OGH 4Ob26/10t

OGH4Ob26/10t20.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** B*****, vertreten durch die Sachwalterin DSA Isabella B*****, diese vertreten durch Mag. Dr. Klaus Gimpl, Rechtsanwalt in Ybbs, wider die beklagte Partei Dr. R***** P*****, vertreten durch Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.004,26 EUR sA, infolge Rekurses der klagenden Partei und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. November 2009, GZ 14 R 176/09v-23, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. August 2009, GZ 20 Cg 250/08v-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I) Der Schriftsatz der Klägerin vom 27. 1. 2010 („Weiteres Vorbringen zur bereits eingebrachten Rekursbeantwortung“) wird zurückgewiesen.

II) Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin wurde am 7. 6. 1950 geboren. Sie leidet an einem pränatalen cerebralen Defekt, weist das geistige Niveau eines Kleinkindes auf und lebt seit 1988 ohne Kontakt zu ihren Eltern auf Kosten des zuständigen Sozialhilfeträgers in einer sozialtherapeutischen Einrichtung. Sie bezieht nach dem Tod ihres Vaters eine Waisenpension. Die Beklagte, damals als Rechtsanwältin tätig, war vom 24. 9. 1992 bis 28. 6. 2007 Sachwalterin der Klägerin für alle Angelegenheiten. Die Mutter der Klägerin starb am 1. 12. 2004; von diesem Umstand wurde die Beklagte nicht in Kenntnis gesetzt. Die Beklagte hat während der ihr übertragenen Sachwalterschaft nicht erhoben, ob die Mutter der Klägerin noch lebt.

Die Klägerin begehrte zuletzt 8.004,26 EUR sA. Die Beklagte habe es entgegen ihrer Verpflichtung, sich um die wirtschaftlichen und finanziellen Belange der Klägerin zu kümmern, nach dem Tod der Mutter der Klägerin unterlassen, rechtzeitig für die Klägerin einen Antrag auf (Doppel-)Waisenpension zu stellen. Die Beklagte habe nämlich keine Nachforschungen (etwa durch regelmäßige Anfragen bei der Sozialversicherung) angestellt, ob die Mutter der Klägerin noch lebe und ob der Klägerin nach deren Tod Pensionsansprüche zustünden. Die Klägerin habe durch dieses grob fahrlässige Verhalten der Beklagten einen Schaden in Höhe des begehrten Betrags erlitten. 80 % der der Klägerin gebührenden Waisenpension stünden dem Sozialhilfeträger zu, weil sich die Klägerin bereits im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruches auf dessen Kosten in einem Pflegeheim aufgehalten habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Mangels Kenntnis vom Tod der Mutter der Klägerin treffe sie kein Verschulden daran, dass die Klägerin keinen Antrag auf Waisenpension gestellt habe. Da 80 % der Pension nicht der Klägerin, sondern dem zuständigen Sozialhilfeträger zugestanden wäre, habe die Klägerin in diesem Umfang keinen Schaden erlitten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ein Kind, das infolge Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig sei, besitze auch über das 18. Lebensjahr hinaus einen Anspruch auf Waisenpension. Bestehe zu den Eltern kein Kontakt und beziehe die behinderte Person auch keinen Unterhalt (etwa weil sie in einer Sozialhilfeeinrichtung versorgt sei), so könne es im Rahmen der Einkommenssicherung notwendig sein, regelmäßig - beispielsweise jährlich - zu prüfen, ob ein Elternteil verstorben sei, um gegebenenfalls einen Anspruch auf Waisenpension rechtzeitig geltend machen zu können. Die Beklagte habe es rechtswidrig und schuldhaft unterlassen, dem Verbleib der Eltern der Klägerin nachzuforschen und deren Ableben festzustellen, und habe keine Waisenpension für die Klägerin beantragt. Sie habe damit ihre Pflicht, das Wohl der Klägerin bestmöglich zu fördern, schuldhaft verletzt. Als Rechtsanwältin unterliege sie bei der Beurteilung ihres Verschuldens dem Maßstab des § 1299 ABGB. Dass die Klägerin im Zeitpunkt der Bestellung der Beklagten zur Sachwalterin schon 43 Jahre alt gewesen sei, ändere an dieser Beurteilung nichts. Die Klägerin lebe auf Kosten des Sozialhilfeträgers in einem sozialtherapeutischen Zentrum; diese finanzielle Absicherung genüge zur Erfüllung der Einkommenssicherung nicht. Auch besitze die Klägerin Erbrechte nach dem Tod ihrer Eltern, weshalb sich die Beklagte auch aus diesem Grund vom Ableben der Eltern der Klägerin Gewissheit verschaffen hätte müssen.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück; es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung fehle, ob der Sachwalter im Zuge seiner Verpflichtung zur Einkommenssicherung in regelmäßigen Abständen das allfällige Ableben eines Elternteils des Pflegebefohlenen zu überprüfen habe, um in weiterer Folge entsprechende Anträge auf Waisenpension stellen zu können. Personen, denen ein Sachwalter bestellt sei, seien oft aufgrund ihrer psychischen Krankheit und geistigen Behinderung auf Sozialleistungen angewiesen. Im Hinblick auf sich verändernde persönliche Lebensverhältnisse und gesetzliche Grundlagen müsse der Sachwalter daher regelmäßig prüfen, welche Leistungsansprüche der Betroffene besitze. Bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte bestehe eine Prüfpflicht des Sachwalters, ob der Betroffene einen Anspruch auf Sozialleistungen besitze. Im Regelfall eines Kontakts zwischen dem Pflegebefohlenen und seinem Sachwalter einerseits und den Angehörigen des Pflegebefohlenen andererseits werde der Sachwalter leicht vom Tod eines Elternteils erfahren. Bestehe hingegen (wie im Anlassfall) kein solcher Kontakt und habe der Pflegebefohlene darüber hinaus auch schon das 50. Lebensjahr überschritten, müsse der Sachwalter zur Erfüllung seiner Verpflichtung, das Einkommen des Betroffenen zu sichern, geeignete Schritte unternehmen, um herauszufinden, ob Elternteile mittlerweile verstorben seien, bejahendenfalls, ob ein Anspruch auf den Bezug einer Waisenrente bestehe. Die Beklagte habe überhaupt keine Erhebungen gepflogen und daher die ihr grundsätzlich auferlegte Nachforschungspflicht verletzt. Ein Sachwalter könne sich nicht darauf verlassen, vom Verlassenschaftsgericht oder dem Gerichtskommissär vom Ableben eines Elternteils des Pflegebefohlenen verständigt zu werden, zumal die Todesfallaufnahme nicht zwangsläufig mit einem Erben oder Verwandten zu erfolgen habe (vgl § 38 AußStrG alt, § 145 AußStrG neu) und auch die vermutlichen Erben nicht unbedingt vom Gang des Verlassenschaftsverfahrens zu verständigen seien (vgl § 73 AußStrG alt, § 153 Abs 1 AußStrG neu). Die Beklagte hätte deshalb in regelmäßigen Abständen - eine jährliche Überprüfung erscheine angemessen - geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um sich vom Fortleben der Eltern des Betroffenen zu überzeugen. Die Beklagte habe eine solche Prüfung schuldhaft unterlassen. Aus der Entscheidung 7 Ob 11/04z ergebe sich nichts Gegenteiliges, sei doch im Anlassfall - anders als im genannten Fall - die Klägerin bereits seit ihrer Geburt behindert und habe daher ihre Angelegenheiten nie selbst besorgen können. Die Beklagte sei ja bereits Jahre vor dem Tod der Mutter zur Sachwalterin der Klägerin bestellt worden, und die grundsätzliche Möglichkeit, eine Waisenpension zu beantragen, habe sich bereits aus dem Umstand ergeben, dass die Klägerin auch seit dem Tod ihres Vaters eine solche beziehe. Da der Klägerin zumindest 20 % einer weiteren Waisenpension verblieben und diese Mittel zur Verbesserung ihrer Lebensqualität herangezogen werden könnten, entbinde auch der Umstand, dass die Klägerin durch die Unterbringung in einem Heim mit dem Notwendigsten versorgt sei, die Beklagte nicht von ihrer Pflicht, zur Einkommenssicherung der Klägerin tätig zu werden. Ihr Unterlassen von Nachforschungen zum Ableben der Mutter der Klägerin sei daher rechtswidrig und schuldhaft. Es reichten aber die Feststellungen für eine abschließende Beurteilung nicht aus. Der Anspruch auf Waisenpension gebühre über das 18. Lebensjahr hinaus, wenn das Kind infolge Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig sei (§ 252 Abs 2 ASVG), und sei mit Antrag innerhalb von 6 Monaten geltend zu machen (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG), um einen Waisenpensionsanspruch ab dem auf den Todestag des Elternteils folgenden Tag zu wahren. Bei einer späteren Antragstellung gebühre der Anspruch erst mit dem Tag der Antragstellung (§ 86 Abs 3 ASVG). Ausgehend von einer jährlichen Überprüfung und infolge Übernahme der Sachwalterschaft im September 1992 sei der Beklagten ihre Untätigkeit vor September 2005 nicht vorzuwerfen. Die Klägerin hätte daher auch bei einem entsprechenden Verhalten der Beklagten die Waisenrente nicht ab dem Todestag, sondern erst ab Antragstellung erhalten. Die Klägerin berufe sich nun darauf, dass die Beklagte vom Tod ihrer Mutter durch Anfrage beim Sozialversicherungsträger erfahren hätte. Unterstelle man die Pflicht der Beklagten, im September 2005 eine entsprechende Anfrage zu machen, bleibe zu prüfen, ob sie eine Antwort bekommen hätte, wenn ja, wann und mit welchem Inhalt. Erst wenn dies feststehe, könne geklärt werden, wann die Beklagte einen entsprechenden Antrag auf Waisenrente hätte stellen können. Stehe fest, ab wann die Waisenrente gewährt worden wäre, sei weiters zu klären, welcher Teil des bloß pauschal geltend gemachten Betrags von 8.004,26 EUR auf das rechtswidrige und schuldhafte Unterbleiben der Antragstellung entfalle. Unerheblich sei hingegen die Frage einer allfälligen Untätigkeit des Sozialhilfeträgers sowie das Verhalten anderer Sachwalter. Die Streitteile hätten einvernehmlich vorgebracht, dass 80 % einer allfälligen zusätzlichen Waisenpension dem Sozialhilfeträger zustünden. Es sei zu klären, ob die Streitteile sich damit auf einen Forderungsübergang nach § 27 Wiener Sozialhilfegesetz bezögen. Mit Erstattung der schriftlichen Anzeige der Stadt Wien an den Unterhaltspflichtigen gemäß dieser Bestimmung gehe der Unterhaltsanspruch des Empfängers der Sozialhilfe gegen den Unterhaltspflichtigen auf die Sozialhilfeträgerin über. In diesem Fall wäre tatsächlich kein 20 % der nicht bezogenen Waisenrente übersteigender Schaden ersichtlich.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rekurse sind zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin hat zusätzlich zu ihrer Rekursbeantwortung einen Schriftsatz mit „weiterem Vorbringen zur bereits eingebrachten Rekursbeantwortung“ eingebracht. Dieser Schriftsatz verstößt gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RIS-Justiz RS0102887, RS0100170) und ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Zum Anspruch dem Grunde nach bestreitet die Beklagte, eine schuldhafte Pflichtverletzung verantworten zu müssen. Die vom Berufungsgericht geforderte Nachforschungspflicht überspanne den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab; ein Sachwalter dürfe sich darauf verlassen, im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens oder vom Sozialhilfeträger, dem die Legalzession zugute komme, vom Tod eines Elternteils des Betroffenen verständigt zu werden. Dem gegenüber vertritt die Klägerin die Auffassung, die Beklagte wäre zu regelmäßigen Anfragen bei Behörden verpflichtet gewesen; dies hätte dazu geführt, dass sie dort aktenkundig gewesen und unverzüglich vom Tod der Mutter der Klägerin verständigt worden wäre, was sie in die Lage versetzt hätte, innerhalb von sechs Monaten eine Waisenpension für die Klägerin beantragen zu können.

2.1. Die Beklagte war von September 1992 bis 28. 6. 2007 Sachwalterin der Klägerin; die Mutter der Klägerin verstarb am 1. 12. 2004. Der geltend gemachte Anspruch ist daher im Lichte der Bestimmungen des ABGB vor und nach Inkrafttreten des KindRÄG 2001 BGBl I 2000/35 (in Kraft seit 1. 7. 2001) und des SWRÄG 2006, BGBl I 2006/92 (in Kraft seit 1. 1. 2007) zu beurteilen.

2.2. Die Rechtslage vor dem KindRÄG 2001 verwies hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Sachwalters auf die Bestimmungen für den Vormund (§ 282 ABGB idF vor dem 1. 7. 2001). Diese sahen in den §§ 222 bis 224 ABGB die Erforschung und Sicherstellung des Vermögens vor (RIS-Justiz RS0044138 [T1]), wobei die Pflicht, von Amts wegen das Vermögen zu erforschen und zu sichern, primär das Gericht traf (1 Ob 530/95 mwN). Gemäß dem - mittlerweile aufgehobenen - § 228 ABGB waren auf die Vermögensverwaltung durch den Sachwalter die Normen über die Verwaltung des Vermögens eines minderjährigen ehelichen Kindes durch seine Eltern anzuwenden. Somit war das Vermögen des Betroffenen in sinngemäßer Anwendung des § 149 Abs 1 ABGB mit der Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters zu verwalten.

2.3. Mit Inkrafttreten des KindRÄG 2001 waren auf die Rechte und Pflichten der Sachwalter, soweit nichts anderes bestimmt war, die Bestimmungen des dritten Hauptstückes des ABGB (von den Rechten zwischen Eltern und Kindern) sowie die Bestimmungen des Hauptstücks für sonstige mit der Obsorge betraute Personen anzuwenden (§ 282 Abs 1 ABGB idF KindRÄG 2001). Verwiesen wurde damit weiterhin ua auf § 149 Abs 1 ABGB, wonach die Eltern das Vermögen eines minderjährigen Kindes mit der Sorgfalt ordentlicher Eltern zu verwalten, es in seinem Bestand zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren haben, soferne das Wohl des Kindes nichts anderes erfordert. Verwiesen wurde aber auch auf § 229 ABGB, der eine mit der gesetzlichen Vertretung in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung betraute Person verpflichtete, bei Antritt der Obsorge den Vermögensstand jener Person, mit deren Obsorge sie betraut worden ist, gründlich zu erforschen.

2.4. Nach geltender Rechtslage umfasst die Sachwalterschaft alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die dem Sachwalter übertragenen Angelegenheiten zu besorgen. Der Sachwalter hat dabei das Wohl des Pflegebefohlenen bestmöglich zu fördern (§ 275 Abs 1 ABGB idF SWRÄG 2006). Die dem Sachwalter obliegende Vermögensobsorge ist sinngemäß nach den Bestimmungen der §§ 229 bis 234 ABGB durchzuführen (vgl § 275 Abs 3 ABGB idF SWRÄG 2006). Primär der Sachwalter hat bei Antritt der Sachwalterschaft den Vermögensstand des Betroffenen gründlich zu erforschen (vgl § 229 Abs 1 ABGB); die gerichtliche Nachforschungspflicht tritt nach den Materialien erst dann ein, wenn der Obsorgeträger Hilfe benötigt (Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 229 Rz 4). Der Sachwalter hat mit dieser Aufgabe regelmäßig mit der rechtskräftigen Bestellung durch das Gericht zu beginnen, muss also unverzüglich tätig werden, sodass er allfällige, ihm noch unbekannte drohende Nachteile für das Vermögen des Betroffenen hintan halten kann (Kathrein aaO Rz 5).

2.5.1. Nach § 277 ABGB idF SWRÄG 2006 haftet der Sachwalter dem Pflegebefohlenen für jeden durch sein Verschulden verursachten Schaden. Die Bestimmung entspricht inhaltlich dem seit 1. 7. 2001 geltenden § 264 Abs 1 ABGB betreffend die Haftung der mit der Obsorge für einen Dritten betrauten Person. Sofern demnach ein Sachwalter bei Ausübung der ihm durch die gerichtliche Bestellung anvertrauten Agenden nicht in Erfüllung einer richterlichen Weisung handelt und insoweit als Organ gemäß § 1 Abs 2 AHG zu qualifizieren ist, hat er für einen durch sein Verhalten als Sachwalter verursachten Schaden persönlich nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen einzustehen (1 Ob 197/01d = SZ 74/179 = RIS-Justiz RS0049179 [T2]).

2.5.2. Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse zum Sachwalter bestellt worden sind, haben nach allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts für den Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB einzustehen (Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts 124 unter Hinweis auf die Materialien; Fucik in Ferrari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts, 44; Weitzenböck in Schwimann, ABGB³ § 264 Rz 1).

2.6.1. Bei dieser Rechtslage haben die Vorinstanzen den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bejaht.

2.6.2. Spätestens mit Inkrafttreten des KindRÄG 2001 gehörte es zu den Pflichten eines Sachwalters, bei Antritt seines Amtes den Vermögensstand des Betroffenen gründlich zu erforschen (siehe zuvor Punkt 2.3.). Dieser Erforschungspflicht unterlagen nach ihrem Schutzzweck jedenfalls auch solche rechtskundige Sachwalter (wie die Beklagte), die ihr Amt schon vor dem Stichtag 1. 7. 2001 angetreten hatten.

2.6.3. Zum Vermögensstand zählen nicht nur bewegliche und unbewegliche Vermögenswerte, sondern auch Einkommens- und Leistungsansprüche des Betroffenen, aufgrund welcher privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Titel auch immer. Derartige Leistungsansprüche hängen vor allem von den persönlichen Lebensumständen des Betroffenen (Gesundheitszustand, Behinderungen, Arbeitsfähigkeit uvm) und von der jeweils geltenden Rechtslage ab; beides unterliegt Veränderungen. Der Sachwalter muss deshalb neben der ihn bei Antritt seines Amtes treffenden Erforschungspflicht (siehe zuvor Punkt 2.6.2.) regelmäßig prüfen, ob aufgrund veränderter Umstände neue Ansprüche des Betroffenen entstanden sind, die er sodann zu dessen Wohle geltend zu machen hat (so auch Barth/Ganner aaO 271). In welchen Zeitabständen diese Prüfung zu erfolgen hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

2.6.4. Auch Waisenpensionen über das 18. Lebensjahr hinaus infolge Erwerbsunfähigkeit des Kindes sind gesetzliche Leistungsansprüche, die der Sachwalter für den Betroffenen bei Vorliegen der Voraussetzungen geltend zu machen hat. Zutreffend geht der angefochtene Beschluss deshalb von einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten aus, weil sie es für die Dauer der Sachwalterschaft unterlassen hat, nachzuforschen, ob die Mutter der Klägerin noch am Leben ist, dies mit der Folge, dass nach dem Tod der Mutter nicht rechtzeitig eine Waisenrente für die Klägerin beantragt worden ist (so auch die Rsp deutscher Gerichte erster und zweiter Instanz bei vergleichbarer Rechtslage; Nachweise bei Engler in Staudinger, BGB [2004] § 1833 Rz 32 und Wagenitz in Münchener Kommentar5 § 1833 Rz 6). Zutreffend macht das Berufungsgericht der Beklagten zum Vorwurf, jede Nachforschung nach der Mutter der Klägerin unterlassen zu haben, obwohl derartige Erhebungen angesichts des fehlenden Kontakts der Klägerin zu ihrer Mutter, einer nach dem Tod des Vaters bezogenen Waisenrente der Klägerin und der besonderen rechtlichen Sachkunde der Beklagten nahe gelegen wären.

2.6.5. Entgegen ihrer Auffassung werden die Pflichten der Beklagten als Sachwalterin damit nicht überspannt, bedürfen doch Nachfragen beim jeweiligen Geburtenbuch oder beim zentralen Melderegister keines außergewöhnlichen Aufwands. Der Senat teilt auch die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, dass unter den hier gegebenen Umständen eine jährliche Überprüfung angemessen ist.

2.6.6. Eine Entlastung der Beklagten für ihre schuldhafte Pflichtwidrigkeit unter Berufung auf das Vertrauen auf eine Verständigung im Verlassenschaftsverfahren nach dem Tod der Mutter der Klägerin hat das Berufungsgericht mit zutreffenden Gründen abgelehnt (§ 510 Abs 3 ZPO). Im Verlassenschaftsverfahren ist nicht gewährleistet, dass sämtliche Deszendenten des Erblassers aktenkundig und vom Todesfall verständigt werden. Auch die Untätigkeit des die Klägerin betreuenden Heim- bzw Sozialhilfeträgers rechtfertigt die Unterlassung der Beklagten nicht, weil es nicht in deren Aufgabenbereich fällt, potentielle Leistungsansprüche von Personen zu überprüfen, denen ein Sachwalter bestellt ist.

2.6.7. Die Entscheidung 7 Ob 11/04z ist nicht einschlägig: Sie beruht auf einem anderen Sachverhalt, beschäftigt sich vorwiegend mit dem Problem der Verjährung und verweist zur Frage eines zurechenbaren Verschuldens des Sachwalters an der unterbliebenen Antragstellung für eine Waisenpension auf „die singulären Umstände des konkreten Einzelfalls“.

2.6.8. Zusammenfassend gilt demnach: Zu den Pflichten eines Sachwalters, den Vermögensstand des Betroffenen gründlich zu erforschen, gehört es, regelmäßig zu prüfen, ob aufgrund veränderter Umstände neue Einkommens- und Leistungsansprüche des Betroffenen - aufgrund welcher privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Titel auch immer - entstanden sind, die er zu dessen Wohle geltend zu machen hat. Diese Pflicht verletzt ein rechtskundiger Sachwalter schuldhaft, wenn er es bei Übernahme der Sachwalterschaft für einen zwar volljährigen, aber von Geburt an erwerbsunfähigen Betroffenen, der nach dem Tod eines Elternteils eine Waisenrente bezieht und keinen Kontakt zum zweiten Elternteil hat, unterlässt, durch jährliche Anfragen beim jeweiligen Geburtenbuch oder beim zentralen Melderegister in Erfahrung zu bringen, ob und bejahendenfalls wann der zweite Elternteil des Betroffenen verstorben ist, dies mit der Folge, dass nach dem Tod des zweiten Elternteils nicht rechtzeitig eine Waisenrente für den Betroffenen beantragt worden ist.

3. Zum Anspruch der Höhe nach macht die Klägerin geltend, ihr stünde die ganze Waisenpension zunächst ungeschmälert zu, weil es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch handle; der Pensionsanspruch könne erst dann nach Maßgabe entsprechender Bestimmungen teilweise auf einen Sozialhilfeleistungen erbringenden Sozialhilfeträger übergehen, wenn er gewährt worden sei.

3.1. Das Wiener Landesgesetz über die Regelung der Sozialhilfe (Wiener Sozialhilfegesetz - Wr SHG) bestimmt, dass dann, wenn der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfs gegen einen Dritten hat, diese Ansprüche auf die Dauer der Hilfeleistung bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den zuständigen Sozialhilfeträger übergehen, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat (§ 27 Wr SHG).

3.2. Eine nach dem Ableben eines Elternteils zustehende Waisenpension ist ein Einkommen des Kindes und soll in erster Linie dessen Ansprüche gegen den Elternteil decken (RIS-Justiz RS0047345). Sie fällt damit als Anspruch zur Deckung des Lebensbedarfs ebenso unter § 27 Wr SHG wie Unterhaltsansprüche.

3.3. § 27 Wr SHG bewirkt einen gesetzlichen Forderungsübergang. Folge dieser Legalzession ist allein ein Wechsel der Rechtszuständigkeit: Die Forderung geht mit der schriftlichen Anzeige ins Vermögen des zuständigen Sozialhilfeträgers über; an der rechtlichen Natur der übertragenen Forderung ändert sich hingegen nichts (RIS-Justiz RS0072888). Der Forderungsübergang tritt auch für erst zu erbringende Leistungen des Sozialhilfeträgers unter der aufschiebenden Bedingung ein, dass diese erbracht werden (RIS-Justiz RS0072889).

3.4. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass bei Vorliegen einer entsprechenden schriftlichen Anzeige des Sozialhilfeträgers ein (nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien: teilweiser) Forderungsübergang stattgefunden hat, sodass in diesem Ausmaß kein Schaden bei der Klägerin entstanden sein kann, trifft zu. Zur Feststellung der Schadenshöhe ist der hypothetische Kausalverlauf - unter Berücksichtigung pflichtgemäßen Verhaltens der Beklagten - zu ermitteln. Dabei ist auch die Anzeigepflicht nach § 32 Abs 1 Wr SHG zu berücksichtigen, wonach der Empfänger von Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs oder dessen gesetzlicher Vertreter jede Änderung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse unverzüglich dem Magistrat anzuzeigen hat. Der Ergänzungsauftrag, es sei für die Frage der Anspruchshöhe mit den Parteien zu klären, ob sie sich auf einen Forderungsübergang nach § 27 Wr SHG beziehen, beruht daher auf einer zutreffenden Rechtsansicht. Insoweit das Berufungsgericht Tatsachengrundlagen noch für ergänzungsbedürftig erachtet, kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179). Allerdings hätte die Beklagte - unter Berücksichtigung des für die Bestimmung der schadenersatzrechtlichen Folgen ihrer Unterlassung entscheidenden hypothetischen Kausalverlaufs - den Sozialversicherungsträger unverzüglich von ihrem Antrag auf Waisenpension und deren Bezug verständigen müssen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ist davon auszugehen, dass der Sozialhilfeträger nach Verständigung die zum gesetzlichen Forderungsübergang führende schriftliche Anzeige erstattet hätte. Der Forderungsübergang wäre demnach (schon) mit Bezug der Waisenpension eingetreten. Der Klägerin konnte daher nur ein Schaden in Höhe des ihr nach Forderungsübergang verbleibenden Anteils von 20 % der Waisenpension entstehen.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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