OGH 7Ob112/18y

OGH7Ob112/18y4.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* W*, vertreten durch Dr. Karin Wintersberger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. G* W*, vertreten durch Maus Riedherr Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Unterhalt, über den Rekurs und die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. April 2018, GZ 21 R 50/18a‑75, womit der Schriftsatz der beklagten Partei vom 4. April 2018 teilweise zurückgewiesen und das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 11. Dezember 2017, GZ 41 C 21/14y‑61, berichtigt mit Beschluss vom 11. Jänner 2018, GZ 41 C 21/14y‑65, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122260

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Der Rekurs wird zurückgewiesen.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht verpflichtet den Beklagten zur Leistung eines – nach Zeiträumen ziffernmäßig konkretisierten – rückständigen Unterhalts für die Zeitperioden 7/2013 bis 12/2017 und eines ebenfalls ziffernmäßig bestimmten laufenden Unterhalts ab 1. 1. 2018.

Mit Beschluss vom 13. 3. 2018 stellte das Berufungsgericht dem Erstgericht den Akt zur Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurück. Der Berufungswerber habe einen eindeutigen, ziffernmäßig bestimmten Rechtsmittelantrag nachzutragen.

Diesem Auftrag kam der Beklagte mit dem bei Gericht am 4. 4. 2018 eingelangten Verbesserungsschriftsatz nach.

Das Berufungsgericht wies mit seiner – als Beschluss bezeichneten – Entscheidung den Verbesserungsschriftsatz insoweit zurück, als er über die Verbesserung des Berufungsantrags hinausgehende Ausführungen enthielt. Der Berufung gegen das Ersturteil, das im Umfang des Zuspruchs des Unterhaltsrückstands für August 2014 in der Höhe von 586,78 EUR und für den Zeitraum 1. 3. 2016 bis 31. 12. 2016 in der Höhe von monatlich 11,62 EUR samt Anhang sowie der Abweisung des Unterhaltsmehrbegehrens für den Zeitraum 1. 7. 2013 bis 31. 12. 2017 im Gesamtumfang von 15.487,16 EUR samt Anhang und der laufenden monatlichen Unterhaltsverpflichtung im Betrag von 109,46 EUR als unbekämpft in Rechtskraft erwuchs, gab es teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil im Umfang des Zuspruchs für den Zeitraum 4. 7. 2014 bis 31. 12. 2017 sowie des laufenden Unterhalts. Im Umfang des Zuspruchs für den Zeitraum 1. 7. 2013 bis 3. 7. 2014 hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem als „außerordentliche Revision“ bezeichneten Rechtsmittel.

1. Voranzustellen ist, dass sich die Zulässigkeit einer Anfechtung allein nach der vom Gesetz vorgeschriebenen Entscheidungsform richtet (RIS‑Justiz RS0041880). Das Vergreifen in der Entscheidungsform beeinflusst weder die Zulässigkeit noch die Behandlung als Rechtsmittel (RIS‑Justiz RS0036324). Auch die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels hindert nicht dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise (RIS‑Justiz RS0036258).

2. Davon ausgehend schadet es weder, dass das Berufungsgericht das Ersturteil (teilweise) beschluss‑ und nicht urteilsmäßig bestätigte, noch dass sich der Beklagte mit außerordentlicher Revision – und nicht mit Rekurs – gegen den Beschluss wendet, mit dem sein Verbesserungsschriftsatz (teilweise) zurückgewiesen wurde.

Zu I:  Der Rekurs gegen die Zurückweisung des Verbesserungsschriftsatzes, soweit er über die Verbesserung des Berufungsantrags hinausgehende Ausführungen enthielt, ist unzulässig.

Vom Berufungsgericht gefasste Beschlüsse, welche in § 519 Abs 1 ZPO nicht aufgezählt sind, können nicht angefochten werden (RIS‑Justiz RS0043877, insbesondere zur Zurückweisung von im Berufungsverfahren eingebrachten Schriftsätzen: 9 ObA 330/00w; 2 Ob 209/10i).

Zu II:  Die – für das Unterhaltsrecht allgemein anerkannte – (RIS‑Justiz RS0009564) – Anspannungstheorie kommt auch bei einem Unterhaltsanspruch nach § 66 EheG zur Anwendung (vgl RIS‑Justiz RS0057388). Es ist daher zu fordern, dass sich der Unterhaltsberechtigte nach Kräften bemüht, selbst ein Einkommen zu erzielen; in diesem Sinn gilt die Anspannungstheorie also auch für den Unterhaltsberechtigten (RIS‑Justiz RS0027908 [T2, T4]).

1.2 Zur Anspannung eines Unterhaltspflichtigen wird vertreten, was sinngemäß auf den Unterhaltsberechtigten übertragen werden kann, dass ihn die Obliegenheit trifft, alle Kräfte anzuspannen und alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RIS‑Justiz RS0047686; RS0047550; RS0047511).

1.3 Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf nur erfolgen, wenn den – hier – Unterhaltsberechtigten ein Verschulden daran trifft, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt (RIS‑Justiz RS0047495). Für die Beurteilung der Zumutbarkeit kommt es auf die persönlichen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten, sowie insbesondere das Alter und den Gesundheitszustand, die Berufsausbildung, bisherige Berufstätigkeiten, die Pflicht zur Erziehung von Kindern, deren Alter sowie die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt an (RIS‑Justiz RS0057391). Wer – aus welchen Gründen immer (Krankheit, Haft, Schwangerschaft, Alter) – zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, dem kann wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit kein potentielles Einkommen unterstellt werden (RIS‑Justiz RS0047686 [T9]).

2. Der Unterhaltspflichtige hat die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0111084, RS0006261 [T3, T6, T14]). Die Behauptungs- und Beweislast für ein zumutbarerweise erzielbares höheres Einkommen trifft die durch den Anspannungsgrundsatz begünstigte Partei (RIS‑Justiz RS0006261 [T5]). Der Unterhaltsberechtigte trägt im Fall seiner Anspannung auf ein fiktives Einkommen die Behauptungs- und Beweislast für fehlendes Verschulden (7 Ob 210/17h; RIS‑Justiz RS0006261 [T15]).

3. Geht man von diesen Grundsätzen aus, trifft den Beklagten als Unterhaltspflichtigen die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anspannung der Klägerin auf ein (fiktiv) erzielbares Einkommen.

4.1 Fest steht, dass der Klägerin die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit aufgrund ihrer massiven medizinischen (internistischen und neuropsychiatrischen) Leistungseinschränkungen nicht möglich ist.

4.2 Wenn der Beklagte dem entgegenhält, dass durch eine – behauptetermaßen bisher schuldhaft unterlassene – Psychotherapie das neuropsychiatrische Leistungskalkül der Klägerin verbessert werden könnte, was auch eine Verbesserung des Gesundheitszustands aus internistischer Sicht bewirken würde, übergeht er die Feststellung, dass eine Besserung des Gesundheitszustands und des Leistungskalküls aus internistischer Sicht ausgeschlossen und bei Beibehaltung der Therapie lediglich mit einer Stabilisierung zu rechnen ist. Behauptungen dazu, dass es der Klägerin aufgrund des festgestellten – nicht verbesserbaren – bereits internistisch massiv beeinträchtigten Gesundheitszustands möglich wäre, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, stellt der hiefür behauptungs‑ und beweispflichtige Beklagte konkret nicht auf. Außerdem können Stress und andere außerordentliche Situationen die schwere chronische Darmerkrankung der Klägerin verschlimmern.

4.3 Damit ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin verpflichtet wäre, sich einer Psychotherapie zu unterziehen und ob sie allenfalls ein Verschulden an der bisherigen Unterlassung trifft, nicht zu beanstanden.

5. Die Nichtbeachtung der zurückgewiesenen Ausführungen des Verbesserungsschriftsatzes bewirkt jedenfalls keine Nichtigkeit der Berufungsentscheidung. Ob sie eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens begründen könnte, bedarf keiner Erörterung. Das Berufungsgericht folgte bereits den Rechtsmittelausführungen des Beklagten nicht, dass dem Grunde nach eine Anspannung der Klägerin vorzunehmen sei, weshalb es auch keiner Befassung mit den– zurückgewiesenen – Ausführungen zur ziffernmäßigen Konkretisierung des nach der Vorstellung des Beklagten von der Klägerin fiktiv erzielbaren Einkommens bedurfte.

6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte