OGH 3Ob145/17w

OGH3Ob145/17w30.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei S*, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die verpflichtete Partei V* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Hubert Simon, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassungsexekution, über den Rekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. Juli 2017, GZ 47 R 149/17k‑37, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 5. April 2017, GZ 18 E 3693/16t‑34, als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119404

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und in der Sache die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt.

Die Rekurskosten der betreibenden Partei werden mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) als weitere Kosten des Exekutionsverfahrens bestimmt.

 

Begründung:

Der Betreibende beantragte am 5. September 2016 aufgrund eines näher bezeichneten Unterlassungstitels die Exekution gemäß § 355 EO wegen behaupteter Verstöße (Verbreitung bzw Veröffentlichung der Wohnadresse bzw der Wohnverhältnisse des Betreibenden) am 4. und am 5. September 2016 in einer bestimmten Ausgabe einer näher bezeichneten Zeitschrift, deren Medieninhaberin die Verpflichtete ist.

Diesen Antrag stellte das Erstgericht der Verpflichteten zur Äußerung binnen drei Tagen zur Strafhöhe zu.

Die Verpflichtete erstattete innerhalb dieser Frist eine umfangreiche Äußerung zur Strafzumessung und zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und legte mehrere Urkunden vor.

Zwischen 6. September 2016 und 12. September 2016 brachte der Betreibende fünf Strafanträge ein, worin er weitere Titelverstöße, begangen zwischen 6. September 2016 und 10. September 2016, behauptete. Der sechste Strafantrag vom 4. Oktober 2016 macht Titelverstöße zwischen 11. September 2016 und 4. Oktober 2016 geltend. Sämtliche Titelverstöße beziehen sich auf die vom Exekutionsantrag betroffene Ausgabe der Zeitschrift.

Das Erstgericht bewilligte am 21. September 2016 (ON 10) die Exekution sowie die ersten vier Strafanträge und verhängte eine Geldstrafe von insgesamt 25.000 EUR. Den fünften Strafantrag bewilligte das Erstgericht mit Beschluss vom 23. September 2016 (ON 12) und verhängte eine weitere Geldstrafe von 5.000 EUR. Der sechste Strafantrag wurde am 10. Oktober 2016 bewilligt (ON 17) und eine weitere Geldstrafe von 50.000 EUR verhängt.

Den Rekursen beider Parteien gegen diese Beschlüsse gab das Rekursgericht nicht Folge.

Gegenstand des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof ist die Entscheidung über die von der Verpflichteten fristgerecht erhobenen Widersprüche gegen die Strafbeschlüsse des Erstgerichts. Die Verpflichtete beantragte ausdrücklich die vorrangige Behandlung der Rekurse. Sie brachte zur Zulässigkeit der Widersprüche vor, nur zum Exekutionsantrag, nicht aber zu den Strafanträgen gehört worden zu sein.

Das Erstgericht wies die Widersprüche unter Berufung darauf ab, dass der Verpflichteten ohnedies eine Äußerungsmöglichkeit zum Exekutionsantrag eingeräumt worden sei. Die weiteren Strafanträge beträfen jeweils den selben veröffentlichten Artikel, weshalb eine Äußerungsmöglichkeit zu jedem einzelnen Strafantrag nicht einzuräumen gewesen sei.

Aus Anlass des Rekurses der Verpflichteten hob das Rekursgericht diesen Beschluss des Erstgerichts als nichtig auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es bewertete den Wert des Entscheidungsgegenstands mit jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und ließ den Rekurs zur Frage zu, ob und unter welchen Umständen zwingend eine Widerspruchsverhandlung durchgeführt werden müsse.

Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, eine mündliche Verhandlung über den Widerspruch sei zwingend vorgesehen. Die Unterlassung bilde auch dann einen amtswegig aufzugreifenden Nichtigkeitsgrund, wenn sich der Verpflichtete zwar zum Exekutionsantrag, nicht aber zu einem Strafantrag habe äußern können. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren eine Widerspruchsverhandlung durchzuführen haben.

In seinem Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts wendet sich der Betreibende nicht gegen die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung an sich, sondern nur gegen den Ausspruch der Nichtigkeit und gegen den dem Erstgericht erteilten Auftrag zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die erhobenen Widersprüche. Der Verweis in § 358 Abs 2 Satz 3 EO bedeute nicht, dass zwingend eine Verhandlung über den Widerspruch durchzuführen sei. Eine derartige Auslegung würde eine unsachliche Ungleichbehandlung gegenüber der in § 358 Abs 2 Satz 1 EO vorgesehenen schriftlichen Äußerung bewirken. Mit ihren Widersprüchen mache die Verpflichtete im Übrigen auch Gründe geltend, die nicht im Widerspruchsverfahren zu klären seien.

Die Verpflichtete beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinne einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses auch berechtigt.

1. Im Rekursverfahren gegen Aufhebungs-beschlüsse des Berufungsgerichts hat der Oberste Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung bei Entscheidungsreife in der Sache selbst zu entscheiden. Da das Verbot der reformatio in peius (RIS‑Justiz RS0043853) nicht gilt, besteht keine Bindung an den Rechtsmittelantrag. Eine Entscheidung in der Sache wird daher nicht dadurch gehindert, dass sich der Rechtsmittelwerber – wie hier – nicht gegen die Aufhebung an sich, sondern nur gegen die Begründung wendet (E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 519 Rz 24 mwN). Dieser Grundsatz gilt auch für Rekurse gegen Aufhebungsbeschlüsse des Rekursgerichts (RIS‑Justiz RS0002480 [T12, T14]; E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 527 Rz 4), somit iVm § 78 EO auch für Aufhebungsbeschlüsse im Exekutionsverfahren (17 Ob 26/11i = RIS‑Justiz RS0043853 [T11] zum Sicherungsverfahren).

2. Das Erstgericht hat die Widersprüche der Verpflichteten zutreffend ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen.

2.1 Der betreibende Gläubiger hat den Antrag auf Bewilligung der Exekution und jeden Strafantrag zugleich dem Verpflichteten direkt zu übersenden (§ 358 Abs 1 EO idF EO‑Novelle 2008). Sofern nicht Gefahr im Verzug ist, hat das Gericht vor der Verhängung von Geldstrafen dem Verpflichteten Gelegenheit zu einer Äußerung zu den Strafzumessungsgründen zu geben, wenn nicht bereits eine Äußerung zu einem im Wesentlichen gleichen Antrag notorisch ist. Gegen die Höhe einer Strafe kann der Verpflichtete, falls er nicht bereits vor der Beschlussfassung einvernommen wurde, Widerspruch erheben. Auf den Widerspruch sind die §§ 397 f EO sinngemäß anzuwenden (§ 358 Abs 2 Satz 1 bis 3 EO idF EO‑Novelle 2008).

2.2 Die Einführung des Widerspruchssystems, das somit das von der früheren Rechtsprechung anerkannte Bedürfnis für eine Durchbrechung des Neuerungsverbots im Rekursverfahren beseitigte (3 Ob 104/13k SZ 2013/58 = RIS‑Justiz RS0128958), wurde in den Materialien zur EO‑Novelle 2008 (ErlRV 295 BlgNR 23. GP  25) wie folgt begründet:

„Rückmeldungen aus der Praxis der Unterlassungsexekution haben gezeigt, dass neben der ausdrücklichen Normierung der Begründungspflicht auch eine Umwandlung der bislang in das pflichtgemäße Ermessen gestellten „Kann“-Bestimmung über die Äußerung der Verpflichteten in eine „Muss“-Bestimmung angezeigt ist. Dabei war freilich – so wie es bisher auch bei der Einräumung von Ermessen gedacht war – vorzusehen, dass es gerade in den Fällen einer im Rahmen der Unterlassungsexekution nicht selten anzutreffenden täglichen Antragstellung einer Möglichkeit zur Äußerung nur für den Fall geänderter Verhältnisse bedarf. Um diese ins Verfahren einbringen zu können, wurde nach dem Vorbild der ohne Anhörung des Gegners der gefährdeten Partei erlassenen Einstweiligen Verfügung eine Widerspruchsmöglichkeit geschaffen.“

2.3 Der von § 358 Abs 2 Satz 1 EO bedachte Fall, dass eine Äußerung zu einem im Wesentlichen gleichen Antrag „notorisch“ ist, betrifft, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, insbesondere die vorliegende Konstellation der täglichen Antragstellung wegen gleichartiger Verstöße (A. Frauenberger, Die Unterlassungsexekution nach der EO‑Novelle 2008, MR 2007, 444 [445]), die hier in derselben Ausgabe der Zeitschrift durch fortlaufende Weiterverbreitung begangen wurden.

2.4 Fraglich ist nun, ob dem Verpflichteten immer auch dann ein Widerspruchsrecht zuzubilligen ist, wenn ihm, weil seine Äußerung zum Exekutionsantrag „notorisch“ ist, eine Äußerungsmöglichkeit zu den Strafanträgen nicht eingeräumt wurde.

a) Bejahte man diese Möglichkeiten ohne Einschränkungen (so A. Frauenberger, MR 2007, 444 [446]), wäre der erkennbare Zweck, den der Gesetzgeber bei Schaffung der Ausnahme von der einzuräumenden Äußerungsmöglichkeit verfolgte, vereitelt: Dieser liegt darin, das Verfahren über möglicherweise täglich neu gestellte Strafanträge nicht zu erschweren bzw zu verzögern.

b) Auch ein besonderes Schutzbedürfnis des Verpflichteten ist nicht zu erkennen: Konnte er sich ohnedies zum Exekutionsantrag äußern und haben sich die für die Strafzumessung maßgeblichen Verhältnisse seit Stellung des Exekutionsantrags nicht geändert, bedarf es keiner Wiederholung des bereits in der Äußerung zum Exekutionsantrag erstatteten Vorbringens. Die an sich zwingende (A. Frauenberger, MR 2007, 444 [446]); Höllwerth in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO [2016] § 358 Rz 14) Durchführung einer Widerspruchsverhandlung wäre in diesem Fall, worauf der Betreibende im Kern zutreffend verweist, überschießend: Die Widerspruchsverhandlung dient ja dazu, ein Vorbringen des Verpflichteten zu neuen, bisher nicht aktenkundigen Tatsachen (vgl Klicka in Angst/Oberhammer, EO³ § 358 Rz 1 bzw § 355 Rz 22/1 aE) unter Einbindung des Betreibenden zu prüfen. Fehlt es an einem derartigen Vorbringen, wäre die Durchführung der Verhandlung überflüssiger Formalismus.

c) Der Verpflichtete kann somit bei Vorliegen einer notorischen Äußerung zu einem im Wesentlichen gleichen Antrag nur dann zulässig Widerspruch gegen die Höhe der Strafe wegen der fehlenden Gelegenheit zur Äußerung erheben, wenn er sich auf für die Strafzumessung wesentliche neue Tatsachen beruft. Nur für diesen Fall gilt der Verweis in § 358 Abs 2 letzter Satz EO auf § 398 Abs 1 EO, wonach über den Widerspruch mündlich zu verhandeln ist.

d) Macht der Verpflichtete hingegen in seinem Widerspruch nur Umstände geltend, die er bereits in der vorliegenden Äußerung anführte, kann der insoweit unzulässige Widerspruch auch ohne mündliche Verhandlung abgewiesen werden.

2.5 Hier hat die Verpflichtete in ihren Widersprüchen inhaltlich keine neuen Tatsachen behauptet. Sie wiederholte vielmehr lediglich ihr bereits in ihrer Äußerung erstattetes und im Rekursverfahren bei Überprüfung der Strafhöhe berücksichtigtes Vorbringen, dass durch den vom Betreibenden beanstandeten Artikel kein schwerwiegender Verstoß gegen die Unterlassungspflicht begangen worden sei und dass ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufgrund einer „Umbruchsphase“ und eines negativen Eigenkapitals beeinträchtigt sei. Die weiteren Ausführungen dazu, dass die Strafanträge aus näher bezeichneten Gründen nicht zu bewilligen gewesen wären, betreffen nicht die für das Widerspruchsverfahren allein maßgeblichen Strafzumessungsgründe.

3. Es war daher die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

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