OGH 5Ob185/16s

OGH5Ob185/16s22.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. F***** M*****, 2. C***** W*****, beide *****, beide vertreten durch Hitzenbichler & Zettl, Rechtsanwälte in Salzburg, und 3. V***** B*****, vertreten durch Dr. Christoph Gernerth Mautner Markhof, Dr. Gabriele Gernerth Mautner Markhof, Dr. Alexander Schalwich, Rechtsanwälte in Hallein, gegen die Antragsgegner 1. Mag. S***** H*****, vertreten durch Dr. Harlander & Mag. Harlander GbR, Rechtsanwälte in Salzburg, 2. S***** S*****, und 3. F***** H*****, vertreten durch Ing. Mag. Peter Huber, Rechtsanwalt in Hallein, wegen § 52 Abs 1 Z 8 WEG 2002 iVm § 23 WEG 2002, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Drittantragsgegners gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 24. August 2016, GZ 22 R 231/16y‑40, mit dem der Teilbeschluss (richtig: Teilsachbeschluss) des Bezirksgerichts Hallein vom 4. Mai 2016, GZ 24 Msch 3/14v‑23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00185.16S.1122.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekusverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Parteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft. Ein Verwalter (im Sinn des § 19 WEG 2002) ist nicht bestellt.

Die Antragsteller begehren gemäß § 23 WEG 2002 die Bestellung eines vorläufigen Verwalters.

Die Antragsgegner sprachen sich gegen diesen Antrag aus.

Das Erstgericht bestellte die I***** GmbH gemäß § 23 WEG 2002 zur vorläufigen Verwalterin des Hauses. Es legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Zwischen den Parteien sind zu 24 Msch 3/14v, 24 Msch 4/14s, 24 Msch 1/15a, 24 Msch 2/15y und 24 Msch 7/15a je des Erstgerichts Verfahren anhängig. Weiters war zu 2 C 1214/13d des Erstgerichts ein von der Erstantragsgegnerin gegen den Erstantragsteller angestrengtes Verfahren auf Bezahlung von Betriebskosten anhängig, in dem die Erstantragsgegnerin nach Bestreitung durch den Erstantragsteller die Klage zurückzog.

Die Liegenschaft wurde über Jahrzehnte innerhalb eines „Familienverbandes“ verwaltet. Diese „Familienstruktur“ ist durch das Hinzutreten des fremden Erstantragstellers beendet. Unstrittig und gerichtsnotorisch ist, dass nicht nur im Verhältnis zum hinzugetretenen Erstantragsteller, sondern auch zwischen den „Familienmitgliedern“ schwerwiegende Differenzen hinsichtlich der Verwaltung der Liegenschaft gegeben sind. Diese Differenzen haben zu einer Fülle von gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt. Die gesamte Verwaltung der Liegenschaft ist, wie die oben angeführten Verfahren belegen, im höchsten Maße umstritten. Sämtliche Bemühungen, einen Konsens hinsichtlich der Bestellung eines gemeinsamen Verwalters zu finden, scheiterten. Die Gestaltung der Eigenverwaltung der Liegenschaft ist intransparent. In diversen Verfahren werden von den Verfahrensparteien widersprüchliche Behauptungen unter anderem darüber aufgestellt, ob die Miteigentümer ihrer Verpflichtung zur Leistung entsprechender Beiträge an Betriebskosten oder Gemeinschaftskosten nachkommen. Obwohl vornehmlich durch die Erstantragsgegnerin wiederholt die Behauptung aufgestellt wird, dass andere Miteigentümer mit der Bezahlung der Betriebskosten in erheblichen und dauerhaften Rückstand geraten seien, erfolgte bislang durch den Drittantragsgegner, dem angeblich die Verrechnung oblag, keine gerichtliche Geltendmachung allfälliger Rückstände.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass schon allein aufgrund dieser Unklarheiten der Geschäftsgebarung im gemeinsamen Interesse der Hausgemeinschaft eine umgehende Bestellung eines vorläufigen Hausverwalters gemäß § 23 WEG 2002 erforderlich sei.

Das Rekursgericht gab den Rekursen der Zweitantragsgegnerin und des Drittantragsgegners nicht Folge. Bereits die anhängigen Verfahren verdeutlichten, dass die Aufrechterhaltung der Selbstverwaltung untunlich sei. Selbst wenn die Eigenverwaltung entsprechend der Meinung des Drittantragsgegners früher tadellos funktioniert und es jahrelang zu keinen Beanstandungen der Abrechnungen durch die Eigentümer gekommen sein sollte, so ändere dies nichts an den nunmehrigen persönlichen Differenzen der Wohnungseigentümer.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei; es sei keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu klären gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Drittantragsgegners, in dem er einen Aufhebungsantrag stellt.

Der Erstantragsgegner und die Zweitantragsgegnerin sowie die Drittantragsgegnerin erstatteten ihnen freigestellte Revisionsrekursbeantwortungen mit den Anträgen, den Revisionsrekurs des Drittantragsgegners zurückzuweisen, hilfsweise diesem keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

1. Die vom Drittantragsgegner behauptete Verletzung seines rechtlichen Gehörs liegt insofern nicht vor, als ihn das Erstgericht zur Tagsatzung am 20. 11. 2014 (ON 8) geladen hat. Diesem Termin ist der Drittantragsgegner ferngeblieben. Zu der von den Antragstellern vorgeschlagenen Verwalterin hat das Erstgericht den Antragsgegnern die Möglichkeit der Äußerung eingeräumt (ON 15) und diese hat der Drittantragsgegner auch wahrgenommen (ON 19). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt allerdings insofern vor, als der – ausführlich den Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters begründende – Schriftsatz ON 21 den Antragsgegnern nicht (nachweislich) zugestellt worden ist, weshalb sich der Drittantragsgegner zu den dort angesprochenen, für die Bestellung eines vorläufigen Verwalters maßgeblichen Tatfragen vor der erstgerichtlichen Beschlussfassung nicht äußern konnte.

2. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens hat das Rekursgericht zwar verneint, aber zugleich selbst seiner Entscheidung Tatsachen, nämlich bestimmte verbale Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Miteigentümern anlässlich einer Eigentümerversammlung, zugrundegelegt (insbesondere aus Blg ./A, deren Richtigkeit [von der Erstantragsgegnerin] bestritten worden war [AS 51]), die durch die erstgerichtlichen Feststellungen nicht gedeckt sind.

3. Dieses Vorgehen der Vorinstanzen führte im Ergebnis dazu, dass der wesentliche Einwand des Drittantragsgegners, die faktisch von ihm durchgeführte Verwaltung sei bislang ordnungsgemäß erfolgt, nicht geprüft und keine für die Bestellung eines vorläufigen Verwalters gemäß § 23 WEG 2002 ausreichend tragfähige Tatsachengrundlage geschaffen wurde:

4. Selbstverwaltung liegt vor, solange die Eigentümergemeinschaft nach dem Mehrheitswillen ihrer Teilhaber die Verwaltung selbstverantwortlich führt, auch wenn einzelne Aufgaben von bestimmten Wohnungseigentümern wahrgenommen werden (vgl 5 Ob 129/08v; 5 Ob 25/07y; 5 Ob 40/08f). Nach dem wechselseitigen Parteivorbringen ist inhaltlich unzweifelhaft, dass derzeit Selbstverwaltung im dargestellten Sinn vorliegt.

5. Ist kein Verwalter bestellt, so kann nach § 23 WEG 2002 sowohl ein Wohnungseigentümer als auch ein Dritter, der ein berechtigtes Interesse an einer wirksamen Vertretung der Eigentümergemeinschaft hat, die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen Verwalters beantragen. Die Vertretungsbefugnis des vorläufigen Verwalters endet mit der Bestellung eines Verwalters durch die Gemeinschaft.

6. In 5 Ob 129/08v (wobl 2008/122 [ Call ] = JBl 2009, 45 = RIS‑Justiz RS0083080 [T1]) hat der erkennende Senat an seiner Rechtsprechung zum WEG 1975 festgehalten, wonach die rechtsgestaltende Entscheidung des Außerstreitrichters darüber, ob auf Antrag eines Mit‑ und Wohnungseigentümers anstelle der bisherigen Selbstverwaltung ein Verwalter zu bestellen ist, von der Dartuung der Untunlichkeit der Aufrechterhaltung der Selbstverwaltung abhängt. Es bedarf – abgesehen vom Nachweis einer konkreten Dringlichkeit – wegen der Schwere des Eingriffs in die Rechtsposition der Eigentümergemeinschaft der Behauptung und des Nachweises eines wichtigen Interesses des antragstellenden Wohnungseigentümers. Ein solches wichtiges Interesse kann auf Basis der erstgerichtlichen Feststellungen nicht bejaht werden:

7. Das vom Erstgericht angesprochene Verfahren zu AZ 24 Msch 3/14v ist das vorliegende, damit kein Beleg zusätzlicher Auseinandersetzungen; die Tatsache der hier erfolgten Antragstellung kann nicht zugleich Grundlage seiner Berechtigung sein. Das Verfahren zu AZ 24 Msch 4/14s des Erstgerichts ist ein von der Erstantragsgegnerin, das zu AZ 24 Msch 1/15a ein von den drei Antragstellern, das zu AZ 24 Msch 2/15y ein von der Drittantragstellerin und das zu AZ 24 Msch 7/15a ein vom Erstantragsteller eingeleitetes Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 4 WEG 2002 (Prüfung der Rechtswirksamkeit von Beschlüssen der Eigentümergemeinschaft). Bis zur hier erfolgten Beschlussfassung des Erstgerichts waren in keinem dieser Verfahren – von Urkundenvorlagen abgesehen – Beweisaufnahmen erfolgt. Das Verfahren zu AZ 2 C 1214/13d des Erstgerichts endete ebenfalls ohne Beweisaufnahmen. Wollte man dem Verweis der Vorinstanzen auf die genannten Verfahren folgen, dann könnte im Ergebnis bereits ein Wohnungseigentümer durch die Einbringung einer ausreichenden Anzahl von Sachanträgen nach § 52 (insbesondere Abs 1 Z 4) WEG 2002 unabhängig von ihrer späteren Berechtigung einen Antrag nach § 23 WEG 2002 rechtfertigen, was augenscheinlich nicht den in 5 Ob 129/08v dargelegten Grundsätzen entsprechen kann.

8. Dass auf einer Liegenschaft eine über Jahrzehnte bestandene „Familienstruktur“ endete, mag das Einvernehmen der Liegenschaftseigentümer erschweren und zu Differenzen führen. Die Annahmen des Erstgerichts, die gesamte Verwaltung sei im höchsten Maße umstritten, alle Bemühungen einen Konsens über einen gemeinsamen Verwalter seien gescheitert und trotz behaupteter Rückstände bei den Betriebskosten habe der Drittantragsgegner diese nicht gerichtlich geltend gemacht, sind einerseits Schlussfolgerungen ohne Tatsachensubstrat, unterstellen andererseits eine Verpflichtung der Wohnungseigentümer zu einem Verwaltungswechsel und leiten aus ungeprüften Behauptungen angebliche Pflichtverletzungen des Drittantragsgegners ab. Tatsächlich geht aber aus den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt kein einziger konkreter Missstand der derzeitigen Verwaltung hervor, der ein Vorgehen nach § 23 WEG 2002 rechtfertigen könnte.

9. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht mit den Parteien zu erörtern, zu erheben und aussagekräftig festzustellen haben, welche Mängel bei der derzeitigen Verwaltung konkret bestehen. Erst danach wird beurteilt werden können, ob die Bestellung eines vorläufigen Verwalters nach § 23 WEG 2002 zu erfolgen hat.

10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG (iVm § 52 Abs 2 WEG 2002). Erst mit der endgültigen Sachentscheidung können die gebotenen Billigkeitserwägungen angestellt werden (RIS‑Justiz RS0123011 [T1]).

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