European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00137.17G.0130.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung des Angeklagten A***** wird nicht Folge gegeben.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II./ und demzufolge auch in den die Angeklagten Sebastian S***** und Florin S***** betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der jeweiligen Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Sebastian S***** und Florin S***** werden vom Vorwurf, sie hätten im Zuge der unter Punkt I./1./ genannten Tathandlung im bewussten und gewollten Zusammenwirken Erika T***** und Dasbaatar D***** widerrechtlich gefangen gehalten oder ihnen auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem sie die beiden gefesselt und geknebelt in der Wohnung der Erika T***** zurückließen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Wegen des ihnen weiterhin zur Last liegenden Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB werden sie wie folgt verurteilt:
Sebastian S***** zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten
Florin S***** zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren.
Die in der Zeit von 4. Jänner 2017, 13:32 Uhr, (Sebastian S*****) bzw 29. Dezember 2016, 22:00 Uhr, (Florin S*****) bis 30. Jänner 2018, 10:15 Uhr, erlittene Vorhaft wird auf diese Strafen angerechnet.
Mit ihren Berufungen werden diese Angeklagten auf die Strafneubemessung verwiesen.
Den Angeklagten A*****, S***** und S***** fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurden die Angeklagten Fljorin A*****, Sebastian S***** und Florin S***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./1./), Sebastian S***** und Florin S***** überdies des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach haben sie – soweit im Folgenden von Relevanz – am 14. August 2016 in L*****
„I./ … mit Gewalt gegen eine Person anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, und zwar:
a./ der zur Tatzeit 78‑jährigen Erika T***** 3.200 Euro Bargeld, ein Mobiltelefon im Wert von 190 Euro sowie einen goldenen Ring im Wert von ca 300 Euro sowie
b./ Dashbaatar D***** einen Ring aus Silber und Gold im Wert von ca 150 Euro, indem
1./ sie und der abgesondert verfolgte Gheorghe F***** sich zur Nachtzeit maskiert mithilfe einer besonders angefertigten Leiter über den Balkon Zutritt zur im zweiten Stock befindlichen Wohnung der T***** verschafften, dort diese und D***** fesselten und knebelten, mit einem harten Gegenstand mehrmals gegen den Kopf bzw das Gesicht der T***** schlugen (wodurch diese massive Hämatome erlitt, D***** überdies Abschürfungen), und Geld und Schmuck forderten;
2./ … ;
3./ Fljorin A***** die Initiative zur Tat setzte, den Hinweis auf das „Tatsubjekt- und -objekt“ gab, die Tätergruppe über die baulichen Gegebenheiten am Tatort, über die mögliche Raubbeute, das hohe Alter des Opfers sowie den Aufenthalt einer weiteren Person in der Wohnung der T***** informierte und sich im Zuge der Planungsphase am 16. Juni 2016 zusammen mit Sebastian S***** zum Haus des späteren Opfers begab, um die Tatörtlichkeit gemeinsam zu inspizieren.
II./ Sebastian S*****, Florin S***** und der abgesondert verfolgte und bereits rechtskräftig verurteilte Gheorghe F***** „im Zug“ der unter Punkt I./1./ genannten Tathandlung im bewussten und gewollten Zusammenwirken Erika T***** und Dashbaatar D***** widerrechtlich gefangen gehalten oder ihnen auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem sie die beiden gefesselt und geknebelt in der Wohnung der Erika T***** zurückließen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A*****, die sich auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO stützt.
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) fehlende Feststellungen zur subjektiven Tatseite behauptet, orientiert sie sich nicht an den – in der Rechtsmittelschrift bloß verkürzt wiedergegebenen – Konstatierungen der Tatrichter (insb US 7, 11) und verfehlt damit den in der Gesamtheit der Urteilsannahmen gelegenen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0099810). Die Kritik an der Verwendung der „verba legalia“ legt nicht im Einzelnen dar, welcher darüber hinausgehenden Feststellungen es bedurft hätte (RIS‑Justiz RS0099620 [T7]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (Z 9 lit b) zum Nachteil der Angeklagten Sebastian S***** und Florin S***** (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
§ 271 Abs 1 Z 5 StPO ermöglicht es dem Obersten Gerichtshof, sich über den Inhalt eines in der Hauptverhandlung verlesenen Schriftstücks ein Bild zu machen. Solcherart ist er – wie hier im Falle von Übergaben zur Strafverfolgung – in der Lage, sich von einem Feststellungsmangel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO (hier: Fehlen einzelner Spezialitätserfordernisse) zu überzeugen (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 17) und diese amtswegig aufzugreifen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600). Wenn – wie im Gegenstand (ON 237 S 25) – die für die Feststellungen über prozessuale Tatsachen notwendigen Beweismittel in der Hauptverhandlung vorgekommen sind, kann der Oberste Gerichtshof aus den Akten eigenständige Feststellungen treffen und aufgrund dieser in der Sache selbst entscheiden (Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 40 ff).
Grundlage für die Übergabe des am 4. Jänner 2017 in Rumänien festgenommenen (und seither durchgehend in Haft befindlichen) Angeklagten Sebastian S***** war die Bewilligung des Curtea de Apel Timisoara vom 11. Jänner 2017, AZ 15/59/2017 (ON 140). Die Übergabe wurde zum Zweck der Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Linz vom 14. Dezember 2016 (ON 88) bezeichneten Straftat bewilligt, wobei auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität ausdrücklich nicht verzichtet (ON 140 S 7) wurde.
Der seit seiner Festnahme am 29. Dezember 2016 in Rumänien durchgehend in Haft befindliche Angeklagte Florin S***** wurde am 25. Jänner 2017 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls vom 14. Dezember 2016 (ON 89) vom Vollstreckungsstaat an Österreich übergeben (ON 151).
Nach § 31 Abs 1 EU‑JZG darf eine Person, die aufgrund eines von einer österreichischen Justizbehörde erlassenen Europäischen Haftbefehls an Österreich übergeben wurde, ohne die Zustimmung des Vollstreckungsstaats wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen anderen Handlung, auf die sich der Europäische Haftbefehl nicht erstreckte, weder verfolgt noch verurteilt noch einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme unterworfen, noch auf Grund eines weiteren Europäischen Haftbefehls an einen anderen Mitgliedstaat übergeben werden. Die Spezialität der Übergabe findet keine Anwendung, wenn eine der Ausnahmebestimmungen des § 31 Abs 2 EU‑JZG vorliegt, somit unter anderem, wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet oder der Verfolgung wegen bestimmter vor der Übergabe begangener strafbarer Handlungen zustimmt, wobei ein solcher Verzicht nur wirksam ist, wenn die betroffene Person diese Erklärung nach Belehrung zu Protokoll gibt (Z 5 iVm Abs 3), die Person vor der vollstreckenden Justizbehörde ihrer Übergabe zustimmt und ausdrücklich auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet hat (Z 6) oder die vollstreckende Justizbehörde auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet oder ihre Zustimmung zur Verfolgung wegen anderer vor der Übergabe begangener strafbarer Handlungen erteilt hat (Z 7).
Keine der Voraussetzungen des § 31 Abs 2 EU‑JZG liegt im Gegenstand vor.
Eine Spezialitätsbindung besteht nur für solche Straftaten der übergebenen Person, auf die sich der von den österreichischen Justizbehörden erlassene Europäische Haftbefehl nicht erstreckt. Es darf also nur jener historische Lebenssachverhalt eine Strafverfolgung der übergebenen Person in Österreich auslösen, der Gegenstand des Europäischen Haftbefehls ist. Jener Sachverhalt, welcher der Strafverfolgung in Österreich zu Grunde liegt, und jener, auf den sich der Europäische Haftbefehl bezieht, müssen übereinstimmen (Identität der Tat).
Der Schuldspruch II./ betrifft jedoch einen in den genannten Europäischen Haftbefehlen nicht angeführten Sachverhalt, nämlich ein zeitlich nach der vom Schuldspruch I./1./ erfassten Tat gesetztes Verhalten (arg „zurückließen“; zur Konkurrenz vgl Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 70; dies, SbgK § 28 Rz 59, 69 mwN; RIS‑Justiz RS0093111 [T1]).
Folglich ist der Schuldspruch II./ mit einem prozessualen Verfolgungshindernis im Sinn des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet.
Für ein bereits im Urteilszeitpunkt anhängiges Nachtragsübergabeverfahren finden sich keine aktenkundigen Hinweise, weshalb das angefochtene Urteil im betroffenen Schuldspruch II./ und die diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüche (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben waren. Im Umfang der Aufhebung der Schuldsprüche war mit Freispruch vorzugehen (RIS‑Justiz RS0098426 [T9]).
Für die aufrecht gebliebenen Schuldsprüche war die Strafe neu zu bemessen. Erschwerend waren die Belastung mit einschlägigen Vorstrafen (Sebastian S***** zwei, Florin S***** eine), die qualvolle Tatbegehung gegen zwei, darunter ein schlaf‑ und altersbedingt wehrloses Opfer (Knebelung und rücksichtslose Fesselung sowie dadurch bewirkte Todesfurcht – US 9, ON 237 S 20) und die zugefügten Verletzungen, mildernd die weitgehenden Geständnisse sowie die teilweise Schadensgutmachung.
Hält man sich die eingehende Planung und die sorgfältige Vorbereitung der brutal ausgeübten Raubtat – gegen die so gut wie keine Vorsicht möglich war – vor Augen und bedenkt die jüngst ausgedrückte Wertung des Gesetzgebers zum erhöhten Schutz von Wohnstätten, werden nur die aus dem Spruch ersichtlichen Freiheitsstrafen dem Unrechts‑ und Schuldgehalt der gegenständlichen Delinquenz gerecht. Die Abstufung ergibt sich – neben der höheren Vorstrafenbilanz – aus der führenden Rolle des Angeklagten Sebastian S*****.
Mit ihren Berufungen waren diese Angeklagten auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Fljorin A***** erhielt vom Erstgericht eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten; mildernd war die bisherige „Unbescholtenheit“ und sein Geständnis, erschwerend der Vertrauensbruch gegenüber seiner langjährigen Arbeitgeberin und die darauf gegründete Urheberschaft zur Raubtat.
In seiner Berufung begehrt er die Herabsetzung der Unrechtsfolge „auf das gesetzliche Mindestmaß“.
Dem Rechtsmittelvorbringen entgegen hat das Erstgericht keine „zeitliche Qualifikation“ des von diesem Angeklagten abgelegten Geständnisses – das im Übrigen weder qualitativ noch quantitativ den Kriterien der Z 17 des § 34 Abs 1 StGB entspricht (ON 235 S 3 ff) – vorgenommen (vgl US 16). Ebenso zu Unrecht bestreitet der Berufungswerber, dass von ihm die Initiative zur Tat ausging (US 7, 14), wofür er auch immerhin 25 Prozent der Beute bekommen sollte (ON 235 S 25).
A***** hat heimtückisch und nachhaltig einen für das altersbedingt wehrlose Opfer – das ihm über Jahre Verdienstmöglichkeit eingeräumt und auch sonst nur Gutes getan hatte (vgl etwa ON 235 S 11) – sehr belastenden Angriff in deren Wohnung ausgelöst, gegen den keine Vorsicht zu gebrauchen war. Die über ihn verhängte Strafe ist daher keineswegs überhöht und musste der in ihrem Begehren völlig realitätsfremden Berufung der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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