OGH 6Ob98/17f

OGH6Ob98/17f25.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, 2. A*, beide *, vertreten durch Riel, Grohmann, Sauer Rechtsanwälte in Krems an der Donau, gegen die beklagten Parteien 1. M*, 2. E*, 3. G*, alle vertreten durch Mag. Sonja Fragner, Rechtsanwältin in Krems an der Donau, wegen Unterlassung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 16. März 2017, GZ 1 R 1/17b‑14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 31. Oktober 2016, GZ 9 C 867/15w‑10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119946

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

I. Der Revision der klagenden Parteien wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das dem Hauptklagebegehren stattgebende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

II. Die beklagten Parteien werden mit ihrer Revision auf diese Entscheidung verwiesen.

III. Die beklagten Parteien sind zu gleichen Teilen schuldig, den klagenden Parteien die mit 6.338,63 EUR (davon 846,49 EUR USt und 1.260 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Drittbeklagte ist Fruchtgenussberechtigte an den Grundstücken der beiden anderen Beklagten, die an das Grundstück der Kläger grenzen. Sie übt ihr Fruchtgenussrecht in Form von Hühner‑ und Gänsehaltung aus. Die Grundstücke der Streitteile liegen im Waldviertel an einem Stausee in bewaldeter Umgebung.

Um 2013/2014 bekam die Drittbeklagte 50 Hühner und Hähne, später kamen vier Gänse hinzu. Der Tierbestand nahm zu. Der Zweitbeklagte baute eine Hütte im Grenzbereich zu den Klägern – 7 bis 8 Meter von der Terrasse des Hauses der Kläger entfernt – zur Behausung der Tiere um. Zu Beginn waren die Drittbeklagte und der Zweitbeklagte mit der Tierhaltung überfordert. Es gelangten öfter und immer wieder Tiere durch Schlupflöcher im Zaun auf das Grundstück der Kläger. Der Wasserstand des Sees ist manchmal so nieder, dass Hühner, Hähne und Gänse über den Seegrund in die umgebenden Grundstücke – so auch in jenes der Kläger – eindringen. Das ist nach wie vor so.

Die Hähne beginnen täglich zu unterschiedlichen Zeiten, meist zwischen 6:00 und 7:00 Uhr zu krähen. Das Krähen ist über den ganzen Tag verteilt. Manchmal krähen sie gleichzeitig und versuchen einander zu übertrumpfen. Die Hühner gackern den gesamten Tag über. Die Geruchsentwicklung versucht die Drittbeklagte durch Blütensträucher in ihrem Garten, durch das Einstreuen von Sägespänen und die Verwendung von Stroh hintanzuhalten. Trotzdem kommt es vor allem im Sommer und besonders nach einem Regen zu starker Geruchsbelästigung durch Tierkot, vor allem auf der Terrasse des im Jahr 2000 errichteten Hauses der Kläger. Durch die Geräusche der Hühner, Hähne und auch der Gänse können die Kläger nicht mehr bei offenem Fenster schlafen. Die Tiere verunreinigen mit ihrem Kot die Terrasse und auch die Umgebung des Hauses. Wenn die Kläger nach einer Abwesenheit wieder auf ihr Grundstück kommen, müssen sie zuerst die Terrasse und die Umgebung des Hauses vom Kot des Federviehs der Nachbarn reinigen. Eine Unterhaltung auf der Terrasse ist für die Kläger und ihre Besucher aufgrund der Geräusch- und Geruchsentwicklung durch die Tiere kaum mehr möglich; ebenso nicht mehr die Einnahme von Speisen.

Die Grundstücke in der Umgebung werden zu Erholungszwecken, vermehrt im Sommer und an Wochenenden genutzt. Es bestehen keine landwirtschaftlichen oder industrielle Betriebe vor Ort. Vor 2013/2014 hielt die Drittbeklagte keine Tiere. Selten kommen Wildenten. Sie halten sich meist in einer Flußbiegung nach Krumau auf und machen keinen Lärm.

Durch die bestehende Situation wird der Zweck der Örtlichkeit, ein Erholungsgebiet zu sein, vereitelt. Mit Beschluss vom 13. 2. 1979 erließ der Gemeinderat für die dort gelegenen Bauparzellen Bebauungsvorschriften. Demnach sind „das Halten von Großtieren (zB Pferde), Nutztieren und Tieren zur Tierzucht (zB Hunde)“ und die „Errichtung von freistehenden Nebengebäuden – Badehütten, Gartenhäuschen, Werkzeughütten, Aborten, Holzschuppen und dgl. –“ verboten.

Die Kläger begehren von den Beklagten, die „Haltung“ von Hühnern, Hähnen und Gänsen auf den beiden Grundstücken zu unterlassen, in eventu die von den beiden Grundstücken durch die von den darauf gehaltenen Hühnern, Hähnen und Gänsen ausgehenden Einwirkungen an Geräusch und Geruch an das Grundstück der Kläger zu unterlassen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie hätten schon im Herbst 2015 die Tierhaltung massiv eingeschränkt.

Das Erstgericht gab dem Hauptklagebegehren statt und wies das Eventualbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise statt. Es wies das Hauptklagebegehren ab und verpflichtete die Beklagten, es zu unterlassen, dass von den beiden Grundstücken gemeinsam Lärm von mehr als einem Hahn und einer Gans oder zwei Hennen oder einer Henne und einer Gans oder Fäkalgeruch von dort gehaltenen Hühnern oder Gänsen auf das Grundstück der Kläger gelangen. Das auf die Unterlassung der Hühner- und Gänsehaltung gerichtete Begehren sei mangels Grundlage im bürgerlichen Recht verfehlt. Über das Eventualbegehren hätte das Erstgericht nicht entscheiden dürfen, weil es dem Hauptklagebegehren stattgegeben habe. Das Eventualbegehren sei nach § 364 Abs 2 ABGB grundsätzlich berechtigt. Die über die vom Berufungsgericht im Spruch festgelegte Grenze der Zumutbarkeit hinausgehenden Immissionen seien allen Störern gemeinsam zu verbieten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei. Im vorliegenden Fall sei eine Lärmquelle ortsunüblich, nicht aber jeder davon ausgehende Lärm schon unzumutbar. Es wäre eine Bezugnahme auf Art und die Anzahl der gehaltenen Tiere auch den Klägern bei Formulierung ihres Eventualbegehrens möglich gewesen. Es stelle sich zum einen die Frage, ob bei ortsüblichen Tierhaltungen dies im Allgemeinen zu fordern sei und die Konkretisierung durch das Berufungsgericht zulässig sei. Zum anderen fehle Rechtsprechung zur Frage, welche Unterlassungspflichten die Eigentümer zweier (Störungs‑)Liegenschaften nach § 364 Abs 2 ABGB treffen, wenn sich die von ihren Liegenschaften ausgehenden Immissionen derart summieren, dass sie insgesamt unzumutbar für einen gemeinsamen Nachbarn seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist zulässig und auch berechtigt, jene der Beklagten hingegen nicht.

1. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer des Grundstücks einem Nachbarn „die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen“.

2. Die örtlichen Verhältnisse sind sowohl für das Maß der Immission als auch für das Maß der Beeinträchtigung zu beachten. Wesentlich sind neben dem Grad und der Dauer der Einwirkung sowie ihrer Störungseignung auch das Herkommen und das öffentliche Interesse (RIS‑Justiz RS0106616). Bei der Frage, ob eine wesentliche Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit vorliegt, ist in erster Linie ein objektiver, auf die Benützung der Nachbargrundstücke abgestellter Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0010583). Nach dem festgestellten Sachverhalt kann eine „wesentliche Beeinträchtigung“ der Kläger in der Möglichkeit der Nutzung ihrer Liegenschaft durch Grad und Intensität der Lärm‑ und Gestankeinwirkungen nicht verneint werden. Die Ortsunüblichkeit der von dem auf den Grundstücken der Beklagten im nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts „bäuerlichen“ Ausmaß gehaltenen Geflügel ausgehenden Einwirkungen durch Gestank und Lärm ist dadurch nachgewiesen, dass es sich um ein Erholungsgebiet handelt und höchstens Wildenten kommen, und selbst diese nur selten und nicht lärmen.

3. Der zu beurteilende Sachverhalt ist entgegen der Ansicht der Beklagten mit jenem der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 4 Ob 99/12f nicht vergleichbar. Dort wurde nämlich festgestellt, dass in unmittelbarer Nähe der Liegenschaften große Flächen landwirtschaftlich genutzt werden und sich ein anderer Hof mit Hühnerhaltung nur 250 bis 350 Meter entfernt befindet. Im vorliegenden Fall handelt es sich hingegen um ein der Erholung dienendes Gebiet, in dem keine landwirtschaftlichen oder industriellen Betriebe bestehen.

4. Zu ihrer Rüge, das Berufungsgericht hätte ein Beweisverfahren durchführen und zum Ergebnis kommen müssen, dass die Haltung von dreißig Hennen „ohne Hahn und Gänsen“ keine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Kläger darstelle, sind die Beklagten auch auf die vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen zu verweisen, deren Bekämpfung im Revisionsverfahren nicht möglich ist (RIS‑Justiz RS0042963; RS0007236).

5. Der Begründung der Abweisung des Hauptklagebegehrens des Berufungsgerichts halten die klagenden Revisionswerber entgegen, das Berufungsgericht habe sich nicht mit den Besonderheiten des Falls auseinandergesetzt. Die Haltung von Nutztieren im fallrelevanten Wohngebiet, das (ausschließlich) zu Erholungszwecken genutzt werde, sei ebenso behördlich verboten wie die Errichtung von freistehenden Nebengebäuden. Bauführungen für landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke seien nicht gestattet.

Hierzu wurde erwogen:

5.1. Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus dem Wortlaut des § 364 Abs 2 ABGB, dass der Kläger dem Beklagten nur die Einwirkung (den Eingriff) untersagen kann, nicht den diese Einwirkung verursachenden Betrieb als solchen (4 Ob 99/12f mwN; RIS‑Justiz RS0010566 [insb T5], RS0010526). Der Verpflichtete hat dafür zu sorgen, dass sein Nachbar nicht durch unzulässige Immissionen beeinträchtigt wird; die Auswahl der Mittel bleibt dabei ihm überlassen (RIS‑Justiz RS0010566 [T2]; 4 Ob 99/12f mwN). Wenngleich ältere Entscheidungen, wonach bei unzulässigen Immissionen die Tierhaltung als solche untersagt werden konnte (3 Ob 597/57; vgl 3 Ob 117/60; RIS‑Justiz RS0010588) durch die die neuere Rechtsprechung überholt sind, wird doch in der jüngeren Rechtsprechung bejaht, dass anderes dann gelten kann, wenn offenkundig kein anderes Mittel zur Verhinderung unzulässiger Immissionen zur Verfügung steht (4 Ob 99/12f; 5 Ob 2/11x mwN).

5.2. Auf das Vorliegen eines solchen Sonderfalls haben sich die Kläger schon in der Klage mit den in der Revision wiederholten Argumenten berufen. Konkret andere Mittel haben die Beklagten weder behauptet noch bewiesen.

Die Rechtsansicht der Kläger ist berechtigt.

5.3.1. Die vom Gemeinderat der Gemeinde, in der die Grundstücke der Streitteile liegen, beschlossenen, zum öffentlichen Recht zählenden Bebauungsvorschriften, deren Geltung unbestritten ist, geben den Klägern kein subjektives Privatrecht (vgl RIS‑Justiz RS0010484, RS0010605 [T2]), sodass die Kläger darauf keinen privatrechtlichen Unterlassungsanspruch gründen können.

5.3.2. Wohl aber ist zu beachten, dass die Beklagten die Bebauungsvorschriften bei der Auswahl der Mittel zur Verhinderung der unzulässigen Immissionen zu beachten haben. Andernfalls würde die Abstellung eines rechtswidrigen Zustands mit rechtswidrigen Mitteln erlaubt sein.

5.3.3. Nach den von den Beklagten nicht widersprochenen Ausführungen des Berufungsgerichts ist zur Unterbindung der unzulässigen Immissionen auch die Errichtung eines Stalls an einem anderen Standort als dem derzeit genutzten notwendig. Die Errichtung ist den Beklagten aber nach den Bebauungsvorschriften nicht gestattet. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass den Beklagten offenkundig kein anderes – erlaubtes – Mittel zur Verhinderung der unzulässigen Immission zur Verfügung steht, haben doch die Beklagten anderes auch nicht behauptet.

6.1. Die vom Berufungsgericht thematisierte Frage der „summierten Einwirkungen“ wird in den Rechtsmittelschriftsätzen nicht angesprochen. Darunter wird der Fall verstanden, dass mehrere Ursachen nur gemeinsam einen Erfolg herbeiführen (vgl RIS‑Justiz RS0123611; RS0123610). Bei Immissionen, die von verschiedenen Störern gemeinsam ausgehen, sind die Grundsätze des § 1302 ABGB sinngemäß anwendbar (RIS‑Justiz RS0010538).

6.2. Das Berufungsgericht hat die Frage der summierten Einwirkungen aber nur im Hinblick auf die von ihm verfügte Beschränkung der Anzahl der gehaltenen Tiere aufgeworfen. Da schon das Hauptklagebegehren berechtigt ist, muss zu der Frage nicht Stellung genommen werden.

7. Die Beklagten waren mit ihrer Revision auf die der Revision der Kläger stattgebende Entscheidung zu verweisen.

8. Die Beklagten haben die Kosten der Kläger aller drei Instanzen gemäß §§ 41, 46 Abs 1 iVm § 50 ZPO zu gleichen Teilen zu ersetzen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte