OGH 2Ob61/17k

OGH2Ob61/17k16.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A*****aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 70.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2017, GZ 1 R 137/16x‑36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00061.17K.0516.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Ein bei der Klägerin haftpflichtversicherter Lkw hatte auf einer von der Beklagten betriebenen Autobahn die zur Trennung der Richtungsfahrbahnen errichtete Betonleitwand durchbrochen und war frontal mit einem entgegenkommenden Pkw zusammengestoßen. Die Klägerin leistete dem Unfallgegner Ersatz und begehrt nun von der Beklagten Regress im Ausmaß von einem Viertel, weil die Leitwand zu gering dimensioniert gewesen sei. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt, weil sich die konkret errichtete Leitwand nach der anwendbaren EN-Norm nur für den vorübergehenden Einsatz geeignet habe, der Beklagten angesichts der bekannten Gefährlichkeit des Streckenabschnitts die nach den räumlichen Verhältnissen mögliche Errichtung einer stärker dimensionierten Leitwand zumutbar gewesen sei und diese Leitwand dem Anprall des Lkw standgehalten hätte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Die Klägerin nimmt die Beklagte nach § 896 ABGB in Anspruch. Dieser Gesamtschuldnerregress setzt voraus, dass auch die Beklagte den Geschädigten haftete. Die Vorinstanzen haben das in vertretbarer Weise bejaht.

1.1. Wegen der Mautpflicht haftet die Beklagte dem geschädigten Straßennutzer aus Vertrag; die Haftungsbeschränkung des § 1319a ABGB ist nicht anwendbar (2 Ob 178/07a ZVR 2009/39 [Kathrein] mwN). Die Haftung der Beklagten ist daher schon bei leichter Fahrlässigkeit begründet.

1.2. Grundlage für die Beurteilung der Sorgfaltspflichten der Beklagten sind zunächst die „Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau“ (RVS). Von einer Forschungsgesellschaft erarbeitet und vom zuständigen Ministerium für verbindlich erklärt, geben sie den letzten Stand der Technik wieder (1 Ob 24/94; 2 Ob 5/10i). Im konkreten Fall ist Art 2 Abs 2 RVS 3.31 maßgebend. Danach sind bei Autobahnen die Richtungsfahrbahnen „grundsätzlich“ baulich zu trennen (Satz 1); andere Hauptverkehrsstraßen mit vier oder mehr Fahrstreifen sind „nach Möglichkeit“ mit getrennten Richtungsfahrbahnen auszuführen (Satz 2). Dass sich diese Bestimmung nur auf die Planung neuer Straßen bezöge, lässt sich den RVS nicht entnehmen; der Schutzzweck erfasst zweifellos auch bereits bestehende Straßen. Aus der Bestimmung ergibt sich zwingend, dass auch der strittige Streckenabschnitt mit einer baulichen Trennung zu versehen war. Denn es handelte sich dabei jedenfalls um eine Hauptverkehrsstraße mit vier Fahrspuren. Selbst wenn daher – im Sinn der Revision – die Verwendung des Begriffs „grundsätzlich“ bei Autobahnen Ausnahmen von der Trennungspflicht ermöglichen sollte (zB bei bloß zweispurigen Zubringern), bestand doch jedenfalls im vorliegenden Fall – wie auch die konkrete Umsetzung zeigt – bei einer vierspurigen Straße die Möglichkeit einer Ausführung mit getrennten Richtungsfahrbahnen. Dies führte nach Art 2 Abs 2 Satz 2 RVS 3.31 zu einer entsprechenden Verpflichtung. Abgesehen davon hatte es sich beim strittigen Abschnitt, der zunächst als Schnellstraße ohne getrennte Richtungsfahrbahnen betrieben worden war, vor der baulichen Trennung um eine der unfallträchtigsten Straßen im Bundesland Salzburg gehandelt. Auch dies hätte die Betreiberin zu geeigneten Maßnahmen verpflichtet.

1.3. Die nach Art 2 Abs 2 RVS 3.31 erforderliche Trennung war nach dem Stand der Technik zu errichten. Die insofern nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmende Beurteilung durch das Berufungsgericht ist nicht zu beanstanden:

(a) Der Stand der Technik ergab sich im konkreten Fall aus der von den Vorinstanzen zitierten Norm EN 1317‑2. Die konkret errichtete Trennwand hielt – bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h – nur dem Anprall eines Pkw in flachem Winkel stand, nicht aber dem Anprall eines Lkw. Daher ist sie nach der genannten Norm nur für ein vorübergehendes Aufstellen, etwa in einem Baustellenbereich, geeignet. In einem solchen Fall mag die geringe Wirksamkeit aus Kostengründen hinzunehmen sein. Bei einer auf Dauer angelegten Fahrbahntrennung auf einem als gefährlich bekannten Straßenabschnitt gelten diese Erwägungen aber nicht. Vielmehr ist hier wegen der regelmäßig schwerwiegenden Folgen von Lkw-Unfällen eine Trennwand mit ausreichendem „Aufhaltevermögen“ erforderlich.

(b) Im konkreten Fall wären Trennelemente in der erforderlichen Stärke zur Verfügung gestanden und hätten auf dem Mittelstreifen Platz gehabt. Dass sie am Sockel 24 cm breiter und insgesamt 30 cm höher gewesen wären als die tatsächlich verbauten, hätte den von der Beklagten nach ihrem eigenen Vorbringen angestrebten Zweck, durch die Mitteltrennung die Geschwindigkeit auch faktisch zu reduzieren, noch weiter verstärkt und daher ebenfalls der Verkehrssicherheit gedient.

(c) Der in der Revision zitierte Punkt 6.1. der RVS 5.233 sieht zwar für den Regelfall einen Abstand von 50 cm zwischen Sockelkante der Mitteltrennung und Fahrbahnrand vor; dies kann aber in „Sonderfällen“ bis auf Null reduziert werden. Ein solcher Fall kann hier wegen der im Vergleich mit typischen Autobahnen geringeren Straßenbreite angenommen werden. Zudem hätten die geeigneten Elemente den Seitenabstand zwischen Sockelkante und Fahrbahnrand jeweils nur um 12 cm vermindert, was in Anbetracht des dadurch deutlich erhöhten Aufhaltevermögens jedenfalls hinzunehmen gewesen wäre. Im Ergebnis wäre daher eine geeignete, normentsprechende Alternative zur Verfügung gestanden. Ein konkretes Vorbringen, weshalb die Errichtung einer ausreichenden Trennung dennoch unzumutbar gewesen wäre, hat die Beklagte nicht erstattet. An ihrem Verschulden besteht daher kein Zweifel.

1.4. Nach den Feststellungen hätte der Lkw eine Trennwand mit ausreichender „Aufhaltestufe“ nicht durchbrochen. Damit war deren Fehlen kausal für den Zusammenstoß mit dem Pkw und die dadurch eingetretenen Schäden. Ebenso kausal waren die überhöhte Geschwindigkeit, der Fahrfehler und die Gefährlichkeit des Lkw, was die Haftung von dessen Lenker und Halters begründete. Dies führte nach § 1302 ABGB zur solidarischen Haftung der Beklagten auf der einen und – zufolge § 26 KHVG – der Klägerin auf der anderen Seite.

2. Die Klägerin hat Ersatz geleistet und begehrt nun Regress. § 11 EKHG ist nicht anwendbar, weil der Schaden nicht durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht wurde. Daher ist der Anspruch nach der allgemeinen Regel des § 896 ABGB zu beurteilen. Diese Bestimmung erfasst auch das Zusammentreffen von vertraglicher und deliktischer Haftung (5 Ob 588/79). Das Ausmaß des Regresses richtet sich im Fall einer Solidarhaftung nach § 1302 ABGB nach den bei den Haftpflichtigen vorliegenden Zurechnungsgründen, insbesondere nach dem Ausmaß des jeweiligen Verschuldens (RIS‑Justiz RS0017501). Diese Beurteilung ist einzelfallbezogen (RIS-Justiz RS0026824). Die Auffassung der Vorinstanzen, dass die auf Seiten des Lenkers und des Halters des Lkw und damit auf Seiten der Klägerin vorliegenden Zurechnungsgründe das Verschulden der Beklagten zwar überwiegen, aber doch nicht ganz in den Hintergrund treten lassen, ist nicht zu beanstanden.

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