OGH 9ObA117/17x

OGH9ObA117/17x28.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. W***** J*****, vertreten durch Mag. Markus Tutsch, MBA, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ausstellung eines Dienstzeugnisses (Streitwert: 750 EUR) und Zwischenantrag auf Feststellung (Streitwert: 750 EUR), über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 6. Juli 2017, GZ 7 Ra 3/17s‑21, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Oktober 2016, GZ 32 Cga 140/13a‑17, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00117.17X.1128.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Eine Entscheidung eines Fachsenats, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen oder der nur eine ältere gegenteilige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegenübersteht, und die auch im überwiegenden Schrifttum nicht auf Kritik stieß, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus, sofern nicht der Rechtsmittelwerber mit neuen Argumenten erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung wecken kann (vgl RIS‑Justiz RS0103384 [T3, T4, T6, T10]).

1.1.  Während 4 Ob 48/79 (= SZ 52/113 = DRdA 1980, 210 [ Spielbüchler ]) die Ansicht vertrat, die Endigungsgründe des § 62 ArbVG seien demonstrativ, schloss sich der erkennende Fachsenat nach eingehender Darlegung des Meinungsstands in 9 ObA 90/05h (= SZ 2006/85 = ASoK 2006, 396 [ Marhold-Weinmeier ] = DRdA 2007/20 [ Rebhahn/Kietaibl ] = ZAS 2007/14 [ Spitzl ]) der Rechtsauffassung an, dass § 62 ArbVG die Gründe für eine vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats taxativ aufzählt. Diese Auffassung ist heute auch in der Literatur herrschend (Preiss in Cerny/Gahleitner/Kundtner/ Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht4 II § 62 Erl 3; Kallab in ZellKomm2 § 62 ArbVG Rz 1; Pacic in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 62 Rz 5 f; Burger-Ehrnhofer/Drs in Strasser/Jabornegg/Resch, Arbeitsverfassungsgesetz § 62 Rz 4; Kietaibl, Arbeitsrecht10 I 142).

1.2. Ausgehend davon, dass die Aufzählung der Endigungsgründe in § 62 ArbVG taxativ ist, ist die vom Berufungsgericht als im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblich betrachtete Frage, ob der von den Parteien des Verfahrens 30 Cga 137/11t des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht abgeschlossene Vergleich zu einer vorzeitigen Beendigung der Tätigkeitsdauer des am 15. 9. 2011 gewählten Betriebsrats führen konnte, zu verneinen. Ist unzweifelhaft, dass der zu beurteilende Sachverhalt jener Norm nicht entspricht, die eine Partei angewendet wissen will (hier: § 62 Z 5 ArbVG), und legt diese Partei auch nicht (nachvollziehbar) dar, aus welchem Grund vernünftiger Weise eine sinngemäße Anwendung der Vorschrift in Betracht kommen könnte, liegt auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn höchstgerichtliche Entscheidungen zur betreffenden Vorschrift fehlen (RIS‑Justiz RS0042656 [T20]).

Nach § 62 Z 5 ArbVG endet die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats vorzeitig, wenn das Gericht die Wahl für ungültig erklärt. Eine Ungültigerklärung durch gerichtlichen Vergleich ist im Gesetz nicht als Beendigungsgrund angeführt. Der Wortlaut legt nahe, dass von § 62 Z 5 ArbVG nur Urteile (und zwar klagsstattgebende in einem Verfahren wegen Anfechtung einer Wahl – Kallab in ZellKomm2 § 62 ArbVG Rz 29) erfasst sind. Warum dessen ungeachtet der Abschluss eines Vergleichs der Prozessbeendigung durch urteilsmäßige gerichtliche Ungültigerklärung einer Betriebsratswahl gleichzuhalten ist, legt der Revisionswerber nicht nachvollziehbar dar. Dies ist auch nicht einsichtig, zumal die Ungültigerklärung einer Betriebsratswahl die Rechtsstellung der Dienstnehmer des Betriebs berührt, diese aber regelmäßig keine Parteien des betreffenden Gerichtsverfahrens sind. Das Anknüpfen an eine Ungültigerklärung durch das Gericht beugt auch einem möglichen Missbrauch der Prozessparteien vor. Zwar kann grundsätzlich auch über Rechtsgestaltungsansprüche – ein solcher wurde mit der zu 30 Cga 137/11t registrierten und auf § 59 Abs 2 ArbVG gegründeten Klage auf Ungültigerklärung der Betriebsratswahl vom 15. 9. 2011 geltend gemacht (vgl RIS‑Justiz RS0051096) – ein Vergleich abgeschlossen werden, dies aber dann nicht, wenn die Rechtsgestaltung dem Richter vorbehalten ist (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1346 iVm 1107; Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 §§ 204–206 Rz 15). Bei der Anfechtung einer Betriebsratswahl bleibt wegen des öffentlichen Interesses den Parteien die Rechtsgestaltung mittels Vergleichs verwehrt (vgl Fasching aaO Rz 1107); sie ist dem Richter vorbehalten. Der Vergleichsabschluss bewirkte somit nicht die Beendigung der Tätigkeit des am 15. 9. 2011 gewählten Betriebsrats.

2. Der Revisionswerber zeigt abseits der (zu Unrecht) vom Berufungsgericht als erheblich betrachteten, zuvor behandelten Rechtsfrage keine solche im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf:

2.1. Aufgrund einer vom Kläger erhobenen Klage wurde im Verfahren 31 Cga 39/14t des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht rechtskräftig festgestellt, dass die am 6. 9. 2012 durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist. Die Frage, ob aufgrund einer „ordnungsgemäß durchgeführten Neuwahl des Betriebsrats am 6. 9. 2012“ die Funktionsperiode des am 15. 9. 2011 gewählten Betriebsrats endete, kann sich daher von Anfang an nicht stellen.

2.2. Die in der Revision weiters als erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO angesehene „Frage der Rückwirkung der Nichtigerklärung einer Betriebsratswahl“ ist (unter anderem) durch die

Entscheidungen 9 ObA 206/00k und 9 ObA 77/08a, deren Aussagen zur Nichtigkeit von der Lehre geteilt werden (Kallab in ZellKomm2 § 60 ArbVG Rz 10 f; Löschnigg in Strasser/Jabornegg/Resch, Arbeitsverfassungs-gesetz § 60 Rz 1, 2 und 13; Windisch-Graetz in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 60 Rz 3 ff), bereits eindeutig beantwortet: Einem Urteil wie dem zu 31 Cga 39/14t ergangenen kommt allseitige Rechtskraft- bzw Tatbestandswirkung zu (

9 ObA 206/00k =

RIS‑Justiz RS0114118). Die Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl bedeutet, dass die Tätigkeitsdauer dieses Betriebsrats niemals wirksam begann, weshalb die Nichtigkeit nicht nur vom Zeitpunkt der Wirksamkeit des Urteils an, sondern ab Beginn der Wahl bestand (

9 ObA 206/00k =

RIS‑Justiz RS0100006 [T1]). Liegt eine nichtige Betriebsratswahl vor, so ist stets so vorzugehen, als ob die Wahl nie stattgefunden hätte (9 ObA 77/08a = DRdA 2010/41 [Schneller]). Die Verständigung des am 6. 9. 2012 gewählten Betriebsrats kann von der Beklagten daher für die Einhaltung des Verfahrens nach § 105 ArbVG nicht ins Treffen geführt werden.

2.3. Das zu 31 Cga 39/14t ergangene Urteil erwuchs in Rechtskraft. Soweit – wie hier aufgrund der allseitigen Rechtskraft- bzw Tatbestandswirkung (

9 ObA 206/00k =

RIS‑Justiz RS0114118) – eine Bindung des Richters des Folgeprozesses an die Entscheidung des Vorprozesses besteht, ist die Frage, ob die Entscheidung des Vorprozesses richtig war, irrelevant (RIS‑Justiz RS0039843 [T26]; Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 411 Rz 3). Keine Relevanz kann daher der gleichfalls vom Revisionswerber als erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO betrachteten Frage zukommen, ob der (im Übrigen nicht festgestellte) Umstand, dass bereits vor Erlassung des Urteils zu 31 Cga 39/14t im Zuge des über die ***** GmbH zu 26 S ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz eröffneten Insolvenzverfahrens alle Mitglieder des am 6. 9. 2012 gewählten Betriebsrats als Dienstnehmer ausschieden, der Erlassung des Urteils zu 31 Cga 39/14t und damit der Rückwirkung der Nichtigerklärung der Betriebsratswahl vom 6. 9. 2012 entgegenstand.

2.4. Die übereinstimmende Bejahung der Zulässigkeit eines Zwischenantrags auf Feststellung durch das Erstgericht und das Berufungsgericht enthält, auch wenn sie formell nicht in Beschlussform zu erfolgen hat, zwei die Zulässigkeit des Zwischenantrags auf Feststellung bejahende Beschlüsse und ist daher vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbar (RIS‑Justiz

RS0039492 [T2]). Dies gilt seit der Aufhebung des § 47 ASGG durch die ZVN 2002 (BGBl I 2002/76) auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen (vgl RIS‑Justiz

RS0120273; Neumayr in ZellKomm2 §§ 4548 ASGG Rz 4). Der Oberste Gerichtshof hat daher von der Zulässigkeit des vom Kläger gestellten Zwischenantrags auf Feststellung auszugehen (vgl 1 Ob 6/06y). Die Frage der Zulässigkeit des Zwischenantrags kann folglich keine Erheblichkeit im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO beanspruchen.

3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (siehe RIS‑Justiz RS0035979). Die

Streitwerte der Klage und des vom Kläger gestellten Zwischenantrags auf Feststellung sind zusammenzurechnen (RIS‑Justiz RS0039661; Obermaier , Kostenhandbuch 2 Rz 132). Der Zwischenantrag bleibt auch im Rechtsmittelverfahren, wenn er – wie hier, zumal in der Revision auch die Frage der Zulässigkeit des Zwischenantrags auf Feststellung releviert wurde – noch verfahrensgegenständlich ist, kostenwirksam ( Obermaier aaO). Der Kläger hat damit Anspruch auf Kostenersatz auf Basis eines Streitwerts von 1.500 EUR.

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