OGH 7Ob174/18s

OGH7Ob174/18s27.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** AG *****, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei C***** Limited, *****, vertreten durch die Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 509.122,85 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Juni 2018, GZ 2 R 61/18f‑48, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 12. März 2018, GZ 1 Cg 139/16g‑40, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00174.18S.0227.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Zinsenbegehrens vom 4. 11. 2014 bis 19. 12. 2016 wie folgt zu lauten hat:

1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 509.122,85 EUR samt (Zinsen iHv) 9,2 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit 4. 11. 2014 zu bezahlen, wird abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 24.278,16 EUR (darin 3.064,36 EUR an Umsatzsteuer und 5.892 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten erster Instanz zu ersetzen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 18.742,82 EUR (darin 758,47 EUR an Umsatzsteuer und 14.192 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

4. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 22.199,44 EUR (darin 546,24 EUR an Umsatzsteuer und 18.922 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin versicherte bei der Beklagten ihre Bauherrnhaftpflicht. Versichert war „ im Rahmen der Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB/EHVB 1993) die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus sämtlichen Aktivitäten, Eigenschaften und Rechtsverhältnisse der versicherten Unternehmen im Zusammenhang mit dem Bauherrnrisiko bei der Errichtung “ einer näher bezeichneten Bahntrasse.

H***** N***** (folgend: Grundeigentümerin) war Eigentümerin des damals noch einheitlichen Grundstücks 1422. Die Grundeigentümerin räumte der Klägerin mit Zustimmungserklärung vom 4. 4. 2013 das Recht ein, die in einem Lageplan dargestellten Flächen dieser Liegenschaft, die für die Bahntrasse erforderlich waren, käuflich zu erwerben und in ihr Eigentum zu übertragen. Diese Zustimmungserklärung hatte unstrittig auszugsweise folgenden Inhalt:

„…

Die Klägerin hat der Grundeigentümerin die im Berechnungsblatt ermittelte Pauschalentschädigung von 150.000 EUR im Dezember 2013 bezahlt. Die Errichtung des Kaufvertrags erfolgte nach Vermessung der Liegenschaft im Februar 2015.

Bei den bereits im Frühjahr 2014 begonnenen Bauarbeiten waren entlang der geplanten Bahntrasse über weite Strecken Geländevertiefungen von mehreren Metern vorzunehmen. Im Juni 2014 kam es, ausgelöst durch erhebliche Niederschläge, zu einem Böschungsbruch parallel zur Bahntrasse im Bereich des Grundstücks 1422 bis auf die Liegenschaft der Grundeigentümerin; dafür leistete ihr die Klägerin eine Entschädigungszahlung in Höhe des Klagsbetrags.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten aus der Bauherrnhaftpflichtversicherung den Ersatz der der Grundeigentümerin geleisteten Entschädigung für die Sanierung des Böschungsbruchs. Sie brachte – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – vor, dass sie der Grundeigentümerin gemäß (analog) § 364a ABGB nachbarrechtlich gehaftet habe, weil dafür nicht die im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses maßgeblichen sachenrechtlichen Eigentumsverhältnisse, sondern die damals bereits vereinbarten Verfügungsbefugnisse der Klägerin an der für die Trasse nutzbaren Fläche maßgeblich gewesen seien. Die Klägerin sei daher nicht wegen vertraglicher Zusagen, sondern gesetzlich verpflichtet gewesen, der Grundeigentümerin jenen Schaden zu ersetzen, der durch den Böschungsbruch auf deren Fläche entstanden sei.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wandte – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – ein, es habe kein nachbarrechtlicher Anspruch der Grundeigentümerin gegenüber der Klägerin bestanden und für eine allfällige Vertragshaftung der Klägerin bestehe kein Versicherungsschutz.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren – abgesehen von der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens – statt. Es führte rechtlich aus, dass als Störer im Sinn der §§ 364 ff ABGB nicht nur der Liegenschaftseigentümer, sondern auch eine andere Person in Anspruch genommen werden könne, die das Grundstück für eigene Zwecke nutzte. Da die Klägerin als Bauherrin bei der Errichtung der Bahntrasse als Nachbar und ersatzpflichtiger Störer anzusehen sei, hafte sie der Grundeigentümerin für die durch den Böschungsbruch verursachten Schäden und den daraus resultierenden Sanierungsaufwand.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es war – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – der Rechtsansicht, dass der Anwendung der §§ 364 ff ABGB nicht entgegenstehe, dass die Grundeigentümerin zum Schadenszeitpunkt noch grundbücherliche Eigentümerin der Trassenfläche gewesen sei, weil der Klägerin bereits obligatorisch die Verfügungsbefugnis zugestanden und es der Grundeigentümerin nicht mehr möglich gewesen sei, die Bauausführung zu untersagen. Die analoge Anwendung des § 364a ABGB sei daher geboten. Die Zustimmungserklärung der Grundeigentümerin führe nicht zum Haftungsausschluss der Beklagten, weil der durch extreme Witterungsverhältnisse eingetretene Schaden von der dort geregelten Pauschalentschädigung nicht erfasst sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfragen zu klären gewesen seien und das Berufungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise stellte die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin erstattete eine – ihr freigestellte – Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise dieser keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und sie ist auch berechtigt.

1.  Grundsätzlich hat jede Partei die für sie günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0037797; RS0109832). Das heißt, der Kläger muss die anspruchsbegründenden, der Beklagte die anspruchshemmenden Tatsachen beweisen (RIS‑Justiz RS0106638). Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer (hier: die Klägerin) die Behauptungs- und Beweislast (vgl RIS‑Justiz RS0043438). Es muss also der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls behaupten und beweisen (vgl RIS‑Justiz RS0080003). Dem hat die Klägerin nicht entsprochen:

2.  Versichert war – von nicht behaupteten Ausnahmefällen abgesehen und im Revisionsverfahren unstrittig  – die gesetzliche Haftpflicht, nicht aber eine allfällige vertragliche Haftung der Klägerin im Zusammenhang mit dem Bauherrnrisiko bei der Errichtung der bezeichneten Bahntrasse. Die Klägerin hat ihre gesetzliche Haftpflicht mit der wesentlichen Begründung behauptet, dass sie der Grundeigentümerin analog § 364a ABGB nachbarrechtlich gehaftet und deshalb den der Grundeigentümerin aufgrund des Böschungsbruchs entstandenen Sanierungsaufwand ersetzt habe. Die mit der Zustimmungserklärung vom 4. 4. 2013 übernommene Zahlungspflicht habe nur den Flurschaden, nicht aber den aus extremen Witterungsverhältnissen resultierenden Großschaden abgedeckt. Dem ist Folgendes zu entgegnen:

3.1.  Nach vorliegender höchstgerichtlicher Rechtsprechung kommt eine nachbarrechtliche Haftung nur dort in Betracht, wo mangels anderen Rechtstitels der Nachbar in die Schranken, die die §§ 364 ff ABGB der Ausübung seines Eigentums setzen, gewiesen werden soll. Besteht hingegen über die gegenseitigen Rechte und Pflichten unter Nachbarn eine vertragliche Regelung, ist nur diese für die Ausübung und die Grenze der beiderseitigen Rechte und Verbindlichkeiten maßgebend (RIS‑Justiz RS0010642).

3.2.  Eine analoge Anwendung der §§ 364364b ABGB ist auch nicht auf Fälle vorzunehmen, in denen die Einwirkung vom Grundstück des Beeinträchtigten selbst und auch ohne dessen Belastung mit dinglichen Rechten ausgeht. Derlei Einwirkungen sind nämlich entweder unrechtmäßig, so dass sich der Betroffene dagegen zur Wehr setzen kann, oder sie beruhen auf seiner Gestattung. Ist letzteres der Fall, so sind die jeweils getroffenen Vereinbarungen und die wegen deren Verletzung geltenden allgemeinen Bestimmungen des Schadenersatzrechts dafür maßgebend, ob und in welchem Ausmaß der Beeinträchtigte Ersatz begehren kann (RIS‑Justiz RS0010500; 1 Ob 74/09b [Subsidiarität des nachbarrechtlichen Anspruchs nach § 364a ABGB gegenüber vertraglichen Ansprüchen]).

4.1.  Zum Zeitpunkt des Schadensfalls war H***** N***** die bücherliche Grundeigentümerin all jener Flächen, auf denen die Klägerin die Bahntrasse errichtete und auf denen sich der Böschungsbruch ereignete und auswirkte. Die Nutzung der Flächen der Grundeigentümerin erfolgte auf vertraglicher Grundlage, nämlich auf Basis der Zustimmungserklärung vom 4. 4. 2013, mit der die Grundeigentümerin mit der Projektdurchführung einverstanden war sowie der Klägerin für die Dauer der Errichtung der Eisenbahnanlage auch einen Arbeitsstreifen zur Verfügung stellte und mit der auch die Abgeltung von sämtlichen Flurschäden sowie die Wiederherstellung des früheren Zustands sämtlicher Einbauten und Anlagen (zB Drainagen, Wege etc) vereinbart waren.

4.2.  Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Grundeigentümerin ein Ersatzanspruch aufgrund des Böschungsbruchs zusteht, ist daher durch Auslegung der die Klägerin treffenden vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten nach Vertragsgrundsätzen zu beurteilen, was die (analoge) Anwendung der §§ 364 ff ABGB ausschließt. Damit hat die Klägerin das Vorliegen eines von der Beklagten zu deckenden Versicherungsfalls nicht rechtlich schlüssig behauptet, was in Stattgebung der Revision zur Klagsabweisung führen muss, ohne dass die weiteren Argumente der Beklagten, insbesondere das Vorliegen des Risikoausschlusses nach Art 7.2.1 AHVB 1993, geprüft werden müssten.

5.  Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Es war der zurückgewiesene Schriftsatz ON 8 nicht zu honorieren, die Reduktion der Kostenbemessungsgrundlage infolge Klagseinschränkung zu berücksichtigen und der rücküberwiesene Kostenvorschuss abzuziehen. Der siegreichen Partei gebühren keine Kosten für Einwendungen gegen die Kostennote des Gegners (RIS‑Justiz RS0125846 [T3]).

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