European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00008.17W.0227.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich der rechtskräftigen Teile insgesamt folgendermaßen zu lauten haben:
1) Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin ab 10. 2. 2016 bis einschließlich Juni 2016 einen einstweiligen Unterhaltsbetrag gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO von monatlich 561,75 EUR, ab Juli 2016 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Beendigung des mit Antrag vom 10. 2. 2016 eingeleiteten Unterhaltsfestsetzungsverfahrens, von monatlich 564,78 EUR zu bezahlen, wobei die bis zur Zustellung dieses Beschlusses bereits fällig gewordenen Beträge binnen einer Woche, die weiterhin fällig werdenden Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im Voraus zu entrichten sind.
2) Das darüber hinausgehende Mehrbegehren, den Antragsgegner ab 8. 2. 2016 zu einstweiligem Unterhalt in Höhe von monatlich 638 EUR zu verpflichten, wird für den Zeitraum 8. 2. 2016 bis 9. 2. 2016 zur Gänze, von 10. 2. 2016 bis einschließlich Juni 2016 hinsichtlich eines monatlichen Betrags von 76,25 EUR, ab Juli 2016 hinsichtlich eines monatlichen Betrags von 73,22 EUR abgewiesen.
3) Die Antragstellerin und gefährdete Partei, die die Kosten des Sicherungsverfahrens im Umfang der Stattgebung vorläufig und im Umfang der Abweisung endgültig selbst zu tragen hat, ist schuldig, dem Antragsgegner und Gegner der gefährdeten Partei die mit insgesamt 574,56 EUR (darin 95,76 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners und begehrte von ihm ab 8. 2. 2016 einen monatlichen Unterhalt von 638 EUR. Gleichzeitig begehrte sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO in derselben Höhe.
Im Provisorialverfahren ist die Abweisung dieses Begehrens durch die Vorinstanzen für den Zeitraum vom 8. 2. 2016 bis 9. 2. 2016 sowie die Stattgebung betreffend 325 EUR monatlich ab 10. 2. 2016 rechtskräftig. Im Rechtsmittelverfahren im Provisorialverfahren begehrt die Antragstellerin weiter die Differenz von 313 EUR monatlich ab 10. 2. 2016.
Bescheinigt bzw unstrittig ist Folgendes:
Die Antragstellerin ist im maßgeblichen Zeitraum in Eigenpflege und studiert hinreichend zielstrebig Rechtswissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Sie hat seit 22. 10. 2015 aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ein monatliches Nettoeinkommen von 400 EUR 14‑mal jährlich, somit monatlich durchschnittlich 467 EUR. Dieser Beschäftigung musste sie wegen der fehlenden Unterhaltsleistung ihres Vaters nachgehen.
Der Antragsgegner verfügte im Jahr 2015 über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von rund 2.900 EUR inklusive anteilige Sonderzahlungen. Die Mutter der Antragstellerin verfügte im Jahr 2014 aus unselbstständiger und selbstständiger Arbeit über ein monatliches Nettoeinkommen von durchschnittlich 2.845 EUR. Im Jahr 2015 war das Einkommen der Mutter aus unselbstständiger Arbeit ungefähr gleich hoch wie im Jahr 2014. Einkommensunterlagen über ihre selbstständige Tätigkeit im Jahr 2015 liegen bisher nicht vor.
Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung im eingangs festgehaltenen Umfang und wies das Mehrbegehren ab. Beide Elternteile lebten in durchschnittlichen Verhältnissen. Als Gesamtunterhaltsbedarf der Antragstellerin sei daher der doppelte Regelbedarf, somit monatlich rund 1.110 EUR heranzuziehen. Davon sei das Eigeneinkommen der Antragstellerin von 467 EUR monatlich abzuziehen, woraus sich ein Restunterhaltsbedarf von 643 EUR ergebe. Dieser sei auf die beiden Elternteile im Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit aufzuteilen. Ein allfälliges Eigeneinkommen des Kindes mindere dessen Unterhaltsbedarf in voller Höhe. Die Aufteilung des Unterhaltsbedarfs des Kindes auf beide Elternteile lasse sich gegenüber dem Antragsgegner in folgender Formel darstellen:
Unterhaltsbedarf mal (UBGr des Vaters – Unterhaltsexistenzminimum) dividiert durch (UBGr des Vaters – UH-Ex-Min + UBGr der Mutter – UH-Ex-Min).
Das Unterhaltsexistenzminimum des Vaters betrage derzeit rund 1.193 EUR, dasjenige der Mutter derzeit rund 1.179 EUR.
Setze man die entsprechenden Beträge in obige Formel ein, ergebe sich ein monatlicher Unterhaltsbetrag des Vaters von 325 EUR.
Das nur von der Antragstellerin angerufene Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, § 231 Abs 3 ABGB bestimme, dass sich der Anspruch des Kindes auf Unterhalt insoweit mindere, als das Kind eigene Einkünfte habe oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig sei. Dass eigene Einkünfte des Kindes seinen gesamten (in Geld und Betreuung im weitesten Sinn bestehenden) Unterhaltsanspruch in voller Höhe minderten, entspreche der herrschenden Lehre und der ständigen Rechtsprechung.
Das Rekursgericht ließ nachträglich den Revisionsrekurs zu, weil aus den Entscheidungen 6 Ob 598/90 und 7 Ob 99/15g auch abgeleitet werden könnte, eigene Einkünfte würden nicht auch zwingend den Unterhaltsanspruch mindern, dies vor allem dann nicht, wenn der Unterhaltspflichtige wegen seiner geringen Leistungsfähigkeit bisher nur einen Bruchteil des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten habe decken können. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob Einkünfte, zu deren Erzielung ein unterhaltsberechtigtes Kind aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus gezwungen sei, bei der Unterhaltsbemessung (anspruchsmindernd) zu berücksichtigen seien oder nicht, sei nicht einheitlich.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, weil zur Frage, ob das Eigeneinkommen eines unterhaltsberechtigten Kindes auf dessen Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, wenn sich die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit aus der Tatsache ergibt, dass der Unterhaltsschuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Er ist auch teilweise berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin bringt vor, das Eigeneinkommen eines unterhaltsberechtigten Kindes mindere den Unterhaltsanspruch auch dann nicht, wenn die Unterhaltsberechtigte aus wirtschaftlicher Notlage gezwungen sei, Einkünfte zu erzielen, weil der Unterhaltspflichtige seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen sei. Auch wenn dies in der Rechtsprechung bisher nur für den Ehegattenunterhalt ausgesprochen worden sei, gebe es keinen Grund, diese Rechtsprechung nicht auch auf den Kindesunterhalt anzuwenden. Der Antragsgegner gesteht die Notlage zu, hält dem aber entgegen, dass die Rechtsmittelwerberin ja schon früher einen Antrag hätte stellen können.
Hierzu wurde erwogen:
1. Das Gesetz schreibt nirgends die Erzielung eines eigenen Einkommens durch das unterhaltsberechtigte Kind vor Beendigung der Ausbildung vor (7 Ob 640/92).
2.1. Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist (§ 231 Abs 3 ABGB).
Eigeneinkommen des Kindes vermindert grundsätzlich seinen gesamten Unterhaltsanspruch (RIS‑Justiz RS0047440).
2.2. Da der verringerte (veränderte) Bedarf nur einer der Bemessungsfaktoren für den Unterhaltsanspruch ist, mindern eigene Einkünfte aber nicht immer auch zwingend den Unterhaltsanspruch; dies vor allem dann nicht, wenn der Unterhaltspflichtige wegen seiner geringen Leistungsfähigkeit bisher nur einen Bruchteil des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten decken konnte (4 Ob 549/91; 7 Ob 99/15g; vgl auch 6 Ob 598/90).
Angesichts der festgestellten (relativ hohen) Einkünfte des Antragsgegners liegt dieser Fall hier nicht vor.
2.3. Das Eigeneinkommen des Kindes mindert den Unterhaltsanspruch soweit nicht, als es dazu dient, die Differenz zwischen dem konkreten Unterhaltsbedarf und dem tatsächlich geleisteten Unterhalt auszugleichen (7 Ob 99/15g; vgl auch 6 Ob 598/90).
Dieser Fall liegt hier insofern nicht vor, als – aus einer ex-post-Betrachtung – der Antragsgegner angesichts der Höhe seines Einkommens auch für die Zeiten, in denen die Antragstellerin eigene Einkünfte hatte, dazu verurteilt werden kann, den ganzen konkreten Unterhaltsbedarf der Antragstellerin zu decken.
3. Nach zweitinstanzlicher Judikatur
erlischt der Unterhaltsanspruch eines studierenden Kindes zwar, wenn die durchschnittliche Studiendauer erreicht wird, nicht jedoch, wenn besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen, wie etwa Krankheit. Aus gerechtfertigten Gründen ist also eine geringfügige Überschreitung der Studiendurchschnittsdauer zu tolerieren, wobei insbesondere auch zu berücksichtigen ist, ob das Kind gezwungen ist, neben dem Studium eine Nebenbeschäftigung auszuüben (EFSlg 142.067; 123.072; 100.013; vgl auch 3 Ob 116/02h; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 837). Soweit zu sehen, ging es bei diesen Entscheidungen um den Einwand des Unterhaltspflichtigen, das unterhaltsberechtigte Kind habe die Studiendurchschnittsdauer (erheblich) überschritten, weshalb der Unterhaltsanspruch erloschen sei.
4. Für den Ehegattenunterhalt während aufrechter Ehe gemäß § 94 ABGB gilt nach der Rechtsprechung Folgendes:
Ist die Frau, um nicht zugrundezugehen, dazu gezwungen, eine Beschäftigung anzunehmen, dann soll damit nicht der Unterhaltsschuldner entlastet werden. Dadurch, dass die unterhaltsberechtigte Frau versucht hat, aus eigener Kraft der vom Mann verschuldeten prekären finanziellen Situation entgegenzuwirken, indem sie ewa als Hausgehilfin tätig war, darf sie bei der Unterhaltsbemessung nicht schlechter gestellt werden, als wäre sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen (RIS‑Justiz RS0105571). Eigenes Einkommen, das ein Eheteil nur aufgrund der durch die Unterhaltsverletzung des anderen entstandenen Not erwirbt, ist außer Betracht zu lassen, weil es ja im Falle der Unterhaltsleistung wieder wegfällt (RIS‑Justiz RS0105570; vgl auch RS0009776). Aus der Entscheidung 1 Ob 108/01s = JBl 2002, 449 (zust Kerschner) ergibt sich, dass dies für den Unterhaltsanspruch nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft gilt (ebenso wohl 4 Ob 2019/96g).
5. Es existiert bisher keine oberstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob die Grundsätze der unter Punkt 4. dargestellten Judikatur zum Ehegattenunterhalt auch beim Kindesunterhalt nach § 231 ABGB (§ 140 ABGB alt) anzuwenden sind.
Soweit zu sehen, gibt es dazu auch keine Stellungnahmen in der Lehre.
Zwischen dem Ehegattenunterhalt und dem Kindesunterhalt bestehen hier nach Ansicht des erkennenden Senats wertungsmäßig keine Unterschiede: Es wäre nicht einzusehen, warum sich der Ehegatte, der aus der vom Unterhaltspflichtigen infolge seiner Nichtleistung verursachten Not einem Erwerb nachgehen muss, das daraus erzielte Einkommen nicht anrechnen lassen muss, während dies beim unterhaltsberechtigten Kind nicht der Fall sein sollte.
Es ist daher festzuhalten: Das Eigeneinkommen eines unterhaltsberechtigten Kindes ist auf dessen Unterhaltsanspruch nicht anzurechnen, wenn sich die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit aus der Tatsache ergibt, dass der Unterhaltsschuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt und sich das Kind auf diesen Umstand beruft.
Muss aber der Unterhaltspflichtige trotz Eigeneinkommens des Kindes diesem den vollen Unterhalt bezahlen, so bedeutet dies umgekehrt, dass sich das Kind dann nicht darauf berufen kann, es könne wegen der Nebenbeschäftigung neben dem Studium länger als die Studiendurchschnittsdauer ohne Verlust des Unterhaltsanspruchs studieren. Ließe man dies zu, würde dies zu einer ungerechtfertigten Mehrbelastung des Unterhaltspflichtigen bzw zu einer „Doppelbegünstigung“ des Kindes führen. Im Ergebnis wird der Unterhaltsberechtigte die restliche Studiendauer dann wohl aus der Nachzahlung finanzieren können.
6. Zur Unterhaltshöhe: Nach den vom Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien veröffentlichten Regelbedarfsätzen beträgt der Regelbedarf für über 19-Jährige für den Zeitraum vom 1. 7. 2015 bis 30. 6. 2016 555 EUR, für den Zeitraum vom 1. 7. 2016 bis 30. 6. 2017 558 EUR (Zak 2016/539).
Nach der nicht korrekturbedürftigen Berechnungsmethode des Erstgerichts ergeben sich daher folgende Berechnungen:
Für den Zeitraum vom 1. 7. 2015 bis 30. 6. 2016: 1.110 mal (2.900 – 1.193) dividiert durch (2.900 – 1.193 + 2.845 – 1.179) ergibt 561,75 EUR.
Für den Zeitraum ab 1. 7. 2016: 1.116 mal (2.900 – 1.193) dividiert durch (2.900 – 1.193 + 2.845 – 1.179) ergibt 564,78 EUR.
7. Gelingt dem Gegner der gefährdeten Partei die Abwehr des Sicherungsantrags, dann ist die Entscheidung über seine Kosten des Provisorialverfahrens nicht vorzubehalten. Er hat vielmehr Anspruch auf Ersatz dieser Kosten gemäß §§ 78, 402 EO, §§ 41, 52 Abs 1 ZPO. Kann er nur einen Teil des Sicherungsantrags abwehren, dann sind zufolge § 393 Abs 1 EO, der einen Zuspruch von Kosten an die gefährdete Partei im Provisorialverfahren nicht ermöglicht, die Vorschriften der ZPO über die Kostenteilung nicht anzuwenden. Der Gegner der gefährdeten Partei hat vielmehr in einem solchen Fall Anspruch auf Ersatz der Kosten in jenem Ausmaß, in dem er im Provisorialverfahren erfolgreich war (7 Ob 613/95 = RIS‑Justiz RS0005667 [T1]). Im ersten Rechtsgang war der Antragsgegner mit rund 12 %, im zweiten Rechtsgang mit rund 24 % erfolgreich. Die Bemessungsgrundlage beträgt im ersten Rechtsgang 7.656 EUR (638 x 12; vgl § 9 Abs 3 RATG; RIS‑Justiz RS0103147), im zweiten Rechtsgang 3.756 EUR (313 x 12).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)