von wem und in welcher Weise die Stelle als Fachapothekerstelle zu deklarieren ist. Es ist im KV auch sonst kein besonderer Formalakt dafür vorgesehen. Aus der Sicht der Normadressaten des KV kann es danach nur auf eine hinreichend deutliche Erklärung ankommen, dass es sich bei der Stelle im Apothekenbetrieb um eine Fachapothekerstelle handelt. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum das Deklarieren nicht etwa auch im Rahmen einer Stellenbeschreibung, durch Festlegung im Dienstvertrag oä erfolgen können soll. Dafür sprechen auch objektiv-teleologische Erwägungen, weil auch damit erreicht wird, dass die Zulage nicht schon allein aufgrund der Berufsqualifikation, sondern erst bei Innehabung der entsprechenden Stelle gebühren soll. Die der Revision vorschwebende besondere formale Qualität der „Deklarierung“ überzeugt nicht, hätte es doch der Dienstgeber in der Hand, den Anspruch auf den Zuschlag unabhängig von der Berufsqualifikation und der Stelleninnehabung zu unterbinden. Darin könnte aber keine vernünftige und zweckentsprechende Regelung im Sinn des von den Kollektivvertragsparteien angestrebten gerechten Interessenausgleichs gesehen werden.

5. Hier steht weder die Berufsqualifikation der Klägerin noch ihre seit vielen Jahren als Fachapothekerin für Krankenpharmazie in einer Anstaltsapotheke ausgeübte Tätigkeit oder ihre Funktion als Weiterbildungsbeauftragte in Frage. Die Anstaltsapotheke wurde über Wunsch der Beklagten eine anerkannte Ausbildungsstätte, weshalb Krankenhausfachapotheker als Ausbildungsverantwortliche zu nominieren waren. In der allgemeinen Stellenbeschreibung für die Apotheker der Anstaltsapotheke wurde die abgeschlossene bzw angestrebte Ausbildung gemäß Aus- und Weiterbildungsverordnung zum Krankenhausfachapotheker als Anforderung an die Ausübung der Tätigkeit genannt. Auch in der Stellenbeschreibung der Klägerin ist als Mindestqualifikation die Ausbildung zum Fachapotheker genannt (Beil ./4). Es bestanden daher keine Zweifel, dass die Beklagte die Stelle der Klägerin als Fachapothekerstelle besetzt wissen wollte. Sie hat sie damit entsprechend „deklariert“.

6. Da danach die Anspruchsvoraussetzungen für die von der Klägerin begehrte Zulage iSd Art XVI Abs 6 KV gegeben sind, ist der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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