OGH 1Ob157/16v

OGH1Ob157/16v10.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** K*****, 2. F***** K*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M***** AG, *****, vertreten durch die Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG, Wien, und 2. A***** Limited, *****, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen 11.425,12 EUR sA, über die Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2016, GZ 1 R 217/15m‑38, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Oktober 2015, GZ 58 Cg 177/12f‑30, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00157.16V.0210.000

 

Spruch:

1. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde aufgrund der von den Klägern in der Revisionsbeantwortung vorgenommenen Klageeinschränkung im Umfang des einen Zuspruch von 2.389,21 EUR an beide Kläger und von 1.038,57 EUR an die Erstklägerin übersteigenden Begehrens in Ansehung der zweitbeklagten Partei unwirksam (§ 513 iVm § 483 Abs 3 ZPO).

2. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 457,88 EUR (darin 76,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Kläger erwarben im März und im Mai 2007 Zertifikate der Zweitbeklagten, nachdem die Erstklägerin, eine gewerbliche Vermögensberaterin, den Kursverlauf dieser Papiere, die als sichere Anlageform beworben worden waren, bereits mehrere Jahre lang akribisch beobachtet hatte. Die Kläger glaubten an die in der Werbung prominent betonte besondere Sicherheit. Ausschlaggebend für ihre Investitionsentscheidung war auch der stetig und ohne große Volatilität steigende Kursverlauf in der Vergangenheit. Sie erwarteten aufgrund der „besonderen Sicherheit“ bloß geringe und nur vorübergehende Kursschwankungen. Sie hätten in diese Papiere nicht investiert, wenn es vor ihrem Ankauf starke Kursschwankungen gegeben hätte. In diesem Fall hätten sie ihr Geld entweder (kapitalerhaltend) in „Bundesschätze“ oder in ihr Haus investiert. Nachdem es zu einem erheblichen Kurssturz gekommen war, verkauften die Kläger ihre Papiere im September 2007 und erlitten gegenüber dem Ankaufspreis einen Verlust in Höhe des Klagebetrags.

Vor dem Erwerb der Papiere durch die Kläger hatte die Zweitbeklagte im Zuge von Kapitalerhöhungen wiederholt – etwa im Rahmen von ad‑hoc‑Meldungen vom 27. 2. 2006 und vom 9. 2. 2007 – unrichtigerweise behauptet, die Kapitalerhöhungen seien erfolgreich abgeschlossen und vollständig platziert worden, obwohl in Wahrheit erhebliche Teile der Kapitalerhöhung – über eine auf den niederländischen Antillen ansässige Gesellschaft – mit eigenen Mitteln der Zweitbeklagten erworben worden waren. Wegen der schwachen Nachfrage an der Börse erwarb die erstbeklagte Bank, mit der die Zweitbeklagte seit 2004 eine „Platzierungs‑ und Market‑Maker‑Vereinbarung“ hatte, 2006 große Mengen an Zertifikaten auf dem Markt, um eine „stabile Kursentwicklung“ zu gewährleisten. Zwischen den beiden Beklagten bestanden nicht nur vertragliche und organisatorische, sondern auch personelle Verflechtungen. Ohne die Finanzierung des Rückkaufs eigener Anteile hätte sich der Kurs anders entwickelt. Der Bekanntgabe nicht vollständig platzierter Kapitalerhöhungen wäre von Analysten und Anlegern hohe Aufmerksamkeit gewidmet worden; sie hätte viele individuelle Veranlagungsentscheidungen beeinflusst und zu einem zumindest vorübergehenden, aber signifikanten, Nachgeben der Kurse geführt. Als die Zweitbeklagte Ende Juli 2007 ein „Aktienrückkaufprogramm“ in Höhe von bis zu 10 % des Grundkapitals ankündigte, vervierfachte sich das Handelsvolumen und der Kurs der Zertifikate kam „massiv unter Druck“. Zuletzt hielt die Erstbeklagte einen Anteil von fast 30 % der insgesamt begebenen Zertifikate. Nachdem der Höchstkurs der Zertifikate am 19. 6. 2007 noch bei 21,33 EUR gelegen war, stürzte der Kurs ab 30. 7. 2007 ab und lag zum 10. 9. 2007 unter 10 EUR.

Die Vorinstanzen bejahten übereinstimmend die von den Klägern geltend gemachte Haftung der Zweitbeklagten für den eingetretenen Vermögensverlust aufgrund der unrichtigen Kapitalmarktinformationen. Das Berufungsgericht verwies darauf, dass die börserechtlichen Informationsbestimmungen nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs den Schutz des Vertrauens der Anleger auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der kapitalmarktrechtlich gebotenen Informationen zum Inhalt hätten. Durch das Verbot der Marktmanipulation und die ad‑hoc‑Publizitätspflicht solle erreicht werden, dass alle Marktteilnehmer Zugang zu den preisrelevanten Informationen haben, damit sich ein Preis bilden könne, der den Wert des Wertpapiers möglichst getreu abbildet. Die einschlägigen Bestimmungen seien als Schutzgesetz zu qualifizieren, wobei die ad‑hoc‑Meldepflicht im Besonderen die durch Informationsdefizite entstehende Bildung unangemessener Marktpreise verhindern solle. Kapitalmärkte seien nur funktionsfähig, wenn unter möglichst rascher Einbeziehung aller relevanten Informationen eine effiziente Preisbildung gefördert werde. Die Tatsache, dass eine andere Gesellschaft im Zuge der Kapitalerhöhungen einen erheblichen Teil des Volumens mit Geldern der Zweitbeklagten erwerben habe müssen, um eine vollständige Platzierung erreichen zu können, sei – auch nach der einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs – eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation, weil sie dem verständigen Anleger signalisiert hätte, dass auf dem Kapitalmarkt keine ausreichende Nachfrage bestand und die Kapitalerhöhung somit nicht erfolgreich beendet werden konnte. Einer solchen Mitteilung wäre von Analysten und Anlegern zweifellos hohe Aufmerksamkeit gewidmet worden. In der Folge wäre sie als Teil von individuellen Veranlagungsentscheidungen genutzt worden. Im vorliegenden Fall seien die veröffentlichten ad‑hoc‑Meldungen geeignet gewesen, bei einem verständigen Anleger den Eindruck hervorzurufen, dass sämtliche angebotenen Zertifikate auf dem Markt untergebracht wurden, weil ein lebhaftes Interesse von Anlegern an den Wertpapieren bestehe. Die (objektive) Unvollständigkeit der Meldung sei damit zur Irreführung geeignet. Vom Schutzbereich der ad‑hoc‑Publizitätspflicht seien nicht nur Preisschäden, sondern auch die Beeinträchtigung der Willensentschließung des Anlegers im Zusammenhang mit der Frage der Anschaffung oder Nichtanschaffung eines Wertpapiers umfasst. Entgegen der Auffassung der Zweitbeklagten sei auch der Kausalzusammenhang zu bejahen, stehe doch fest, dass bereits die (richtige) Bekanntgabe der nicht vollständig platzierten Kapitalerhöhungen zumindest zu einem vorübergehenden Nachgeben der Kurse geführt hätte und dass die Kläger nicht investiert hätten, wenn es vor ihrem Ankauf starke Kursschwankungen gegeben hätte. Hier habe das Erstgericht einen konkreten Einfluss der unrichtigen Kapitalmarktinformation auf die Kursentwicklung festgestellt, womit von einer haftungsbegründenden Kausalität auszugehen sei. Die Ausführungen der Zweitbeklagten zum allgemeinen Marktrisiko gingen ins Leere, weil die Kläger einen sogenannten Vertragsabschlussschaden geltend machten und feststehe, dass sie die eingesetzten Geldbeträge alternativ zumindest kapitalerhaltend veranlagt hätten. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch keinen Sachverhalt zu beurteilen gehabt habe, in dem ein Einfluss der irreführenden ad‑hoc‑Meldungen auf den Kursverlauf feststand, und daher auch noch nicht dazu Stellung beziehen habe können, „wie konkret“ dieser Einfluss auf die Kursentwicklung ausgestaltet sein müsse.

Die Revisionsgegner, die in ihrer Revisionsbeantwortung erklären, ihr Begehren wegen einer zwischenzeitig von der Erstbeklagten geleisteten Teilzahlung auf 2.427,54 EUR einzuschränken, beantragen in erster Linie die Zurückweisung der Revision wegen absoluter Unzulässigkeit bzw mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, hilfsweise die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der Auffassung der Revisionsgegner nicht jedenfalls unzulässig, weil es gemäß § 502 Abs 2 ZPO nicht auf den Entscheidungsgegenstand des Revisionsgerichts, sondern auf jenen ankommt, über den das Berufungsgericht entschieden hat. Dieser lag aber über einem Betrag von 5.000 EUR. Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision aber deshalb nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhängt. Die vom Berufungsgericht angesprochene Frage ist einerseits im Hinblick auf den Willensbildungsprozess der betroffenen Anleger einzelfallbezogen zu lösen, andererseits stehen hier hypothetische „signifikante“ Kursveränderungen fest.

Entgegen der Behauptung der Revisionswerberin hat sich das Berufungsgericht durchaus ausreichend mit dem Schutzzweck von § 48a Abs 1 Z 2 lit c und § 48d BörseG aF auseinandergesetzt, sodass insoweit auf dessen Ausführungen und die in diesem Zusammenhang zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung verwiesen werden kann (vgl nur RIS‑Justiz RS0127724, RS0128527; 9 Ob 26/14k; 6 Ob 98/15b mwN ua).

Die weitwendigen Ausführungen zur abstrakten Frage der Berechtigung des Vertrauens von Anlegern auf einen „richtigen Kurs“ gehen am Kern der Sache vorbei. Daran, dass ungünstige Ereignisse in einer Kapitalgesellschaft nach ihrem Bekanntwerden typischerweise zu einem Sinken des Aktienkurses (bzw des Kurses des Zertifikats) führen, kann kein Zweifel bestehen. Gerade im vorliegenden Fall steht auch fest, dass eine richtige und vollständige Kapitalmarktinformation diesen Effekt gehabt hätte, wogegen er – wegen des Vertrauens der interessierten Kreise auf die Richtigkeit (und Vollständigkeit) der Informationen – tatsächlich unterblieben ist. Ebensowenig kann zweifelhaft sein, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Anlegern – so auch die Kläger – besonderen Wert auf die „Sicherheit“ ihrer Vermögensanlage legen und daher von vornherein den Erwerb von Wertpapieren nicht in Erwägung ziehen, bei denen es in der (jüngeren) Vergangenheit erhebliche Schwankungen gegeben hat. Hat nun die Revisionswerberin durch die mehrfachen unrichtigen Informationen das sonst eintretende Sinken der Kurse und damit den Verlust des Anscheins der (besonders beworbenen) Sicherheit – womöglich sogar ganz gezielt – verhindert, war ihr Verhalten nicht nur abstrakt irreführend, sondern ganz typischerweise geeignet, das Anlageverhalten der Kläger in unerwünschter Weise zu beeinflussen. Wenn in der höchstgerichtlichen Judikatur etwa darauf hingewiesen wurde, dass die börserechtlichen Publizitätsvorschriften (auch) die durch Informationsdefizite entstehende Bildung unangemessener Marktpreise verhindern sollen (9 Ob 26/14k ua), sind damit gerade auch Fälle wie der vorliegende erfasst. In der Diktion der Revisionswerberin könnte man auch sagen, dass der Anleger durch die börserechtlichen Publizitätsvorschriften auch davor geschützt werden soll, dass durch eine unrichtige Information ein vielleicht bereits unrichtiger Kurs „noch unrichtiger“ wird. Dieses Risiko hat sich im vorliegenden Fall verwirklicht und zum Schaden der Kläger geführt. Daher gehen auch die Ausführungen zur Beschränkung auf den „Preisschaden“ an der Sache vorbei, weil die Kläger die Papiere ja nicht zum „wahren Wert“ – dessen Ermittelbarkeit die Revisionswerberin im Übrigen sogar leugnet – erworben, sondern von der Investition in stark volatile Papiere überhaupt Abstand genommen hätten.

Die Frage, ob, inwieweit und wie lange sich ein Börsenkurs bei richtiger und vollständiger Information anders entwickelt hätte, ist eine Tatfrage, die einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht zugänglich ist. Die in der Revision aufgestellte Behauptung, eine solche Frage könne nur durch ein Sachverständigengutachten beantwortet werden, ist daher in diesem Verfahrensstadium irrelevant. Ob ein solches einzuholen gewesen wäre, gehört zur irrevisiblen Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0043320 [T9, T10, T11]). Die Tatsacheninstanzen haben im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung die Feststellung getroffen, dass die richtige Kapitalmarktinformation zu einem signifikanten Nachgeben der Kurse geführt hätte. Ob die insoweit zur Beweiswürdigung angestellten Überlegungen richtig sind, ist für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar. Die mit der Revision vorgelegten Beweisurkunden sind im Revisionsverfahren unbeachtlich. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, in dem bestimmte Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts übernommen wurden, vermag die Revisionswerberin nicht aufzuzeigen; dies gilt auch für die Billigung der Verwertung bestimmter Beweismittel (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Beweislastfragen stellen sich angesichts des Fehlens von Negativfeststellungen nicht.

Wenn die Revisionswerberin neuerlich behauptet, die Vorinstanzen hätten die Rechtsprechung zur „Berücksichtigung des allgemeinen Marktrisikos“ nicht beachtet, kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden. Ein allgemeines Marktrisiko hätte sich angesichts der Feststellungen zur hypothetischen Alternativverwendung des eingesetzten Kapitals gar nicht eröffnet. Warum die Zweitbeklagte davon ausgehen will, dass die Kläger in Immobilienaktien investiert hätten, bleibt angesichts der eindeutig gegenteiligen Tatsachenfeststellungen unerfindlich.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Der Einheitssatz beträgt beim verzeichneten Tarifansatz allerdings nur 60 %.

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