OGH 5Ob233/17a

OGH5Ob233/17a18.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Ablehnungssache des Antragstellers Dr. Ferdinand G*****, betreffend die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Graz ***** in Bezug auf die beim Landesgericht Leoben zu AZ 2 Nc 16/17m anhängige Ablehnungssache des Antragstellers betreffend den Richter des Landesgerichts Leoben ***** als Vorsitzenden des Rechtsmittelsenats in der zu AZ 1 Ps 184/10m beim Bezirksgericht Leoben anhängigen Pflegschaftssache des mj Markus G*****, über den Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. November 2017, GZ 2 Nc 4/17k‑3, mit dem der Ablehnungsantrag gegen ***** abgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00233.17A.0118.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Im Obsorgeverfahren betreffend den mj Markus G***** zu AZ 1 Ps 84/10m des Bezirksgerichts Leoben beantragte der Vater (in der Folge kurz: Ablehnungswerber) die gemeinsame Obsorge. Das Bezirksgericht Leoben wies seinen Antrag am 26. Juni 2017 ab. Mit dem von ihm erhobenen Rekurs lehnte der Ablehnungswerber den Vorsitzenden des für die Entscheidung über den Rekurs zuständigen Rechtsmittelsenats als befangen ab. Der Ablehnungssenat des Landesgerichts Leoben wies den Ablehnungsantrag mit Beschluss vom 24. Juli 2017 zu GZ 2 Nc 16/17m‑4 zurück. Auch dagegen erhob der Ablehnungswerber Rekurs, dem das Oberlandesgericht Graz zu AZ 7 R 43/17y mit Beschluss vom 15. September 2017 nicht Folge gab. In diesem Beschluss wurden auch weitere Eingaben des Ablehnungswerbers als unzulässig zurückgewiesen. In Bezug auf diese zurückgewiesenen Eingaben begehrte der Ablehnungswerber am 3. Oktober 2017 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Ablehnungssenat des Landesgerichts Leoben wies den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 6. Oktober 2017 zurück. Dagegen erhob der Ablehnungswerber Rekurs, der zu AZ 7 R 64/17m neuerlich dem Oberlandesgericht Graz vorgelegt wurde.

Der Ablehnungswerber lehnte die Vorsitzende des Senats 7 des Oberlandesgerichts Graz am 16. November 2017 als befangen ab. Im Wesentlichen begründete er dies damit, dass sie nicht veranlasst habe, dass das Oberlandesgericht Graz als letzte Rechtsmittelinstanz „eine Vorabentscheidung Art 77 ad EGVG“ einhole, was einen schweren Verfahrensverstoß darstelle.

Die abgelehnte Richterin äußerte sich dahingehend, sich vollkommen unbefangen zu fühlen.

Der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Graz wies den Ablehnungsantrag ab. Verfahrensmängel seien grundsätzlich kein Befangenheitsgrund, soweit nicht schwerwiegende Verfahrensverstöße, insbesondere zum Schutz des Parteiengehörs vorlägen, die an der Objektivität des Richters mit Grund zweifeln ließen. Hier sei nicht erkennbar, welchen relevanten Verfahrensmangel die abgelehnte Richterin oder andere Mitglieder des Rekurssenats durch die Nichteinholung einer Vorabentscheidung zu verantworten haben sollten und noch weniger, dass der Verfahrensverstoß die genannte Qualität habe.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs des Ablehnungswerbers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Da das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss in einem Ablehnungsverfahren in erster Instanz entschieden hat und es sich beim Rechtsmittel des Ablehnungswerbers somit um einen Rekurs handelt (vgl RIS‑Justiz RS0119847), hat der Oberste Gerichtshof als zweite Instanz zu entscheiden, sodass der Rechtsmittelbeschränkung nach § 24 Abs 2 JN keine Bedeutung zukommt. Auch die Vertretungspflicht im Sinn des § 6 AußStrG greift hier nicht Platz, weil der Oberste Gerichtshof funktionell als zweite Instanz angerufen wird. Der vom Rechtsmittelwerber persönlich eingebrachte Rekurs bedurfte daher keiner Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt (RIS‑Justiz RS0118184 [T1, T2]). Im Übrigen ist aktenkundig, dass der Ablehnungswerber emeritierter Rechtsanwalt ist und nach der auch im Außerstreitverfahren anwendbaren Bestimmung des § 28 Abs 1 ZPO daher dann, wenn er in einem Verfahren als Partei einschreitet, ohnedies keiner Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedarf. Auch wenn ein Rechtsanwalt auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet hat, bleibt er in eigenen Angelegenheiten jedenfalls von der Anwaltspflicht befreit (RIS‑Justiz RS0119575, RS0035758).

2. Das Ablehnungsverfahren ist zwar grundsätzlich zweiseitig, sodass dem Gegner des Ablehnungswerbers sowohl in erster als auch in zweiter Instanz an sich im Weg der Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit Gehör zu gewähren ist (RIS‑Justiz RS0126587). Bei einer offenkundigen Unbegründetheit des Ablehnungsantrags – wie sie hier vorliegt – kann von der Einholung einer Rekursbeantwortung allerdings Abstand genommen werden (RIS‑Justiz RS0126587 [T2]).

3. Worin der ins Treffen geführte Verfahrensmangel des Ablehnungssenats – der ja lediglich über die behauptete Befangenheit der Senatsvorsitzenden im Ablehnungsverfahren betreffend ***** zu entscheiden hatte – konkret gelegen sein sollte, wird aus den Rechtsmittelausführungen nicht klar. Die nach Ansicht des Ablehnungswerbers offenbar von Amts wegen einzuholende Anfrage an ihn – wobei nähere Ausführungen dazu fehlen, welches Thema diese betreffen hätten sollen – ist verfahrensrechtlich nicht vorgesehen (vgl RIS‑Justiz RS0045962 [T9]). Im Übrigen bleibt völlig offen, welche Relevanz angeblich fehlende Feststellungen zu vom Ablehnungswerber erlittenen Verletzungen durch einen Täter, gegen den er keine Strafanzeige erstatten habe können, für die Beurteilung der Befangenheit der Senatsvorsitzenden des Oberlandesgerichts Graz in einem Ablehnungsverfahren betreffend den Senatsvorsitzenden im Pflegschaftsverfahren haben sollten.

4. Befangenheit liegt erst dann vor, wenn die Fähigkeit zur sachlichen Beurteilung fehlt oder irgendwie behindert ist oder eine solche Behinderung doch mit Grund befürchtet werden muss (RIS‑Justiz RS0045961). Schon der Anschein einer Voreingenommenheit soll vermieden werden (RIS‑Justiz RS0046052). Allerdings ist bei Prüfung der Unbefangenheit ein strenger Maßstab anzulegen, die Ablehnung soll nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines nicht genehmen Richters entledigen können (RIS‑Justiz RS0109379). Eine allfällige Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung oder deren Begründung bilden grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund (RIS‑Justiz RS0111290), zumal es nicht Aufgabe des Ablehnungssenats ist, eine Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (RIS‑Justiz RS0046047). Verfahrensmängel können nur dann den Anschein der Befangenheit begründen, wenn es sich um schwerwiegende Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze handelt, die an der Objektivität des Richters mit Grund zweifeln lassen (RIS‑Justiz RS0046090 [T7]; RS0045916). Grundsätzlich sind Ablehnungsgründe detailliert und konkret anzugeben (RIS‑Justiz RS0045962 [T6, T7]).

5. Hier warf der Ablehnungswerber der Senatsvorsitzenden des Oberlandesgerichts Graz – soweit erkennbar – lediglich vor, sie habe es verabsäumt, für die Einholung einer „Vorabentscheidung ad Art 77 EGVG“ zu sorgen und dadurch einen groben Verfahrensmangel begangen, zumal das Oberlandesgericht Graz an eine Entscheidung des EuGH gebunden gewesen wäre. Geht man davon aus, dass der Ablehnungswerber dabei das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 267 AEUV im Auge hatte (was nach der Diktion seines Antrags nahe liegt) ist allerdings nicht erkennbar, zu welcher die Frage der Befangenheit des Rechtsmittelsenatsvorsitzenden ***** betreffenden Norm, die europarechtlichen Bezug aufwiese, ein Vorabentscheidungsverfahren überhaupt in Betracht käme. Die rein innerstaatlichen Normen der §§ 19 ff JN über Befangenheit und Ablehnung sind eindeutig; europarechtliche Normen, die sich mit der Frage der Ablehnung von Gerichtsorganen befassen und dazu im Widerspruch stünden, sodass Bedarf nach einer Vorabentscheidung allenfalls bestehen könnte, sind nicht ersichtlich und werden auch vom Ablehnungswerber nicht genannt. Ein Widerspruch zur europäischen Grundrechtscharta ist nicht zu erkennen; der Ablehnungswerber selbst hatte in den Ablehnungsverfahren rechtliches Gehör. Die Auffassung des Erstgerichts, ein schwerwiegender Verfahrensverstoß der abgelehnten Senatsvorsitzenden, der an ihrer Objektivität mit Grund zweifeln lasse, sei nicht zu erkennen, ist somit auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Rechtsmittelwerbers nicht korrekturbedürftig.

6. Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

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