OGH 8Ob27/19g

OGH8Ob27/19g25.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Peter Böck, Rechtsanwalt in Neusiedl am See, wegen 246.003,82 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 187.961,74 EUR sA) gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. November 2018, GZ 38 R 139/18z‑29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E124630

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der Antrag der klagenden Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

 

Begründung:

Die Beklagte ist hinsichtlich eines Geschäftslokals in einem („Outlet-“)Einkaufszentrum Bestandnehmerin der Klägerin. Der Geschäftsbeziehung liegt ein als „Pachtvertrag“ bezeichneter Vertrag samt „Pachtbedingungen“ – die den Charakter von Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben – zu Grunde. Zusätzlich zum Zins hat die Beklagte an (anteiligen) Nebenkosten unter anderem für „Kosten der Werbung“ zu zahlen, wobei im Vertrag eine Vorauszahlung iHv 7,52 EUR pro Quadratmeter pro Monat vorgesehen ist. Nach den AGB führt der Bestandgeber – somit die Klägerin – „nach seinem Ermessen Werbung gemeinsam für das gesamte [Outlet‑Einkaufszentrum] durch“.

Die Beklagte erachtet – soweit für die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision von Relevanz – ihre Verpflichtung zur (anteiligen) Tragung der Werbungskosten als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB, weil ohne ein Mitspracherecht ihrerseits die Klägerin alleine über das Ausmaß der Werbung entscheiden könne. Das Berufungsgericht verneinte den behaupteten Gesetzesverstoß, weil die Beklagte nicht – gemeint: nicht hinreichend – dargelegt habe, inwieweit sie hinsichtlich der Werbungskosten gröblich benachteiligt sei. Diese Entscheidung bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof:

Rechtliche Beurteilung

1.1. In einem Vertrag kann die Bestimmung der Leistung einer Vertragspartei grundsätzlich der einen oder auch anderen Vertragspartei vorbehalten werden, sodass ein Gestaltungsrecht vorliegt (vgl 5 Ob 66/85; 7 Ob 8/17b Pkt 1.2; RIS-Justiz RS0020089; VwGH 89/15/0147; Mayer‑Maly in Klang 2 IV/2, 266 f; Ehrenzweig/Mayrhofer, Schuldrecht AT3 27; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, Schuldrecht AT2 48; Sprung/König, Bestimmbarkeit der Bestandsache und Garagen-Kurzparkvertrag, RdW 1986, 200 [202]; Welser/Zöchling‑Jud, Bürgerliches Recht II14 Rz 112; Dullinger, Schuldrecht AT6 II Rz 2/2). Die Zulässigkeit der Leistungsbestimmung durch eine Vertragspartei ergibt sich aus der Privatautonomie (Mayer‑Maly, Das Ermessen im Privatrecht, in FS Melichar [1983] 441 [445]).

1.2. Das dem Vertragspartner eingeräumte Gestaltungsrecht zur Bestimmung der Leistung ist grundsätzlich nicht iSd § 879 Abs 1 ABGB sittenwidrig (1 Ob 30/91 = SZ 64/92; Apathy/Perner in KBB5 § 1056 Rz 2). Es schafft grundsätzlich zwischen den Parteien ein verbindliches Recht (RIS‑Justiz RS0020010).

1.3. Das Gestaltungsrecht ist aber begrenzt. Zum einen darf der Gestaltungsberechtigte bei der Gestaltung ihm schon durch den Vertrag selbst gesetzte Grenzen nicht überschreiten (RIS‑Justiz RS0020010; RS0019994 [T4]; 7 Ob 8/17b Pkt 1.2). Zum anderen darf das Gestaltungsrecht– außerhalb von nebensächlichen Vertragspunkten, wo Leistung nach beliebigem Ermessen eines Vertragspartners vereinbart werden darf (RIS‑Justiz RS0015776) – immer nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden (8 Ob 86/16d Pkt 6; RIS‑Justiz RS0020010; Apathy/Perner in KBB5 § 1056 Rz 2).

1.4. Wird im Vertrag eine Entscheidung eines Vertragsteils nach Ermessen vereinbart, so ist dies – der Übung des redlichen Verkehrs entsprechend (§ 914 ABGB) – dahingehend zu verstehen, dass es sich um kein willkürlich, sondern billig auszuübendes Ermessen handelt (5 Ob 66/69 = SZ 42/77). Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen hat sich im Rahmen des in vergleichbaren Fällen etwa Üblichen zu halten und somit die Verkehrssitte und den Geschäftszweck zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0107349 [T5]; F. Bydlinski, Die Baukostenendabrechnung als Bestimmung der Leistung des einen Vertragsteils durch den anderen, JBl 1975, 245 [248]). Werden bei der Leistungsbestimmung gravierende Fehler gemacht, etwa gegen Gestaltungsvorgaben im Vertrag verstoßen oder die Leistung nicht billig bestimmt, so führt dies nicht zu einer Unwirksamkeit der Leistungsfestsetzungsabrede als solcher, sondern zu einer nachträglichen richterlichen Korrektur des fehlerhaften Ergebnisses (RIS-Justiz RS0016832).

2.1. Im vorliegenden Fall wurde vereinbart, dass die Klägerin nach ihrem Ermessen Werbung gegen Kostenersatz für das gesamte Outlet-Einkaufszentrum durchführen soll. Damit wurde der Klägerin hinsichtlich der Werbung ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt, was nach der referierten Rechtsprechung und Lehre grundsätzlich zulässig ist. Eine Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB ist zu verneinen.

2.2. Die betreffenden Regelungen finden sich in den – offenkundig von der Klägerin stammenden – AGB. Eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, ist gemäß § 879 Abs 3 ABGB jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Durch die Bestimmung des § 879 Abs 3 ABGB wurde eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes bewegliches System geschaffen. Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn sie unangemessen ist (RIS‑Justiz RS0016914). Unangemessenheit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich für die Abweichung vom dispositiven Recht keine sachliche Rechtfertigung ergibt (vgl RIS‑Justiz RS0016914 [T2, T3, T6]). Die Beurteilung, ob die Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm sachlich gerechtfertigt ist, erfordert eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessensabwägung, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (RIS‑Justiz RS0016914 [T64]).

2.3. Das dispositive Recht geht davon aus, dass sich die Parteien eines Vertrags über den Vertragsinhalt einig werden müssen (§ 861 ABGB). Vorzusehen, dass eine Partei über den Vertragsinhalt ein Gestaltungsrecht besitzt, stellt eine Abweichung vom dispositiven Recht dar (vgl Risak, Einseitige Entgeltgestaltung im Arbeitsrecht – Zugleich ein Beitrag zur Leistungsbestimmung durch Dritte oder eine Vertragspartei im Zivil- und Arbeitsrecht [2008] 159).

2.4. Das vorliegende Gestaltungsrecht der Klägerin ist aber sachlich gerechtfertigt. Gemeinschaftswerbung bei Einkaufszentren ist – was auch der vorliegende Fall zeigt – üblich (vgl nur die Sachverhalte von 4 Ob 76/93, 4 Ob 112/00z, 6 Ob 141/09t und 7 Ob 93/12w sowie Schmidt, Beitrittspflicht des Mieters zur Werbegemeinschaft, NZM 2018, 543 [543 f mwH]). Die Werbung kommt – durch die damit erwirkte höhere Zahl von Besuchern des Einkaufszentrums – potentiell jedem Ladenbesitzer im Einkaufszentrum zugute. Gemeinschaftswerbung von einem Mitspracherecht vieler oder gar der Zustimmung aller abhängig zu machen, könnte unpraktikabel sein und die Effizienz der sodann nicht mehr „aus einer Hand“ stammenden Werbung herabsetzen. Es ist damit sachlich gerechtfertigt, die Gemeinschaftswerbung dem Bestandgeber als Betreiber des Einkaufszentrums zu übertragen und dennoch, obgleich kein Mitspracherecht besteht, eine Kostenbeteiligung der einzelnen Ladenbesitzer als Bestandnehmer vorzusehen.

Geht man im Sinne der referierten Rechtsprechung und Lehre davon aus, dass die Klägerin – dem redlichen Verkehr entsprechend (§ 914 ABGB) – die Bewerbung des Einkaufszentrums nicht nach freiem, sondern billigem Ermessen durchzuführen und sie sich dabei im Rahmen des in vergleichbaren Fällen etwa Üblichen zu halten hat, so ist es auch ausgeschlossen, dass für das Einkaufszentrum in exzessivem, für die Ladenbesitzer durch die Umlegung unnötig teuren Ausmaß geworben wird (ähnlich Risak aaO 162, nach dem sich die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung nur dann stelle, wenn sich nicht schon aus der Vertragsauslegung ergebe, dass die Unterwerfung des Gestaltungsgegners gar nicht so weit gehe und deshalb die weite Ausübungsgrenze zur gröblichen Benachteiligung führe). Dass – wovon die Beklagte aber ausgeht – eine gröbliche Benachteiligung schon deshalb vorliegt, weil die Beklagte bei der Gemeinschaftswerbung kein Mitspracherecht besitzt, ist zu verneinen.

2.5. Auf eine gröbliche Benachteiligung wegen theoretischer Unbegrenztheit der Kostenbelastung durch Werbung hat sich die Beklagte nicht berufen. Auf die Frage der Unzulässigkeit einer Kostenbeteiligung für Gemeinschaftswerbung bei Fehlen von Höchstgrenzen ist daher nicht einzugehen (vgl für Deutschland Eggersberger/Laas in Lindner‑Figura/Oprée/Stellmann, Geschäftsraummiete4 [2017] Rz 87 ff; Leonhard in Hoffmann-Becking/Gebele, Beck‘sches Formularbuch Bürgerliches Handels- und Wirtschaftsrecht13 [2019] Kap 14 Rz 16).

Zumal es der Beklagten nicht gelingt, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, ist die außerordentliche Revision gegen das vom Berufungsgericht gefällte Teilurteil zurückzuweisen.

3. Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil die Beantwortung eines außerordentlichen Rechtsmittels vor ihrer Freistellung durch den Obersten Gerichtshof nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dient (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO).

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