OGH 8ObA47/18x

OGH8ObA47/18x28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI Dr. M***** S*****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 183.524,63 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 19.996,36 EUR sA) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Mai 2018, GZ 9 Ra 14/18x‑77, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00047.18X.0828.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

 

Begründung:

Die Klägerin war bei der Beklagten beschäftigt und wurde am 24. 1. 2011 zum 31. 5. 2011 gekündigt. Über Anfechtungsklage der Klägerin nach § 105 ArbVG wurde die Kündigung mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 13. 3. 2015 zu 12 Cga 15/11d für rechtsunwirksam erklärt.

Zum 30. 6. 2014 wurde die Klägerin abermals gekündigt. Sie brachte hierauf eine Klage auf Feststellung ein, dass ihr Dienstverhältnis zur Beklagten über den 30. 6. 2014 hinaus bis zum 30. 11. 2014 angedauert habe; eventualiter focht sie auch diese Kündigung nach § 105 ArbVG an. Das Verfahren behängt beim Arbeits- und Sozialgericht Wien zu 16 Cga 23/14i im zweiten Rechtsgang.

Mit dem angefochtenen Teilurteil wurde der Klägerin (unter anderem) eine (restliche) Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum 1. 6. 2011 bis 30. 6. 2014 in Höhe von 19.996,36 EUR sA zuerkannt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte begründet die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision mit einer unrichtigen Lösung der Frage der Verjährung des Urlaubsanspruchs iSd § 10 Abs 3 (iVm § 4 Abs 5) UrlG, insbesondere einem Widerspruch zur Entscheidung 9 ObA 39/07m. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zeigt die Beklagte damit aber nicht auf:

1.1. Die Klage auf Anfechtung einer Kündigung nach § 105 Abs 3 ArbVG ist eine Rechtsgestaltungsklage. Hat die Anfechtungsklage Erfolg, wird die Kündigung gemäß § 105 Abs 7 ArbVG rückwirkend für unwirksam erklärt

(RIS‑Justiz

RS0052018). Bis dahin ist die Kündigung schwebend rechtswirksam (RIS‑Justiz RS0052018 [T8]). Dass ein Rechtsgestaltungsurteil vorliegt bedeutet, dass erst die Aufhebung (Rechtsunwirksamerklärung) der Kündigung die Rechtslage verändert, mag dies auch rückwirkend geschehen (8 ObS 10/15a = DRdA 2016/28 [M. Mader] = EvBl 2016/50 [Weber-Wilfert]).

1.2. Kündigt der Dienstgeber den Dienstnehmer, ficht dieser die Kündigung nach § 105 ArbVG an und entscheidet das Gericht über die Anfechtungsklage nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, so endet – aufgrund der zumindest vorläufigen Rechtswirksamkeit der Kündigung – das Arbeitsverhältnis. In der Zeit zwischen dem Ende der Kündigungsfrist und dem der Anfechtungsklage stattgebenden Urteil bestehen vorweg keine wechselseitigen Leistungs- und Entgeltpflichten (8 ObS 10/15a = DRdA 2016/28 [M. Mader] = EvBl 2016/50 [Weber-Wilfert]), also aufgrund der Beendigung des Dienstverhältnisses auch kein Urlaubsanspruch des Dienstnehmers. Der Arbeitnehmer kann in dieser Zwischenzeit weder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch die Weiterzahlung des Entgelts verlangen (4 Ob 40/83 = Arb 10.311 = RIS‑Justiz RS0051455) und keinen Urlaub beanspruchen.

1.3. Der Urlaubsanspruch verjährt nach der besonderen Regelung des § 4 Abs 5 Satz 1 UrlG nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist des § 4 Abs 5 UrlG setzt – wie im allgemeinen Zivilrecht (RIS‑Justiz RS0034343 [T3]) – die objektive Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs voraus (9 ObA 77/01s = DRdA 2003/4 [Reissner]). Im Allgemeinen beginnt die Verjährung nicht früher zu laufen, als der Anspruch entstanden ist (3 Ob 507/60 = SZ 34/7; 1 Ob 95/70 = SZ 43/98; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1478 Rz 18; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang 3 § 1478 Rz 55). In diesem Sinn wurde bereits in 4 Ob 40/83 (= Arb 10.311 = RIS‑Justiz RS0051455) beim Einwand der Verjährung berücksichtigt, dass das Hindernis, das rückständige Entgelt im Wege der Klage geltend zu machen, erst durch Stattgebung der Anfechtung nach § 105 ArbVG weggefallen war.

1.4. Hier entstand (wenngleich rückwirkend) der Urlaubsanspruch – für den die Klägerin eine Ersatzleistung nach § 10 Abs 3 UrlG begehrt – erst mit dem rechtsgestaltenden Urteil vom 13. 3. 2015. Erst ab diesem Datum wäre der Klägerin die Geltendmachung des Urlaubsanspruchs objektiv möglich gewesen, wäre sie nicht bereits zuvor abermals (und wiederum zumindest vorläufig wirksam) ein zweites mal gekündigt und ihr Dienstverhältnis hierdurch beendet worden. Der Urlaubsanspruch für die Zeit 1. 6. 2011 bis 30. 6. 2014 kann mangels Möglichkeit der Geltendmachung daher nicht (auch nicht teilweise) verjährt sein. Der Einwand, die Klägerin würde entgegen § 10 Abs 3 letzter Halbsatz UrlG eine Ersatzleistung für einen zumindest zum Teil bereits verjährten Urlaubsanspruch begehren, geht damit fehl.

2. Die Entscheidung 9 ObA 39/07m (= DRdA 2009/4 [Reissner]) erging zur Entlassung eines begünstigten Behinderten. Da andernfalls der Kündigungsschutz umgangen werden könnte, löst nach ständiger Rechtsprechung die ungerechtfertigte Entlassung das Arbeitsverhältnis des Behinderten nicht auf (RIS‑Justiz RS0052630). Dies unterscheidet jenen Fall von dem hier gegenständlichen, in welchem – wie erörtert – die Kündigung der Klägerin vom 24. 1. 2011 zum 31. 5. 2011 das Dienstverhältnis zunächst beendete. Der behauptete Widerspruch des Berufungsurteils zur genannten höchstgerichtlichen Entscheidung iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt nicht vor.

3. Der Standpunkt der Beklagten, die Urlaubsansprüche der Klägerin seien teilweise verjährt, steht im Übrigen in einem Spannungsverhältnis zu der Vorabentscheidung des EuGH vom 29. 11. 2017 in der Rechtssache King , C‑214/16 (= DRdA 2018/36 [ Auer‑Mayer  299] = JAS 2018, 140 [ Risak/Grossinger ]). Danach sind Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 11. 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl 2003, L 299, 9) und das in Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dahin auszulegen, dass sie es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der erstgenannten Vorschrift hat, verbieten, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat (Rz 47 der Vorabentscheidung). Diese Aussage wurde vor dem Hintergrund der Festlegungen des vorlegenden Gerichts getroffen, wonach es die nationale Rechtslage nicht ermögliche, vorweg zu klären, ob ein Anspruch auf Bezahlung für den dann tatsächlich genommenen Urlaub bestehe (Rz 43; vgl zu den im aufrechten Arbeitsverhältnis bestehenden Unterschieden zu der österreichischen Rechtslage Risak/Grossinger aaO, 152; Auer‑Mayer aaO, 302). Auch im vorliegenden Fall bestand nun für die Klägerin, der im Übrigen die Beklagte die Obliegenheit zur Arbeitssuche während des Anfechtungsverfahrens entgegengehalten hat, keine Möglichkeit, ihren vorweg ja noch gar nicht bestehenden Urlaubsanspruch durchzusetzen.

4. Die Zahlung der Beklagten an die Klägerin vom Mai 2011 betraf nach den Feststellungen den bis 31. 5. 2011 noch nicht konsumierten Urlaub. Eine Tilgungswirkung (auch) für die hier streitgegenständlichen Urlaubsersatzansprüche des Zeitraums ab 1. 6. 2011 ist somit zu verneinen.

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