European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E118091
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden hinsichtlich Punkt 8. des erstgerichtlichen Beschlusses (Verpflichtung der Eltern, gemeinsam an fünf Mediationssitzungen teilzunehmen und eine Bestätigung darüber zu übermitteln) ersatzlos behoben.
Begründung:
Das Erstgericht verpflichtete im allein den Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildenden Pkt 8 seines Beschlusses die Eltern, nach Beendigung der in Pkt 7 aufgetragenen Erziehungsberatung gemeinsam an zumindest fünf Mediationssitzungen teilzunehmen und darüber bis zu einem bestimmten Termin eine Bestätigung vorzulegen.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Auftrag. § 107 Abs 3 Z 2 AußStrG beinhalte nur eine demonstrative Aufzählung. Das Gericht müsse bei Anordnung einer Maßnahme „begründen, aus welchen Erwägungen die Verpflichtung der Eltern zur Inanspruchnahme näher beschriebener Beratungsangebote oder therapeutischer Hilfestellungen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmte, ausdrücklich zu bezeichnende Komponenten des Kindeswohls“ fördere, „zu diesem Zweck erforderlich“ sei und „überdies ein erforderliches und geeignetes Mittel der Erreichung dieser Zielsetzung“ bilde.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs derMutter, die darauf hinweist, dass nach § 107 Abs 3 Z 2 AußStrG in Bezug auf die Mediation nur der Besuch eines Erstgesprächs und nicht eines ganzen Mediationsprozesses vorgeschrieben werden könne.
Der Vater beantragt in der ihm nunmehr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel der Mutter zurückzuweisen; in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage, ob über den Besuch eines Erstgesprächs hinaus die Teilnahme an Mediationssitzungen angeordnet werden kann, fehlt; er ist auch berechtigt.
1. Die ErlB zum KindNamRÄG 2013 (RV 2004 BlgNR 24. GP 38 abgedruckt in Deixler‑Hübner/Fucik/Huber, Das neue Kindschaftsrecht, 149 ff [151]), verweisen darauf, dass zur Erzielung des Einvernehmens in Obsorge‑ und Besuchsrechtsverfahren in vielen Rechtsordnungen vermehrt auf Mediation gesetzt werde. Eine positive „Umgebungshaltung“ wirke sich auf die Bereitschaft zur Mediation sehr förderlich aus. Das Gericht bringe durch die Anordnung der Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation zum Ausdruck, dass es diese für sinnvoll halte. Dies solle der Anstoß sein, sich mit dieser Form der Konfliktlösung auseinanderzusetzen. Von einer echten „Zwangsmediation“ der Eltern werde dagegen Abstand genommen, weil eine solche mit der Grundidee der „Verführung zum konstruktiven Miteinander“ nicht vereinbar sei.
2. In der Entscheidung 4 Ob 139/14s (= RIS‑Justiz RS0129658), in der es inhaltlich um eine verpflichtend aufgetragene Psychotherapie ging, erachtete der Oberste Gerichtshof deren Anordnung mangels konkreter Aufzählung in § 107 Abs 3 AußStrG für unzulässig und zwar – unter Berücksichtigung des demonstrativen Charakters der Bestimmung – auch nicht im Sinn einer „anderen geeigneten Maßnahme“, die den in § 107 Abs 3 AußStrG aufgezählten gleichwertig wäre. Der Gesetzgeber habe sich bei § 107 Abs 3 Z 2 AußStrG von einer „Zwangsmediation“ distanziert.
In der Entscheidung 9 Ob 17/16i (= RIS‑Justiz RS0130781; RS0129700) wurde dargelegt, dass kein Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 107 Abs 3 AußStrG bestehe und die Gefährdung des Kindeswohls keine notwendige Voraussetzung für Anordnungen nach dieser Bestimmung sei.
3. In der Literatur wird unter Hinweis auf die Materialien zu der Bestimmung auf die Möglichkeit, ein Erstgespräch anzuordnen, hingewiesen (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 107 Rz 20 f; Beck, Kindschaftsrecht², Rz 1132; Huber, Anwendungsbereich des § 107 Abs 3 AußStrG, EF‑Z 2105/59 [111]; Philadelphy/Schuster, Das Erstgespräch über Mediation, mediation aktuell 1/2014, 13; Simotta, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des KindNamRÄG 2013 in Ferrari/Hinteregger/Kathrein, Reform des Kindschafts- und Namensrechts [2014], 121).
Thunhart, Können Eltern gegen ihren Willen zur Zusammenarbeit mit außergerichtlichen Institutionen gezwungen werden? iFamZ 2011, 139, hatte noch vor Inkrafttreten der Bestimmung Bedenken gegen die verbindliche Anordnung eines Erstgesprächs.
Höllwerth, Obsorgeverfahren und Durchsetzung der Obsorge in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013, 222, verweist darauf, dass von § 107 Abs 3 Z 2 AußStrG nur die Anordnung der Teilnahme an einem Erstgespräch umfasst ist.
Philadelphy/Schuster,Mediation zur Sicherung des Kindeswohls, in Gitschthaler,KindNamRÄG 2013, führen aus, dass sich die Mediationsverbände schon im Begutachtungsverfahren für die Freiwilligkeit der Mediation ausgesprochen hätten, weil dies Voraussetzung für deren Durchführung sei und das auch der Gesetzgeber so gesehen habe.
Fucik, Verfahren in Ehe‑ und Kindschaftsangelegenheiten nach dem KindNamRÄG 2013, ÖJZ 2103/32 [304], meint, dass die Mediation durch einen Auftrag zur Teilnahme an einem Erstgespräch nicht unfreiwillig werde, weil ein Zwang zur Teilnahme, ja auch nur zum Abschluss einer Mediationsvereinbarung, von § 107 Abs 3 AußStrG nicht gedeckt sei (ebenso Fucik in Deixler-Hübner/Fucik/Huber, Das neue Kindschaftsrecht, 153).
4. Auch der erkennende Senat vertritt, dass angesichts der Klarheit des Gesetzes selbst und der Materialien davon auszugehen ist, dass bloß ein Erstgespräch über Mediation im Sinn des § 107 Abs 3 AußStrG vom Gericht angeordnet werden darf und nicht die Teilnahme an Mediationssitzungen selbst.
Der Ansicht des Rekursgerichts, dass die Anordnung verbindlicher Mediation angesichts der bloß demonstrativen Aufzählung in § 107 Abs 3 AußStrG als „andere geeignete Maßnahme“ zulässig sei, ist – wie dargelegt – nicht beizutreten. Dies käme einer Umgehung des offensichtlichen Willens des Gesetzgebers gleich.
5. Dies führt zur ersatzlosen Behebung der Anordnung der Teilnahme der Eltern an fünf Mediationssitzungen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)