OGH 3Ob109/18b

OGH3Ob109/18b14.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L*, geboren * 2005, Mutter M*, derzeit unbekannten Aufenthalts, Vater Dr. L*, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter und der mütterlichen Großeltern DI M* und DI A*, alle vertreten durch Mag. Julian A. Motamedi, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. März 2018, GZ 42 R 95/18h‑256, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 2. Februar 2018, GZ 2 Ps 22/15g-241, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122489

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Mutter hat drei Kinder: L*, geboren am * 2005, I*, geboren am * 2013 und E*, geboren am * 2015. Der Vater ist nur der Vater von L*. Für die Kinder werden gesonderte P‑Akten geführt.

Während die Alleinobsorge für L* ursprünglich der Mutter zukam, ordnete das Erstgericht mit unbekämpftem Beschluss vom 17. Oktober 2015 die gemeinsame Obsorge und vorläufig den Hauptaufenthaltsort von L* beim Vater an (ON 122), wo sich das Kind seither befindet. Es folgten Kontaktrechtsanträge der Mutter (ON 124, 169 und 189), die auch einen (Allein‑)Obsorgeantrag stellte (ON 174). Auch die mütterlichen Großeltern haben Kontaktrecht (ON 189) und Obsorge (ON 143) beantragt.

Nachdem die Mutter ab Mitte August 2016 unbekannten Aufenthalts war, übertrug das Erstgericht unbekämpft die Alleinobsorge vorläufig an den Vater und setzte das Kontaktrecht der Mutter vorläufig aus (ON 196). Nach erfolgloser Ablehnung der Erstrichterin durch Mutter und mütterliche Großeltern (s ON 213/214 und ON 229) fasste das Erstgericht einen Beschluss (am 2. Februar 2018, ON 241), mit dem es 1. dem Vater die alleinige Obsorge für L* („endgültig“) übertrug, 2. die Kontakte zwischen L* und der Mutter vorläufig aussetzte und 3. den Kontaktrechtsantrag der mütterlichen Großeltern abwies.

Es stellte dazu ua fest:

Bis Oktober 2015 hatte L* seinen Hauptaufenthalt bei der Mutter und seinen beiden Halbgeschwistern E* und I*. Bis zu diesem Zeitpunkt befand er sich seit seiner Geburt auch immer wieder in der Obhut seiner mütterlichen Großeltern, verbrachte Wochenenden und auch Urlaube bei ihnen. Es bestand eine gute Bindung zu diesen.

Die Mutter litt schon jahrelang an einer Alkohol- und Drogensucht. Damit einhergehend gab es laufend emotionale Durchbrüche der Mutter, bei denen sie schimpfte, gewalttätig wurde oder erklärte, sich das Leben nehmen zu wollen. Stand sie unter Alkohol- und Drogeneinfluss, war sie nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen und zu beaufsichtigen. Dies geschah auch in Anwesenheit von L*. Die Mutter schlug L* regelmäßig, zwei Mal wöchentlich. Manchmal fügte sie ihm dabei auch Kratzwunden zu. Wenn sie schimpfte, äußerte sie „du scheiß Sohn, du bist der größte Fehler meines Lebens gewesen… Geh halt zu deinem scheiß Vater ...“ L* fühlte sich aufgrund der teilweisen Unfähigkeit seiner Mutter, auf die kleineren Geschwister aufzupassen, auch für diese verantwortlich und übernahm sowohl Verantwortung als auch Versorgung.

Die psychische Befindlichkeit und das Agieren der Mutter führte auch zu einem schwierigen, angespannten Verhältnis zwischen der Mutter und der mütterlichen Familie; Zeiten der Annäherung wechselten mit Zeiten, die von einem vollständigen Beziehungsabbruch geprägt waren. Die mütterlichen Großeltern wussten über die Alkohol- und Drogenproblematik ihrer Tochter Bescheid und versuchten immer wieder, sie zu einem Entzug oder einer Therapie zu bewegen. Sie verabsäumten es aber, ihre Enkelkinder zu schützen und ließen diese immer wieder mit ihrer Tochter alleine.

L* konnte sich den mütterlichen Großeltern mit seinen Problemen nicht anvertrauen, weil diese einerseits das Verhalten der Mutter verharmlosten und er andererseits befürchtete, dass seiner finanziell von ihren Eltern abhängigen Mutter das Geld entzogen werde.

Im Jahr 2016 fanden einige begleitete Kontakte zwischen L* und der Mutter statt. Die Mutter schaffte es nicht, diese Kontakte so zu gestalten, dass sie L* nicht belasteten. Trotz Besuchsbegleitung brachte sie L* immer wieder in einen inneren Konflikt, indem sie ihn auf das Verfahren und seinen Willen ansprach und reagierte teilweise beleidigt, wenn L* nicht in ihrem Sinne agierte.

Mitte August 2016 tauchte die Mutter mit I* vermutlich im Ausland unter, während sich das Mädchen in der Obhut der mütterlichen Großeltern und einer Tante befand. Seither ist der Aufenthalt der Mutter samt I* dem Gericht unbekannt und L* hatte keinen Kontakt mehr mit der Mutter und deren Eltern.

Im Abschlussbericht der Polizei vom 7. Jänner 2017 heißt es, dass die mütterlichen Großeltern und die mütterliche Schwester verdächtig seien, Beitragshandlungen zur Kindesentziehung sowohl in organisatorischer Hinsicht in Bezug auf die „Fluchtplanung“, Unterkunftsbeschaffung und Betreuung durch Vertrauenspersonen am Aufenthaltsort der Mutter geleistet zu haben, sowie wirtschaftliche Unterstützung insbesondere durch das Zuführen von finanziellen Mitteln zur Lebensunterhaltssicherung im Ausland für einen längeren, mitunter langen Zeitraum zu leisten. Das Strafverfahren ist nicht abgeschlossen.

L* ist der Vorwurf gegenüber der mütterlichen Familie bekannt. Die mütterlichen Großeltern agieren in diesem Pflegschaftsverfahren hochemotional. Durch ihre teilweise sehr abwertenden Äußerungen schüren sie den Konflikt zwischen den Eltern und sind nicht in der Lage, eine neutrale, vermittelnde Position einzunehmen. Sie sind allen Vätern gegenüber äußerst negativ eingestellt. Auch gegenüber L* kam es immer wieder zu herabwürdigenden Äußerungen über seinen Vater, so zum Beispiel: „Bei deinem depperten Vater musst nicht sein und seine schlitzaugerte Frau brauchst auch nicht mögen.“ Sie sehen kein Fehlverhalten ihrer Tochter und sind davon überzeugt, dass diese uneingeschränkt erziehungsfähig ist, wobei allein die Abnahme der Kinder zu der schlechten psychischen Verfassung ihrer Tochter geführt habe.

L* lebt gemeinsam mit dem Vater, dessen Lebensgefährtin und seinem jüngeren Halbbruder in einem Haushalt. Zu seiner Halbschwester E*, die im Haushalt ihres Vaters wohnt, hat er regelmäßig Kontakt. Er besucht das Gymnasium Lycee Francais. Seit ca zwei Jahren besucht er wöchentlich psychotherapeutische Termine. Seit seine Mutter mit I* verschwunden ist, vermisst er seine Halbschwester und macht sich um sie große Sorgen. Diese Belastung hat mit der Dauer der Entzweiung der Geschwister zugenommen. Der Vater schützt L* und mischt sich nicht in der Therapie ein; er manipuliert ihn nicht gegen seine Mutter oder die mütterliche Familie.

Bei unbegleiteten Treffen mit den mütterlichen Großeltern kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese die Zeit nutzen, um L* zu manipulieren, gegen seinen Vater aufzubringen oder Kontakt mit der Mutter herzustellen. Bei begleiteten Treffen wäre ein unbefangener Umgang miteinander aufgrund der Vorkommnisse in der Vergangenheit nicht möglich. Jegliche Form der Kontakte würde L* belasten.

Die wesentliche rechtliche Beurteilung des Erstgerichts lautete: Aufgrund des Verschwindens der Mutter mit I*, unter dem L* sehr leide, und des Vorwurfs gegenüber den mütterlichen Großeltern, dazu beigetragen zu haben, den L* ebenfalls kenne, sei ein unbefangener und unbelasteter Kontakt zur mütterlichen Familie nicht vorstellbar, weshalb der (Kontaktrechts-)Antrag der mütterlichen Großeltern abzuweisen sei. Ein Kontaktrecht der Mutter könne erst dann wieder stattfinden und geprüft werden, wenn sich die Mutter in Österreich befinde und an einem Verfahren beteilige. Da der Aufenthalt der Mutter unbekannt sei und L* schon seit Jahren bei seinem Vater in einer stabilen Familie lebe, sei die alleinige Obsorge dem Vater zuzusprechen.

Dagegen erhoben die Mutter und die mütterlichen Großeltern Rekurs, (seit Juni 2016 durch denselben RA vertretenen), in dem erstmals „Nichtigkeit“ mangels vorschriftmäßiger Besetzung des Erstgerichts aufgrund schwerwiegender Verstöße der Geschäftsverteilung des Erstgerichts gegen Art 87 B‑VG geltend gemacht wurde. Dies unter Hinweis auf ein gleichzeitig vorgelegtes und zum integrierten Bestandteil des Rekurses erklärtes Privatrechtsgutachten des Univ.‑Prof. Dr. C* P* vom 6. Mai 2017 zur Prüfung der Verfassungs- und Gesetzeskonformität der Geschäftsverteilung des Erstgerichts im Jahr 2015. Wegen der verfassungswidrigen Abnahme des Aktes in diesem Jahr sei das gesamte bisherige von der nunmehrigen Erstrichterin geführte Verfahren „nichtig“. Der Beschluss wurde umfangreich auch in der Sache bekämpft.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu.

Es verneinte eine Nichtigkeit und vertrat den Standpunkt, dass fraglich sei, ob der behauptete Verstoß der Geschäftsverteilung gegen Vorschriften unter § 58 Abs 4 AußStrG falle. Nach § 260 Abs 4 ZPO hätte die Nichtigkeit sofort geltend gemacht werden müssen, was aber im Ablehungsverfahren unterblieben sei; auf eine subjektive Kenntnis von der Nichtigkeit komme es bei der Heilung nicht an. Die behauptete Unzuständigkeit liege gar nicht vor, weil eine solche Änderung der Namenszuteilung nicht nur zulässig, sondern in vielen Fällen – als zur Anfallsgerechtigkeit in der Praxis immer wieder erforderlich   – sogar gesetzlich geboten sei. Dass die Änderung der Zuständigkeit im vorliegenden Fall nicht sachlich begründet erfolgt wäre, sei weder aus der Aktenlage ersichtlich noch substanziiert vorgebracht worden.

In der Sache verwarf das Rekursgericht die Beweis- und Mängelrügen und übernahm die rechtlichen Schlussfolgerungen des Erstgerichts.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter und der mütterlichen Großeltern mit dem Hauptantrag, das „bisherige Verfahren erster sowie zweiter Instanz für nichtig“ zu erklären und die Rechtssache „zur neuerlichen Zuteilung an das Gericht erster Instanz“ zurückzuverweisen; hilfsweise wird die Aufhebung der Rekursentscheidung und der Auftrag an das Erstgericht begehrt, über die Frage der eingewendeten Nichtigkeit zu entscheiden. Der Revisionsrekurs setzt sich zum überwiegenden Teil mit der Unzulässigkeit der Geschäftsverteilung des Erstgerichts und der daraus abgeleiteten „Nichtigkeit“ auseinander, wobei das Privatgutachten P* umfangreich zitiert wird. (Dessen Autor sich aber mit keinem Wort mit der Frage auseinandersetzt, ob, wie und wie lange der Vorwurf einer verfassungswidrigen Geschäftsverteilung im Außerstreitverfahren geltend gemacht werden kann, sondern geht auch insoweit vom § 260 ZPO aus.)

Der Vater erstattete Revisionsrekurs-beantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Der Vorwurf, schon alleine darin, dass sich das Erstgericht mit dem (nicht näher bezeichneten) Einwand der Nichtigkeit nicht auseinandergesetzt habe, sei ein Verfahrensmangel zweiter Instanz zu erblicken, weil es den Rekurswerbern im Fall der Aufhebung offen gestanden wäre, anlässlich ihres (neuerlichen ?) Rekurses einen Antrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG beim VfGH zu stellen, die Geschäftsverteilung oder aber § 260 Abs 2 ZPO als verfassungswidrig aufzuheben, ist jedenfalls verfehlt:

Die Geschäftsverteilung wird als generell-abstrakte Norm, die zwar einer Verordnung ähnelt, aber keine Verordnung ist, beurteilt. Die Geschäftsverteilung ist daher als Rechtsnorm sui generis zu qualifizieren. Daher ist eine Anfechtung der Geschäftsverteilung des Erstgerichts beim Verfassungsgerichtshof ausgeschlossen (3 Ob 188/14i mwN aus der Judikatur des VfGH; RIS-Justiz RS0053522 [T1]; RS0053547; Maier/Muzak B-VG5 [2015] Art 87 III.), sodass den Revisionsrekurswerbern ein Individualantrag auf Normenkontrolle nicht vorenthalten worden sein kann.

Im Ergebnis gleiches gilt für § 260 Abs 2 ZPO, weil diese Bestimmung im Außerstreitverfahren keine Anwendung findet (s unten), § 62 Abs 2 VfGG aber ua voraussetzt, dass das angefochtene Gesetz unmittelbar anzuwenden ist, bzw dass die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Gerichtsentscheidung ist.

2. Dass es die Revisionsrekurswerber „verwundert“, dass zwar gemäß der aktuellen Geschäftsverteilung des Rekursgerichts fünf verschiedene Senate für Rechtsmittel in Außerstreit- und Familienrechtssachen zuständig sind, dennoch aber zu allen drei Kindern der Mutter eine Entscheidung desselben Senats erhalten zu haben (s aber § 32 Abs 4 GOG), stellt keine schlüssige Darlegung der Gründe dar, warum dieser Umstand eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Rekursgerichts verwirklichen sollte (vgl 2 Ob 85/09b = RIS-Justiz RS0125783 [zur Rüge nach § 260 Abs 4 ZPO aF]). Auch darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

3. Beim Verweis auf die E des EGMR 9. 1. 2018, 63246/10, Nicholas/Zypern, betreffend die Befangenheit eines Richters des zypriotischen Obersten Gerichtshofs, welche dem dortigen Rechtsmittelwerber erst nach Erlassung der letztinstanzlichen Entscheidung bekannt wurde, ist schon der Bezug zum konkreten Sachverhalt nicht ersichtlich.

4. Die monierten Bestimmungen der Geschäftsverteilung des Erstgerichts zu den „Art II § 2 Pkt 1 lit c“ (Buchstabenprinzip), „§ 2 Pkt 14 lit a“ (Rotations- oder Zufallsprinzip bzw Radl) und „Art III Pkt 2 Satz 1“ (Zeitpunkt der Abgabe an andere Gerichtsabteilung), die von den Revisionsrekurswerbern (durch Übernahme des Inhalts des Privatgutachtens) als gegen das Prinzip der festen Geschäftsverteilung im Voraus verstoßend kritisiert werden, betreffen gar nicht Pflegschaftsverfahren wie das vorliegende. Da diese Regelungen bei der Verteilung des Aktes in die Zuständigkeit der Richterin E* nicht anzuwenden waren, konnten sie im vorliegenden Pflegschaftsverfahren keine Auswirkungen auf Rechte der Revisionsrekurswerber haben und sind schon deshalb nicht weiter zu erörtern.

5. Wegen der inhaltlichen Kritik an der Verfassungsmäßigkeit des hier zur Anwendung gekommenen Art V. der Geschäftsverteilung des Erstgerichts für das Jahr 2015 stellt sich zunächst die Frage, ob, wie und wie lange der Vorwurf einer unzulässigen Geschäftsverteilung im Außerstreitverfahren geltend gemacht werden kann.

5.1. Zumindest für die Geschäftsverteilungen der (wie hier) Bezirksgerichte und der Gerichtshöfe erster Instanz wird einhellig vertreten, dass der Gesetzgeber mit der Novellierung des GOG mit dem Bundesgesetz BGBl 1994/507 das vom Obersten Gerichtshof bereits zuvor angenommene „Fehlerkalkül“ (§ 28 Abs 1 GOG für Bezirksgerichte) bestätigt hat: Eine gegen das verfassungsmäßige Prinzip der festen Geschäftsverteilung verstoßende Fehlerhaftigkeit der Geschäftsverteilung macht sie nicht absolut nichtig, sondern unter den gesetzlichen Voraussetzungen anfechtbar. Solange die Geschäftsverteilung in Geltung steht, ist sie anzuwenden und das Gericht ist daran gebunden, selbst wenn sie fehlerhaft ist (3 Ob 188/14i mwN; RIS‑Justiz RS0042036; Piska, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit [1995] 315; Kodek in Fasching/Konecny³ III/1 [2017] § 260 ZPO Rz 72 f).

5.2. Schon aus diesem Grund ist die Ansicht der Revisionsrekurswerber verfehlt, das Erstgericht hätte gemäß § 50 Abs 1 Z 4 AußStrG sämtliche bisher gefassten Beschlüsse aufzuheben und den mit diesem Rekurs bekämpften Beschluss nicht mehr zu fassen gehabt.

5.3. Zur Durchsetzung des Rechts auf den geschäftsverteilungsmäßigen Richter durch die Parteien sehen das B‑VG und GOG zwar explizit keinen Rechtsbehelf oder sonstigen Mechanismus vor. In Lehre und Rechtsprechung besteht aber weitgehende Übereinstimmung, dass mangelnde Grundrechtskonformität einer Entscheidung ordentlicher Gerichte im gerichtlichen Instanzenzug geltend zu machen ist (3 Ob 188/14i; 8 Ob 109/14h). In diesem Sinn verweist § 28a GOG („Die Gültigkeit von Amtshandlungen wird durch einen Verstoß gegen die Geschäftsverteilung nicht beeinträchtigt; § 260 Abs. 4 [ZPO], sowie die §§ 281 Abs. 1 Z 1 und 345 Abs. 1 Z 1 [StPO], bleiben unberührt.“) auf Prozessgesetze, allerdings ohne das AußStrG (in welcher Fassung auch immer) zu nennen.

6. Eine Geltung des – sowohl vom Rekursgericht als auch vom Revisionsrekurs angesprochenen – § 260 Abs 2 ZPO idF BGBl I 2015/94 („Dass das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt ist [§ 477 Abs. 1 Z 2], kann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sich beide Parteien in die mündliche Streitverhandlung eingelassen haben, ohne diesen Umstand geltend zu machen.“) im AußStrG durch angeordnete Übernahme wurde nicht normiert.

6.1. Das im Revisionsrekurs (und im Privatgutachten) vorgetragene Argument, § 260 Abs 2 ZPO beziehe sich nur auf die Einwendung von Verstößen gegen zulässige Geschäftsverteilungen, nicht aber auf Fehler der Geschäftsverteilung selbst, geht somit von vornherein ins Leere. Es widerspricht allerdings auch dem vom Novellengesetzgeber offen gelegten Zweck der Neuregelung (IA 1210/A 25. GP 3) und der Lehre (Kodek § 260 ZPO Rz 71; Auernig, ZPO‑Neuerungen zur Behandlung von Prozesseinreden, ecolex 2015, 661 [662]).

6.2. Das AußStrG enthält auch sonst keine vergleichbare Regelung; es führt einen Verstoß gegen die Geschäftsverteilung weder in den §§ 56 und 57 AußStrG noch in § 58 Abs 4 AußStrG an, regelt dessen Folgen also nicht ausdrücklich.

6.3. Allenfalls wäre eine Subsumtion unter § 58 Abs 4 Z 3 AußStrG denkbar, der einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß normiert, wenn „das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.“ Es herrscht aber Einigkeit in Judikatur (6 Ob 51/09g; 16 Ok 8/13) und Lehre (Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 56 Rz 17 und § 58 Rz 42; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 66 Rz 18; Klicka in Rechberger² § 56 AußStrG Rz 2 und § 58 Rz 2; Fucik/Kloiber § 58 AußStrG Rz 4 aE), dass ein bloßer Verstoß gegen die Geschäftsverteilung keinem Besetzungsmangel im Sinne der zitierten Wortfolge („das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war“; vgl dazu § 59 KartG; § 20 WBG, die eine Ausnahme von der gemäß §§ 5, 7a Abs 3 und 104a JN vorgesehenen Besetzung stets mit Einzelrichtern vorsehen) gleichzuhalten, sondern kraft Größenschlusses wie eine örtliche Unzuständigkeit zu behandeln ist. Diese bildet im Regelfall keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 57 Z 4 AußStrG, weil die örtliche Unzuständigkeit allein in der Regel nicht geeignet ist, die Richtigkeit der Entscheidung zu beeinflussen, und bleibt daher sanktionslos. Es ist dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen, dass er an die Entscheidung eines überhaupt nicht zuständigen Gerichts weniger strenge Folgen knüpfen wollte, als an die durch einen (nur) nach der Geschäftsverteilung unzuständigen Richter des „richtigen“ Gerichts getroffene Entscheidung.

6.4. Ist ein Besetzungsmangel nach § 58 Abs 4 Z 3 AußStrG dadurch nicht verwirklicht, bleibt nur die Möglichkeit, den Verstoß gegen die Geschäftsverteilung im Außerstreitverfahren als einfachen Verfahrensmangel geltend zu machen, wobei es dem Rekurswerber obliegt, die Wesentlichkeit des Mangels und die Verhinderung der erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung darzustellen.

7. Zu klären ist nunmehr die Frage, ob im Außerstreitverfahren ein Besetzungsmangel, der darin besteht, dass zwar die geltende Geschäftsverteilung eingehalten wurde, diese jedoch gegen die Verfassung oder ein Gesetz verstößt, gleich zu behandeln ist, wie ein Verstoß gegen eine verfassungs- und gesetzeskonforme Geschäftsverteilung.

7.1. Beide Varianten eines Geschäftsverteilungsverstoßes iwS stellen einen Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Parteien auf den gesetzlichen Richter dar. Aus deren Sicht wiegt aber das Einschreiten eines Richters aufgrund einer unzulässigen Geschäftsverteilung keineswegs typischerweise schwerer als die bloße Nichteinhaltung einer verfassungs- und gesetzeskonformen Geschäftsverteilung. Unter diesem Aspekt ist die abweichende Behandlung eines Verstoßes der Geschäftsverteilung gegen eine generelle Norm nicht gefordert; die beiden Fälle stellen sich nach ihrer Auswirkung vielmehr als gleichwertig dar (so auch Kodek § 260 ZPO Rz 77; aA jeweils noch zu § 260 Abs 4 ZPO aF: Piska Geschäftsverteilung 323 f; Ballon in Fasching/Konecny³ [2013] § 5 JN Rz 34/1), weshalb daran unterschiedliche Konsequenzen nicht zu knüpfen sind.

7.2. Diese Überlegung entspricht auch der vom Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 260 ZPO durch die Novelle BGBl I 2015/94 verfolgte Zweck, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, wonach die Fälle der gesetzwidrigen Geschäftsverteilung bzw jeder Verstoß gegen die richtige Gerichtsbesetzung gleich zu behandeln sind (IA 1210/A 25. GP  3).

7.3. Auch für die Parteien eines Außerstreitverfahrens ist somit von der Gleichwertigkeit beider Verstöße auszugehen. Warum dennoch deren vom zivilprozessualen Gesetzgeber angestrebte Gleichbehandlung in einem weiteren zivilgerichtlichen Verfahren unterbleiben sollte, zeigen weder der Revisionsrekurs noch das Privatgutachten ansatzweise auf.

Daher ist die Gleichbehandlung der Besetzungsmängel auch im Außerstreitverfahren geboten und daher für beide Varianten die Verwirklichung des Tatbestands einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung nach § 58 Abs 4 Z 3 AußStrG zu verneinen. Es ist also nicht nur ein Verstoß gegen die zulässige Geschäftsverteilung bloß als einfacher Verfahrensmangel geltend zu machen, sondern auch das Bestehen einer fehlerhaften Geschäftsverteilung, weshalb auch dafür die Darstellung der Wesentlichkeit des Mangels erforderlich ist.

8. Das Rekursgericht setzte sich mit der geltend gemachten „Nichtigkeit“ auseinander und verneinte diese. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung stellt sich dies als Verneinung des gerügten erstinstanzlichen Verfahrensmangels dar. Nach ständiger Rechtsprechung kann aber der vom Rekursgericht verneinte einfache Mangel des Verfahrens erster Instanz (mangels Erwähnung des § 57 Z 4 AußStrG im § 66 Abs 1 AußStrG) nicht mehr im Revisionsrekurs geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0030748; RS0050037).

Dem erkennenden Senat ist daher eine inhaltliche Prüfung der Verfassungskonformität der Geschäftsverteilung des Erstgerichts für das Jahr 2015 in ihrem Art V. nicht möglich.

9. Die knappen Ausführungen dagegen im Revisionsrekurs beschränken sich im Übrigen zum einen auf bloße oberflächliche Floskeln und die Berufung auf zwar anerkannte Grundsätze/Wertungen, setzen sich aber mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht auseinander; zum anderen gehen sie nicht von den Feststellungen aus, wenn sie diese als bloße Behauptungen und Vermutungen abzuwerten versuchen.

In der Sache entbehrt das Rechtsmittel daher einer gesetzmäßigen Ausführung iSd § 65 Abs 3 Z 4 AußStrG, weshalb dem Obersten Gerichtshof eine inhaltliche Befassung damit verwehrt ist (RIS‑Justiz RS0043605).

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