European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00072.16B.1028.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden in Ansehung der zweitbeklagten Partei aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger und der Erstbeklagte waren am 14. 8. 2013 Arbeitnehmer der F***** A***** GmbH. An diesem Tag brachte der Kläger mit dem Lkw eine Palette mit Stahlteilen auf das Betriebsgelände seiner Arbeitgeberin. Die Palette sollte vom Erstbeklagten mit einem Stapler abgeladen werden. Bei diesem Vorgang wurde der Kläger verletzt.
Das Betriebsgelände der F***** A***** GmbH, auf dem auch andere Unternehmen Lagerhallen angemietet hatten, war an allen vier Seiten von einem Maschendrahtzaun umgeben. Zufahrtsmöglichkeiten gab es durch ein Schiebetor sowie von der Hauptzufahrtsstraße aus durch eine automatische Schrankenanlage.
Der Kläger begehrt vom Zweitbeklagten – nur dieses Klagebegehren ist revisionsgegenständlich – 12.000 EUR sA an Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung für den zukünftigen Personenschaden. Der Zweitbeklagte hafte nach dem Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz (VOEG), weil der Unfall durch einen Stapler, also einen Transportkarren im Sinn des Kraftfahrzeuggesetzes (KFG 1967), verursacht worden sei.
Der zweitbeklagte Fachverband bestritt seine Haftung unter Berufung auf den Haftungsausschluss nach § 6 Abs 3 Z 2 VOEG. Der Arbeitsunfall habe sich in einem geschlossenen Betriebsbereich ereignet. Jedenfalls treffe den Kläger das Alleinverschulden, zumindest aber das überwiegende Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls, weil der Erstbeklagte den Kläger nicht aufgefordert habe, auf den Stapler zu steigen. Eine allfällige Haftung des Zweitbeklagten habe sich auf die Mindestversicherungssumme nach dem KHVG bzw den Haftungshöchstbetrag nach dem EKHG zu beschränken.
Der Kläger entgegnete, dass es sich beim Betriebsgelände um keinen „geschlossenen Bereich“ iSd § 6 Abs 3 VOEG handle. Der Unfallsort liege vor einer Halle. Abgesehen davon verstoße dieser im Jahr 2013 eingeführte Ausnahmetatbestand gegen die 5. Kraftfahrzeugs-Haftpflichtversicherungs‑Richtlinie. Der Zweitbeklagte könne sich nicht auf eine richtlinienwidrige Bestimmung berufen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren gegenüber beiden Beklagten ab. Den Erstbeklagten treffe zwar ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls, ihm komme aber als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute. Aber auch eine Haftung des Zweitbeklagten scheide aus. Der Hubstapler unterliege als Transportkarren nicht der Kfz-Haftpflichtversicherungspflicht. Der Zweitbeklagte hafte aber für Unfälle gemäß § 6 Abs 3 Z 2 VOEG dann nicht, wenn der Schaden im geschlossenen Bereich zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen herbeigeführt worden sei. Dieser Ausnahmetatbestand liege hier vor, weil sich der Arbeitsunfall zwischen zwei Arbeitnehmern desselben Arbeitgebers innerhalb eines eingezäunten Betriebsgeländes in einem von Lagerhallen begrenzten Hof ereignet habe. Nach oben hin müsse ein „geschlossener Bereich“ iSd VOEG nicht abgeschlossen sein. Die Frage, ob § 6 Abs 3 Z 2 VOEG unionsrechtswidrig sei, könne auf sich beruhen, weil Richtlinien keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten zukomme. Eine richtlinienkonforme Auslegung entgegen der nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung könne nicht erfolgen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, mit der die klagsabweisende Entscheidung in Ansehung beider Beklagten bekämpft wurde, nicht Folge. Der Zweitbeklagte sei grundsätzlich gemäß § 6 Abs 1 VOEG entschädigungspflichtig. Da sich der Unfall jedoch in einem eingezäunten Betriebsgelände mit nur beschränktem Personen- und Fahrzeugverkehr und somit nicht auf einer Verkehrsfläche, die der Allgemeinheit zur Güter- und Personenbeförderung diene, ereignet habe, liege der Ausnahmetatbestand des § 6 Abs 3 VOEG vor. Dass unter einem „geschlossenen Bereich“ iSd § 6 Abs 3 Z 2 VOEG nur Bauwerke mit Dach zu verstehen seien, lasse sich sich weder dem Gesetzeszweck noch den Materialien entnehmen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, was unter einem geschlossenen Bereich iSd § 6 Abs 3 Z 2 VOEG zu verstehen sei, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung aufgefunden habe werden können.
Ausschließlich gegen die Abweisung des gegen den Zweitbeklagten gerichteten Klagebegehrens richtet sich die Revision des Klägers. Er beantragt die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe gegenüber dem Zweitbeklagten; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Zweitbeklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
I. Bevor auf die einzelnen in den Rechtsmittelschriften des Klägers und des Zweitbeklagten dargelegten Argumente näher eingegangen wird, werden zunächst allgemeine, im Wesentlichen der Entscheidung 2 Ob 112/15g entsprechende Überlegungen zum VOEG vorangestellt. Auf die schon dort zitierten Entscheidungen und Stellungnahmen im Schrifttum wird verwiesen.
I.1. Mit Art 1 Z 3 lit b der Richtlinie 2005/14/EG (5. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie) vom 11. 5. 2005 wurde Art 4 lit b der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. 4. 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht durch Neufassung von Unterabs 2 in dem Sinne abgeändert, dass die Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung gewisser von der Versicherungspflicht ausgenommener Fahrzeuge mit den trotz Versicherungspflicht nicht versicherten Fahrzeugen zu gewährleisten haben. Den Mitgliedstaaten wurde dadurch die Wahlmöglichkeit gewährt, diese Fahrzeuge künftig der Versicherungspflicht zu unterwerfen, oder dafür zu sorgen, dass durch solche Fahrzeuge Geschädigte von einem nationalen Garantiefonds entschädigt werden.
I.2. In Österreich geschah die notwendige Umsetzung dadurch, dass Fahrzeuge, die gemäß § 1 Abs 2 lit a, b und d sowie Abs 2a KFG von der Anwendbarkeit dieses Bundesgesetzes ausgenommen waren, in § 6 des neuen VOEG dem Regime des Garantiefonds unterstellt wurden.
Das neu kodifizierte VOEG trat am 1. 7. 2007 in Kraft (§ 19 Abs 1 VOEG). Nach § 6 Abs 1 Z 1 VOEG hat der Fachverband Entschädigung für Personen‑ und Sachschäden zu leisten, die im Inland durch ein Fahrzeug iSd § 1 Abs 2 lit a, b und d sowie Abs 2a KFG 1967 verursacht wurden. Zu den Fahrzeugen nach § 1 Abs 2 lit b KFG gehören auch Transportkarren. Beim Hubstapler handelt es sich um einen Transportkarren (2 Ob 89/12w = EvBl 2013/118 [Rohrer] = ZVR 2014/7 [Kathrein]; 7 Ob 220/13y mwN). Die Entschädigungspflicht des beklagten Fachverbands für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge (§ 6 VOEG) setzt nicht deren Verwendung auf öffentlichen Straßen voraus, zumal sie eben typischerweise außerhalb solcher Straßen verwendet werden (2 Ob 89/12w; 2 Ob 69/15h; RIS‑Justiz RS0128779).
I.3. Mit BGBl 2013/12 (VersRÄG 2013) wurde die in § 6 Abs 3 VOEG geregelte Ausnahme von der Entschädigungspflicht nach Abs 1 leg cit dahin erweitert, dass nunmehr auch Schäden durch einen Unfall mit in § 1 Abs 2 lit a und b KFG 1967 angeführten Fahrzeugen im geschlossenen Bereich zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen von der Haftung des beklagten Fachverbands ausgenommen sind.
In der Regierungsvorlage zu dieser Gesetzesänderung (RV 2005 BlgNR 24. GP 1, 4 und 9) heißt es, dass Entschädigungsansprüche aus Arbeitsunfällen vermehrt auf das VOEG gestützt würden, welches für deren Geltendmachung aber nicht die geeignete Anspruchsgrundlage sei. Unter „Ziele der Gesetzesnovelle“ wird daher angeführt, dass Arbeitsunfälle von den Entschädigungsfällen des VOEG ausgenommen werden sollten (RV aaO 1). Der Arbeitsbetrieb und seine haftpflichtversicherungsrechtlichen Besonderheiten machten eine Regelung erforderlich, die sicherstelle, dass Unfälle mit Arbeitsmaschinen in abgesperrtem Fabriksgelände zwischen in den Arbeitsbetrieb des Arbeitgebers eingebundenen Personen nicht eine Ersatzpflicht des Fachverbands, die letztlich auf eine Schadensteilung unter und nach dem Verschulden der beteiligten Arbeitnehmer/innen hinauslaufe, begründeten (RV aaO 4). Zu § 6 Abs 3 Z 2 VOEG merken die Materialien erneut an, dass vor dem Hintergrund, dass das VOEG für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus Arbeitsunfällen nicht die geeignete Anspruchsgrundlage darstelle, die vorgeschlagene Regelung sicherstellen solle, dass durch Unfälle mit Arbeitsmaschinen in abgesperrtem Fabriksgelände (zB in einer Fabriks‑ oder Lagerhalle) zwischen in den Arbeitsbetrieb des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin eingebundenen Personen (Arbeitnehmer/innen, Leiharbeitskräften sowie Personen in ähnlichen Rechtsverhältnissen) nicht eine Ersatzpflicht des Fachverbands, gefolgt von einer Regresspflicht der Schuld tragenden Person, begründet werde; in diesen Fällen wäre wohl primär die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin, allenfalls gekoppelt mit Leistungen aus einer Betriebshaftpflichtversicherung sowie der allgemeinen Unfallversicherung, angesprochen, und nicht ein Ausgleich über das VOEG, das letztlich auf eine Schadensteilung unter und nach dem Verschulden der beteiligten Arbeitnehmer/innen hinauslaufe (RV aaO 9).
Diese Bestimmung trat am 1. 1. 2013 in Kraft (§ 19 Abs 4 VOEG idF BGBl 2013/12) und ist daher auf den hier zu beurteilenden Unfall vom 14. 8. 2013 anzuwenden.
I.4. Nach Erwägungsgrund 8 der 5. Kraftfahr-zeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie 2005/14/EG vom 11. 5. 2005 sollte dafür gesorgt werden, dass nicht nur Opfer von Unfällen, die durch ein Fahrzeug im Ausland verursacht werden, sondern auch Opfer von Unfällen, die in dem Mitgliedstaat verursacht werden, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, angemessenen Schadenersatz erhalten. Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten die Opfer von durch diese Fahrzeuge verursachten Unfällen ebenso behandeln wie Opfer von durch nicht versicherte Fahrzeuge verursachten Unfällen.
Gleiche Überlegungen finden sich auch in den Erwägungsgründen 10 und 11 der 6. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie 2009/103/EG vom 16. 9. 2009, mit der „aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit“ alle früheren Richtlinien über die Kfz-Haftpflichtversicherung kodifiziert und zusammengefasst werden sollten. Nach Art 5 Abs 2 dieser Richtlinie kann jeder Mitgliedstaat bei gewissen Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeugen mit besonderem Kennzeichen, die dieser Staat bestimmt und deren Kennzeichnung er den anderen Mitgliedstaaten sowie der Kommission meldet, von Art 3 (das ist die Kfz-Haftpflichtversicherungspflicht) abweichen. In diesem Fall haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass die in Unterabs 1 genannten Fahrzeuge ebenso behandelt werden wie Fahrzeuge, bei denen der Versicherungspflicht nach Art 3 nicht entsprochen worden ist.
Weder die 5. noch die 6. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie gehen auf die Frage der Entschädigungspflicht für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge bei Verwendung in geschlossenen Betriebsarealen zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen ausdrücklich ein, sondern sprechen vielmehr ganz allgemein von nicht versicherten bzw nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen.
II. Der Klägerbekämpft mit seiner Revision die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Unfall habe sich im „geschlossenen Bereich“ iSd § 6 Abs 3 Z 2 VOEG ereignet. Ein bloß mit einem Zaun umgebener Freibereich sei kein geschlossener Bereich, sondern lediglich ein umzäuntes, von anderen Bereichen abgetrenntes, Areal. Ein Bereich sei nur dann „geschlossen“, wenn er im Inneren eines Bauwerks liege. Der Ausdruck „geschlossener Bereich“ sei daher als Überbegriff für Bauwerke, Hallen, Gebäude udgl zu verstehen. Der Senat teilt diese Rechtsansicht nicht:
Mag auch der bloße Wortlaut dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs der Auslegung des Klägers nicht entgegen stehen, so ist dem Berufungsgericht aber darin zuzustimmen, dass es nach dem in den Materialien klar formulierten Gesetzeszweck (vgl RIS‑Justiz RS0010053 [T1]; RS0008769), Arbeitsunfälle grundsätzlich von den Entschädigungsfällen des VOEG auszunehmen, für die Begründung des Ausnahmetatbestands des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG nicht darauf ankommen kann, ob der Bereich, in dem sich der Arbeitsunfall ereignet hat, im Inneren eines Bauwerks liegt oder nicht. Nach den Materialien (RV 2005 BlgNR 24. GP 9) soll § 6 Abs 3 Z 2 VOEG sicherstellen, dass durch Unfälle mit Arbeitsmaschinen in abgesperrtem Fabriksgelände (zB in einer Fabriks‑ oder Lagerhalle) zwischen in den Arbeitsbetrieb des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin eingebundenen Personen (Arbeitnehmer/innen, Leiharbeitskräften sowie Personen in ähnlichen Rechtsverhältnissen) nicht eine Ersatzpflicht des Fachverbands der Versicherungsunternehmen, gefolgt von einer Regresspflicht der Schuld tragenden Person, begründet wird. Nur beispielhaft sprechen die Materialien hinsichtlich eines abgesperrten Fabriksgeländes von einer Fabriks- oder Lagerhalle. Erkennbar sollte damit (nur) eine Abgrenzung zu Verkehrsflächen erfolgen, die der Allgemeinheit zur Güter- und Personenbeförderung dienten.
III.1. Damit ist aber der vom Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren erhobene Einwand, der Zweitbeklagte könne sich nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG berufen, weil diese Bestimmung gegen die 5. Kraftfahrzeugs-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie 2005/14/EG vom 11. 5. 2005 verstoße, zu prüfen.
III.2. Die relevanten Fragen nach der Richtlinienwidrigkeit des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG und der unmittelbaren Anwendbarkeit der in Rede stehenden Richtlinie im vorliegenden Fall wurden bereits in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 112/15g wie folgt beantwortet:
III.3. „ I.5. Es stellt sich daher die Frage, ob der im österreichischen VOEG mit der Novelle des § 6 Abs 3 per 1. 1. 2013 eingefügte Ausnahmefall von der Entschädigungspflicht den Richtlinien entspricht oder nicht:
I.5.1. In der österreichischen Literatur wurde dies mehrfach in Zweifel gezogen (vgl Kathrein, Anmerkung zu 2 Ob 89/12w in ZVR 2014/7, 24 sowie Haupfleisch, Lücken im europäischen Verkehrsopferschutz, ZVR 2015/18, 45 [50], der ausführt, dass die Ausnahme in der Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie mangels ausdrücklicher Erwähnung keine Deckung finde und dem Schutzzweck der Richtlinie widerspreche).
I.5.2. Ein Vorabentscheidungsersuchen zu dieser Frage erübrigt sich aber, weil der Europäische Gerichtshof die hier relevante Rechtsfrage implizit bereits in seiner Entscheidung vom 4. 9. 2014, C‑162/13 Vnuk beantwortet hat. Dort wollte das anfragende Gericht wissen, ob sich der Begriff der 'Benutzung eines Fahrzeuges' im Sinne Art 3 Abs 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. 4. 1972 (vgl ...) – auf einen Fall erstreckt, in dem sich der Unfall mit einem Traktor samt Anhänger im Hof eines Bauernhofs während des Einbringens von Heuballen auf den Dachboden einer Scheune ereignete, als Traktor und Anhänger rückwärts in die Scheune gelenkt wurden, und dabei gegen eine Leiter stießen und die darauf stehende Person verletzten. Der Gerichtshof legte dar, dass der Begriff des Benutzens eines Fahrzeugs nach der Richtlinie auch ein Manöver, wie das im Ausgangsfall beschriebene, umfassen kann, da der Begriff 'jede Benützung eines Fahrzeugs umfasst, die dessen gewöhnlicher Funktion entspricht'.
Ist aber das beschriebene Manöver im Hof eines Bauernhofs beim Heueinbringen nicht von den genannten Richtlinien ausgeschlossen, muss dies auch für Unfälle – wie § 6 Abs 3 Z 2 VOEG formuliert – 'im geschlossenen Bereich zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen' gelten.
I.6. Die vom österreichischen Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung ist daher im Hinblick auf die umfassende Formulierung der Richtlinie 72/166/EWG , die nunmehr in der 6. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie konsolidiert ist, nicht als ordnungsgemäße Umsetzung bzw als nachträgliche Änderung der ursprünglich richtlinienkonformen Umsetzung trotz Sperrwirkung anzusehen (vgl Vcelouch in Mayer, Kommentar zu EUV und AEUV, Art 288 AEUV Rz 48 mwN; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, III, Art 288 AEUV, Rn 130 und 134; Biervert in Schwarze, EU-Kommentar 3 , Art 288 AEUV Rn 27).
I.7. Da im vorliegenden Fall die Bestimmungen der Richtlinien grundsätzlich ausreichend bestimmt für eine unmittelbare Anwendung sind, stellt sich weiters die Frage:
II. Ist die Richtlinie im vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar?
II.1. Eine Richtlinie kann nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH nicht gegenüber Einzelpersonen, wohl aber gegenüber einem Staat geltend gemacht werden (EuGH 19. 4. 2007, C‑356/05 Farrell; 2 Ob 40/15v; Vcelouch in Mayer, Kommentar zum EUV und AEUV, Art 288 AEUV Rz 71 ff, Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, III, Art 288 AEUV, Rn 149 ff, 157 ff; Perner, EU‑Richtlinien und Privatrecht, 31 und 34).
Die unmittelbar anwendbare Bestimmung einer Richtlinie kann darüber hinaus auch einer Einrichtung entgegengehalten werden, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hiezu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehung zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen (EuGH 12. 7. 1990, C‑188/89 Foster; 24. 1. 2012, C‑282/10 Maribel Dominguez sowie 19. 4. 2007, C‑356/05 Farrell; Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art 288 Rn 59).
II.2. Ob eine solche Einrichtung vorliegt, hat der EuGH in der bereits genannten Entscheidung vom 19. 4. 2007 C‑356/05 Farrell, die offenbar das irische Pendant zur hier Beklagten, das Motor Insurers Bureau of Ireland (MIBI) betraf, mangels näherer Angaben zu dessen Befugnissen offen gelassen. Auch C‑282/10 Maribel Dominguez enthält zur dortigen Arbeitgeberin der Klägerin, einer Einrichtung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, keine eindeutige Aussage. In C‑425/12 Portgás wurde ausgesprochen, dass Konzessionen über besondere und ausschließliche Rechte nicht notwendigerweise bedeuten, dass eine 'Einrichtung' im obigen Sinne vorliegt (Rn 25). Alleine die Möglichkeit, für das Betreiben und die Errichtung der Infrastruktur notwendige Enteignungen zu beantragen, ohne diese aber selbst durchführen zu können, reiche für sich nicht aus (Rn 30).
Dagegen hat der Gerichtshof aber auch entschieden, dass die Bestimmungen einer Richtlinie Finanzbehörden, Gebietskörperschaften sowie einem staatlich intensiv dominierten Gasversorgungssystem, das die Befugnis hatte, Gesetzesvorschläge im Parlament einzubringen (vgl C‑188/89 A. Foster) und mit der Verwaltung des öffentlichen Gesundheitsdienstes beauftragten Behörden (C‑152/84 Marshall) entgegengehalten werden können. Auch Wasserversorgungsgesellschaften mit dem Recht, Enteignungen durchzuführen und Verwaltungsvorschriften (zB Gießverbote) zu erlassen, wurden tendenziell als solche Einrichtungen eingeordnet (C‑279/12 Fish Legal), und dies ausdrücklich in C‑157/02 Rieser für die österreichische Asfinag bejaht, die ua samt allen Tochtergesellschaften der jederzeitigen Überprüfung durch den Staat unterlag und auch ihre Mautentgelte nicht selbst festsetzen durfte, sondern per Gesetz vorgeschrieben erhielt.
II.3. Der hier zu beurteilende Fachverband der Versicherungsunternehmungen wurde mit Bundesgesetz vom 2. 6. 1977, BGBl 1977/322, über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer zur Erbringung von Leistungen nach diesem Bundesgesetz verpflichtet (§ 1 Abs 1).
Die Gesetzesmaterialien dazu (506 BlgNR 14. GP 3) führen aus, dass seit 1958 eine Auslobung der in Österreich zugelassenen Versicherungsunternehmungen für den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer bestehe. Diese von den Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen geschaffene Einrichtung bestehe aber auf rein freiwilliger Basis. Die vorgesehene bundesgesetzliche Regelung stelle die zweckmäßigste Grundlage für die dauernde innerstaatliche Erfüllung der staatsvertraglichen Verpflichtungen Österreichs aus dem Europäischen Übereinkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge dar.
Auch nach der Neukodifizierung des Verkehrsopferschutzes durch das mit 1. 1. 2007 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Entschädigung von Verkehrsopfern (VOEG), BGBl I 2007/37, wurde in § 2 der Fachverband als zuständige Entschädigungsstelle beibehalten. Er ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts am Sitz des vereinsrechtlich konstituierten Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVU), der den Fachverband ständig gerichtlich und außergerichtlich vertritt (2 Ob 40/15v; Fucik, Verkehrsopferentschädigung, ZVR 2015/239, 463 [464]; Fucik/Hartl/Schlosser, Handbuch des Verkehrsunfalls VI2 Rz 978).
II.4. Zu seinen Aufgaben gehört die Herausgabe von Musterversicherungsbedingungen im Sinne von § 18 KHVG; die Zuweisung von Fahrzeugbesitzern, die bereits von drei Kraftfahrzeughaftpflichtversicherern abgewiesen wurden, zu einem Versicherungsunternehmen (§ 25 KHVG), sowie die Führung eines Registers über die Haftpflichtversicherung für im Inland zugelassene Fahrzeuge und Auskunftserteilung hieraus, wofür die Zulassungsbehörde und Zulassungsstellen sowie die Haftpflichtversicherungsunternehmen dem Fachverband einschlägige Mitteilungen zu erstatten haben (§ 31a und b KHVG). Darüber hinaus hat die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) nach § 118h VAG 1978, BGBl 1978/569, bzw § 259 VAG 2016, BGBl I 2015/34, von Behörden anderer Vertragsstaaten übermittelte Angaben über den Betrieb von Zweigniederlassungen oder den Dienstleistungsverkehr inländischer Versicherungs-unternehmen mitzuteilen, soweit dies zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Fachverbands erforderlich ist. Letztlich steht ihm noch ein Entsendungsrecht eines Vertreters in einen beratenden Ausschuss nach § 32 KHVG zu.
II.5. Es stellt sich daher die Frage, ob eine derartige, ursprünglich freiwillige Einrichtung, die der Gesetzgeber aufgrund staatsvertraglicher und später unionsrechtlicher Verpflichtungen per Gesetz als innerstaatliche Entschädigungsstelle installierte und der er die oben dargestellten Aufgaben und Befugnisse auferlegte, als Einrichtung im Sinne der Ausführungen zu Pkt II.1. und II.2. anzusehen ist, was der Senat in 2 Ob 40/15v andeutete, aber offen lassen konnte.
Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte damit per Gesetz, also kraft staatlichen Rechtsakts, Aufgaben im öffentlichen Interesse übernimmt, zu deren Erfüllung europarechtlich der Staat verpflichtet ist, und sie hiezu mit besonderen Rechten, insbesondere Informationsrechten, aber auch dem Recht der Zwangszuteilung zur Haftpflichtversicherung ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, ist diese Frage nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nunmehr letztlich zu bejahen und davon auszugehen, dass die Richtlinie im vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar ist.
III. Schlussfolgerungen:
III.1. Rechtsfolge der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie ist, dass sich der Einzelne unmittelbar zu seinen Gunsten auf die Richtlinienbestimmung berufen und die darin gewährten Rechte einfordern kann (Geismann in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht 7 Art 288 AEUV Rn 49). Die unmittelbar wirksame Richtlinienbestimmung ist für ihren Adressaten rechtsverbindlich (Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, III, Art 288 AEUV Rn 165). Zur Beachtung der unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinienbestimmungen sind mitgliedstaatliche Organe, darunter auch die Judikative, verpflichtet; entgegenstehendes nationales Recht haben diese Organe außer Acht zu lassen (Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, aaO Rn 166; vgl auch Vcelouch in Mayer, Kommentar zum EUV und AEUV, Art 288 AEUV Rz 75).
III.2. Im konkreten Fall ist daher Art 5 Abs 2 RL 2009/103/EG unmittelbar anwendbar. Danach sind Fahrzeuge, die von der Versicherungspflicht nach Art 3 dieser Richtlinie ausgenommen sind, ebenso zu behandeln wie Fahrzeuge, bei denen der Versicherungspflicht nicht entsprochen wurde. Dies führt zur Verpflichtung des beklagten Fachverbands, der Klägerin Ersatz nach den Art 10 RL 2009/103/EG umsetzenden Bestimmungen des VOEG zu leisten. Die dieser Rechtsfolge entgegenstehende und daher richtlinienwidrige Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG ist aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht anzuwenden. “
III.4. Der erkennende 9. Senat schließt sich der Rechtsansicht des 2. Senats aus dessen zutreffender Begründung an. Die vom Zweitbeklagten dagegen ins Treffen geführten Argumente überzeugen nicht:
III.4.1. Der Rechtsansicht, § 6 Abs 3 Z 2 VOEG sei mit der 5. Kraftfahrzeugs-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie 2005/14/EG vom 11. 5. 2005 bzw der 6. Kraftfahr-zeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie 2009/103/EG vom 16. 9. 2009 nicht vereinbar, hält der Zweitbeklagte entgegen, dass das VOEG schon definitionsgemäß auf den Schutz von Verkehrsopfern abziele, worunter nur Personen zu verstehen seien, die als Verkehrsteilnehmer im straßenverkehrsrechtlichen Sinn, also unter Benützung öffentlicher Wege, Straßen und Plätze – seien es öffentliche Flächen oder private Flächen – so aber jedenfalls im Rahmen des Gemeingebrauchs in einen Unfall verwickelt seien. Es müsse sich um einen Straßenverkehrsunfall handeln.
Sollte der Zweitbeklagte damit die Geltung der Richtlinie und in der Folge des VOEG von der jeweiligen Situation der Verwendung eines Fahrzeugs (Straßenverkehr oder andere Verwendung) abhängig machen wollen, so steht dem die zitierte Entscheidung des EuGH vom 4. 9. 2014, Rs C‑162/13 Vnuk, entgegen. Denn aus dieser geht hervor, dass die Kfz‑Haftpflicht‑Versicherungspflicht am Begriff des Fahrzeugs iSv Art 1 Nr 1 der Richtlinie 2009/103/EG anknüpft, worunter „jedes maschinell angetriebene Kraftfahrzeug, welches zum Verkehr zu Lande bestimmt und nicht an Gleise gebunden ist, sowie die Anhänger, auch wenn sie nicht angekoppelt sind,“ zu verstehen ist. Der EuGH wies darauf hin, dass die Definition unabhängig von dem Gebrauch ist, der vom jeweiligen Fahrzeug gemacht wird oder werden kann. „Daher ändert die Tatsache, dass ein Traktor … unter bestimmten Umständen als landwirtschaftliche Arbeitsmaschine benutzt werden kann, nichts an der Feststellung, dass ein solches Fahrzeug dem Begriff Fahrzeug in Art 1 Nr 1 der Ersten Richtlinie entspricht.“ (Rn 38).
Die Entschädigungspflicht des Zweitbeklagten für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge setzt danach nicht voraus, dass sie im Zuge eines Unfallgeschehens auf öffentlichen Straßen verwendet wurden. Der Ansicht, dass seine Haftung für Transportkarren nach dem Regelungszweck nur im Rahmen ihrer Verwendung auf öffentlichen Straßen bestehe (Überqueren von Straßen, Zurücklegung kurzer Strecken auf Straßen, auf denen auch Verkehr im straßenverkehrsrechtlichen Sinne stattfindet, und im gekennzeichneten Baustellenbereich mit Mehrzweck-fahrzeugen, insbesondere auch Hubstaplern) und dem Schutz von Verkehrsopfern ausreichend entspreche, ist daher nicht zu folgen.
Der Zweitbeklagte geht weiter selbst davon aus, dass insbesondere auch bei Hubstaplern das Überqueren von Straßen und die Zurücklegung kurzer Strecken auf Straßen, auf denen auch Verkehr im straßenverkehrsrechtlichen Sinne stattfindet, ausnahmsweise zulässig ist. Nicht anders als bei den sonstigen in § 1 Abs 2 lit a und b KFG genannten Fahrzeugen (zB Transportkarren, § 2 Z 19, selbstfahrenden Arbeitsmaschinen, § 2 Z 21) hat dies aber nur zur Folge, dass gerade wegen des Fehlens einer Versicherungspflicht im Interesse des Opferschutzes Leistungsansprüche gegen den Zweitbeklagten vorzusehen sind.
Richtig ist, dass die in Rede stehenden Richtlinien der Verwirklichung des freien Waren- und Personenverkehrs in der Union dienen (vgl Erwägungsgrund 1, 5 und 7 zu RL 2005/14/EG ; EuGH Rs C‑162/13 Vnuk, Rn 51). Der EuGH hat aber in der Entscheidung Vnuk ausdrücklich auch das Ziel des Opferschutzes hervorgehoben (Rn 51 ff). Angesichts der Bedeutung des Opferschutzes könne nicht angenommen werden, dass der Unionsgesetzgeber Personen, die durch einen Unfall geschädigt werden, der durch ein Fahrzeug bei dessen Benutzung verursacht wird, von dem durch diese Richtlinien gewährten Schutz ausschließen wollte, sofern die Benutzung der gewöhnlichen Funktion dieses Fahrzeugs entspricht (Rn 56). Gerade dieses Ziel des Opferschutzes erfordert aber eine weite Auslegung der unionsrechtlich vorgegebenen Entschädigungspflichten. Eine Vorlage an den EuGH zu dieser Frage ist daher nicht erforderlich.
III.4.2. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinie hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst auch in der Entscheidung 8 ObS 6/16i grundsätzlich festgehalten, dass sich der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor dem nationalem Gericht nicht nur gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat. Er kann dies auch gegenüber einer Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse erbringt, oder die durch ein Gesetz eingerichtet wurde und einen öffentlichen Zweck verfolgt, also verpflichtet ist, ihre Tätigkeit nach dem gesetzlich definierten Gesamtinteresse auszurichten. Gerade diese letztgenannte Voraussetzung ist aus den unter Punkt II.3. vom 2. Senat dargestellten Erwägungen beim zweitbeklagten Fachverband gegeben. Woraus der Fachverband der Versicherungsunternehmungen seine Beiträge zur Finanzierung des Garantiefonds lukriert, spielt bei dieser Beurteilung keine entscheidende Rolle. Die vom 2. Senat genannten Bestimmungen des KHVG und die dem Fachverband zur Erfüllung der grundsätzlich den Staat treffenden unionsrechtlichen Verpflichtungen übertragenen Aufgaben und auch Pflichten (zB § 11) nach dem VOEG gehen jedenfalls über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinaus.
Die unmittelbare Anwendung der Richtlinie 2009/103/EG scheitert auch nicht daran, dass sonst ein den Mitgliedstaaten eingeräumter Ermessensspielraum verletzt würde. Maßgeblich ist hier der Art 5 Abs 2 der Richtlinie 2009/103/EG , wonach jeder Mitgliedstaat bei gewissen Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeuge mit besonderem Kennzeichen, die dieser Staat bestimmt und deren Kennzeichnung er den andere Mitgliedstaaten sowie der Kommission meldet, von Art 3 (Kfz-Haftpflicht-versicherungspflicht) abweichen kann (Satz 1). In diesem Fall gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die in Unterabs 1 genannten Fahrzeuge ebenso behandelt werden wie Fahrzeuge, bei denen der Versicherungspflicht nach Art 3 nicht entsprochen worden ist (Satz 2).
Mit der unmittelbaren Anwendung von Satz 2 leg cit aber wird nicht in die durch Satz 1 der Richtlinie 2009/103/EG eingeräumte Möglichkeit des Gesetzgebers eingegriffen, bestimmte Fahrzeuge von der Kfz‑Haftpflichtversicherung auszunehmen, sondern nur die daraus resultierende Rechtsfolge dieser gesetzgeberischen Entscheidung – Behandlung solcher Fahrzeuge wie versicherungspflichtige, jedoch nicht versicherte Fahrzeuge –als unmittelbar anwendbar angesehen. Auch im vorliegenden Fall ist Art 5 Abs 2 der Richtlinie 2009/103/EG daher unmittelbar anwendbar. Fahrzeuge, die von der Versicherungspflicht ausgenommen sind, sind danach ebenso zu behandeln wie Fahrzeuge, bei denen der Versicherungspflicht nicht entsprochen wurde.
Einer Anrufung des EuGH, wie vom Zweitbeklagten in der Revisionsbeantwortung angeregt, bedarf es daher auch in dieser Frage nicht.
III.5. Die vom Zweitbeklagten in seiner Revisionsbeantwortung erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Ergebnis der unionsrechtlich gebotenen unmittelbaren Anwendung der in Rede stehenden Richtlinien können dahingestellt bleiben. Die Verfassungswidrigkeit einer Gesetzesbestimmung (vgl Art 140 B‑VG) wird nicht geltend gemacht.
IV.1. In der Revisionsbeantwortung bestreitet der Zweitbeklagte seine Haftung erstmals unter Bezugnahme auf § 1 VOEG damit, dass der Unfall durch die Haftpflichtversicherung des LKWs gedeckt sei. Der gegenständliche Unfall habe sich nämlich im Zuge der noch nicht abgeschlossenen Entladetätigkeit, die jedenfalls zum Betrieb eines Kraftfahrzeugs gehöre, ereignet. Auch dieser Einwand ist nicht berechtigt:
IV.2. Das VOEG regelt die Entschädigung von Verkehrsopfern, die Schadenersatzansprüche nicht oder nur unter erschwerten Umständen gegen einen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer geltend machen können (§ 1 VOEG). Nach § 6 Abs 2 VOEG hat der Fachverband Leistungen nach Abs 1 so zu erbringen, als ob ihnen ein Schadenersatzanspruch des Verkehrsopfers und das Bestehen einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung im Rahmen der in den kraftfahrrechtlichen Bestimmungen festgesetzten Versicherungspflicht zugrunde lägen. Der Fachverband kann gegen einen Entschädigungsanspruch nicht einwenden, dass ein Haftpflichtiger Ersatz zu leisten habe, oder dass ein Haftpflichtversicherer einzutreten habe, wenn dieser seine Deckungspflicht bestreitet.
IV.3. Die Leistungen nach dem VOEG sind somit subsidiär ( Fucik , Verkehrsopferentschädigung, ZVR 2015/239, 463 [464]). Die Einreden, dass ein anderer Ersatzpflichtiger oder ein anderer (seine Deckungspflicht allerdings bestreitender) Haftpflichtversicherer leistungs- bzw deckungspflichtig sind, sind dem Fachverband auch im Falle der Entschädigung bei nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen verwehrt ( Kathrein , Verkehrsopferschutz neu – Das Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz, ZVR 2007/144, 243 [247]). Die Befriedigung des Geschädigten darf nämlich nicht dadurch verzögert werden, dass strittig ist, ob ein Haftpflichtversicherer für den Schaden einzutreten hat (RIS‑Justiz RS0122849).
IV.4. Der Einwand des Zweitbeklagten kann daher im Anlassfall nur dann erfolgreich sein, wenn ein Haftpflichtversicherer einzutreten hat, der seine Deckungspflicht nicht bestreitet. Dies steht hier aber gerade nicht fest und hat der Zweitbeklagte, der für seinen rechtsvernichtenden Einwand behauptungs- und beweispflichtig ist, auch nie behauptet.
V. Für das VOEG in dieser Fassung gilt die ständige Rechtsprechung zur Vorläuferregelung im VerkOG, wonach ein auf dieses Gesetz gegründeter Anspruch grundsätzlich inhaltlich jenem gleicht, der gegen einen versicherungspflichtigen bzw haftpflichtversicherten Schädiger bestehen würde. Es ist daher weiterhin zu fingieren, dass der schadenersatzrechtliche Leistungsanspruch des Opfers durch eine Kfz‑Haftpflichtversicherung (im Rahmen der gesetzlichen Versicherungspflicht) gedeckt ist (2 Ob 112/15g mwN).
Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Ansprüche des Klägers so zu prüfen haben, als bestünde eine Haftpflichtversicherung für den den Unfall verursachenden Gabelstapler. Dazu sind weitere Feststellungen erforderlich.
In Stattgebung der Revision des Klägers waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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