European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117917
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.351,88 EUR (darin enthalten 391,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Der beklagte Rechtsanwalt wurde – nach Enthebung der früheren, in den Jahren 2006 und 2008 bestellten Sachwalter – mit Beschluss vom 13. 1. 2009 zum dritten Sachwalter des Klägers bestellt und im Dezember 2011 dieser Funktion enthoben.
Der Kläger begehrt aus diversen Unterlassungen seines früheren Sachwalters, insbesondere im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Geltendmachung von seines Erachtens berechtigten Forderungen, Schadenersatz. Der Beklagte habe jeglichen Kontakt verweigert und nicht einmal Sachverhalt sowie Erfolgsaussichten erhoben, obwohl einzubringende Klagen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg geführt hätten. Durch diese Untätigkeit sei Verjährung eingetreten.
Die Vorinstanzen lehnten eine Haftung des Beklagten ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Klärung der Frage zu, ob bei lange zurückliegenden Schadensereignissen zunächst den Geschädigten die Behauptungs‑ und Beweislast für einen zeitlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Sachwalters treffe, weil unter Vermögensstand im Sinn des § 229 ABGB idF SWRÄG 2006 der aktuelle und nicht der historische Vermögensstand zu verstehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die – beantwortete – Revision des Klägers ist entgegen diesem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Nach § 277 ABGB in der Fassung des Sachwalterschafts‑Änderungsgesetzes (SWRÄG) 2006, BGBl I 2006/92, haftet der Sachwalter dem Pflegebefohlenen für jeden durch sein Verschulden verursachten Schaden. Er haftet jedoch dann nicht persönlich, wenn er in Ausübung der ihm durch die gerichtliche Bestellung anvertrauten Agenden in Erfüllung einer richterlichen Weisung und damit als Organ gemäß § 1 Abs 2 AHG handelt (RIS‑Justiz RS0115842; RS0049179 [T2]). Diese Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch liegt hier unzweifelhaft nicht vor.
2. § 214 ABGB in der Fassung des KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15 (zuvor § 229 Abs 1 in der Fassung SWRÄG 2006) verpflichtet iVm § 275 Abs 3 ABGB den Sachwalter bei Antritt der Sachwalterschaft, den Vermögensstand des Betroffenen gründlich zu erforschen. Die gerichtliche Nachforschungspflicht tritt erst dann ein, wenn der Sachwalter bei dieser Erforschung Hilfe benötigt (Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 229 Rz 4; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 ErgBd § 214 Rz 2). Der Sachwalter muss mit dieser Aufgabe regelmäßig ab der rechtskräftigen Bestellung durch das Gericht, also unverzüglich tätig werden, um allfällige, ihm noch unbekannte Nachteile für das Vermögen des Betroffenen zu vermeiden (4 Ob 26/10t, Kathrein in Klang3 § 229 Rz 5).
3. Sehr allgemein umschreibt § 275 Abs 1 ABGB die Handlungs‑ und Sorgfaltspflichten eines Sachwalters mit allen Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die übertragenen Angelegenheiten zu besorgen, wobei das Wohl des Betroffenen bestmöglich zu fördern ist.
4. Im Rahmen seines Wirkungskreises treffen den Sachwalter bedarfsabhängige und einzelfallbestimmte Verhaltensanforderungen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 133 Rz 23). Ob ihm eine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0049179 [T3]).
5. Diese Orientierung am Einzelfall führt hier zum Ergebnis, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht zu korrigieren ist, wenn es eine Haftung des Sachwalters insbesondere im Zusammenhang mit der Geltendmachung angeblich berechtigter Forderungen des Betroffenen verneinte.
6. Der Beklagte wurde im Jänner 2009 zum (dritten) Sachwalter des Beklagten bestellt. Sein Wirkungskreis erfasste gleich jenem der beiden früheren Sachwalter alle Angelegenheiten des Betroffenen mit Ausnahme des Bereichs der Personenobsorge und dessen, für einen notwendigen Lebensunterhalt erforderlichen Einkommens. Erst nach Rechtskraft des Umbestellungsbeschlusses (mit Ablauf des 30. 1. 2009: Berufungsurteil S 28) war er zur Vertretung des Betroffenen berechtigt und verpflichtet (7 Ob 77/09p; 1 Ob 161/12a; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 125 Rz 6).
7.1 Der Kläger behauptet einen Vermögensschaden dadurch erlitten zu haben, dass der Beklagte berechtigte Ansprüche verjähren ließ und nicht innerhalb der (hier anzuwendenden kurzen [§ 1486 Z 1, § 1489 Satz 1 ABGB, § 6 Abs 1 Satz 1 AHG]) Verjährungsfrist eingeklagt hat.
7.1.1 Das Berufungsgericht hat im Einzelnen aufgelistet, welche der vom Kläger behaupteten Forderungen bereits zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Bestellung des ersten Sachwalters im Jahr 2006 verjährt gewesen seien. Diese rechtliche Beurteilung greift der Kläger in der Revision nur insoweit an, als er die Fortlaufhemmung des § 1494 Satz 1 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0122386; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1494 ABGB Rz 2; Dehn in KBB4 § 1494 Rz 1) für sich beansprucht. Seiner Meinung nach konnten Verjährungsfristen aufgrund der bereits 1998 (als Folge eines bei einem Verkehrsunfall erlittenen Schädel‑Hirntraumas) bestehenden Persönlichkeitsstörung erst mit der rechtskräftigen Bestellung des ersten Sachwalters (Mitte Juni 2006) überhaupt beginnen und seien daher zum Zeitpunkt der rechtswirksamen Bestellung des Beklagten am 30. 1. 2009 noch nicht abgelaufen gewesen.
7.1.2 Seine Behauptungen zum Vorliegen einer geistigen Beeinträchtigung bereits Jahre vor Einleitung des ersten Sachwalterschaftsverfahrens sind unzulässige Neuerungen und zudem durch die Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt. 1998 und 2003 wurden jeweils Verfahren zur Überprüfung der (vom Kläger 2006 bestrittenen) Notwendigkeit, einen Sachwalter zu bestellen, eingeleitet, aber eingestellt; zuletzt mit der Begründung, dass keinerlei Hinweise auf eine geistige Beeinträchtigung vorlägen. Gegen das Neuerungsverbot verstoßen auch die Behauptungen einer angeblichen Pflichtverletzung des Beklagten, die darin liegen soll, dass er gegen seine Vorgänger keine Schadenersatzansprüche wegen ihrer Untätigkeit geltend gemacht habe. In erster Instanz leitete der Kläger seine Schäden nicht aus einem derartigen Sorgfaltsverstoß ab.
7.2 Der Kläger zeigte sich als Wohnungseigentümer mit der Tätigkeit der Hausverwalterin nicht zufrieden, weil diese seiner Meinung nach unter anderem zu hohe, nicht gerechtfertigte Beträge vorschreibe und Reparaturen nicht durchführe. Miteigentümer würden rechtswidrig allgemein Flächen benützen, ohne ihm dafür Nutzungsentgelt zu bezahlen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen zahlte er längere Zeit keine Betriebskosten für sein Wohnungseigentumsobjekt, weshalb mehrere Klagen der Eigentümergemeinschaft anhängig waren. Gegen diese Forderungen wollte er mit seinen angeblichen Schadenersatzforderungen aufrechnen, was in einem rechtskräftigen Urteil jedoch abgelehnt wurde. Im Mai 2009 bat er den zuständigen Richter schriftlich um Verfahrenshilfe für eine Klage gegen die Hausverwalterin, weil diese keine Reparaturen ausführe, nicht für Sicherheit und Sauberkeit sorge, Kameras und Postkasten sowie Snowboards, Mountainbikes und Kfz vernichte. Der Richter leitete dieses Schreiben an den damaligen Sachwalter mit dem Bemerken weiter, dass die Entscheidung derzeit vorbehalten werde. Mit Schreiben vom 26. 8. 2009 bat der Kläger den Richter „zum dritten und letzten Mal“ um Verfahrenshilfe für eine Klage gegen die Hausverwalterin wegen 17.000 EUR (Schadenersatz, Schmerzengeld) und Abberufung. Der Richter wies den Kläger mit Schreiben vom 23. 2. 2010 darauf hin, dass eine nähere Ausführung zum Schmerzengeld fehle und die Schadenersatzklage von 17.000 EUR nicht näher ausgeführt sei. So allgemein könne daher Verfahrenshilfe nicht gewährt werden. Dieses Schreiben wurde dem Beklagten zur Kenntnisnahme zugestellt.
7.2.1 Seine hier erhobenen Schadenersatz‑ansprüche begründet der Kläger damit, dass der Beklagte es nach Bestellung zum Sachwalter unterlassen habe, gegen die Hausverwalterin eine Forderung von 17.538 EUR geltend zu machen.
7.2.2 Das Berufungsgericht lehnte diesen Schadenersatzanspruch mit der Begründung ab, der Beklagte hätte aufgrund der Reaktion des zuständigen Richters nicht mit einer Genehmigung der Klagsführung rechnen können.
7.2.3 Der Revisionswerber sieht hingegen den Beklagten in der Pflicht, Anspruchsgrundlagen und Beweismittel zu erforschen und in einem Bericht an das Gericht Ansprüche des Klägers ausreichend konkret darzustellen.
7.2.4 Die wesentliche Rolle des Gerichts beschränkt sich zwar nach § 133 AußStrG darauf, gegebenenfalls Maßnahmen zur Sicherung der Vermögenswerte zu setzen und den Sachwalter bei der Verwaltung des Vermögens zu überwachen (RIS‑Justiz RS0126331 [T1]; Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 133 Rz 18). Der Sachwalter muss daher von sich aus aktiv werden.
7.2.5 Die Beziehung Betroffener, Sachwalter und Pflegschaftsrichter war im vorliegenden Fall jedoch dadurch gekennzeichnet, dass letzterer von Anfang an eine sehr aktive Rolle einnahm, weil er praktisch der einzige Gesprächspartner war, den der Kläger akzeptierte, während mit den Sachwaltern (insbesondere dem Beklagten), die sich mit Beschuldigungen und Anzeigen konfrontiert sahen, eine bestenfalls als extrem eingeschränkt zu bezeichnende Kommunikationsbasis bestand. So strebte der Kläger gegenüber dem Beklagten von Anfang an die (2011 letztlich durchgesetzte) Aufhebung der Sachwalterschaft an. Der Beklagte teilte dem Richter bereits etwa eineinhalb Monate nach seiner Bestellung mit, dass der Kläger Strafanzeige gegen ihn erstattet hätte und kein Kontakt mehr stattfinde. Der Einschätzung des Richters zu Erfolgsaussichten von Klagen bzw deren Genehmigungsfähigkeit kam daher aus der Sicht des Sachwalters besondere Bedeutung zu.
7.2.6 Ein zum Sachwalter bestellter Rechtsanwalt wie der Beklagte muss die Interessen des Betroffenen bestmöglich wahren (§ 275 Abs 1 ABGB). Dazu zählt zweifellos die Verpflichtung, vorhandenes Vermögen soweit möglich zu vermehren oder zumindest zu erhalten, jedenfalls aber nicht unnötig zu verringern. Das mit einem entsprechenden Prozesskostenrisiko verbundene Einklagen verjährter oder zufolge einer (vom zuständigen Pflegschaftsrichter offenbar geteilten) vertretbaren, wenn nicht sogar richtigen Einschätzung als aussichtslos empfundener Ansprüche widerspricht diesem Ziel eindeutig. Waren die Ansprüche zum Zeitpunkt der rechtswirksamen Bestellung zum Sachwalter daher bereits verjährt, handelt der Beklagte objektiv nicht sorgfaltswidrig, wenn er sie weder einklagt noch zuvor versucht, die pflegschaftsbehördliche Genehmigung zu erreichen. Stuft er die Durchsetzung noch nicht verjährter Schadenersatzforderungen auf vertretbare Weise als aussichtslos ein, ist ihm an einer derartigen Unterlassung kein Verschulden vorzuwerfen.
7.2.7 Die Einschätzung des Berufungsgerichts, ein Sachwalter müsse in einer solchen Situation keine Anträge auf Verfahrenshilfe oder Genehmigung einer Klagsführung zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen einbringen, ist zumindest vertretbar,
7.3 Zur Forderung des Klägers gegen die Hausverwalterin im Zusammenhang mit der Zwangsversteigerung seines Wohnungseigentumsobjekts steht fest, dass diese Zwangsversteigerung (wegen offener Betriebskosten) zu Recht betrieben wurde und nur mit Mühe abgewendet werden konnte. Warum dem Kläger aus diesem Tatsachenkomplex ein berechtigter, aber vom Sachwalter zu Unrecht nicht verfolgter Schadenersatzanspruch zustehen sollte, zeigt er in seinem Rechtsmittel nicht auf.
7.4 Den Forderungen aus einer angeblich unberechtigten Versteigerung am 29. 1. 2009 (Schaden 5.180 EUR) hielt das Berufungsgericht entgegen, dass der Beklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig zum Sachwalter bestellt worden war.
7.4.1 Der Kläger meint in der Revision hingegen, ein Sachwalter sei aufgrund der – auch bei öffentlich‑rechtlichen, durch Hoheitsakte begründeten Schuldverhältnissen in Betracht kommenden – Haftung für culpa in contrahendo verpflichtet gewesen, einen Schaden durch eine Versteigerung, von der der Kläger nicht verständigt worden sei, abzuwenden. Stattdessen hätte er schlicht gar nichts getan.
7.4.2 Zunächst passt die dazu in der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 3/87 (SZ 60/36 = JBl 1987, 529: öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis durch Lehrauftrag) nicht: Die Beziehung zwischen Sachwalter und betroffener Person ist kein öffentlich‑rechtliches Schuldverhältnis, mag sie auch durch einen Hoheitsakt (Gerichtsbeschluss) begründet werden. Ungeachtet dessen ist für eine privatrechtliche, vorvertragliche Handlungspflicht deshalb kein Raum, weil der Beklagte vor seiner rechtskräftigen Bestellung für den Betroffenen gar nicht einschreiten durfte.
8. Aus diesen Erwägungen müssen die in der Revision angesprochenen Beweislastfragen nicht geklärt werden.
9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
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